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Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 08.05.2006
Aktenzeichen: 4 St RR 66/06
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 329 Abs. 1 |
Tatbestand:
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Infolge der Berufung des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen dieses Urteil hat das Landgericht mit Verfügung vom 30.6.2005 Termin zur Berufungshauptverhandlung auf den 22.11.2005 festgesetzt. Mit Schriftsatz vom 17.11.2005, eingegangen bei Gericht am 21.11.2005, hat die Verteidigerin Terminsverlegung beantragt und zur Begründung mitgeteilt, der Angeklagte habe eine berufliche Tätigkeit bei einem Schweizer Unternehmen aufgenommen und halte sich zu diesem Zweck derzeit in Dubai auf. Es sei ihm daher unmöglich, am Terminstag vor dem Landgericht Ingolstadt zu erscheinen. Diesem Schreiben hat die Verteidigerin als Anlage eine Bestätigung der Schweizer Firma vom 18.11.2005 beigefügt, in welcher bestätigt wird, dass der Angeklagte für die nächsten zwei Monate freiberuflich für die Firma im Ausland tätig sei. Am 21.11.2005 teilte der Vorsitzende Richter der Verteidigerin telefonisch mit, der Termin werde nicht abgesetzt, da nicht ersichtlich sei, was den Angeklagten zwang, in Dubai zu sein.
Im Termin zur Berufungshauptverhandlung am 22.11.2005 ist die Verteidigerin erschienen, nicht jedoch der Angeklagte. Daraufhin hat das Landgericht die Berufung des Angeklagten gegen das amtsgerichtliche Urteil verworfen und das Verfahren über die Berufung der Staatsanwaltschaft ausgesetzt. Die Urteilsgründe enthalten u.a. folgende Feststellungen:
"Zum Termin erschien lediglich die Verteidigerin des Angeklagten, er selbst erschien nicht. Als einzige Entschuldigung wurde bekannt, dass der Angeklagte sich infolge einer beruflichen Tätigkeit bei einem Schweizer Unternehmen in Dubai aufhalte. Beigefügt war die Bestätigung einer B- AG in der Schweiz, wonach der Angeklagte ,für die nächsten zwei Monate freiberuflich für unsere Firma' im Ausland tätig sei.
Der Angeklagte war zum Termin am 27.7.2005 durch Einwurf in seinen Wohnungsbriefkasten geladen worden, nachdem eine persönliche Übergabe nicht möglich war.
Die Berufung des Angeklagten war ohne Verhandlung zur Sache zu verwerfen, da er der Hauptverhandlung ferngeblieben ist und dieses Fernbleiben nicht hinreichend entschuldigt war, § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO. Alleine die Tatsache, dass der Angeklagte freiberuflich für eine Schweizer Firma tätig ist, lässt nicht erkennen, dass er dies auch gerade am 22.11.2005 sein musste und dass er seine berufliche Tätigkeit nicht so organisieren konnte, dass er zur Hauptverhandlung erscheinen konnte. Weder aus der Mitteilung seiner Verteidigerin noch aus der Bestätigung der Firma B AG ergibt sich die Notwendigkeit, gerade zu diesem Zeitpunkt nach Dubai zu reisen."
Mit der Revision erhob der Verteidiger die allgemeine Sachrüge, im Übrigen rügte er die Verletzung formellen Rechts. Das Berufungsgericht habe gegen § 329 StPO dadurch verstoßen, dass es zu Unrecht von einer nicht genügenden Entschuldigung des Angeklagten ausging. Darüber hinaus hätte das Landgericht auch in Abwesenheit des Angeklagten verhandeln können, weil dieser sich bereits in erster Instanz zur Sache eingelassen habe und seine Aussage verlesen hätte werden können. Außerdem habe es das Landgericht unterlassen, weitere Nachweise zur ausreichenden Entschuldigung des Angeklagten einzufordern, um dem Angeklagten zu ermöglichen, sich zum Termin ausreichend zu entschuldigen. Schließlich habe der Angeklagte davon ausgehen können, dass seine Verteidiger für eine Terminsverlegung sorgen werden und er als ausreichend entschuldigt gelten würde. Die gemäß §§ 333, 341 Abs. 1, Abs. 2, §§ 344, 345 StPO zulässige Revision erwies sich als unbegründet.
Gründe:
1. Die Rüge, das Gericht sei zu Unrecht von einer nicht ausreichenden Entschuldigung des Angeklagten ausgegangen, ist in einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Form erhoben und damit zulässig. Nach dieser Vorschrift muss die Revision grundsätzlich die Verfahrenstatsachen so vollständig angeben, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, allein anhand dieses Vortrags die Schlüssigkeit des Verfahrensverstoßes nachzuvollziehen (vgl. BayObLGSt 1995, 202/ 203; 1996, 90/92; BGH NStZ 1996, 145). Werden allerdings mit der Verfahrensrüge die Gründe des angefochtenen Urteils - wie hier - zur Überprüfung gestellt (nämlich unter dem Gesichtspunkt der Verkennung des Rechtsbegriffs der genügenden Entschuldigung), so bedarf es insoweit keiner Wiederholung der Urteilsfeststellungen in der Revisionsbegründung (vgl. BayObLGSt 1996, 90/92 f m.w.N.). Im vorliegenden Fall ist die dem Revisionsvorbringen sinngemäß zu entnehmende Rüge, das Landgericht habe den Begriff der genügenden Entschuldigung verkannt, unter Heranziehung der Urteilsgründe hinreichend mit Tatsachenvortrag belegt worden.
Die Rüge ist jedoch unbegründet. Hat sich das Gericht in den Urteilsgründen mit den Entschuldigungsgründen auseinander gesetzt, ist das Revisionsgericht an die insoweit festgestellten Tatsachen gebunden, kann sie nicht ergänzen oder gar im Wege des Freibeweises korrigieren (vgl. BayObLGSt 1995, 90/93; BayObLG StV 2001, 338; BGHSt 28, 384). Die Überprüfung dieser Feststellungen ergibt vorliegend keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten. Ergänzend zu den insoweit zutreffenden Ausführungen der Staatsanwaltschaft bei dem Revisionsgericht ist Folgendes festzustellen: Grundsätzlich gilt, dass berufliche Verpflichtungen gegenüber der Pflicht, zu einem bestimmten Zeitpunkt vor Gericht zu erscheinen, zurückzutreten haben. Bei unaufschiebbaren und besonders bedeutsamen beruflichen oder geschäftlichen Angelegenheiten kann dem Angeklagten aber ausnahmsweise das Erscheinen vor Gericht unzumutbar sein (vgl. OLG Hamm NZV 2006, 165 m.w.N.). Darüber, ob für einen Angeklagten ein Fall vorliegt, in der ihm die Teilnahme an der Hauptverhandlung wegen anderweitiger beruflicher Verpflichtungen unzumutbar ist, ist durch Abwägen der öffentlich-rechtlichen Pflicht, in der Hauptverhandlung zu erscheinen, gegen den Grund seines Ausbleibens zu befinden. Bei der Güterabwägung sind insbesondere Art und Anlass der beruflichen Inanspruchnahme auf der einen und die Bedeutung des den Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens bildenden Vorwurfs auf der anderen Seite zu berücksichtigen. Die Überprüfung des angefochtenen Urteils anhand dieser Grundsätze ergibt keinen Rechtsfehler. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen begründen keine berufliche Verpflichtung des Angeklagten, welche sein Fernbleiben von der Hauptverhandlung entschuldigt. So ist insbesondere nicht ersichtlich, warum die Geschäfte im Ausland nur durch den Angeklagten und nicht durch einen anderen Mitarbeiter der Firma hätten wahrgenommen werden können. Auch ist nicht festgestellt, dass die Auslandstätigkeit für den Angeklagten unaufschiebbar war, zumal er seit 27.7.2005 und damit seit vier Monaten vom Termin Kenntnis hatte. Schließlich ist auch nicht erkennbar, von welcher Bedeutung die Auslandsabwesenheit des Angeklagten für seine berufliche Stellung war.
2. Ebenso wenig Erfolg hat die Revision mit der Rüge, das Gericht habe es pflichtwidrig unterlassen, den Angeklagten bzw. die Verteidigung zu einer weiteren Begründung des Fernbleibens des Angeklagten aufzufordern. Ungeachtet der Frage, ob diese Rüge in zulässiger Form erhoben wurde, insbesondere, ob ausreichend vorgetragen wurde, welche Aufklärungsmaßnahmen das Gericht im Einzelnen hätte treffen müssen und zu welchem Ergebnis dies geführt hätte, ist die Rüge jedenfalls unbegründet:
Nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO kommt es nicht darauf an, ob der Angeklagte sich genügend entschuldigt hat, sondern ob er genügend entschuldigt ist (Meyer-Goßner StPO 48. Aufl. § 329 Rn. 18 m.w.N. aus der Rechtsprechung). Hat das Gericht mithin Anhaltspunkte dafür, dass das Fernbleiben entschuldigt sein kann, ist es grundsätzlich verpflichtet, im Freibeweisverfahren die Stichhaltigkeit von Entschuldigungsgründen zu klären.
Der vorliegende Fall weist allerdings die Besonderheit auf, dass der Angeklagte sich darauf beruft, aus zwingenden beruflichen Gründen der Hauptverhandlung ferngeblieben zu sein. In Fällen dieser Art kann das Gericht die genügende Entschuldigung nur prüfen, wenn der Angeklagte die dafür maßgebenden Tatsachen vorgetragen hat (vgl. BayObLG NStZ 2003, 98; OLG Hamm NZV 2006, 165). Die von der Verteidigung dem Landgericht mitgeteilten Gründe waren für eine genügende Entschuldigung des Angeklagten nicht ausreichend, was der Vorsitzende am Tag vor der Hauptverhandlung der Verteidigung auch zu erkennen gab. Es oblag daher dem Angeklagten, dem Landgericht weitere Einzelheiten seiner Entschuldigung mitzuteilen, um dem Gericht eine Prüfung zu ermöglichen. Ein solcher Vortrag war dem Angeklagten auch zumutbar.
3. Auch die Rüge, der Angeklagte habe jedenfalls davon ausgehen können, sein Fernbleiben sei ausreichend entschuldigt und sein Verteidiger werde für eine Terminsverlegung sorgen, ist jedenfalls unbegründet. Die Rüge behauptet im Ergebnis einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens. Anhaltspunkte für einen solchen Verstoß sind indes nicht ersichtlich. Wenn der Angeklagte sich tatsächlich darauf verließ, sein Verteidiger werde für eine Terminsverlegung sorgen und sein Fernbleiben werde vom Gericht als ausreichend entschuldigt angesehen, so hat er gegen die Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten verstoßen. Denn er hätte einerseits die ihm bekannten Entschuldigungsgründe rechtzeitig über den Verteidiger dem Gericht mitteilen müssen, um eine baldige Gewissheit über die Beurteilung dieser Entschuldigungsgründe durch das Gericht zu erlangen. Zum anderen hätte der Angeklagte jedenfalls bei seinem Verteidiger rückfragen müssen, ob das Gericht den Termin verlegt habe. Eine unfaire Behandlung des Angeklagten ist nicht ersichtlich. Insbesondere hat das Landgericht zu keinem Zeitpunkt einen Vertrauenstatbestand geschaffen, etwa dergestalt, dass der Angeklagte davon ausgehen konnte, das Gericht werde sein Fernbleiben als genügend entschuldigt ansehen.
4. Schließlich ist auch die Rüge, das Landgericht hätte in Abwesenheit des Angeklagten verhandeln können, jedenfalls unbegründet. Weder aus dem angefochtenen Urteil noch aus den Verfahrensakten ergibt sich, dass ein Fall vorgelegen hätte, in welchem das Gesetz die Verhandlung ohne Angeklagten gestattet.
Auch im Übrigen ergibt die Überprüfung des Urteils keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.
Ende der Entscheidung
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