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Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 22.11.2006
Aktenzeichen: 4St RR 182/06
Rechtsgebiete: GG, StPO
Vorschriften:
GG Art. 101 Abs. 1 Satz 2 | |
StPO § 26a | |
StPO § 27 | |
StPO § 338 Nr. 3 |
2. Ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG kommt auch dann in Betracht, wenn sich die Verwerfung eines Ablehnungsgesuchs als unzulässig nach § 26 a Abs. 1 Ziff. 1 StPO als unhaltbar im Sinne einer groben Fehlanwendung des Gesetzesrechts erweist (im Anschluss an BVerfG vom 2.6.2005 JURIS Nr. KVRE330490501).
3. Ein Ablehnungsgesuch ist auch dann rechtzeitig im Sinne von § 26 a Abs. 1 Ziff. 1 StPO, wenn der Angeklagte nicht schon den ersten Eindruck möglicher Befangenheit des Richters zum Gegenstand eines Ablehnungsgesuchs macht, sondern zuwartet, bis sich dieser Eindruck in weiteren Verfahren durch das Verhalten des Richters verfestigt.
Gründe:
I.
1. Das Amtsgericht München hat den Angeklagten am 19.9.2005 wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 15 EUR verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht München I mit Urteil vom 24.4.2006 verworfen.
Die Berufungshauptverhandlung bestand aus mehreren Verhandlungstagen. Am Ende des ersten Hauptverhandlungstages, dem 14.3.2006, wurde die Hauptverhandlung unterbrochen. Ein Fortsetzungstermin wurde im Büroweg bestimmt. Im Vorfeld dieser Terminsbestimmung teilte der Vorsitzende einer Mitarbeiterin in der Kanzlei des Verteidigers des Angeklagten fernmündlich den von ihm ins Auge gefassten Termin, den 27.3.2006, 13.00 Uhr, mit. Die Kanzleimitarbeiterin erklärte sich befugt, Termine für den nicht anwesenden Verteidiger mit dem Vorsitzenden des Gerichts abzusprechen. Sie erklärte, eine Hauptverhandlung am 27.3.2006 um 13.00 Uhr sei möglich, der Verteidiger habe jedoch an demselben Tag noch um 15.00 Uhr einen anderen Termin in einem anderen Justizgebäude. Der Vorsitzende erklärte daraufhin, er könne im Hinblick auf die maximal dreiwöchige Unterbrechungsfrist und im Hinblick darauf, dass es sich bei dem 27.3.2006 um einen außerordentlichen Sitzungstag handle, auf den Termin des Verteidigers um 15.00 Uhr keine Rücksicht nehmen. Er fügte noch hinzu, "da muss ich ihn dann zwingen", da andernfalls die Hauptverhandlung "platzt".
Zu diesem Fortsetzungstermin lud der Vorsitzende zwei mehrere 100 km vom Gerichtsort entfernt wohnende Polizeibeamte als Zeugen auf 13.00 Uhr.
Der Fortsetzungstermin am 27.3.2006 konnte nicht wie vorgesehen um 13.00 Uhr beginnen, da versehentlich die Schöffen nicht geladen worden waren. Nach Beginn des Fortsetzungstermins um 14.03 Uhr gab der Verteidiger des Angeklagten eine Erklärung ab, wonach nach Auskunft seiner Kanzlei der Vorsitzende darauf hingewiesen worden war, dass der Verteidiger um 15.00 Uhr einen anderen Termin habe. Dies sollte berücksichtigt werden. Er müsse daher die Hauptverhandlung spätestens um 14.45 Uhr verlassen. Hierauf erklärte der Vorsitzende, eine Zusicherung, wie vom Verteidiger mündlich vorgetragen, der Termin werde um 15.00 Uhr beendet sein, sei anlässlich der Terminsbestimmung gegenüber der Kanzlei des Verteidigers nicht erfolgt. Des weiteren erklärte der Vorsitzende, es liege kein Fall notwendiger Verteidigung vor.
Nach Beendigung der Einvernahme des ersten Zeugen um 14.40 Uhr beantragte der Verteidiger eine Unterbrechung der Hauptverhandlung. Der Vorsitzende lehnte eine Unterbrechung mit Hinweis darauf, dass die noch zu hörende Zeugin von weither angereist sei, ab. Der Verteidiger beantragte hierzu einen Beschluss der Kammer, die nach geheimer Beratung den Unterbrechungsantrag des Verteidigers zurückwies. Um 14.49 Uhr stellte der Verteidiger daraufhin namens des Angeklagten einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden der Berufungskammer. Dieser Antrag wurde im Wesentlichen damit begründet, der Vorsitzende habe trotz Zusicherung, den Termin bis 15.00 Uhr zu beenden, den Unterbrechungsantrag um 14.45 Uhr zurückgewiesen, obwohl der verspätete Verhandlungsbeginn auf die Nichtladung der Schöffen zurückzuführen gewesen sei. Der abgelehnte Richter habe zu erkennen gegeben, dass er ohne den Verteidiger weiterverhandeln wolle, obwohl dieser ihn darauf hingewiesen habe, dass der Angeklagte darauf nicht vorbereitet sei, da er darauf vertraut habe, mit Verteidiger auftreten zu können.
Der Verteidiger verließ anschließend den Sitzungssaal. Die Hauptverhandlung wurde mit der Einvernahme des zweiten Zeugen fortgesetzt und zu einem späteren Zeitpunkt unterbrochen.
Am darauf folgenden Tag gab der abgelehnte Richter eine schriftliche dienstliche Stellungnahme zum Ablehnungsantrag ab, in welcher er den vorstehenden Verfahrensablauf bestätigte. Die Stellungnahme wurde an den Vertreter des abgelehnten Richters weitergeleitet, welcher sie dem Verteidiger zur Stellungnahme im Rahmen des Ablehnungsverfahrens zuleitete. Nach einer schriftlichen Äußerung des Verteidigers wurde am 3.4.2006 unter Mitwirkung des abgelehnten Richters und zweier Berufsrichter der Befangenheitsantrag des Angeklagten als unzulässig zurückgewiesen. Der Beschluss ist im Wesentlichen damit begründet, dass der Befangenheitsantrag um 14.49 Uhr gestellt und auf Umstände gestützt worden sei, die sich bereits um ca. 14.05 Uhr ergeben hätten. Denn bereits unmittelbar nach Aufruf der Sache um 14.03 Uhr habe der Vorsitzende erklärt, dass eine Zusicherung, der Termin werde um 15.00 Uhr beendet sein, nicht erfolgt sei. Zudem habe der Vorsitzende darauf hingewiesen, dass es sich nicht um den Fall einer notwendigen Verteidigung handle. Es sei somit bereits zu diesem Zeitpunkt klar gewesen, dass der Termin nicht um 15.00 Uhr beendet werden würde. Dennoch habe der Verteidiger erst noch die Einvernahme des einen Zeugen abgewartet und erst dann den Ablehnungsantrag gestellt, nachdem der Unterbrechungsantrag zurückgewiesen worden war. Bereits zu Beginn der Sitzung sei aber aufgrund der genannten Äußerungen des Vorsitzenden klar gewesen, dass eine Unterbrechung um 15.00 Uhr nicht erfolgen werde. Der Befangenheitsantrag wurde deshalb als nicht unverzüglich gemäß § 25 Abs. 2 Ziff. 2 StPO und damit unzulässig nach § 26 a Abs. 1 Ziff 1 StPO zurückgewiesen.
2. Der Revisionsführer hat die allgemeine Sachrüge erhoben und die Verletzung des formellen Rechts gerügt. Der Befangenheitsantrag hätte nicht als unzulässig zurückgewiesen werden dürfen, da er nicht verspätet gewesen sei. Der Ablehnungsantrag sei auch begründet gewesen. Hierin liege ein Verstoß gegen § 338 Ziff. 3 StPO. Des Weiteren sei gegen § 338 Ziff. 5 StPO verstoßen worden, weil in Abwesenheit des Verteidigers eine Zeugin vernommen worden sei, obwohl ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO vorgelegen habe.
II.
Die gemäß § 333 StPO statthafte Revision ist zulässig, § 341 Abs. 1, §§ 344, 345 StPO. Sie ist auch begründet, weil bei dem angefochtenen Urteil ein Richter mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch mit Unrecht verworfen worden ist (§ 338 Ziff. 3 StPO).
1. Der absolute Revisionsgrund des § 338 Ziff. 3 StPO erfasst mit seiner Variante, wonach das Ablehnungsgesuch "mit Unrecht verworfen worden ist", sowohl die Fälle des § 26 a StPO als auch diejenigen des § 27 StPO. Ein Ablehnungsgesuch ist dann nach § 27 StPO mit Unrecht verworfen worden, wenn tatsächlich Besorgnis der Befangenheit gemäß § 24 Abs. 2 StPO bestand. Im Unterschied hierzu ist ein Ablehnungsgesuch nach § 26 a StPO nicht stets dann "mit Unrecht verworfen worden", wenn die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs nur rechtsfehlerhaft ist. Während nach früherer Rechtsprechung zur rechtsfehlerhaften Anwendung von § 26 a StPO stets die sachliche Begründetheit des Ablehnungsgesuchs hinzutreten musste, um das Ablehnungsgesuch als "mit Unrecht verworfen" im Sinne des § 338 Nr. 3 StPO werten zu können, ist seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 2.6.2005 (BVerfG JURIS Nr. KVRE330490501 = NJW 2005, 3410) eine differenzierte Betrachtungsweise geboten: In den Fällen des § 26 a Abs. 1 Ziff. 2 StPO ist das Ablehnungsgesuch stets auch dann "mit Unrecht verworfen", wenn die unter Mitwirkung des abgelehnten Richters beschlossene Verwerfung als unzulässig nicht nur rechtsfehlerhaft ist, sondern auf einer willkürlichen oder die Anforderungen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennenden Rechtsanwendung beruht. Dem Revisionsgericht ist es dann verwehrt, lediglich zu prüfen, ob das Ablehnungsgesuch in der Sache erfolgreich gewesen wäre, weil es darauf nicht mehr ankommt (BVerfG vom 24.2.2006 in JR 2006, 386/387). Hingegen ist bei einer bloß rechtsfehlerhaften, nicht aber willkürlichen Anwendung von § 26 a Abs. 1 Ziff. 2 StPO weiterhin entscheidungserheblich, ob das Ablehnungsgesuch sachlich gerechtfertigt gewesen wäre und ihm hätte stattgegeben werden müssen (BGH JR 2006, 382/383).
Diese Rechtsprechung beruht auf der Überlegung, dass das Verfahren nach § 26 a StPO, welches ein aufwändiges und zeitraubendes Ablehnungsverfahren unter Hinzuziehung von Vertretern in Fällen gänzlich untauglicher oder rechtsmissbräuchlicher Ablehnungsgesuche (bei Ziff. 2) vermeidet, nur bei strenger Prüfung ihrer tatbestandlichen Voraussetzungen mit der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht in Konflikt kommt, weil die Prüfung in solchen Fällen keine Beurteilung des eigenen Verhaltens des abgelehnten Richters voraussetzt und deshalb keine echte Entscheidung in eigener Sache ist (BVerfGE JURIS a.a.O. Rn. 54). Da § 26 a Abs. 1 StPO nur echte formale Entscheidungen ermöglichen und einen offensichtlichen Missbrauch des Ablehnungsrechts verhindern will, ist diese Vorschrift eng auszulegen. In Fällen, in denen die Frage der Unzulässigkeit nicht klar und eindeutig zu beantworten ist, wird es nahe liegen, das Regelverfahren nach § 27 StPO zu wählen, um jeden Anschein einer Entscheidung in eigener Sache zu vermeiden (BVerfGE JURIS a.a.O. Rn. 55).
2. Bei Zugrundelegung dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts begegnet die Verfahrensweise des Landgerichts in zweierlei Hinsicht durchgreifenden rechtlichen Bedenken:
a. Der Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO kommt zunächst deshalb in Betracht, weil die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs als unzulässig nicht in der vom Gesetz vorgesehenen Besetzung des Gerichts erfolgte und damit der Anspruch des Angeklagten auf den gesetzlichen Richter gem. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt ist.
aa. Denn der abgelehnte Richter hat durch Abgabe einer dienstlichen Stellungnahme zum Ablehnungsgesuch und durch Weiterleitung der Akten an ein anderes Mitglied der Strafkammer zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch nach § 27 StPO (Akten Bl. 117 Rückseite) das hierfür vorgesehene Zwischenverfahren eingeleitet. Zur Entscheidung war demnach gem. § 27 Abs. 1 und Abs. 2 StPO die Strafkammer in der für Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung vorgeschriebenen Besetzung ohne den abgelehnten Richter berufen. Diese konnte das Ablehnungsgesuch auch als unzulässig nach § 26 a Abs. 1 StPO verwerfen (BGHSt 21, 334/337). Der Senat kann die Frage offen lassen, ob die im Verfahren nach § 27 StPO tätige Strafkammer die Prüfung des Ablehnungsgesuchs zurückgeben kann an die in der Besetzung nach § 26 a StPO entscheidende Strafkammer, etwa mit der Begründung, das Ablehnungsgesuch sei bereits unzulässig und darüber möge das Gericht in der vom Gesetz vorgesehenen Besetzung entscheiden (ablehnend SK/Rudolphi StPO § 26 a Rn. 3; Löwe-Rosenberg/Wendisch StPO 25. Aufl. Rn.5). Gegen eine solche Möglichkeit spricht allerdings, dass dann die in der Hauptverhandlung erkennende Strafkammer erneut über die Zulässigkeit des Ablehnungsgesuchs befinden müsste, obwohl sie hierzu bereits durch Einleitung des Verfahrens nach § 27 StPO entschieden hat.
bb. Vorliegend hat jedoch die Strafkammer in einer Besetzung entschieden, die weder von § 26 a StPO noch von § 27 StPO vorgesehen ist. Die in der Besetzung nach § 26 a StPO entscheidende Strafkammer besteht während der Hauptverhandlung aus den in der Hauptverhandlung tätigen Berufsrichtern und Schöffen. Die bloße Unterbrechung der Hauptverhandlung führt nicht dazu, dass nunmehr eine Entscheidung "außerhalb der Hauptverhandlung" erfolgen müsste, vielmehr ist die Unterbrechung zur Beratung über die Zulässigkeit des Befangenheitsantrags die Regel. Sie ändert nichts an der Besetzung des zur Entscheidung berufenen Gerichts (SK-Rudolphi a.a.O. Rn. 13; Löwe-Rosenberg/Wendisch a.a.O. Rn. 36; im Ergebnis ebenso Meyer-Goßner StPO 49. Aufl. § 26 a Rn. 8; Karlsruher Kommentar/Pfeiffer StPO 5. Aufl. § 26 a Rn. 5; KMR-Bockemühl § 26 a Rn. 14 ).
Die Vorschriften der §§ 26 a und 27 StPO sind, soweit sie jeweils den gesetzlichen Richter bestimmen, zusammen zu lesen. § 27 StPO wird nicht mit der Wendung eingeleitet "ist die Ablehnung nicht als unzulässig zu verwerfen", sondern mit den Worten "wird die Ablehnung nicht als unzulässig verworfen" (SK/Rudolphi a.a.O. Rn. 3; Löwe-Rosenberg/Wendisch a.a.O. Rn. 5). Aus dem Wortlaut des § 27 Abs. 1 und Abs. 2 StPO kann daher nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass auch in den Fällen der nur unterbrochenen Hauptverhandlung bei einer Verwerfung des Ablehnungsgesuchs als unzulässig die Strafkammer in der für Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung vorgeschriebenen Besetzung einschließlich des abgelehnten Richters entscheidet. Mit anderen Worten: entweder es entscheidet die in der Hauptverhandlung tätige Strafkammer unter Einschluss des abgelehnten Richters und der Schöffen, oder es entscheidet die Strafkammer in der für Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung vorgeschriebenen Besetzung ohne den abgelehnten Richter. Andernfalls würden unter Umständen die zur Entscheidung berufenen Schöffen von der Entscheidung ausgeschlossen.
b. Der Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO kommt zum zweiten deshalb in Betracht, weil das Landgericht - wie die Staatsanwaltschaft bei dem Revisionsgericht zutreffend ausführt - den Ablehnungsantrag nach § 26 a Abs. 1 Ziff 1 StPO verworfen hat, obwohl dessen Voraussetzungen nicht vorlagen:
aa. Ob ein Ablehnungsgesuch rechtzeitig oder verspätet ist, richtet sich nach § 25 StPO. In der für den vorliegenden Fall maßgeblichen Variante des § 25 Abs. 2 StPO kommt es darauf an, dass die Ablehnung unverzüglich geltend gemacht wird, sobald die Umstände, auf welche die Ablehnung gestützt wird, eingetreten sind oder dem zur Ablehnung Berechtigten bekannt geworden sind. Dies richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Im Interesse einer zügigen Durchführung des Verfahrens muss ein strenger Maßstab angelegt werden (BGH wistra 2006, 349/350). Das Gericht soll in die Lage versetzt werden, sofort die erforderlichen Stellungnahmen einzuholen und zu entscheiden (BGH StV 1995, 396/397). Andererseits ist dem Angeklagten aber stets eine angemessene Überlegungsfrist und die ausreichende Möglichkeit einzuräumen, sich mit seinem Verteidiger zu beraten (BGH wistra 2006, 349/350; Meyer-Goßner a.a.O. § 25 Rn. 8 m.w.N.). Entsteht der Ablehnungsgrund während einer Beweiserhebung, so braucht er vor deren Beendigung nicht geltend gemacht zu werden. Bei kurzen Unterbrechungen der Sitzung kann deren Fortsetzung abgewartet werden (OLG Köln StV 1988, 287 - Unterbrechung der Hauptverhandlung von zwei Tagen). Schließlich muss dem Angeklagten auch gestattet sein, nicht schon den ersten Eindruck möglicher Befangenheit des Richters aufzugreifen und zum Gegenstand eines Befangenheitsantrags zu machen, sondern zuzuwarten, ob sich der erste Eindruck im weiteren Verlauf des Verfahrens verfestigt oder nicht. Denn häufig gründet die Befangenheit eines Richters nicht auf einzelnen, punktuellen Verhaltensweisen, sondern auf einer Abfolge von aus der Sicht des Angeklagten für ihn nachteiligen und unsachgemäßen Maßnahmen.
So liegt der Fall hier: Mit dem vom Gericht verschuldeten verspäteten Beginn der Hauptverhandlung und den in diesem Zeitpunkt vom abgelehnten Richter gemachten Äußerungen ergab sich aus der Sicht des Angeklagten zunächst lediglich die Möglichkeit, der abgelehnte Richter werde auch ohne Anwesenheit seines Verteidigers die Verhandlung fortsetzen. Eine Gewissheit konnte der Angeklagte insoweit jedoch keineswegs haben, vielmehr bestand aus Sicht des Angeklagten die begründete Hoffnung, die für diesen Sitzungstag vorgesehene Beweisaufnahme werde entweder rechtzeitig beendet sein oder der abgelehnte Richter werde ohne Anwesenheit seines Verteidigers nicht weiterverhandeln. Die Umstände, welche Auslöser für den Befangenheitsantrag waren, nämlich die Ablehnung des Unterbrechungsantrags des Verteidigers, waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingetreten. Da der Ablehnungsantrag unverzüglich nach Eintritt dieser Umstände gestellt wurde, war er rechtzeitig.
bb. Nach Auffassung des erkennenden Senats liegt es in der Konsequenz der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die nur zu § 26 a Abs. 1 Ziff. 2 StPO ergangen ist, diese entsprechend auch auf den Fall des § 26 a Abs. 1 Ziff. 1 StPO anzuwenden.
Das Bundesverfassungsgericht hat sich zu § 26 a Abs. 1 Ziff. 1 StPO in dem vorliegenden Zusammenhang nicht geäußert. Es hat allerdings ausgeführt, bei der Anwendung des § 26 a Abs. 1 Ziff 3 StPO sei darauf Bedacht zu nehmen, dass die zu Ziff. 2 der Vorschrift erkannten verfassungsrechtlichen Probleme nicht in die Prüfung der Verschleppungsabsicht oder der Verfolgung verfahrensfremder Zwecke verlagert werden (BVerfG in JR 2006, 386/388). Hieraus ist zu schließen, dass auch eine willkürliche Anwendung von Ziff. 3 der Vorschrift ohne Rücksicht auf die sachliche Begründetheit des Ablehnungsgesuchs den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO darstellt. Es ist kein Grund ersichtlich, warum dies nicht auch für Ziff. 1 der Vorschrift gelten sollte.
Der Senat verkennt hierbei nicht, dass § 26 a Abs. 1 Ziff. 2 StPO innerhalb der Vorschrift insoweit eine Sonderstellung einnimmt, als bei den von der Rechtsprechung dem Gesetzeswortlaut gleichgestellten Fällen, in denen die Begründung zur Rechtfertigung eines Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet ist, zwangsläufig auf den Ablehnungsgrund und damit auf das Verhalten des abgelehnten Richters eingegangen werden muss. Insofern ist die Gefahr, dass die Instanzgerichte den ihnen von der Rechtsprechung eingeräumten erweiterten Anwendungsbereich der Vorschrift missbrauchen, um das im Einzelfall an sich vorgesehene Verfahren nach § 27 StPO zu vermeiden, wesentlich größer ist als in den Fällen des § 26 a Abs. 1 Ziff. 1 und 3 StPO. Allerdings stehen auch diese Fallgestaltungen bei willkürlicher Anwendung im Spannungsverhältnis zur Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, weil auch dann der Angeklagte seinem gesetzlichen Richter entzogen wird. Es sind daher keine prinzipiellen Gründe ersichtlich, nicht auch im Falle des § 26 a Abs. 1 Ziff. 1 StPO zwischen einer willkürlichen und einer bloß rechtsfehlerhaften Verwerfung des Ablehnungsgesuchs zu unterscheiden. Eine willkürliche Verwerfung führt demgemäß als Verfassungsverstoß zur Urteilsaufhebung ohne Prüfung der Begründetheit des Ablehnungsgesuchs. Hingegen ist bei einer lediglich rechtsfehlerhaften Verwerfung nur bei sachlicher Begründetheit des Ablehnungsgesuchs dieses "mit Unrecht verworfen" im Sinne des § 338 Ziff. 3 StPO (vgl. Meyer-Goßner NStZ 2006, 53).
3. Der erkennende Senat kann die sich aus der bereits zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Bedeutung und Tragweite des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter im Rahmen von Entscheidungen über Ablehnungsgesuche ergebende Frage, ob die Verfahrensweise des Landgerichts offenbar unhaltbar im Sinne einer groben Fehlanwendung des Gesetzesrechts (BVerfG JURIS a.a.O. Rn. 51) ist, vorliegend letztlich offen lassen. Dafür spricht, dass die Besetzung der über das Ablehnungsgesuch entscheidenden Strafkammer unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gesetzmäßig war, und dass sich aus der Begründung des Ablehnungsantrags unschwer ergibt, dass der Angeklagte die Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten Richters maßgeblich auf dessen Ablehnung seines Unterbrechungsantrags stützte. Es war für die Beteiligten erkennbar, dass die Ablehnung dieses Unterbrechungsantrags aus der Sicht des Angeklagten "das Fass zum Überlaufen brachte". Entsprechend dieser Einschätzung hat auch nicht das an sich zur Entscheidung nach § 26 a StPO berufene erkennende Gericht unter Mitwirkung des abgelehnten Richters das Befangenheitsgesuch als unzulässig verworfen, vielmehr hat der abgelehnte Richter zunächst eine umfangreiche dienstliche Stellungnahme gefertigt und seinem Vertreter zur Durchführung des Verfahrens nach § 27 StPO zugeleitet. Die eigentlichen Umstände, die Auslöser für das Ablehnungsgesuch waren, sind in ihrer Bedeutung für den unbestimmten Rechtsbegriff der Verspätung nicht erkannt worden.
4. Eine abschließende Entscheidung ist insoweit jedoch nicht veranlasst, weil die materielle Überprüfung des Ablehnungsgesuchs nach Beschwerderegeln ergibt, dass das Ablehnungsgesuch begründet war:
Ein Richter kann wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen (§ 24 Abs. 1 und Abs. 2 StPO). Ob ein Ablehnungsgrund vorliegt, ist grundsätzlich vom Standpunkt des Ablehnenden aus zu beurteilen. Ob der Richter tatsächlich parteiisch oder befangen ist, spielt daher keine Rolle (Meyer-Goßner StPO 49. Aufl. § 24 Rn. 6 m.w.N.).
Dabei kommt es nicht auf die subjektive Sicht des Ablehnenden an, vielmehr ist maßgebend der Standpunkt eines verständigen und vernünftigen Angeklagten und die Vorstellungen, die sich ein geistig gesunder, bei voller Vernunft befindlicher Prozessbeteiligter bei der ihm zumutbaren ruhigen Prüfung der Sachlage machen kann. Der Ablehnende muss daher Gründe vorbringen, die jedem unbeteiligten Dritten einleuchten (Meyer-Goßner a.a.O. Rn. 8 m.w.N.).
Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters ist dann gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Grund zu der Annahme hat, dass der abgelehnte Richter ihm gegenüber eine innere Haltung einnehme, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Maßstab für die Prüfung der Besorgnis der Befangenheit ist das gesamte Verhalten des abgelehnten Richters in und außerhalb der Hauptverhandlung, wie es sich für den Angeklagten zum Zeitpunkt des Befangenheitsantrags darstellt und wie es durch die dienstliche Stellungnahme des abgelehnten Richters bestätigt wird. Folgende Umstände sind demgemäß entscheidend:
a. Der abgelehnte Richter gab im Vorfeld der Terminierung des Fortsetzungstermins gegenüber einer Mitarbeiterin in der Kanzlei des Verteidigers zu erkennen, dass er auf die Verhinderung des Verteidigers ab 15.00 Uhr keine Rücksicht nehmen könne und den Verteidiger "dann zwingen" müsse, weil andernfalls die Hauptverhandlung platze. Hierzu bestand keine zwingende Veranlassung.
Das Recht des Angeklagten, sich eines Verteidigers seines Vertrauens zu bedienen, ist nicht schrankenlos. Dieses Recht ist zwar bei der Terminsbestimmung zu beachten, jedoch besteht grundsätzlich kein Anspruch auf die Verlegung eines Termins oder auf die Bestimmung eines bestimmten Termins. Insoweit hat das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der Interessen der Prozessbeteiligten, des Gebots der Verfahrensbeschleunigung und der Terminplanung des Gerichts zu entscheiden (BGH NStZ-RR 2006, 271; BayObLGSt 2001, 111/114; OLG Hamm DAR 2001, 321/322; Meyer-Goßner a.a.O. § 213 Rn. 7). Dieses pflichtgemäße Ermessen wurde hier nicht rechtsfehlerfrei ausgeübt:
Zum einen war die dreiwöchige Unterbrechungsdauer nach § 229 Abs. 1 StPO erst am 4.4.2006 beendet, so dass möglicherweise noch weitere, spätere Termine zur Verfügung standen. Zum zweiten hätte die Dauer des Fortsetzungstermins auf die Zeit bis 15.00 Uhr beschränkt werden können und für den Fall, dass diese Dauer absehbar zur Beendigung der Hauptverhandlung nicht ausreichen würde - wie tatsächlich geschehen -, ein weiterer Fortsetzungstermin anberaumt werden können.
b. Des Weiteren lud der abgelehnte Richter zu dem Fortsetzungstermin zwei Zeugen, die von auswärts anreisen mussten, obwohl er aufgrund des von ihm selbst in seiner dienstlichen Stellungnahme geschilderten bisherigen Verfahrensverlaufs davon ausgehen musste, dass die Befragung der Zeugen nicht beendet sein würde, bevor der Verteidiger des Angeklagten wegen eines anderen Termins verhindert sein würde. Zu dieser Verfahrensweise bestand objektiv keine Veranlassung, weil zum einen die Unterbrechungsdauer nach § 229 Abs. 1 StPO erst am 4.4.2006 endete, so dass möglicherweise noch weitere, spätere Termine zur Verfügung gestanden hätten. Zum zweiten hätte sich der abgelehnte Richter auch auf die Ladung nur eines Zeugen oder in Anbetracht der zu erwartenden nur kurzen Dauer der Hauptverhandlung auf andere Teile der Beweisaufnahme beschränken können.
c. Darüber hinaus gab der abgelehnte Richter trotz des vom Angeklagten nicht zu vertretenden verzögerten Beginns der Hauptverhandlung durch seine Bemerkung, es liege kein Fall der notwendigen Verteidigung vor, zu erkennen, dass er jedenfalls zu diesem Zeitpunkt nicht gewillt war, dem Wunsch des Angeklagten, die Hauptverhandlung nur in Anwesenheit seines Wahlverteidigers durchzuführen, zu entsprechen. Da die Frage der Besorgnis der Befangenheit - wie ausgeführt - aus der Sicht eines verständigen Angeklagten zu beurteilen ist, kommt es in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob tatsächlich kein Fall der notwendigen Verteidigung gegeben war.
d. Diese Einstellung hat der abgelehnte Richter schließlich durch die Ablehnung des Unterbrechungsantrags bestätigt, wobei zu diesem Zeitpunkt die vorgenannten Umstände zu berücksichtigen waren, nämlich die Anberaumung eines Termins in Kenntnis, dass der Verteidiger des Angeklagten nur eingeschränkt zur Verfügung steht, die Ladung von zwei Zeugen mit weiter Anreise und schließlich die nicht vom Angeklagten zu vertretende Verzögerung des Beginns der Hauptverhandlung. Das Ablehnungsgesuch hatte daher aus der Sicht des erkennenden Senats einen nachvollziehbaren Hintergrund. Für den Angeklagten konnten die Gesamtumstände die berechtigte Annahme begründen, der abgelehnte Richter stehe ihm nicht unbefangen gegenüber, so dass das Ablehnungsgesuch auch begründet war.
5. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass jedenfalls derzeit ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht vorliegt. Die Sach- und Rechtslage ist nicht derart schwierig, dass die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint. Sowohl der dem Angeklagten zur Last liegende objektive als auch der subjektive Tatbestand sind überschaubar. Besondere Fachkenntnisse sind zur interessengerechten Selbstverteidigung nicht erforderlich. Aufgrund des Verschlechterungsverbots kommt im weiteren Verfahren auch keine höhere Strafe als die vom Landgericht festgesetzte in Betracht, so dass auch unter Berücksichtigung der vorgenannten Gesichtspunkte eine anwaltliche Vertretung nicht wegen der dem Angeklagten drohenden Rechtsfolgen unbedingt notwendig ist. Im übrigen nimmt der Senat Bezug auf die insoweit zutreffende Stellungnahme der Staatsanwaltschaft bei dem Revisionsgericht in ihrer Antragsschrift vom 4.9.2006.
III.
Auf die Revision des Angeklagten war daher das Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO).
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts München I zurückverwiesen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO). Eine Zurückverweisung an das Tatgericht nur zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch in der Besetzung gemäß § 27 StPO (so BVerfG vom 2.6.2005 a.a.O. Rn. 73 am Ende) scheidet angesichts der eindeutigen Systematik der Verfahrensvorschriften, insbesondere wegen § 353 Abs. 2 StPO, aus (vgl. auch BGH vom 10.8.2005 JURIS Nr. KORE303462005 Rn. 20).
Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 349 Abs. 4 StPO.
Ende der Entscheidung
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