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Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 19.01.2006
Aktenzeichen: 5 St RR 130/05
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 344 Abs. 2 S. 2
StPO § 318
1. Kommen im Hinblick auf eine - nach Meinung der die Revision führenden Staatsanwaltschaft nicht den Grundsätzen der Rechtsprechung genügende - angebliche Absprache des Gerichts mit dem Angeklagten und dessen Verteidiger mehrere Verfahrensverletzungen in Betracht, muss die Revisionsbegründung erkennen lassen, welche Verfahrensverletzung sie geltend machen will.

2. Regt das Gericht an, dass der Angeklagte seine Berufung beschränkt, so ist die daraufhin erklärte Berufungsbeschränkung nicht deswegen unwirksam, weil die Staatsanwaltschaft nicht mitgewirkt und von der Anregung keine Kenntnis erlangt hat.


Tatbestand:

Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Auf die auf die Rechtsfolgen beschränkte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht das Urteil des Amtsgerichts im Rechtsfolgenausspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte zur Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 15 EUR verurteilt wird. Gegen dieses Urteil richtete sich die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wurde. Sie blieb ohne Erfolg.

Gründe:

Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revision hat keinen Rechtsfehler ergeben (§§ 352, 337).

1. Die Staatsanwaltschaft rügt neben einem Verstoß gegen Grundsätze der Strafzumessung, dass das Landgericht unter Verstoß gegen die vom Bundesgerichtshof im 43.Bd., S.195 ff. der amtlichen Sammlung aufgestellten Regeln heimlich mit dem Verteidiger des Angeklagten eine bestimmte Strafe für ein Geständnis bzw. eine dem gleichzusetzende Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch vereinbart habe.

a) Es kann offen bleiben, ob die Staatsanwaltschaft damit eine Rüge der Verletzung formellen Rechts erhoben hat. Als solche wäre sie schon deshalb unzulässig, weil die Staatsanwaltschaft nicht ausführt, welche Verfahrensvorschrift sie als verletzt ansieht (§ 344 Abs. 2 S. 2 StPO). Eine Verfahrensrüge ist nur dann zulässig erhoben, wenn ein "bestimmter Verfahrensmangel" behauptet wird. Zwar kann ein solcher Verfahrensmangel auch dann zulässig gerügt sein, wenn der Beschwerdeführer die verletzte Rechtsvorschrift nicht oder nur unzureichend angegeben hat, jedoch muss die Angriffsrichtung der Rüge deutlich gemacht werden (KK/Kuckein StPO 5.Aufl. § 344 Rn.34). Kommen - wie hier - nach dem Vortrag der Staatsanwaltschaft mehrere verletzte Verfahrensvorschriften in Betracht, muss der Revisionsführer angeben, welchen Verfahrensmangel er geltend machen will (Meyer-Goßner StPO 48.Aufl. § 344 Rn.20; BGH NStZ 1998, 636; 1999, 94).

Dies gilt insbesondere, wenn lediglich formelhaft im Eingangssatz der Revisionsbegründung die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wird, in der Folge aber bei den einzelnen Rügen nicht mitgeteilt wird, ob mit dieser Rüge die Verletzung materiellen oder formellen Rechts beanstandet werden soll. Neben der (unter Ziff.2 erhobenen) Rüge eines Verstoßes gegen §§ 224, 46 StGB, die sich unzweifelhaft als Rüge der Verletzung materiellen Rechts darstellt, beschränkt sich der Vortrag der Staatsanwaltschaft (in Ziff. 1) auf die Behauptung einer ohne ihre Mitwirkung getroffenen Absprache des Gerichts zur Strafhöhe, wie sie den - nur teilweise wiedergegebenen - Schreiben des Vorsitzenden Richters an den Verteidiger und dem darauf folgenden Berufungsbeschränkungsschriftsatz des Verteidigers zu entnehmen sei. Diese hinter dem Rücken der Staatsanwaltschaft getroffene "Absprache" sei nicht im Hauptverhandlungsprotokoll protokolliert worden. Die heimliche Absprache zwischen dem Vorsitzenden der Strafkammer, dem Angeklagten und dessen Verteidiger führe deshalb dazu, "dass die aufgrund der Unzulässigkeit des verbotenen Deals vorgenommene Prozesshandlung der Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch durch den Angeklagten bzw. dessen Verteidiger genauso unzulässig (sei), wie die Verwertung des darin liegenden Geständnisses des Angeklagten." Das Landgericht habe damit den Angeklagten ohne irgendwelche verwertbaren Beweismittel verurteilt. Danach kommen sowohl Verfahrensrügen wegen Verstoßes gegen § 169 GVG (§ 338 Nr.6 StPO) sowie gegen § 33 StPO und § 261 StPO als auch eine materiellrechtliche Rüge in Betracht (dazu unten b). Bei dieser Sachlage hätte die Staatsanwaltschaft angeben müssen, welchen bestimmten Verfahrensmangel sie geltend machen will.

Im Übrigen fehlt es auch an dem vollständigen Vortrag der Schreiben des Vorsitzenden Richters und des Verteidigers sowie dem Vortrag, dass die Staatsanwaltschaft durch die unterlassene Mitteilung der "Absprache" in ihrer Einwirkungsmöglichkeit auf die Urteilsfindung des Gerichts beeinträchtigt war. Es fehlt auch die Behauptung, dass die Staatsanwaltschaft nach der "Absprache" nicht über die Vorgänge informiert worden ist. Soweit angegeben wurde, dass die Absprache ohne Information der Staatsanwaltschaft erfolgt sei und nicht im Hauptverhandlungsprotokoll aufgenommen wurde, schließt dies nicht aus, dass sie nach der "Absprache" außerhalb der Hauptverhandlung und möglicherweise vor dieser von dem Schreiben des Vorsitzenden Richters Kenntnis erlangt hatte.

b) Aufgrund der Sachrüge hat der Senat unabhängig von der sachlichen Beschwer von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufungsbeschränkung wirksam war (Meyer-Goßner § 352 Rn.3 f.). Diese Prüfung ergibt, dass die Berufungsbeschränkung wirksam ist.

aa) Die allgemeinen Rechtsgrundsätze für die Wirksamkeit einer Berufungsbeschränkung (vgl. Meyer-Goßner § 318 Rn. 5 f) begründen ersichtlich keine Bedenken gegen deren Wirksamkeit.

bb) Fraglich ist allein, ob diese unter den Besonderheiten der von der Staatsanwaltschaft vorgetragenen Verfahrensgestaltung unwirksam sein könnte (Anregung des Gerichts zu Berufungsbeschränkung unter Angabe einer in Betracht kommenden Strafhöhe bei Berufungsbeschränkung).

Grundsätzlich sind Prozesshandlungen, wie z.B. Rechtsmittelverzicht, Rechtsmittelrücknahme oder Berufungsbeschränkung, unwiderruflich wirksam. Nur in besonderen Ausnahmefällen versagt der Bundesgerichtshof einer Prozesshandlung die Wirksamkeit, so in den Fällen schwerwiegender Willensmängel bei Abgabe der Erklärung oder wegen der Art und Weise des Zustandekommens (vgl. zum Rechtsmittelverzicht BGH GS NJW 2005, 1440/1445 m.w.N.). Diese Grundsätze sind auch für die Frage der Berufungsbeschränkung im Rahmen einer Verfahrensabsprache heranzuziehen (vgl. KG NStZ-RR 2004, 175). Unabhängig davon, ob überhaupt eine Absprache vorliegt, begegnet die Art und Weise des Zustandekommens der Berufungsbeschränkung hier keinen Bedenken. Dass eine solche vor der Berufungsverhandlung ohne Mitwirkung aller Verfahrensbeteiligter auf Anregung des Gerichts erklärt wurde, vermag die Prozesserklärung selbst nicht zu beeinträchtigen (KG aaO S.178). Dass die Staatsanwaltschaft von der Rechtsansicht des Vorsitzenden der Strafkammer nicht informiert wurde, bietet keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beschränkung durch eine die freie Willensentscheidung des Angeklagten beeinträchtigende Täuschung oder die Verteidigungsrechte beeinträchtigenden Druck herbeigeführt worden wäre. Solches ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Die bloße Tatsache, dass nachträglich der Vorgang nicht im Hauptverhandlungsprotokoll niedergelegt wurde, vermag die Beschränkungserklärung nicht unwirksam zu machen.

2. Auch im Übrigen gefährden die insoweit vorgetragenen Rügen den Bestand des Urteils nicht. Sie sind jedenfalls unbegründet.

a) Selbst wenn die Berufungsbeschränkung unwirksam wäre, würde dadurch die Tatsache, dass eine solche erklärt wurde, nicht entfallen. Das Gericht wäre danach auch nicht gehindert, selbst eine unzulässige Beschränkung als Geständnis anzusehen und dies der Strafzumessung zugrunde zu legen. Auch insoweit wäre die Verwertbarkeit nur tangiert, wenn die Beschränkung unter Verstoß gegen § 136 a StPO herbeigeführt worden wäre (vgl. BGH StPO vor § 1/faires Verfahren - Vereinbarung 11). Ein Verstoß gegen § 261 StPO liegt danach eher fern.

b) Soweit vorgetragen wird, dass die "Absprache" außerhalb der Hauptverhandlung erfolgt sei und auch nicht in das Hauptverhandlungsprotokoll aufgenommen wurde, könnte darin die Rüge der Verletzung der § 338 Nr.6 i.V.m. § 169 GVG StPO liegen. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit liegt aber schon deshalb nicht vor, weil die "Absprache" gerade nicht Vorgänge in der Hauptverhandlung betrifft. Ein Verstoß gegen diesen Grundsatz im Sinne des § 338 Nr.6 StPO liegt danach nicht vor (BGHSt 42, 46/47; BGH StV 2004,639). Soweit nach den Grundsätzen in BGHSt 43, 195 ff. eine Absprache öffentlich gemacht werden muss, wäre die Verfahrensweise rechtlich zu beanstanden; das würde zur Unwirksamkeit der Absprache mit der Folge mangelnder Bindungswirkung führen ( BGH NStZ 2001,555f.) oder könnte bei einer "heimlichen" Absprache von der nicht beteiligten Seite zum Gegenstand von Ablehnungsgesuchen gemacht werden (BGH StV 2004, 639; BGHSt 45, 312; 37, 298). Ein Revisionsgrund nach § 338 Nr.6 StPO liegt darin aber nicht.

c) Soweit nach dem Vortrag der Staatsanwaltschaft ein Verfahrensverstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach § 33 StPO in Betracht kommt, vermag dies den Bestand des Urteils gleichfalls nicht zu beeinträchtigen.

Einem Richter ist es grundsätzlich nicht verwehrt, zwecks Förderung des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten auch außerhalb der Hauptverhandlung Kontakt aufzunehmen. Dies entspricht ständiger Rechtsprechung der Obergerichte (so schon Bundesverfassungsgericht NStZ 1987, 419; BGHSt 42, 46/47; BGH StV 2003, 481). Solche Vorgespräche zur Verfahrensgestaltung bedürfen grundsätzlich noch nicht der unmittelbaren Einbindung der jeweils anderen Partei. Sie sind jedenfalls dann unbedenklich, wenn sie nicht zielgerichtet an der anderen Partei vorbei heimlich erfolgen. Gleichwohl könnte eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dann vorliegen, wenn Vorgespräche derart geführt werden, dass das Gericht für den Fall eines bestimmten Prozesshandelns Zusagen mit bindender Wirkung gemacht hatte und dies nicht zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht wurde (vgl. BGHSt 38, 102/105). Eine Absprache in diesem Sinn ist aber ersichtlich nicht erfolgt. Eine Absprache im Sinne der Grundsätze des Bundesgerichtshofs (BGHSt 43, 195 ff.; BGH GS NJW 2005, 1440 ff.) wäre nur dann anzunehmen, wenn das Gericht für den Fall eines Geständnisses bzw. hier einer Berufungsbeschränkung eine bestimmte (Obergrenze der) Strafe zugesagt hätte und diese Gegenleistung von dem Angeklagtem/Verteidiger angekündigt wird (vgl. dazu BGH StV 2005, 197). Solches ist dem Schreiben des Vorsitzenden der Strafkammer aber nicht zu entnehmen. In dem vor Beginn der Hauptverhandlung an den Verteidiger und den Angeklagten gerichteten Schreiben, das weit vor der Hauptverhandlung ersichtlich zu deren Vorbereitung verfasst worden war, gehen die Äußerungen des Vorsitzenden über ein bloßes "Rechtsgespräch", über die Äußerung einer Rechtsansicht zu den Verfahrensaussichten nicht hinaus. Ein besonderer Vertrauenstatbestand, der eine Anhörung auch der anderen Prozessbeteiligten unerlässlich gemacht hätte, ist damit nicht geschaffen worden, da ersichtlich - ohne Mitwirkung der Strafkammer - nur eine vorläufige Beurteilung durch den Berufsrichter vorlag, die keine Bindungswirkung beanspruchen konnte. Solche "Gespräche" sind, mögen sie hier auch in Form eines einseitigen Schreibens erfolgt sein, für sich genommen nicht zu beanstanden, "wenngleich eine - durch nichts gehinderte - offene Erörterung in der Hauptverhandlung den Idealen fairer Verfahrensgestaltung eher entspricht und - schon zur Gewährleistung möglichst umfassender Information aller Prozessbeteiligter - (und zur Vermeidung von Missverständnissen) stets vorzugswürdig sein wird" (BGHSt 42, 46/50). Es ist aber einem Richter unbenommen, unterhalb einer unmittelbare Rechtswirkungen zeitigenden "Absprache" einem Angeklagten gegenüber Prognosen über eine Straferwartung abzugeben. Dass mehr als eine Prognose ausgesprochen worden ist, lässt sich dem Schreiben des Vorsitzenden der Strafkammer nicht entnehmen. Zu einer solchen Prognose kann die Staatsanwaltschaft aber nicht formell rechtliches Gehör beanspruchen (vgl. BGHSt aaO; BGH StV 2005, 197). Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass das Urteil letztlich der Prognose entsprach.

Von einer heimlichen Absprache kann im übrigen schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil das Schreiben des Vorsitzenden Richters an Verteidiger und Angeklagten Gegenstand der Verfahrensakten war, die der Staatsanwaltschaft jederzeit zur Akteneinsicht zur Verfügung gestanden hätten.

3. Die Rüge materiellen Rechts zeigt keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf.

Soweit die Staatsanwaltschaft rügt, dass die Strafkammer im Rahmen der Strafzumessung bei der für die Frage eines minderschweren Falles vorzunehmenden Gesamtwürdigung sich nicht mit den zu Lasten des Angeklagten sprechenden Umständen auseinandergesetzt hätte und nur die zugunsten des Angeklagten sprechenden Umstände aufgeführt habe, also die Lückenhaftigkeit der Urteilsgründe beanstandet, bleibt sie im Ergebnis ohne Erfolg.

Zwar ist, wie bei der Strafzumessung insgesamt, auch bei der Erörterung, ob ein minderschwerer Fall vorliegt, eine für das Revisionsgericht nachprüfbare Gesamtwürdigung vorzunehmen (Tröndle/Fischer StGB 53. Aufl. § 46 Rn.85 f.). Das Gericht ist aber nur verpflichtet, die bestimmenden Zumessungserwägungen darzulegen. Eine erschöpfende Darstellung ist nicht erforderlich. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle durch das Revisionsgericht ist ausgeschlossen (Tröndle/Fischer § 46 Rn.106). Im übrigen kann es nur eingreifen, wenn der Tatrichter rechtlich anerkannte Strafzwecke außer acht gelassen hat oder wenn sich die Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein, also unvertretbar hoch oder niedrig ist (Tröndle/Fischer § 46 Rn.109).

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Es trifft zwar zu, dass die Strafkammer die zugunsten des Angeklagten sprechenden Umstände in den Vordergrund gestellt hat. Jedoch geben die Urteilsgründe keine Hinweise darauf, dass das Gericht die von der Staatsanwaltschaft zu Lasten des Angeklagten angesprochenen Umstände übersehen und nicht in seine Überlegungen einbezogen hätte. Wenn sich die Strafe ersichtlich auch im unteren Bereich des Vertretbaren orientiert, ist diese angesichts der vom Tatgericht zugunsten des Angeklagten herangezogenen Umstände und der Tatsache, dass das Verfahren gegen den Mittäter nach § 153a StPO eingestellt worden ist (vgl. dazu Tröndle/Fischer § 46 Rn.25), noch vertretbar.

Ende der Entscheidung

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