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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 19.10.2005
Aktenzeichen: 7 U 3819/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 286
1. Will der Kläger als Geschädigter die Schadensverursachung durch den Beklagten mittels einer Kette von Indiztatsachen nachweisen, so ist der Tatrichter grundsätzlich darin frei, welche Beweiskraft und welches Gewicht er den Indizien für seine Überzeugungsbildung beimisst.

2. Die Überprüfung der Beweiswürdigung auf Rechtsfehler setzt voraus, dass der Tatrichter die für seine Überzeugungsbildung wesentlichen Gesichtspunkte nachvollziehbar darlegt und dabei alle Indiztatsachen einbezieht. Hierzu gehört auch die Frage, ob ein vorgetragener Geschehensablauf nach den gegebenen Umständen nicht fern liegend oder gänzlich abwegig ist. (Fortführung von BGH, Urt. v. 27.01.1994, NJW 1994, 2289 ff.)


OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 7 U 3819/05

Verkündet am 19.10.2005

In dem Rechtsstreit

wegen Forderung

erlässt der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Goller, die Richterin am Oberlandesgericht Neumair und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Barwitz aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19.10.2005 folgendes

Endurteil:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des Landgerichts München I vom 07.06.2005 - samt dem Verfahren - aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Berufungsverfahrens an das Landgericht München I zurückverwiesen.

II. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin produziert Papier-, Karton- und sonstige Produkte an mehreren Standorten in Deutschland, darunter in ihrem Werk in Sch. Sie begehrt von der Beklagten Schadensersatz (Sachschaden, Produktionsausfallschaden, Ausschussware und Personalvorhaltekosten) aufgrund der Beschädigung einer Kartonmaschine in ihrem Werk Sch. am 22.10.2002.

Am 22.10.2002 führten zwei Mitarbeiter der Beklagten Arbeiten an der Sprinkleranlage im Werk der Klägerin in Sch. aus, die den gesamten Nachmittag in Anspruch nahmen. Die Mitarbeiter der Beklagten arbeiteten hierbei auf einem in der Halle installierten Portalkran oberhalb der Kartonmaschine, die die gesamte Länge der Halle einnimmt.

Nach zwei vorherigen Fehlermeldungen kam es gegen 14.30 Uhr zu einem Abriss der Kartonbahn in der Maschine. Ursächlich war ein Ring-/Gabelschlüssel der Größe 17, der auf die Kartonbahn der Maschine geraten war und dadurch verschiedene Teile der Anlage beschädigt und zum Abriss der Papierbahn geführt hatte. Dieser Schlüssel wurde nach dem Störfall von dem für die Kartonmaschine zuständigen Vorarbeiter der Klägerin unterhalb der Maschine am Boden liegend gefunden, wobei im Ringteil des Schlüssels ein ausgestanztes Belagstück einer Walze der Kartonmaschine steckte.

Die Klägerin hat vorgetragen, dass der schadenstiftende Werkzeugschlüssel allein durch Herabfallen vom Hallenkran in die Kartonmaschine habe gelangen können. Dort hätten sich zu dem für die Schadensverursachung maßgeblichen Zeitpunkt jedoch allein Mitarbeiter der Beklagten befunden. Demgegenüber befinde sich der Laufsteg, an dem sich bis ca. 13.00 Uhr am Tag der Schadensverursachung Mitarbeiter der Klägerin zu Wartungszwecken (Reinigung der dort befindlichen Filze) befunden hätten, nicht über der Kartonmaschine, sondern vor ihr. Wie sich aus der von der Beklagten als Anlage B 1 vorgelegten Skizze ergebe, hätte der schadenstiftende Werkzeugschlüssel mehr als 3 m geworfen werden müssen, um in die Maschine eingezogen zu werden. Durch Fallenlassen bzw. Herunterfallen vom Laufsteg habe der Werkzeugschlüssel nicht in die Kartonmaschine gelangen können. Darüber hinaus werde für die regelmäßig erforderlichen Reinigungsarbeiten an den Filzen kein Werkzeugschlüssel, insbesondere kein Schlüssel der Größe 17, benötigt. Den Mitarbeitern der Klägerin sei es bereits aus Gründen der Arbeitssicherheit untersagt, den Hallenkran zu betreten. Ein bewusster Sabotageakt durch Hineinschleudern des Schlüssels in die Maschine könne nicht unterstellt werden, da es in der gesamten Betriebszeit des Werks Sch. der Klägerin niemals zu bewussten Beschädigungen von Betriebseinrichtungen gekommen sei. An dem schadensverursachenden Werkzeugschlüssel hätten sich darüber hinaus keine Korrosionsspuren befunden. Solche seien jedoch bereits nach einer Liegezeit in der Werkhalle von einem Tag deutlich daran zu erkennen, dass sich metallene Werkzeugschlüssel aufgrund der stark mit Aerosolen versehenen Hallenluft bräunlich verfärben. Der schadenstiftende Werkzeugschlüssel könne auch deshalb nicht von Mitarbeitern der Klägerin stammen, da diese ihr Werkzeug unmittelbar bei Erhalt farblich für den eigenen Werkzeugkasten kennzeichneten.

Die Beklagte sei daher verpflichtet, der Klägerin einen Sachschaden von € 87.816,47, Ausfallschaden in Höhe von € 32.029,--, Ausschuss in Höhe von € 10.600,-- sowie Personalvorhaltekosten/Personalkosten zur Schadensbehebung in Höhe von € 16.885,25 zu ersetzen.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin € 147.330,72 zuzüglich Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 28.07.2003 zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Die Beklagte hat bestritten, dass der aufgefundene Schlüssel von einem ihrer Mitarbeiter stamme. Keinem ihrer Mitarbeiter fehle ein Schlüssel der Größe 17. Auch sei denkbar, dass der Schlüssel zuerst auf den Kran und von dort zu einem späteren Zeitpunkt in die Maschine gefallen sei. Der Zustand des aufgefundenen Schlüssels lasse insofern keine Rückschlüsse zu, da der Schlüssel gereinigt worden sein könnte. Für mittelbare Schäden hafte die Beklagte aufgrund eines wirksam vereinbarten Haftungsausschlusses nicht.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin habe für ihre Behauptung, dass der schadensverursachende Schlüssel von Mitarbeitern der Beklagten in die Kartonmaschine fallengelassen worden sei, keinen ausreichenden Vortrag gebracht und keinen ausreichenden Beweis angeboten. Sie habe lediglich Indizien, die dafür sprechen könnten, dass es sich so zugetragen habe, vorgetragen und diese unter Beweis gestellt. Dies sei jedoch nicht ausreichend. Der Umstand, dass sich Mitarbeiter der Beklagten am Schadenstag in der Halle der Klägerin aufgehalten haben und diesen die Schadensverursachung möglich gewesen sei, reiche als Beweis nicht aus. Es sei ohne weiteres denkbar, dass jemand mutwillig, sei es im Scherz oder im Rahmen eines Streits, einen derartigen Schlüssel geworfen und damit den Schaden verursacht habe. Dabei sei durchaus denkbar, dass hierzu ein fremder Schlüssel verwendet worden sei. Nachdem die Vorgänge in der Werkshalle zum fraglichen Zeitpunkt nicht mehr im Einzelnen aufklärbar seien, sei auch der Beweis, wie der schadensverursachende Schlüssel an den Fundort gelangte, nicht zu führen.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihren erstinstanzlichen Zahlungsantrag weiter und beantragt daneben die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht.

Die Klägerin rügt, dass sich das Landgericht nicht substantiell mit ihrem Tatsachenvortrag auseinandergesetzt und dadurch gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verstoßen habe. Die Vortragslast der Klägerin sei überspannt worden.

Im Übrigen wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils, die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 19.10.2005 Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Klägerin hat insoweit Erfolg, als das landgerichtliche Urteil samt dem Verfahren aufzuheben und der Rechtsstreit an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückzuverweisen ist (§ 538 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO). Das Ersturteil weist einen wesentlichen Verfahrensmangel auf, der eine umfangreiche Beweisaufnahme durch den Senat bedingen würde. Dem hilfsweise gestellten Antrag auf Zurückverweisung des Rechtsstreits (Berufungsbegründung Seite 16 unten) ist daher zu entsprechen.

Die mit der Berufung erhobene Rüge, das Landgericht habe sich nicht im Einzelnen mit der Schlüssigkeit der Beweisführung der Klägerin und der Beweiskraft einzelner vorgetragener Tatsachen auseinandergesetzt, ist berechtigt und begründet einen wesentlichen Verfahrensmangel (§§ 286 Abs. 1, 529 Abs. 2, 546 ZPO).

Die Klägerin, der ein unmittelbarer Beweis etwa durch Zeugen nicht möglich ist, versucht im Wege des mittelbaren Beweises durch Vortrag einer Kette von Indizien, die auf Seiten 5 - 7 der Berufungsbegründung nochmals zusammengefasst sind, nachzuweisen, dass das streitgegenständliche Schadensereignis an der Kartonmaschine durch Herabfallen eines von einem Mitarbeiter der Beklagten genutzten Werkzeugschlüssels vom Hallenkran verursacht wurde. Bei einer solchen Beweisführung ist der Tatrichter zwar grundsätzlich darin frei, welche Beweiskraft er den Indizien im Einzelnen und in einer Gesamtschau für seine Überzeugungsbildung beimisst. Im Rechtsmittelverfahren ist seine Würdigung jedoch darauf zu überprüfen, ob er alle Umstände vollständig berücksichtigt und dabei nicht gegen Denk- oder Erfahrungssätze verstoßen hat. Um diese Überprüfung zu ermöglichen, hat der Tatrichter die wesentlichen Gesichtspunkte für seine Überzeugungsbildung nachvollziehbar darzulegen (BGH, Urteil vom 22.01.1991, NJW 1991, 1894, 1895).

Diesen Anforderungen hält das angefochtene Urteil nicht stand. Die Klägerin hat bereits in ihrer Klage vom 07.12.2004 (Seiten 5 - 7), vor allem aber in ihrem Schriftsatz vom 10.03.2005 (Seiten 2 - 8) zahlreiche Indizien vorgetragen und auch unter Beweis gestellt. Das Landgericht hat sich in seinen knapp gehaltenen Entscheidungsgründen mit diesen Indiztatsachen nicht im Einzelnen befasst und insbesondere nicht eine Gesamtschau aller Umstände, die für und gegen eine Schadensverursachung durch Mitarbeiter der Beklagten sprechen, angestellt (siehe dazu BGH, Urteil vom 27.01.1994, NJW 1994, 2289, 2291 f).

Insbesondere hat sich das Landgericht nicht mit folgenden Punkten des Streitstoffs auseinandergesetzt:

- Mitarbeiter der Beklagten waren am Schadenstag nicht lediglich in der Halle der Klägerin, sondern waren vom Portalkran aus arbeitend mit der Verlegung eines Rohres der Sprinkleranlage befasst.

- Reinigungsarbeiten an der Kartonmaschine durch Mitarbeiter der Klägerin waren gegen 13.00 Uhr beendet, die Klägerin trägt darüber hinaus vor, dass hierfür keine Ringschlüssel mit der Größe 17 benötigt worden seien.

- Der unterhalb der Maschine aufgefundene Ringschlüssel war nach Vortrag der Klägerin frei von Korrosionsspuren, wie sie bei ungeschützter Verwendung in der Halle bereits nach kurzer Zeit zu erwarten seien und wies nach Vortrag der Klägerin auch keine farbliche Markierung auf.

Soweit die Beklagte hiergegen einwendet, der Schlüssel könne nach seinem Auffinden von einem Mitarbeiter der Klägerin gereinigt worden sein, steht dem bereits das Lichtbild Nr. 10 der vorgelegten Fototafel entgegen, auf dem das noch im Ring des Schlüssels steckende Belagstück der Druckwalze zu sehen ist. Im übrigen hat die Klägerin bestritten, dass der Schlüssel nach Auffinden von ihren Mitarbeitern gereinigt worden sei.

- Die Klägerin hat ferner unter Beweisantritt vorgetragen, dass ihre Wartungsmitarbeiter übergebene Werkzeuge unmittelbar bei Erhalt farblich kennzeichnen.

Überdies hat das Landgericht ausgeführt, es sei ohne weiteres denkbar, dass jemand mutwillig einen derartigen Schlüssel geworfen und dabei möglicherweise einen fremden Schlüssel verwendet habe. Dabei hat das Landgericht allerdings nicht die Frage aufgeworfen, ob eine solche Sabotagehandlung nach den gegebenen Umständen nicht fern liegend oder gar gänzlich abwegig sein könnte. Anlaß hierzu besteht unter verschiedenen Gesichtspunkten:

Zum einen hat die Klägerin nämlich vorgetragen, dass an dieser Betriebsstätte mutwillige Beschädigungen noch nie stattgefunden hätten. Darüber hinaus waren unstreitig am gesamten Nachmittag des 22.10.2002 Mitarbeiter der Beklagten vom Portalkran aus mit Arbeiten an der Sprinkleranlage befasst, so dass ein zur Sabotage entschlossener Mitarbeiter der Klägerin beim Wurf eines Ringschlüssels in die Kartonbahn das Risiko eingehen musste, hierbei von den oberhalb arbeitenden Mitarbeitern der Beklagten beobachtet zu werden.

Dieselben Erwägungen gelten, soweit das Landgericht als Möglichkeit aufzeigt, dass Mitarbeiter der Klägerin hierzu einen "fremden Schlüssel" verwendet haben könnten. In diesem Zusammenhang wäre nämlich bereits die Frage aufzuwerfen, ob nicht die Mitarbeiter der Beklagten - was nahe liegt - das von ihnen benötigte Werkzeug wie etwa Schlüssel der Größe 17 bei sich auf dem Portalkran hatten, so dass ein unbemerkter Zugriff durch Mitarbeiter der Klägerin bereits von daher unwahrscheinlich wenn nicht gar ausgeschlossen war.

Da der Indizienbeweis bereits dann überzeugungskräftig ist, wenn andere Schlüsse aufgrund des Gesamtbildes der Indiztatsachen ernstlich nicht in Betracht kommen (Thomas/Putzo-Reichold, 27. Aufl., Rn. 11 vor § 284 ZPO), wird nach Sachlage zu den Indiztatsachen Beweis zu erheben sein. In diesem Zusammenhang könnte die Durchführung eines Augenscheins nach Sachlage auch dazu beitragen, die Gewichtigkeit der einzelnen vorgetragenen Indiztatsachen sachentsprechend zu bestimmen. Angesichts des Umfangs der Beweisaufnahme - gegebenenfalls auch zur streitigen Schadenshöhe - erscheint es angezeigt, diese durch das Erstgericht durchführen zu lassen.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10 ZPO (vgl. Zöller-Gummer/Heßler, 25. Aufl., Rn. 59 zu § 538 ZPO).

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Ende der Entscheidung

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