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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 28.10.2004
Aktenzeichen: 1 U 1841/04
Rechtsgebiete: StGB, BGB, ZPO


Vorschriften:

StGB § 218a
StGB § 218a Abs. 2
BGB § 823 Abs. 1
ZPO § 141
ZPO § 412
1. Das Übersehen einer extrem seltenen Chromsomenaberration (hier: Deletion am langen Arm des 5. Chromosoms) bei der Auswertung von Karyogrammen ist nicht stets vorwerfbar.

2. Die Vorlage eines Karyogramms des betroffenen Kindes an sechs humangenetisch qualifizierte Mitarbeiter durch den Sachverständigen zur Prüfung, ob sie auf ihm eine Unregelmäßigkeit erkennen, ist in Zweifelsfällen eine geeignete Methode, um zu bewerten, ob ein durchschnittlicher Humangenetiker die Chromosomenaberration hätte sehen müssen. Erkennen fünf von sechs der mit dem Vorwurf nicht vertrauten Untersucher sie nicht, kann ein vorwerfbarer Diagnosefehler zu verneinen sein, selbst wenn die Deletion auf dem Karyogramm objektiv sichtbar ist.

3. Ohne ausdrückliche Frage der Mutter muss der Frauenarzt bei der Diskussion einer Spätabtreibung nicht darauf hinweisen, dass statt der in Deutschland üblichen Abtreibungsmethoden die Möglichkeit besteht, das ungeborene Kind durch Injektion mit einem herzlähmenden Gift im Mutterleib zu töten, und es möglicherweise Gynäkologen gibt, die dazu bereit sind.


Aktenzeichen: 1 U 1841/04

Verkündet am 28.10.2004

IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

In dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatz aus Arzthaftung

erlässt der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht K. und die Richter am Oberlandesgericht R. und N. aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16.09.2004 folgendes

Endurteil:

Tenor:

I.

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 26.11.2003 wird zurückgewiesen.

II.

Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.

III.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch die Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, falls die Beklagten nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger fordern von den Beklagten, die eine Spezialpraxis für Pränatalmedizin in M. betreiben, die Zahlung von Unterhalt für ihre Tochter im Wege des Schadenersatzes.

Die Kläger sind die Eltern der am 18.08.1998 geborenen J. H., die schwere motorische und geistige Entwicklungsstörungen aufweist.

In der 26. Schwangerschaftswoche stellte der Frauenarzt der Klägerin zu 1), Dr. F. in K., bei dem ungeborenen Kind sonographische Auffälligkeiten und ein Übermaß an Fruchtwasser (Hydramnion) fest. Zur Klärung der möglichen Ursachen und zur Überprüfung des Gesundheitszustandes des Kindes überwies Dr. F. die Klägerin zu 1) an die Beklagten.

Die erste Untersuchung der Klägerin erfolgte bei diesen am 29.05.1998. Der Beklagte zu 2) nahm eine Sonographie vor.

Als Ergebnis der Sonographie hielt er in seinem Arztbrief an Dr. F., der der praxisintern elektronisch gespeicherten Dokumentation entspricht, unter anderem fest:

"Gestationsalter: 27 Wochen + 4 Tage

...

Sonoanatomie:

Gehirn: Echoleere Struktur kranial des dritten Ventrikels und der Thalami, auffällige Distanzierung der Vorderhörner der Seitenventrikel, mäßige Dilatation der Hinterhörner (Balkenaplasie/-agenesie),

Ventrikolomegalie: Seitenventrikel links: HSVp 11,0 mm.

Seitenventrikel rechts: HSVp 11,0 mm.

Gesicht: tief sitzende Ohren.

Flaches Profil, überwiegende Zeit offener Mund (Makroglossie?)

...

Diagnose:

Unklares Dysmorphie-Syndrom: z. b. Trisomie 21

... «

Anschließend punktierte der Beklagte zu 2) die Klägerin und entnahm Fruchtwasser (Amniozentese), eine Probe der Plazenta (Chorionbiopsie) sowie Fetalblut aus der Nabelvene für eine Chromsomenuntersuchung.

Zwischen der Klägerin und dem Beklagten zu 2) fand ein Gespräch statt, in dem unstreitig über die Gefahr eines Down-Syndroms (Trisomie 21) gesprochen wurde. Im Übrigen ist der Inhalt des Gesprächs streitig.

Da sich bei der Klägerin Wehen einstellten, wurde sie nach Gabe eines Wehenhemmers zur Überwachung stationär aufgenommen.

In einem an Dr. F. adressierten Arztbrief vom 02.06.1998 teilte die Beklagte zu 3) mit, die Beurteilung der fetalen Lymphozyten habe einen normalen weiblichen Chromosomensatz ergeben.

Die Klägerin wurde am 03.061998 aus der stationären Behandlung entlassen.

In einem an Dr. F. adressierten Arztbrief vom 18.06.1998 teilte die Beklagte zu 3) mit, die Beurteilung des Fruchtwassers habe einen normalen weiblichen Chromosomensatz ergeben.

Am 23.06.1998 untersuchte der Beklagte zu 2) die Klägerin erneut sonografisch. In einem an Dr. F. adressierten Arztbrief hielt er unter dem Stichwort Diagnose fest:

"Polyhydramnie, V. a. Balkenagenesie.

Status idem. Weitere Betreuung bei Ihnen. Patientin will in K. gebären. Bitte klären: Neugeborenen-Intensivstation, MR oder CT für Neonaten vorhanden? Falls nicht, kann sie gerne zu uns zur Geburt kommen. ..."

Nach der Geburt von J. bestätigte sich der Verdacht auf eine Balkenagenesie nicht. Das Kind wies jedoch Fehlbildungsanzeichen im Gesicht wie zum Beispiel tief sitzende Ohren auf.

Eine erneut durchgeführte Chromosomenanalyse ergab eine interstitielle Deletion im langen Arm eines Chromosoms 5, der bei den humangenetischen Untersuchungen der Beklagten nicht entdeckt worden war. Dieser zufällig entstandene Chromsomendefekt ist für die vorliegenden schwersten motorischen und geistigen Entwicklungsstörungen von J. H. verantwortlich.

Die Kläger haben vorgebracht, die Chromosomenanalyse durch die Beklagten sei nicht mit der notwendigen Sorgfalt durchgeführt worden. Darüber hinaus hätten die Beklagten den Klägern nicht verdeutlicht, dass ihre Tochter an einer schweren geistigen Behinderung leide beziehungsweise ein komplettes Fehlbildungssyndrom vorliege.

Hätten die Beklagten dies der Klägerin mitgeteilt, hätte sie sich zum Abbruch der Schwangerschaft entschieden. Die schwere Behinderung ihrer Tochter habe nicht nur zu einer Änderung ihrer Lebensplanung geführt. Sie leide nunmehr auch an schweren physischen und psychischen Beeinträchtigungen, weswegen sie sich bereits in psychiatrische Behandlung habe begeben müssen.

Die Kläger haben beantragt:

1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Kläger als Gesamtgläubiger für ihre Tochter J. H., geboren am 18.08.1998, für die Zeiträume vom 01.09.1998 bis 30.06.1999 einen Betrag in Höhe von DM 6.980,00 und vom 01.07.1999 bis 31.12.2000 einen Betrag in Höhe von DM 12.780,00 sowie ab 01.01.2001 monatlich einen Unterhaltsbedarf in Höhe des doppelten Regelunterhalts der jeweiligen Altersklasse nach der Regelbetragsverordnung zu bezahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, den Klägern sämtliche weiteren Kosten, die im Zusammenhang mit der Pflege und Betreuung ihrer Tochter J. entstehen, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind.

Die Beklagten haben die Abweisung der Klage beantragt.

Die Beklagten haben vorgebracht, das Nichterkennen der interstitiellen Mikrodeletion an einem der Chromosomen 5 sei nicht vorwerfbar.

Selbst wenn die interstitielle Mikrodeletion festgestellt worden wäre, hätte sich am Verlauf nichts geändert. Die Klägerin sei durch den Beklagten zu 2) darüber informiert worden, dass schon der sonographische Befund unzweifelhaft ein komplexes Fehlbildungsgeschehen erwarten lasse. Gerade wegen der sehr weit fortgeschrittenen Schwangerschaft sei mit der Klägerin die Abbruchsproblematik eingehend erörtert worden. Die Klägerin habe einen Schwangerschaftsabbruch nicht gewollt. Dieser hätte zur Geburt eines lebenden Kindes geführt.

Die Voraussetzungen des § 218a Abs. 2 StGB seien nicht schlüssig vorgetragen.

Bei der Höhe des geltend gemachten Unterhalts sei das an die Kläger gezahlte Kindergeld zu berücksichtigen. Ferner sei vom doppelten Ansatz des Regelunterhalts ein Abschlag zu machen, da die Klägerin zu 1) neben ihrer Tochter ein weiteres Kind betreue.

Das Landgericht München I wies die Klage mit Urteil vom 26.11.2003 nach Erholung von drei Gutachten des Humangenetikers Prof. Dr. C. mit der Begründung ab, ein Behandlungsfehler lasse sich nicht nachweisen. Außerdem hätte ein Schwangerschaftsabbruch wahrscheinlich zur Geburt eines lebenden Kindes geführt. Auf die Entscheidungsgründe wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.

Die Kläger verfolgen ihr Begehren mit der Berufung weiter.

Die Kläger bringen vor, das Landgericht sei zu Unrecht den Ausführungen des Sachverständigen zum Behandlungsfehler gefolgt. Dessen Methode, das Karyogramm sechs Mitarbeitern, davon nur zwei Humangenetikern, zur Beurteilung vorzulegen und die Frage der Erkennbarkeit der Deletion von ihren Antworten abhängig zu machen, sei nicht zuverlässig. Der Versuch hätte entweder mit einer wesentlich größeren Anzahl von Personen stattfinden oder ein zweiter Sachverständiger befragt werden müssen. Außerdem sei die Einschätzung der vier befragten medizinisch-technischen Assistentinnen nicht maßgeblich.

Hinzu komme die nur mäßige Abbildungsqualität der Prof. Dr. C. überlassenen Karyogramme.

Aufgrund der sonographischen Auffälligkeiten hätte mit besonderer Sorgfalt nach einem Chromosomenschaden gesucht werden müssen.

Die Kläger seien über das Vorliegen eines Fehlbildungssyndroms nicht aufgeklärt worden. Über einen Schwangerschaftsabbruch sei mit dem Beklagten zu 2) weder gesprochen worden noch habe die Klägerin ihn abgelehnt. Auf eine geistige Behinderung des Kindes seien sie niemals hingewiesen worden.

Dr. F. habe die Kläger ebenfalls nicht aufgeklärt. Dieser habe nur ein Schreiben erhalten, in dem von einem normalen Chromosomensatz die Rede gewesen sei.

Das Kind hätte bereits im Mutterleib vor Einleitung der Geburt getötet werden können. Die Klägerin hätte sich hierfür entschieden.

Die vorliegenden Unterlagen erlaubten zudem keinen Schluss darauf, dass das Kind lebend zur Welt gekommen wäre.

Aufgrund ihrer Erfahrungen mit einem behinderten Kind in der Nachbarschaft habe die Klägerin keinesfalls eines zur Welt bringen wollen.

Die Klägerin habe sich in psychiatrische Behandlung begeben müssen.

Die Kläger sind der Auffassung, das Landgericht habe sie zu Unrecht nicht als Partei vernommen.

Die Kläger beantragen:

1. Das Urteil des Landgerichts München I vom 26. November 2003, Az.: 9 O 23383/00, wird abgeändert und die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Kläger als Gesamtgläubiger für ihre Tochter J. H., geboren am 18. August 1998, für die Zeiträume vom 01. September 1998 bis 30. Juni 1999 einen Betrag in Höhe von DM 6.980,00 (EUR 3.568,82), vom 01. Juli 1999 bis 31. Dezember 2000 einen Betrag in Höhe von DM 12.780,00 (EUR 6.534,31), vom 01. Januar 2001 bis 30. Juni 2001 einen Betrag von DM 4.260,00 (EUR 2.178,00), vom 01. Juli 2001 bis 31. Dezember 2001 einen Betrag in Höhe von DM 4.292,00 (EUR 2.245,59 EUR), vom 01. Januar 2002 bis 30. Juni 2003 einen Betrag in Höhe von EUR 6.768,00, für den Monat Juli 2003 einen Betrag in Höhe von EUR 398,00, vom 01. September 2003 bis 31. Dezember 2003 einen Betrag in Höhe von EUR 2.410,00 sowie ab dem 01. Januar 2004 monatlich einen Unterhaltsbedarf in Höhe des doppelten Regelunterhalts der jeweiligen Altersklasse nach Regelbetragsverordnung zu bezahlen.

2. Das Urteil des Landgerichts München I vom 26.11.2003, Az.: 9 O 23383/00 wird abgeändert und es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, den Klägern sämtliche weiteren Kosten, die im Zusammenhang mit der Pflege und Betreuung ihrer Tochter J. entstanden sind, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind.

3. Das Urteil des Landgerichts München I vom 26.11.2003, Az.: 9 O 23383/00, wird abgeändert und es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, den Klägern sämtliche weiteren Kosten, die im Zusammenhang mit der Pflege und Betreuung ihrer Tochter J. künftig entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind.

Die Beklagten beantragen die Zurückweisung der Berufung.

Die Beklagten bringen vor, der Beklagte zu 2) habe den sonografisch erhobenen schwer pathologischen Befund mit der Klägerin eindringlich und ausführlich besprochen und anhand einer Skizze dargelegt. Auf das Problem einer Spätabtreibung habe er hingewiesen, was die Notiz "Problem 28. Woche" zeige.

Das Wissen von Dr. F. müssten sich die Kläger zurechnen lassen.

Die zytologische Fehlbefundung sei nicht als sorgfaltswidrig einzustufen, zumal es sich um eine äußerst seltene Anomalie gehandelt habe.

Die Voraussetzungen des § 218a StGB seien nicht im Ansatz belegt.

Der Fetozid werde in Deutschland von sicher mehr als 99 % aller Kliniken abgelehnt. Eine berufsrechtliche Verpflichtung zur aktiven Tötung ungeborenen Lebens bestehe nicht.

Die Klägerin habe in der mündlichen Verhandlung vom 26.11.2003 die Möglichkeit gehabt, sich persönlich zu äußern, diese aber nicht genutzt.

Bezüglich des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird im Übrigen verwiesen auf die Schriftsätze der Kläger vom 09.06.2004 (Bl. 126/131 d. A.), 16.09.2004 (Bl. 141/142 d. A.) und 06.10.2004 (Bl. 155/158 d. A.) sowie der Beklagten vom 17.08.2004 (Bl. 135/140 d. A.) und 11.10.2004 (Bl. 159/161 d. A.).

Der Senat hat Beweis erhoben durch die Befragung des Sachverständigen Prof. Dr. Uwe C. im Termin vom 16.09.2004 (Bl. 150/153 d. A.). Ferner hat er die Klägerin und den Beklagten zu 2) informatorisch angehört.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Kläger ist nicht begründet. Den Klägern steht weder aus positiver Verletzung des Behandlungsvertrags noch nach § 823 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Unterhaltszahlung gegen die Beklagten zu.

Die Kläger können nicht nachweisen, dass die Beklagten nicht hinreichend über die zu erwartende Missbildung und geistige Behinderung des Kindes aufgeklärt haben. Dass die Beklagten die chromosomale Ursache des Fehlbildungssyndroms nicht erkannt haben, ist nicht vorwerfbar.

1) Das Landgericht, auf dessen Ausführungen hierzu Bezug genommen wird, hat zu Recht einen vorwerfbaren Diagnosefehler bei der Auswertung der Karyogramme verneint.

Diagnosefehler, die objektiv auf eine Fehlinterpretation der Befunde zurückzuführen sind, lassen sich nur mit Zurückhaltung als Behandlungsfehler werten (BGH NJW 2003, 2827).

Die vorliegende Konstellation unterscheidet sich zwar von der Situation, die den meisten Entscheidungen zum Diagnosefehler zugrunde liegt, dadurch, dass es nicht um eine Gesamtbewertung verschiedener mehrdeutiger klinischer Symptome und Laborparameter geht. Aber auch die Interpretation einzelner Untersuchungsgegenstände kann derartige Schwierigkeiten bereiten, dass sie die Vorwerfbarkeit eines Irrtums ausschließen.

Die in erster Instanz intensiv behandelte Frage wurde mit dem Sachverständigen im Termin vom 16.09.2004 nochmals ausführlich diskutiert.

a) Prof. Dr. C. wies (insoweit nicht protokolliert, aber schon in den schriftlichen Gutachten dargelegt) darauf hin, dass die Tatsache, dass er die Deletion auf zwei der Karyogramme erkannt habe, noch nicht zur Bejahung eines Diagnosefehlers führe, da er anders als die Beklagten beziehungsweise deren Mitarbeiter gewusst habe, wo er suchen musste. Anhand der Karyogramme illustrierte der Sachverständige für den Senat anschaulich die Schwierigkeit, den konkreten Chromosomendefekt zu sehen. Die Auswirkung geringfügiger Kontraständerungen demonstrierte Prof. Dr. C. anhand verschiedener Karyogramme ebenso wie deren Problematik für die Interpretation. Dies gilt, wie der Senat den Sachverständigen verstanden hat, auch für die Betrachtung am Bildschirm.

Es handelt sich, wie der Sachverständige darlegte, um eine extrem seltene Deletion am langen Arm des 5. Chromosoms. In der Weltliteratur sei allenfalls eine Handvoll Fälle beschrieben. Die sonografischen Auffälligkeiten des Kindes wiesen nicht speziell auf sie hin.

b) Der Senat hält die von Prof. Dr. C. gewählte Methode, zu überprüfen, ob ein vorwerfbarer Diagnosefehler vorliegt, für sachgerecht. Bei der Deutung von Röntgenbildern wird sie von gerichtlichen Sachverständigen immer wieder verwandt, in dem sie in ihrer Klinik bei der Röntgenbesprechung von Mitarbeitern die verfahrensgegenständlichen Röntgenaufnahmen ohne Bekanntgabe der Diagnose diskutieren lassen. Die Stellungnahme von Mitarbeitern und Kollegen bildet bei der Interpretation von Fotografien ein wertvolles Mittel, die Plausibilität der eigenen Auffassung, die unvermeidlicherweise durch den Akteninhalt mitgeprägt ist, zu überprüfen. Wenn es sich, wie im vorliegenden Fall nach den Angaben von Prof. Dr. C., um qualifizierte Mitarbeiter handelt, stellen ihre Äußerungen quasi eigenständige Kurzgutachten für eine Diagnose ex ante dar. Der gerichtliche Sachverständige darf sich seiner Aufgabe natürlich nicht entziehen, in dem er eine unkommentierte Umfrage unter Kollegen oder seinen Mitarbeitern statt eines Gutachtens mit eigener Wertung abliefert. Das ist hier aber nicht der Fall.

Dies zeigt, dass die Einwendungen der Kläger gegen die Größe der Stichprobe fehlgehen. Wenn Prof. Dr. C. ohne seinen Test mit den Mitarbeitern durchzuführen, die Vorwerfbarkeit der Fehldiagnose allein anhand seiner eigenen Berufserfahrung beurteilt hätte, wäre dies methodisch und zivilprozessual in Ordnung gewesen. Bei - hypothetischen - Zweifeln an der Überzeugungskraft seines Gutachtens hätte man nach § 412 ZPO an die Einschaltung eines anderen Sachverständigen denken können, aber nicht daran, zehn, fünfzig oder hundert weitere Humangenetiker zu befragen, wie es sich die Kläger im vorliegenden Fall offenbar vorstellen. Das Vorgehen von Prof. Dr. C. stellt eine Verbreiterung der Gutachtengrundlage und nicht etwa eine unzulässige Beschränkung der benutzten Erkenntnismöglichkeiten dar.

Die von Prof. Dr. C. ausgewählte Zahl von sechs Auswertern, von denen fünf die Deletion nicht erkannten, ist unabhängig davon nicht zu klein. Die von ihm beauftragten Mitarbeiter empfanden, wie er in seiner Anhörung anschaulich darlegte, die Aufgabe als eine vom Chef gestellte Herausforderung und schauten die Karyogramme deshalb besonders aufmerksam an. Sie konnten vermuten, dass an irgendeiner Stelle ein versteckter Defekt vorlag. Für die Beklagten beziehungsweise deren Mitarbeiter war dies dagegen trotz der sonografischen Auffälligkeiten nicht zwingend. Wie Prof. Dr. C. ausführte, lässt sich nur ein Teil der sonografisch erkennbaren Missbildungen auf Chromosomenanomalien zurückführen.

Die Einbeziehung von medizinisch-technischen Assistentinnen in den Test ist nicht zu beanstanden. Prof. Dr. C. hat in seinen Gutachten überzeugend dargelegt, dass sie für die konkrete Problematik, die Auswertung von Karyogrammen auf Chromosomenanomalien, über die gleiche Expertise verfügen wie spezialisierte Ärzte. Sie werden auch bei den Beklagten eingesetzt. Der Sachverständige erläuterte die erforderliche Auswertungsarbeit im Termin. Sie stellt im Kern ein Vergleichen und Abzählen von hellen und dunklen Abschnitten der Chromsomen auf einem Bildschirm beziehungsweise Papierausdruck dar. Diese Arbeit erfordert Aufmerksamkeit, Präzision und Erfahrung, setzt aber, wovon der Senat nach der Demonstration durch Prof. Dr. C. überzeugt ist, keine ärztliche Ausbildung voraus.

2) Eine Aufklärungspflichtverletzung durch die Beklagten können die Kläger nicht nachweisen.

Nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. C. stellte sich die Frage des Schwangerschaftsabbruchs schon aufgrund der sonografischen Auffälligkeiten ohne Rücksicht auf das Ergebnis der Chromosomenanalyse. Der Sachverständige erklärte, es sei Grundwissen eines Spezialisten, dass mit der Geburt eines gesunden Kindes nicht zu rechnen gewesen sei. Der Hinweis auf die geistige Behinderung habe sich aus dem erweiterten Ventrikel, dem breiten Schädel und dessen Profil (insbesondere tiefsitzende Ohren) ergeben.

Hierüber mussten die Beklagten aufklären.

Die Beweislast für die Aufklärungspflichtverletzung tragen die Kläger, da es sich nicht um die Risikoaufklärung vor einem Eingriff, die der Arzt beweisen müsste, handelt.

Vorgeworfen wird den Beklagten ein Verstoß gegen die Verpflichtung, die Kläger nicht vollständig oder eindeutig genug über die festgestellte Missbildung des Kindes und die Möglichkeit einer Schwangerschaftsunterbrechung informiert zu haben. Dies würde eine ungenügende Sicherheitsaufklärung, die einem Behandlungsfehler gleichgestellt wird, bedeuten (vgl. den ähnlichen Fall OLG München VersR 1988, 523, 524 mit Nichtabhilfebeschluss des BGH vom 22.09.1987). Die Beweislast für das Unterlassen des Arztes trägt in diesem Fall die Schwangere (OLG München a. a. O.).

a) Die von den Beklagten vorgelegten Ausdrucke der Arztbriefe aus ihrer elektronischen Dokumentation stammen mit denen überein, die Dr. F. erhalten hat. Dies ergibt sich aus dessen vom Landgericht beigezogenen Behandlungsunterlagen. Dass der Frauenarzt der Klägerin nicht über die Ergebnisse der Sonografie vom 29.05.1998 informiert wurde, trifft also nicht zu.

Auch aus den Hinweisen des Beklagten zu 2) im Schreiben vom 18.06.1998 musste Dr. F. entnehmen, dass der Verdacht einer Schädigung des Kindes seitens der Beklagten trotz der unauffälligen zytogenetischen Beurteilung fortbestand. Es ist aber unklar, was Dr. F. den Klägern gesagt hat.

b) Der Senat geht auch davon aus, dass die Kläger Ausdrucke der Arztbriefe der Beklagten erhalten haben. Der Beklagte zu 2) führte aus, dies werde in seiner Praxis allgemein so gehandhabt. Die Kläger haben dem nicht widersprochen. Es würde sich zudem um eine übliche Handlungsweise in der Pränatalmedizin handeln, wie dem Senat bekannt ist. Das im Schreiben vom 29.05.1998 diagnostizierte unklare Dysmorphie-Syndrom bedeutet ein Fehlbildungssyndrom unbekannter Ursache. Die Kläger sind jedoch nicht medizinisch gebildet. Die Übergabe der in nüchterner medizinischer Terminologie abgefassten Arztbriefe reichte daher für eine Aufklärung nicht aus. Dies mussten die Beklagten wissen.

c) Es kommt demnach darauf an, was zwischen den Parteien, insbesondere der Klägerin und dem Beklagten zu 2) gesprochen wurde. Wie der Beklagte den Sachverhalt darstellte, ist eine genügende Aufklärung erfolgt.

Der Inhalt der Gespräche lässt sich nicht mehr exakt klären, was letztlich zu einer Beweislastentscheidung führt. Es ist denkbar, dass der Hinweis auf die Unabhängigkeit der sonografisch diagnostizierten Fehlbildungen und die damit einhergehende Gefahr einer geistigen Behinderung des Kindes vom chromsomalen Befund nicht so eindeutig (und damit für die Eltern schockierend) war, wie die Beklagten nunmehr behaupten. Es könnte sein, dass der Beklagte zu 2) die Möglichkeit einer Trisomie 21 soweit in den Vordergrund gestellt hat, dass die spätere (falsche) Entwarnung aufgrund der Chromosomenuntersuchung die Kläger zu Unrecht beruhigt hat. Dies sind aber bloße Annahmen, die eine gewisse Plausibilität haben, sich jedoch letztlich nur auf die klägerischen Angaben stützen. Diesen hat der Beklagte zu 2), der dabei durch seine Dokumentation gestützt wird, widersprochen.

aa) Der Senat hat die Klägerin und den Beklagten zu 2) ausführlich informatorisch nach § 141 ZPO angehört. Auch der Kläger äußerte sich.

(1) Der Beklagte zu 2) stützte sich auf einen Ausdruck handschriftlicher Notizen, den die Beklagten bereits mit der Klageerwiderung (Anlage zu Bl. 13/18 d. A.) vorgelegt haben. Ihrem Vorbringen nach hat der Beklagte zu 2) die darauf befindliche Zeichnung der beiden Hirnhälften und die folgenden Stichworte "Ventrikel: weit", "Balken fehlt (?)", "Chromosomen Trisomie 21 ja nein" und "Problem 28. Woche" anlässlich der Eingangsuntersuchung der Klägerin angefertigt. Das Papier wurde nach der Behauptung der Beklagten anschließend für ihre Dokumentation gescannt. Der Beklagte zu 2) hat dies bei seiner Anhörung bestätigt, während die Klägerin angab, die Zeichnung erstmals während des Rechtsstreits gesehen zu haben.

Der Senat geht davon aus, dass dieses Blatt nicht erst nachträglich gefertigt wurde, sondern zur ursprünglichen ärztlichen Dokumentation des 29.05.1998 gehört. Wäre es bewusst in Hinsicht auf den vorliegenden Rechtsstreit angefertigt worden, hätten sich klarere Formulierungen angeboten. Die Hervorhebung der Trisomie 21 ist ein Gesichtspunkt, der argumentativ durchaus gegen die Beklagten verwendet werden kann.

Der Beklagte zu 2) erklärte bei seiner Anhörung, er habe der Klägerin das Ergebnis der Sonografie erläutert. Er habe gesagt, bei fehlendem Balken zwischen den beiden Gehirnhälften seien die Kinder sehr häufig geistig behindert. Sehr weite Ventrikel machten eine geistige Behinderung unabhängig vom Befund der Chromosomen wahrscheinlich. Der Strich in der Mitte des Blattes bedeute, dass dach die Ursachen besprochen worden seien. Der extrem breite Kopf habe eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine Trisomie 21 beinhaltet.

Weiter gab der Beklagte zu 2) an, er habe erklärt, dass hier das Problem in der 28. Schwangerschaftswoche liege. Die gesetzliche Lage erlaube zwar einen Abbruch zu jedem Zeitpunkt, das Kind werde aber mit hoher Wahrscheinlichkeit lebend geboren. Er habe mit der Klägerin nicht darüber gesprochen, wie man eine Lebendgeburt verhindern könne, weil das Begehren nach einem Schwangerschaftsabbruch nicht bestanden habe.

Der Beklagte zu 2) gab an, bei der Entlassung der Klägerin am 03.06.2004 habe er ihr gesagt, unabhängig vom Chromsomenbefund habe das Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit eine im Ausmaß nicht vorhersehbare geistige Behinderung.

Er habe der Mutter gesagt, sie, das heißt die Beklagten, wüssten nicht, wie die Diagnose laute.

Die Angaben des Beklagten zu 2) werden durch den Arztbrief vom 18.06.1998, der gerade keine Entwarnung enthält, sondern besondere Vorkehrungen für die Geburt des Kindes empfiehlt, mittelbar gestützt. Für ein gesundes Neugeborenes braucht man weder eine Intensivstation noch die angesprochene bildgebende Diagnostik mit MR und CT. Die Beschreibung des sonografischen Befundes mit "status idem", bedeutet, dass die festgestellten Auffälligkeiten weiter bestanden.

Legt man die Angaben des Beklagten zu 2) zu Grunde, ist eine hinreichende Sicherheitsaufklärung erfolgt. Exakte Angaben zum Ausmaß der Behinderungen des Kindes konnte er nicht machen. Sie wären nicht einmal möglich gewesen, wenn eine Trisomie 21 festgestellt worden wäre. Über die Möglichkeit einer intrauterinen Tötung des Kindes (durch eine Injektion mit einem herzlähmenden Gift) hätte nach Auffassung des Senats ohne ausdrückliche Frage der Mutter nicht gesprochen werden müssen.

(2) Die Klägerin erklärte, die Beklagten hätten von der Möglichkeit eines Down-Syndroms (= Trisomie 21), tiefsitzenden Ohren, dickem Mund und zuviel Fruchtwasser gesprochen, aber nicht über die Problematik eines Schwangerschaftsabbruchs in der 28. Woche. Den nach dem Ultraschall fehlenden Balken habe man ihr gegenüber als "nicht so tragisch" bezeichnet. Bei der Entlassung habe es geheißen, wunderbar, keine Auffälligkeiten. Das Zuviel an Fruchtwasser müsse man kontrollieren.

Die Angaben der Klägerin und des sie unterstützenden Klägers reichen nicht aus, um den Senat davon zu überzeugen, dass die Darstellung des Beklagten zu 2) falsch ist. Es gibt unabhängig von dessen plausiblen, durch die Dokumentation gestützten Ausführungen Hinweise darauf, dass die klägerische Schilderung vom gewünschten Prozessergebnis beeinflusst wird.

Die Wertung "wunderbar, keine Auffälligkeiten" stünde derart im Widerspruch zu den vom einem ausgewiesenen Experten, dem Beklagten zu 2) festgehaltenen sonografischen Befund, dass sie für eine Spezialpraxis wie die der Beklagten ans Absurde grenzte.

Dass sich gerade im Falle einer Trisomie 21 die Frage der Spätabtreibung für eine Schwangere mit dem festen Entschluss, ein behindertes Kind nicht auszutragen, aufdrängte, spricht gegen die Version der Klägerin vom Gespräch mit dem Beklagten zu 2). Es ist überhaupt nicht plausibel, dass über eine Beendigung der Schwangerschaft nicht gesprochen worden sein sollte.

Die Angaben der Klägerin passen trotz ihrer Erklärungsversuche mit ihren im Termin vom 16.09.2004 vorgehaltenen Angaben gegenüber Frau Prof. Dr. S.-R. am 10.05.1999 nicht recht zusammen. Damals hatte sie berichtet, sie hätten sich nach den Untersuchungen durch die Beklagten "wegen der vorhandenen Befunde nicht beruhigt und in ihrer Not nicht verstanden" gefühlt. Es sei ein Horror gewesen, der bis heute andauere. Andererseits enthält der Bericht auch die Angabe der Klägerin, die betreuenden Ärzte hätten die fetalen Ultraschallauffälligkeiten als "reparabel" angesehen.

Unvereinbar sind die Angaben der Klägerin, mit denen sie am Ende der mündlichen Verhandlung vom 16.09.2004 zu einer Tötung ihres Kindes im Mutterleib Stellung genommen hat. Erst erklärte sie, wenn ihr gesagt worden wäre, dass das Kind behindert sei, hätte sie eine Abtreibung durchgeführt und wenn das Kind lebend zur Welt gekommen wäre, hätte sie versucht damit zu leben. Unmittelbar darauf gab sie auf Frage ihrer Prozessbevollmächtigten an, sie hätte mit Sicherheit die Möglichkeit wahrgenommen, das Kind im Mutterleib zu töten.

Die Kläger tragen nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Entscheidung zur Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts, § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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