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Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 29.06.2006
Aktenzeichen: 1 U 2132/05
Rechtsgebiete: ZPO, BGB
Vorschriften:
ZPO § 128 Abs. 2 S. 2 | |
ZPO § 412 | |
BGB § 823 Abs. 1 | |
BGB § 847 Abs. 1 a. F. |
2. Ein zu erwartendes Geburtsgewicht von 4.000 g, eine Übertragung und eine erhöhte Gewichtszunahme der Mutter erfordern keine Aufklärung über die Möglichkeit einer Sektio wegen des Risikos einer Schulterdystokie.
OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Aktenzeichen: 1 U 2132/05
Verkündet am 29.06.2006
In dem Rechtsstreit
wegen Schmerzensgelds
erlässt der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht V., den Richter am Oberlandesgericht S. und den Richter am Oberlandesgericht N. im schriftlichen Verfahren, in dem Schriftsätze eingereicht werden konnten bis zum 16.06.2006, folgendes
Endurteil:
Tenor:
I.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 26.01.2005, Az.: 9 O 12081/01, wird zurückgewiesen.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, falls die Beklagte nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger macht gegen die Beklagte, die eine Frauenklinik betreibt, Schadenersatzansprüche wegen Komplikationen bei und nach seiner Geburt geltend.
Die Mutter des Klägers erwartete im Alter von 26 Jahren ihr erstes Kind. Am 08.01.1996 führte Dr. K., der behandelnde Frauenarzt, der als Geburtstermin den 20.01.1996 errechnet hatte, eine Ultraschalluntersuchung durch. Er wies die Mutter darauf hin, dass mit der Geburt eines überdurchschnittlich großen Kindes zu rechnen sei. Er schätzte das Geburtsgewicht auf 3.800 bis 4.000 g. Auf die Frage der Mutter, ob dann nicht ein Kaiserschnitt geboten sei, erklärte Dr. K., dass darüber in der Klinik entschieden werde. Aus seinen Behandlungsunterlagen ergibt sich, dass er das Auftreten eines relativen Missverhältnisses für möglich ansah.
Am 15.01.1996 findet sich der Vermerk "wird wohl Sectio, lange Aufkl. Im Beisein Ehemann", und am 24.01.1996 der Vermerk "!ange Aufkl über Geburt, Sectiowahrscheinlichkeit + Folgen für weitere Schwangerschaften, Übertragung, Reifung des Kindes etc" in der Dokumentation des Dr. K..
Am 27.01.1996 wurde die Mutter des Klägers in die Frauenklinik der Beklagten stationär aufgenommen. Während der Schwangerschaft hatte sich ihr Körpergewicht von 48 kg auf 67 kg erhöht.
Nach der Aufnahme der Mutter erfolgte weder eine Sonographie zur Gewichtsbestimmung, noch wurde eine Beckendiagnostik durchgeführt.
Am 28.01.1996 setzten um 8.08 Uhr Presswehen bei vollständigem Muttermund ein, nachdem es zum spontanen Blasensprung gekommen und ein CTG angelegt worden war. Um 8.22 Uhr stellte der um 8.18 Uhr hinzu gerufene Dr. F. eine "terminale Bradykardie" fest. Dr. F. entschloss sich daraufhin zur Vakuumextraktion. Nachdem der Kopf des Klägers entwickelt worden war, misslang die Schulterentwicklung. Dr. F. diagnostizierte eine Schulterdystokie im hohen Schultergeradstand. Das von ihm durchgeführte Manöver nach McRoberts brachte keinen Erfolg. Der hinzugekommene Dr. T. übernahm die Kindesentwicklung, indem er die rechte Episiotomie erweiterte, zusätzlich einen Entlastungsschnitt auf der linken Seite legte und die Schulter aus dem geraden in den schrägen Durchmesser rotierte. Um 8.31 Uhr erfolgte die Geburt des Klägers. Nach der Geburt erschien Oberarzt Dr. G. im Kreißsaal.
Der Kläger, der 4.420 g wog, 53 cm lang war und einen Kopfumfang von 35 cm hatte, wurde künstlich beatmet und in eine Kinderklinik transportiert.
Bei der Geburt kam es zu einer Plexusparese und einem Kephalhämatom. Am 04.02.1996 trat eine Schocksymptomatik auf. Der Kläger musste reanimiert werden. Ursache waren Hirnblutungen im Bereich der Medulla oblongata.
Der Kläger ist seit den Ereignissen vom 28.01. und 04.02.1996 irreversibel schwerstbehindert. Er wird ständig auf die Hilfe Dritter angewiesen sein.
Dr. F. erhielt am 08.01.1997 seine Anerkennung als Frauenarzt durch die Bayerische Landesärztekammer.
Der Kläger hat behauptet, seine Mutter habe bereits kurz nach der stationären Aufnahme die Hebamme über die von Dr. K. festgestellte Größe des Kindes informiert und diese gefragt, ob es deshalb nicht geboten sei, eine Sektio durchzuführen. Die Hebamme habe geantwortet, dass dies erst "bei der Geburt" entschieden werde. Im Übrigen erfolge auch bei einem zu erwartenden großen Kopf nicht immer eine Sektio.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Schaden sei auf eine Verkennung des relativen Missverhältnisses zwischen Kindsgröße und Weite des Geburtskanals zurückzuführen. Vor allem angesichts der Tatsache, dass die Mutter des Klägers leicht, schmal und klein gewesen sei, hätte mittels Sonographie ermittelt werden müssen, wie groß der Fetus war und ob es bei einer Spontangeburt Platzprobleme im Geburtskanal geben würde. Hätten die Geburtshelfer die dringend gebotenen Befunde wie Beckendiagnostik und Größenbestimmung des Feten erhoben, wären aufgrund des hohen Geburtsgewichts zwangsläufig Probleme bei der vaginalen Geburt offenbar geworden.
Eine fachärztliche Betreuung sei nicht erfolgt.
Die Geburtshelfer hätten die Mutter über die Möglichkeit einer Schnittentbindung aufklären und diese anbieten müssen.
Der Kläger hat beantragt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld von € 153.387,56 (DM 300.000,00) nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank ab 10.07.2000 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen künftigen immateriellen Schaden sowie allen materiellen Schaden zu ersetzen, der dem Kläger aus der fehlerhaften und rechtswidrigen Geburtsleitung vom 28.01.1996 entstanden ist und künftig noch entsteht, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, über die Möglichkeit eines Kaiserschnitts habe nicht aufgeklärt werden müssen, da er bei dem vorliegenden Befund keine zu diskutierende Alternative dargestellt habe.
Bei der Krankenhausaufnahme habe die erneute Gewichtsschätzung keine unabdingbare Notwendigkeit dargestellt, da eine zuverlässige Vorhersage des Geburtsgewichts beziehungsweise der Größe des Kindes mittels Sonographie ohnehin nicht möglich sei. Erst ab einem zu erwartenden Geburtsgewicht von mehr als 4.500 g sei die Möglichkeit einer Sektio als klinisch relevant anzusehen.
Das Landgericht München I wies die Klage nach Erholung eines schriftlichen Gutachtens des Frauenarztes Prof. Dr. M. und dessen mündlicher Anhörung mit Endurteil vom 26.01.2005 ab. Der Senat nimmt auf die Entscheidungsgründe Bezug.
Im Wege der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Der Kläger bringt vor, dass angesichts der Abhängigkeit des Risikos einer Schulterdystokie vom fetalen Geburtsgewicht bei der stationären Aufnahme obligatorisch eine Größen-/Gewichtsbestimmung erfolgen müsse. Dies entspreche der Rechtsprechung des OLG Köln und des OLG Stuttgart.
Die Geburtshelfer hätten die Biometriedaten der Ultraschalluntersuchung des Dr. K. vom 08.01.1996 nicht übernehmen dürfen. Das Wachstum des Feten zwischen dem 08. und 28.01.1996 könne nicht eingeschätzt werden.
Das tatsächliche Geburtsgewicht von 4.420 g spreche dagegen, dass sich bei einer Untersuchung bei der Aufnahme in die Klinik die Schätzung von Dr. K. bestätigt hätte.
Es habe wegen der Schätzungsungenauigkeiten auch bei dem von Dr. K. erhobenen Wert mit einem makrosomen Kind gerechnet werden müssen.
Aufgrund der exzessiven Gewichtszunahme der Mutter des Klägers und der Übertragung sei das Risiko eines Missverhältnisses erkennbar gewesen.
Angesichts der geringen Größe der Mutter und ihres Ausgangsgewichts von 48 kg habe ein relatives Missverhältnis vorgelegen. Der Kopfumfang des Klägers von 35 cm habe ein großes Kind erwarten lassen. Im Zusammenhang mit dem engen Geburtskanal habe dies einen Risikofaktor für eine Schulterdystokie dargestellt.
Den verantwortlichen Ärzten der Beklagten hätte sich die Empfehlung zu einer Sektio in einem therapeutischen Gespräch mit der Mutter des Klägers wie Dr. K. aufdrängen müssen, zumindest aber hätte eine Aufklärung über diese Alternative erfolgen müssen.
Die gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. M. und Prof. Dr. S. hätten das Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren nicht hinreichend berücksichtigt.
Der Sachverständige Prof. Dr. S. habe das Gericht über den Inhalt der Empfehlungen zur Schulterdystokie der DGGG - Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht falsch informiert.
Der Inhalt der 1998 veröffentlichten Empfehlungen sei 1996 bereits medizinischer Standard gewesen.
Nach den Leitlinien 1998 hätte die Mutter des Klägers über das spezifische Risiko einer Schulterdystokie und alternative Geburtsmodi aufgeklärt werden müssen.
Zu den erkennbaren Risiken in Hinsicht auf die Aufklärungspflicht habe auch die exzessive Gewichtszunahme der Mutter gehört.
Die Vakuumextraktion müsse durch einen Facharzt durchgeführt werden. Zumindest müsse dieser anwesend oder unmittelbar erreichbar sein.
Der Grund liege darin, dass Schulterdystokien bei vaginal-operativen Entbindungen häufiger vorkämen als bei einem spontanen Geburtsverlauf.
Weder Dr. F. noch Dr. T. seien in der Lage gewesen, "sich einem Facharzt gleich zu tun".
Hätte Dr. F. über Facharztstandard verfügt, hätte es ihm gelingen müssen, die Schulter durch Schulterrotation (Woods-Manöver) zu lösen.
Spätestens nach Auftreten der Schulterdystokie hätte Dr. F. den diensthabenden Oberarzt rufen müssen.
Wenn ein Facharzt mit einer solchen Situation nicht fertig werde, müsse aus seiner Dokumentation der Grund hierfür nachvollziehbar hervorgehen.
Statt einer Pelotte mit der Größe 5 hätte Dr. F. eine Pelotte der Größe 6 verwenden müssen.
Entweder habe es den in den Leitlinien Gynäkologie und Geburtshilfe geforderten Managementplan nicht gegeben oder Dr. F. und Dr. T. hätten sich bewusst über ihn hinweg gesetzt. Jedenfalls sei dieses Versäumnis aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich. Das Fehlen eines Managementplanes und der Einsatz von Ärzten ohne Facharztqualifikation stelle einen groben Organisationsfehler der Beklagten dar.
Der Kläger beantragt, unter Abänderung des am 26.01.2005 verkündeten Urteils des Landgerichts München I - 9 O 12081/01 -
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein Schmerzensgeld von € 153.387,56 (DM 300.000,00) nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank ab 10.07.2000 zu zahlen;
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen künftigen immateriellen Schaden sowie allen materiellen Schaden zu ersetzen, der diesem aus der fehlerhaften und rechtswidrigen Geburtsleitung vom 28.01.1996 entstanden ist und künftig noch entsteht, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung.
Sie bringt vor, auf eine Biometrie am Tag der Aufnahme der Mutter des Klägers habe verzichtet werden können.
Selbst ex post habe bei einem Geburtsgewicht von 4.420 g keine Indikation für eine Sektio bestanden.
Eine Biometrie hätte daher keine Ergebnisse gebracht, die eindeutig gegen einen vaginalen Entbindungsversuch gesprochen hätten.
Erst bei einem geschätzten Geburtsgewicht von 4.700 g komme es für die Frage, ob eine Schnittentbindung angesprochen werden müsse, auf die Umstände des Einzelfalls an.
Die Tatsache, dass beim Ansatz einer Gewichtsgrenze von 4000 g zur Verhinderung einer einzigen Plexusparese 2.345 Kaiserschnitte notwendig seien, zeige, dass der Ruf nach einer primären Sektio medizinisch-ethisch nicht zu vertreten sei.
Da eine Schulterdystokie selten vorkomme, könne es nicht auf die formale Facharztqualifikation oder darauf ankommen, wie viel praktische Erfahrung der die Geburt leitende Arzt bei ihrer Behandlung habe.
Dr. F. habe zum Zeitpunkt der Geburt des Klägers bereits Facharztstandard gehabt. Er habe 62 Vakuumextraktionen durchgeführt.
Die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe stellten lediglich Empfehlungen dar.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren nimmt der Senat Bezug auf die Schriftsätze des Klägers vom 16.06.2005 (Bl. 128/140 d. A.), vom 28.02.2006 (Bl. 177/180 d. A.), vom 16.06.2006 (Bl. 200/208 d. A.) und vom 26.06.2006 (Bl. 215/216 d. A.) sowie des Beklagten vom 13.09.2005 (Bl. 147/155 d. A.), vom 26.04.2006 (Bl. 195/196 d. A.), vom 16.06.2006 (Bl. 209/210 d. A.) und vom 23.06.2006 (Bl. 211/214 d. A.). Die letzten Stellungnahmen der Parteien erfolgten jeweils nach Ablauf der Frist des § 128 Abs. 2 S. 2 ZPO.
Der Senat hat Beweis erhoben durch die Erholung eines schriftlichen Gutachtens des Frauenarztes Prof. Dr. S. von der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe des Universitätsklinikums J. vom 24.01.2006 (Bl. 166/173 d. A.) sowie dessen mündliche Anhörung im Termin vom 30.03.2006 (Bl. 184/188 d. A.). Ferner hat der Senat die Eltern des Klägers persönlich informatorisch angehört.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Schadenersatzanspruch weder wegen positiver Verletzung des Behandlungsvertrages noch nach den §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 a. F. BGB zu. Ein Behandlungsfehler ist den Ärzten der Beklagten nicht nachzuweisen. Eine Aufklärungspflichtverletzung ist zu verneinen.
Wesentliche neue Gesichtpunkte haben sich im Berufungsverfahren trotz weiterer eingehender Beweiserhebung nicht ergeben.
Der Senat kennt den in der ersten Instanz tätigen Prof. Dr. M. als kompetenten, souveränen Sachverständigen und zieht ihn selbst immer wieder zur Begutachtung in Geburtsfehlerprozessen heran. Angesichts der Diskussion einer Sektio durch den vorbehandelnden Frauenarzt Dr. K., der nicht ganz einheitlichen Rechtsprechung zum Kaiserschnitt bei einem zu erwartenden schweren Kind, der vom Kläger vorgelegten Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht und der Bedeutung des Falles hat sich der Senat aber dazu entschieden, im Berufungsverfahren die Stellungnahme eines zweiten Gutachters einzuholen. Prof. Dr. S. hat die Bewertung von Prof. Dr. M. jedoch mit geringfügigen Nuancen bestätigt. Anlass zur Einschaltung eines dritten Sachverständigen besteht nicht.
1) Behandlungsfehler können den Ärzten der Beklagten, das heißt insbesondere Dr. F. und Dr. T., nicht nachgewiesen werden.
a) Eine Sektio war nicht indiziert, wie sich aus den Ausführungen der beiden gerichtlichen Sachverständigen ergibt.
Das zu erwartende Geburtsgewicht, die Gewichtszunahme der Mutter und die rechnerische Übertragung bildeten auch in der Zusammenschau keine Kontraindikation für eine vaginale Geburt.
aa) Das nach der Schätzung von Dr. K. zu erwartende Geburtsgewicht von 3.800 bis 4.000g liegt weit unter demjenigen, bei dem eine Sektio indiziert ist, soweit sich eine derartige Grenze überhaupt ziehen lässt.
In der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte, die jeweils auf der Befragung geburtsmedizinischer Sachverständiger beruht, werden uneinheitliche Untergrenzen, beginnend bei 4.000g, zumeist aber deutlich höher genannt, bei denen eine Sektio in Betracht kommt, aber keineswegs zwingend indiziert ist (vgl. OLG Düsseldorf AHRS II 5000/150; OLG Schleswig VersR 2000, 1544; OLG Hamm VersR 2001, 247; OLG Stuttgart OLGR 2001, 394; OLG F.furt OLGR 2003, 55; OLG Karlsruhe OLGR 2005, 273 und die vom Kläger im Schriftsatz vom 18.11.2004 angeführten Entscheidungen).
Prof. Dr. M. nannte in seinem Gutachten vom 19.11.2003 bei nicht diabetischen Müttern eine Untergrenze von 5.000 g. Prof. Dr. S. führte in seinem Gutachten vom 24.01.2006 aus, die sonographische Gewichtsschätzung stelle bei nicht diabetischen Schwangeren ohne zusätzliche Risikofaktoren keine ausreichende Sektioindikation dar.
bb) Die relativ starke Gewichtszunahme der Mutter und die rechnerische Übertragung von einer Woche ergeben auch in der Gesamtschau mit der Gewichtsschätzung des Dr. K. keine Indikation für eine Sektio, wie der Sachverständige Prof. Dr. S. in seinem schriftlichen Gutachten und seiner Anhörung dargelegt hat. Damit stimmt er mit der Auffassung des in erster Instanz tätigen Gutachters Prof. Dr. M. überein.
Die Einschätzung der beiden Sachverständigen entspricht dem Wissensstand des Senats.
Dem Senat sind - trotz Recherche - außer der vom Kläger vorgelegten Entscheidung des Landgerichts Aachen vom 01.08.2001, bei dem zusätzlich eine Gestose, ein präpathologisches CTG und ein exorbitantes Übergewicht der Mutter gegeben war, keine Entscheidungen bekannt geworden, in denen die Gewichtszunahme der Mutter oder die Übertragung als Kriterien für einen Kaiserschnitt diskutiert werden. In einem beim Senat anhängigen Fall wurde neben anderen Gesichtspunkten die starke Gewichtszunahme der Mutter problematisiert, die klägerische Berufung aber zurückgenommen, nachdem der dortige Sachverständige (ein Chefarzt aus Berlin) erklärt hatte, dass sie weder die Einweisung in ein Pränatalzentrum noch eine Sektio indiziere. Bei längerer Übertragung ist die medikamentöse Einleitung der vaginalen Geburt üblich, aber keine Sektio, wie allgemein bekannt ist. Dies gilt auch für 1996 (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 258. Auflage 1998, Stichwort Übertragung). Die vom Kläger vorgelegten "Empfehlungen zur Schulterdystokie" der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe vom September 1998 (Anlage 2 zur Berufungsbegründung vom 16.06.2005) und die im wesentlichen gleich lautenden Empfehlungen aus dem Jahr 2000 (Anlage zum Schriftsatz vom 11.03.2004 Bl. 72/73 d. A.) nennen als Indikation für eine primäre Sektio ausdrücklich "lediglich" eine vorausgegangene Schulterdystokie bei einer früheren Geburt. Sie weisen darauf hin, dass für die Verhinderung von fünf Schulterdystokien bei einem geschätzten Geburtsgewicht von 4.500 g 132 Schnittentbindungen erforderlich wären. Bei 4.000 g ist die Relation, worauf die Beklagte zu Recht hingewiesen hat, noch ungünstiger. Prof. Dr. M. hat diese Zusammenhänge in seinem Gutachten vom 19.11.2003 ausführlich diskutiert.
b) Im Unterlassen einer sonographischen vorgeburtlichen Größenmessung und daraus abgeleiteten Gewichtsschätzung liegt kein Befunderhebungsfehler der Beklagten.
Wie Prof. Dr. M. bei seiner Anhörung durch das Landgericht angab, ist die Durchführung einer weiteren Biometrie bei der Aufnahme in die Geburtsklinik bis heute nicht Standard. Dies hat Prof. Dr. S. in seinem Gutachten vom 24.01.2006 bestätigt und erklärt, er selbst hätte im konkreten Fall bei einem durch den Frauenarzt prognostizierten Geburtsgewicht von 4.000g keine Sonographie vorgenommen. Seiner Erfahrung nach seien die Schätzwerte unmittelbar vor der Geburt tendenziell zu hoch. Beide Sachverständigen haben darauf hingewiesen, dass die Schätzungen des Geburtsgewichts generell unzuverlässig sind.
Dies entspricht den Erkenntnissen des Senats aus weiteren Verfahren, in denen sich andere Gutachter in gleichem Sinne geäußert haben.
Aus den vom Kläger erwähnten Verfahren vor dem OLG Stuttgart und OLG Köln ergibt sich nicht anderes.
In dem vom Kläger vorgelegten Gutachten des Prof. Dr. P. vom 28.07.2003 aus dem Verfahren vor dem LG Rottweil beziehungsweise OLG Stuttgart (Anlage zum Schriftsatz Bl. 36/39 d. A. S. 15) wird die sonographische Gewichtsschätzung für die Geburt als ausreichend aussagefähig ab der 38. Schwangerschaftswoche angesehen. Ausweislich des Mutterpasses erfolgte die Sonographie durch Dr. K. am 08.01.1996 in der 38. Schwangerschaftswoche.
Der vom LG Aachen/OLG Köln entschiedene Fall bezog sich auf eine Mutter mit extremem Übergewicht, die ein Kind von 5.230 g Gewicht zur Welt brachte. Der Zeitpunkt der letzten Biometrie vor der Geburt ist nicht erkennbar.
Selbst wenn man unterstellt, dass eine Sonographie hätte erfolgen müssen, ergibt sich daraus nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zum Befunderhebungsfehler noch keine Haftung. Bei einem Geburtsgewicht von 4.420g kann nämlich nicht mit Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die Schätzung ein Gewicht in der Größenordnung von 5.000 g oder etwas darunter ergeben hätte. Ein Gewicht von 4.400 bis 4.500 g hätte eine Sektio nicht zwingend indiziert.
c) Die Vakuumextraktion war geboten und durfte durch Dr. F. vorgenommen werden.
aa) Wie der Sachverständige Prof. Dr. M. anhand der Auswertung der CTG-Aufzeichnungen in seinem Gutachten vom 18.11.2003 darlegte, entsprach die Entscheidung von Dr. F. den Regeln der ärztlichen Kunst. Auf den plötzlichen Herztonabfall musste so rasch wie möglich reagiert werden, um das Kind aus der potenziell gefährlichen Situation zu befreien. Bei gerader Pfeilnaht und fast auf dem Beckenboden stehendem kindlichen Köpfchen habe die Vakuumextraktion die Methode der Wahl dargestellt, um die Geburt zu beenden. Die rasche Entwicklung des Köpfchens nach nur einer Traktion zeige, dass Dr. F. die Lage richtig eingeschätzt habe.
Prof. Dr. S. erklärte in seiner Anhörung, der Abfall der kindlichen Herzfrequenz habe eine sofortige operative Entbindung erfordert. Die Vakuumextraktion sei richtig gewesen.
Die Ausführungen der Sachverständigen entsprechen den Erkenntnissen des Senats aus anderen Verfahren.
bb) Dr. F. musste ohne Rücksicht auf seine formale Qualifikation mit dem vorgefundenen Notfall zu Recht zu kommen versuchen. Die von der Rechtsprechung entwickelten Regeln zur Anfängeroperation lassen sich auf den Dienst in einer geburtshilflichen Abteilung beziehungsweise im Kreißsaal nicht unmittelbar übertragen. Beweiserleichterungen unter diesem Gesichtspunkt kommen nur in Fällen eines ex ante fehlerhaften Einsatzes eines Arztes in Weiterbildung oder Ausbildung zur Anwendung (BGH NJW 1998, 2736). Anders als eine Operation lässt sich der Ablauf einer Spontangeburt nicht planen. Die ständige Anwesenheit eines Facharztes bei einer scheinbar komplikationslosen Geburt wird von der Rechtsprechung (BGH a. a. O.) nicht gefordert. Auch die beiden gerichtlichen Sachverständigen haben sie nicht als nötig angesehen. Andererseits kann in einem Notfall, in dem es auf jede Minute ankommt, nicht auf das Erscheinen des Oberarztes oder eines anderen Facharztes gewartet werden. Der Senat ist häufig gerade mit Verfahren befasst, in denen der Vorwurf lautet, auf eine Bradykardie sei nicht, mit falschen Mitteln oder zu spät reagiert worden. Ein bloßes Abwarten wäre mit Sicherheit grob fehlerhaft gewesen.
Auf die Facharzteigenschaft von Dr. F. und Dr. T. kommt es daher nicht entscheidend an. Zumindest Dr. F. war in seiner Fortbildung zum Frauenarzt im Jahr 1996 bereits weit fortgeschritten, wie die Facharztanerkennung ein Jahr später zeigt.
cc) Sowohl der gerichtliche Sachverständige erster Instanz, Prof. Dr. M., als auch Prof. Dr. S. haben zudem erklärt, dass das Vorgehen der Ärzte Dr. F. und Dr. T. dem Facharztstandard entsprochen habe. Wie Prof. Dr. S. in seinem Gutachten darlegte, könne aus dem Misslingen des Woods-Manövers nicht geschlossen werden, dass dem Arzt die nötige Übung gefehlt habe.
d) Aus denselben Gründen ist im konkreten Fall die Behauptung, die Lösung der Schulterdystokie hätte nur durch einen Facharzt erfolgen dürfen, unzutreffend.
Die Schulter musste so schnell wie möglich durch das anwesende Personal (Assistenzärzte, Hebammen) entwickelt werden, um die kritische Zeit der Sauerstoffunterversorgung für den Kläger abzukürzen.
Darauf, wie viel praktische Erfahrung Dr. F. und Dr. T. mit der Behandlung einer Schulterdystokie hatten, kommt es zudem nicht an. Dadurch wird der Facharztstandard nicht definiert. Aufgrund der Seltenheit des Ereignisses haben viele Fachärzte, ja sogar Chefärzte in ihrer Praxis niemals eine Schulterdystokie erlebt, wie Prof. Dr. S. ausführte.
e) Der Oberarzt Dr. G. wurde, wie die Geburtsdokumentation ergibt, um 8.28 Uhr verständigt, nachdem der erste Versuch des Lösens der Schulter keinen Erfolg hatte, und traf nach der Geburt ein. Die Schulterdystokie war um 8.26 eingetreten. Da die Geburt bereits um 8.31 Uhr erfolgte, hätte eine um eine Minute frühere Benachrichtigung keine Auswirkung auf den Geburtsfortschritt haben können.
Ebenso wenig ist ersichtlich, wie sich ein Managementplan auf den raschen Ablauf der Geburt hätte auswirken sollen. Nach den Angaben der Sachverständigen haben die behandelnden Ärzte die richtigen Maßnahmen getroffen.
f) Die Größe der verwendeten Pelotte war laut Prof. Dr. S. nicht fehlerhaft. Wie er in seinem Gutachten darlegte, existieren verbindliche Regeln zu dieser Frage nicht.
2) Die Ärzte der Beklagten haben ihre Aufklärungspflicht nicht verletzt. Nach dem Stand des Jahres 1996 musste der Mutter der Klägerin nicht die Möglichkeit einer Sektio angeboten werden.
Über die Alternative einer Sektio wegen der zu erwartenden Größe des Kindes war die Mutter des Klägers, wie die Dokumentation des Dr. K. und auch ihre Frage an die Hebamme bei der Aufnahme in die Klinik zeigt, bereits informiert. Es geht im vorliegenden Fall also weniger um die Information der Mutter, als darum, ob ihr Selbstbestimmungsrecht hinsichtlich der Gestaltung der Geburt rechtswidrig übergangen worden ist.
Angesichts der weiter zurückgehenden und inzwischen sehr geringen Rate ernsthafter Komplikationen für die Mutter hat sich in den letzten Jahren, wie allgemein bekannt ist, eine Tendenz zur "Wunschsektio" ergeben. Eine Verpflichtung diese anzubieten, besteht jedoch nicht und hat im Jahr 1996 erst recht nicht bestanden.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss über die Möglichkeit einer Schnittentbindung nur aufgeklärt werden, wenn sie aus medizinischer Sicht indiziert ist, weil für den Fall, dass die Geburt vaginal erfolgt, ernstzunehmende Gefahren für das Kind drohen und daher im Interesse des Kindes gewichtige Gründe für eine Schnittentbindung sprechen, wobei diese auch unter Berücksichtigung der Konstitution und Befindlichkeit der Mutter in der konkreten Situation eine medizinisch verantwortbare Alternative darstellen muss (BGH NJW 2004, 1452, 1454 m. w. N.; der Fall betraf eine Schulterdystokie bei einem 4.230 g schweren Kind).
a) Ein zu erwartendes Geburtsgewicht von 3.800 bis 4.000 g erforderte keine Aufklärung über die Möglichkeit einer Sektio wegen des Risikos einer Schulterdystokie beziehungsweise deren konkretes Angebot.
Das nach der Untersuchung von Dr. K. zu erwartende Geburtsgewicht bildete keine Indikation für eine Sektio, wie bereits ausgeführt worden ist. Wenn man die erwähnte Formel des Bundesgerichtshofs zugrunde legt, fallen die Grenze von Indikation und Aufklärungspflicht, wenn man die weiteren behaupteten Risiken (Gewichtszunahme und Übertragung) unberücksichtigt lässt, zusammen. Sie liegt dann bei einem zu erwartenden Geburtsgewicht zwischen 4.500 und 5.000 g. So lassen sich auch die oben unter 1a) angeführten Entscheidungen der Oberlandesgerichte bis auf die Entscheidung des OLG F.furt, die der Bundesgerichtshof aufgehoben hat (BGH NJW 2004, 1452), interpretieren, obwohl sie zumeist keine zahlenmäßige Festlegung enthalten. Der Sachverständige Prof. Dr. S. hat unter Berufung auf die medizinische Fachliteratur ein Gewicht von 4.500 g genannt, dabei aber anders als der Bundesgerichtshof für die Aufklärung einen niedrigeren Wert als für die Indikation der Sektio angesetzt (Gutachten vom 24.01.2006 S. 5).
b) Die Gewichtszunahme der Mutter und die rechnerische Übertragung erforderten ebenfalls keine Aufklärung über die Möglichkeit eines Kaiserschnitts.
Eine Verpflichtung ergibt sich insbesondere nicht aus den vom Kläger vorgelegten "Empfehlungen zur Schulterdystokie Erkennung, Prävention und Management" der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht aus dem Jahr 1998.
Diese führen als vor der Geburt erkennbare Risikofaktoren den "Zustand nach Schulterdystokie, Makrosomie bei Diabetes mellitus, Übertragung, Adipositas der Mutter, exzessive Gewichtszunahme während der Schwangerschaft sowie Multiparität" an.
Wörtlich heißt es weiter:
"... Lediglich nach einer vorausgegangenen Schulterdystokie sollte aufgrund des Wiederholungsrisikos von 13,8 % die primäre Sectio-Indikation großzügig gestellt werden.
Auch bei Vorliegen einer sonstigen Risikokonstellation ist aus klinischer und forensischer Sicht eine Aufklärung der Patientin hinsichtlich ihres spezifischen Risikos für eine Schulterdystokie und deren Folgen, alternative Geburtsmodi und deren Komplikationen sowie über die erhöhte neonatale Morbidität bei vaginaler Entbindung notwendig.
Die Einwilligung der Patientin in die gewählte Entbindungsmethode ist einzuholen, wenn eine Sectio wegen ernstzunehmender Gefahren für das Kind bei vaginaler Entwicklung zur echten Alternative geworden ist. ..."
aa) Der Sachverständige Prof. Dr. S. hat in seinem schriftlichen Gutachten - entgegen dem Vorbringen des Klägers im Schriftsatz vom 16.06.2006 zu Recht - diese Passage als nicht eindeutig gewertet.
Dass mit "sonstige Risikokonstellation" das bloße Vorliegen eines oder mehrerer der genannten Risikofaktoren und mit "alternative Geburtsmodi" die Sektio gemeint ist, scheint zwar auf den ersten Blick nahe zu liegen. Der Begriff "Konstellation" ist aber nicht identisch mit "Faktor" und deutet eher darauf hin, dass eine Gesamtsituation gemeint ist, die der Arzt als risikohaft bewertet. Zudem steht der anschließende, die Sektio ausdrücklich ansprechende Satz, der durch das Kriterium "ernstzunehmender Gefahren" wohl an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anknüpfen soll, in einem unklaren Verhältnis zum vorhergehenden. Er ist überflüssig, wenn man den vorhergehenden Satz so auslegt wie der Kläger, außer man differenziert die Anforderungen zwischen Aufklärung und Einholung der Einwilligung (durch Unterschrift unter ein Formular). Der Wortlaut könnte hierfür sprechen, rechtsdogmatisch besteht dafür jedoch kein Anlass. Ein Zwischenbereich, indem man zwar aufklären, aber keine Einwilligung einholen muss, gibt es für den Arzt nicht (vgl. den englischen Begriff "informed consent"). Das Vorhandensein zweier Kinder (Multiparität) oder eine Übertragung von wenigen Tagen zum Beispiel begründen andererseits offenkundig keine ernstzunehmenden Gefahren für das ungeborene Kind, die eine Sektio zur Alternative machen würden. All dies widerspricht der Auslegung des Begriffs "sonstige Risikokonstellation" im klägerischen Sinn.
Das Kriterium der Multiparität wurde im Übrigen gegenüber dem Senat, wenn es bei den früheren Geburten großer Kinder nicht zu einer erschwerten Schulterentwicklung gekommen ist, von Sachverständigen in anderen Verfahren schon - gut nachvollziehbar - als Argument gegen das Risiko einer Schulterdystokie angeführt.
bb) Die vom Kläger vorgelegten Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht begründen, selbst wenn man sie anders als der Sachverständige Prof. Dr. S. hinsichtlich des Begriffs "Risikokonstellation" für eindeutig hält, aus drei Gründen keine Aufklärungspflicht: Im konkreten Fall muss der ärztlichen Standard durch den Sachverständigen ermittelt werden (1). Die Empfehlungen verlangen, wenn man sie im klägerischen Sinne auslegt, eine Aufklärung in einer Situation, in der diese nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes gerade nicht geschuldet wird (2). Zudem waren sie im Jahr 1996 noch überhaupt nicht verabschiedet worden (3).
(1) Die Frage, ob aus medizinischer Sicht eine Aufklärungspflicht besteht, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles und muss im Rechtsstreit vom medizinischen Sachverständigen beantwortet werden.
Nicht definiert wird in den Empfehlungen, wann eine exzessive Gewichtszunahme (absolut oder relativ, wie stark über dem Durchschnitt) oder eine in ihrem Sinne relevante Übertragung (wenn man nicht einen Tag genügen lässt) vorliegen.
Dies zeigt, dass die Auswertung der Empfehlungen die sachverständige Stellungnahme im Rechtsstreit nicht ersetzen kann (Ulsenheimer, Haftungsrechtliche Relevanz von Leitlinien, Gynäkologe 2004, 70).
Die Sachverständigen Prof. Dr. M. und Prof. Dr. S. haben in Kenntnis der "Empfehlungen" der Arbeitsgemeinschaft für Medizinrecht für den konkreten Fall eine Aufklärungspflicht in Hinsicht auf Gewichtszunahme und Übertragung verneint. Aus ihren Stellungnahmen lässt sich entnehmen, dass sie diese Kriterien auch allgemein als wenig bedeutsam ansehen. Die Einschaltung eines dritten Sachverständigen nach § 412 ZPO ist nicht geboten. Es besteht zwar keine formelle Beweisregel dahingehend, dass ein Verhalten, das bereits zwei kompetente, erfahrene gerichtliche Sachverständige nachvollziehbar und widerspruchsfrei gebilligt haben, einem Arzt nicht vorgeworfen werden kann. Einziges Argument für die Erholung eines weiteren Gutachtens wäre aber die Annahme, dass Prof. Dr. M. und Prof. Dr. S. aus unbekannten Gründen sich bewusst in Widerspruch gegen den in den Empfehlungen verkörperten medizinischen Standard gesetzt haben. Dafür sieht der Senat angesichts der unterlassenen Präzisierung der Risikofaktoren in den Empfehlungen einerseits, seines Wissens aus Parallelverfahren und der Person der Sachverständigen andererseits keine Anhaltspunkte.
(2) Die Empfehlungen setzen, wenn man sie so wie der Kläger auslegt, anders als der Bundesgerichtshof die Schwelle für Aufklärungspflicht unterhalb der eindeutigen Indikation für eine Sektio an und nähern sich damit tendenziell dem Wahlkaiserschnitt. Dies ergibt sich aus dem Satz, dass lediglich bei einer vorausgegangenen Schulterdystokie die primäre Sektio-Indikation großzügig gestellt werden sollte. Eine "sonstige Risikokonstellation" würde dagegen schon bei einer Frau mit zwei Kindern (Multiparität) und/oder wenigen Tagen rechnerischer Übertragung vorliegen, wahrscheinlich also bei der Hälfte aller werdenden Mütter.
Die Befugnis, entgegen der höchstrichterlichen Rechtsprechung Anforderungen an die Aufklärungspflicht für alle Ärzte festzulegen, kommt der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe nicht zu. Die Frage, inwieweit Richtlinien, Leitlinien und Empfehlungen ärztlicher Organisationen den medizinischen Standard bestimmen können, wird dementsprechend hinsichtlich des Behandlungsfehlers, nicht aber bezogen auf die Aufklärung diskutiert (Ulsenheimer a. a. O.; Jorzig/Feifel, Leitlinien und Standard - Grenzen einer Systematisierung im Arzthaftungsprozess, GesR 2004, 310).
(3) Die Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht aus den Jahren 1998 und 2000 sind schließlich deshalb für den vorliegenden Fall nicht maßgeblich, weil sie im Jahr 1996 noch nicht gegolten haben (vgl. BGH NJW 2004, 1452/1453).
Wie bereits ausgeführt, geben sie, wenn man sie wie der Kläger interpretiert, den für den konkreten Fall im Jahr 1996 geltenden Standard nicht wieder.
Die nach Ablauf der Frist des § 128 Abs. 2 S. 2 ZPO eingereichten Schriftsätze des Klägers vom 26.06.2006 und der Beklagten vom 23.06.2006 befassen sich im Wesentlichen mit der Qualifikation des Dr. F.. Sie erfordern keinen Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung, da es auf die angesprochenen Einzelheiten für den Ausgang des Rechtsstreits nicht ankommt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Vorläufige Vollstreckbarkeit und Abwendungsbefugnis ergeben sich aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO).
Ende der Entscheidung
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