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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 09.10.2003
Aktenzeichen: 1 U 2308/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 1
1. Die Aufklärungspflicht des Tierarztes gegenüber dem Pferdehalter stellt eine Nebenpflicht aus dem Behandlungsvertrag dar, die das Ziel hat, letzterem die Abwägung der Folgen und Risiken der Behandlung gegenüber den Behandlungskosten und dem Wert des Tieres zu ermöglichen. Ihre Verletzung kann einen Schadenersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung begründen.

2. Die Beweislast für die objektive Verletzung der Aufklärungspflicht und die Kausalität dieser Unterlassung für den Eintritt des Schadens trägt der Tierhalter, wobei bei der Prüfung des hypothetischen Kausalverlaufs auf die Entscheidung eines rational handelnden, wirtschaftlich denkenden Eigentümers abzustellen ist. Die Rechtsprechung zur Eingriffsaufklärung in der Humanmedizin ist auf die Haftung des Tierarztes nicht anwendbar.

3. Auf eine Operationssterblichkeit von 0,9 % aller Fälle muss ein Tierarzt vor einem Eingriff an einem Pferd hinweisen, ohne dass - außer auf ausdrückliche Rückfrage - eine genaue Prozentangabe erforderlich ist. Soweit die Zahl der tödlichen Zwischenfälle in seiner eigenen Klinik noch darunter liegt, ist es nicht zu beanstanden, wenn er dieses Risiko als "gering" bezeichnet.


OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 1 U 2308/03

Verkündet am 09.10.2003

In dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatz

erläßt der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Kreitmair und die Richter am Oberlandesgericht Schneider und Nagorsen aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11.09.2003 folgendes

Endurteil:

Tenor:

I.

Die Berufung der Klägerinnen gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 15.01.2003 wird zurückgewiesen.

II.

Die Klägerinnen tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.

III.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerinnen können die Vollstreckung durch die Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn die Beklagten nicht vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerinnen machen als Erbinnen ihres während des Rechtsstreits verstorbenen Ehemannes beziehungsweise Vaters ... Schadenersatzansprüche wegen des Todes von dessen Pferd "Chronograph" in der Tierklinik der Beklagten geltend.

Bei Chronograph handelte es sich um einen sogenannten Spitzhengst, den ... als Wallach erworben hatte, der aber noch einen Hoden in der Bauchhöhle besaß. Spitzhengste können mit zunehmenden Alter bösartig werden. Deshalb wollte ... ihn kastrieren lassen.

Er wandte sich auf Empfehlung des ihm bekannten Tierarztes ... an die Beklagten. Bei einem Vorgespräch riet der Beklagte zu 3) zu einer operativen Entfernung des Hodens mittels Laparoskopie, da das bei einer Operation grundsätzlich vorhandene Risiko hierdurch verkleinert werde.

Die Klägerin zu 1) brachte Chronograph am Mittag des 25.08.1998 zur Klinik der Beklagten. Unmittelbar nach der Anlieferung legte ein Stallbursche dem Pferd einen Maulkorb an und wies darauf hin, dass es bis zur Operation nichts mehr zu fressen bekäme.

Der von der Klägerin zu 1) am 25.08.2003 unterzeichnete "Aufnahmeschein" der Tierklinik enthält auf der Rückseite vorformulierte "Aufnahmebedingungen". Im Abschnitt "Behandlung" heißt es am Ende: "Über Behandlungs-, Operations- und Narkoserisiken ist der Besitzer/Eigentümer aufgeklärt worden".

Die Behandlungsunterlagen der Beklagten weisen die Art der Fütterung von Chronograph in den Folgetagen nicht aus. Es findet sich nur eine allgemeine Festlegung zur Fütterung mit "Heu", "Pellets" und "Müsli".

Bei der Kotuntersuchung stellten die Beklagten einen massiven Wurmbefall des Pferdes fest. Eine genauere Bestimmung der Würmer, insbesondere ob es sich um sogenannte große oder kleine Strongyliden handelte, nahmen die Beklagten nicht vor.

Am Nachmittag des 28.08.1998 erfolgte die laparoskopische Entfernung des Hodens aus der Bauchhöhle in Vollnarkose.

Am 29.08.1998 wurde das Pferd angefüttert. Zur Behandlung des Wurmbefalls verabreichten die Beklagten intramuskulär 10 ml des Präparats Ivomec.

Am 30.08.1998 entwickelte sich bei Chronograph eine Kolik. Die Beklagten nahmen mit Einwilligung von ... eine Notoperation vor, die das Pferd nicht überlebte. Todesursache war eine Typhlocolitis (Entzündung des Blind- und Dickdarms).

... hat vorgebracht, die Beklagten hätten dadurch gegen ihre Aufklärungspflicht verstoßen, dass sie nicht darauf hingewiesen hätten, dass der laparoskopische Eingriff mit dem erheblichen Risiko einer Entwicklung von Typhlocolitis X verbunden sei.

Die Beklagten hätten Chronograph vor der Operation vier Tage lang hungern lassen, was das Auftreten der Typhlocolitis X begünstigt habe. Maximal zulässig sei eine Hungerzeit von zwei Tagen.

Bei der Anfütterung nach der Operation habe das Pferd einen halben Ballen Heu auf einmal zum Fressen erhalten.

Die intramuskuläre Gabe von Ivomec am Tag nach der Operation sei fehlerhaft. Die Durchführung der Operation vor der Wurmbehandlung sei mit einem erhöhten Risiko verbunden.

Chronograph habe einen Wert von mindestens 40.000,- DM gehabt. Es handele sich um ein reinrassiges, ausgebildetes Pferd mit Turniererfahrung. Ersetzen müssten die Beklagten auch die an sie gezahlten Behandlungskosten von 1.916,32 DM, Medikamente für 87,- DM, Transportkosten von 350,- DM und Ausbildungskosten von 3.300,- DM für Februar bis August 1998 von 3.300,- DM.

... hat beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von DM 45.653,32 sowie 4 % Zinsen hieraus seit Klagezustellung zu verurteilen.

Die Beklagten haben die Abweisung der Klage beantragt.

Sie haben vorgebracht, die intramuskuläre Verabreichung von Ivomec sei weder fehlerhaft noch ursächlich für den Tod von Chronograph. Eine Verschiebung der Operation wegen des Wurmbefalls sei nicht erforderlich gewesen; dieser sei mit Sicherheit nicht kausal für den tödlichen Verlauf. Das Pferd sei vor der Operation regelmäßig mit sogenanntem Schlappfutter gefüttert worden. Nach der Operation habe es Schlappfutter und zudem wieder Heu bekommen, aber nicht einen halben Ballen Heu auf einmal.

Bereits Dr. ... habe ... über die Risiken der Kastration eines Spitzhengstes aufgeklärt. Der Beklagte zu 3) habe ihn darüber informiert, dass die Operation unter Vollnarkose durchgeführt werden müsse und jede Vollnarkose ein gewisses Risiko in sich berge.:

Das Landgericht hat die Klage nach mündlicher Anhörung des tierärztlichen Sachverständigen Prof. Dr. Dr. ... und der Vernehmung der Zeuginnen ... (der nunmehrigen Klägerin zu 1) und ... mit Urteil vom 15.01.2003 abgewiesen. Es hat ausgeführt, über das Risiko einer Typhlocolitis X hätten die Beklagten wegen deren Unwahrscheinlichkeit nicht aufklären müssen. Weder die intramuskuläre Gabe von Ivomec noch die Operation des Pferdes trotz Wurmbefall komme als Ursache der Komplikation in Betracht. Eine unsachgemäße Fütterung vor und nach der Operation, insbesondere ein zu langes Hungern, habe die Beweisaufnahme nicht belegt. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Urteilsbegründung Bezug genommen.

... verstarb am 11.04.2003. Die Klägerinnen verfolgen den geltend gemachten Anspruch im Wege der Berufung weiter.

Nach Auffassung der Klägerinnen hat das Landgericht zu Unrecht einen Behandlungsfehler verneint.

Sie bringen vor, angesichts des massiven Wurmbefalls des Pferdes wäre vor der Operation eine Entwurmung erforderlich gewesen. Deren Unterlassung stelle einen groben Behandlungsfehler dar. Hierzu habe der Sachverständige keine eindeutige Stellungnahme abgegeben. Die festgestellten Strongyliden kämen als Verursacher der Typhlocolitis in Betracht.

Die Beklagten hätten Chronograph vor der Operation zwei bis drei. Tage, hungern lassen, während maximal ein Tag zulässig sei. Dies stelle wegen der Erhöhung des Risikos einer Typhlocolitis einen groben Behandlungsfehler dar. Unklarheiten hinsichtlich der Fütterung gingen zu Lasten der Beklagten, da diese ihre Dokumentationspflicht verletzt hätten. Die Zeugin ... habe keine konkreten Angaben zur Fütterung des Pferdes machen können, während sich die von der Klägerin zu 1) als Zeugin in erster Instanz geschilderten Äußerungen eines Stallburschen, eines der Tierärzte und zweier Damen im Büro über das Hungernlassen vor der Operation konkret auf Chronograph bezogen hätten.

Auch die Anfütterung nach der Operation sei nicht dokumentiert.

Entgegen der Meinung des Landgerichts sei zudem eine Verletzung der Aufklärungspflicht zu bejahen.

Über die Gefahr einer tödlichen Typhlocolitis X sei, da es sich um eine schwerwiegende Komplikation handele, auch bei einem Risiko von 1 : 2000 aufzuklären, zumal keine dringende Indikation für die Operation bestanden und das Pferd einen erheblichen wirtschaftlichen Wert dargestellt habe. Außerdem sei die Risikoerhöhung durch die zu lange Hungerphase, den massiven Wurmbefall und die falsche Anfütterung zu berücksichtigen.

Die Beklagten hätten zudem nicht über das Narkoserisiko aufgeklärt.

Die Rechtsprechung über die Grundaufklärung in der Humanmedizin sei anwendbar. Dies führe zu einer Haftung der Beklagten, selbst wenn man davon ausgehe, über das Risiko einer Typhlocolitis sei bei einer Kastrationsoperation nicht aufzuklären.

Bei vollständiger Aufklärung durch die Beklagten hätten ... und sie der Operation nicht zugestimmt.

Die Klägerinnen beantragen:

I. Das Endurteil des Landgerichts München I vom 15.01.2003, Az.: 25 O 15373/01, wird abgeändert.

II. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerinnen als Erbengemeinschaft nach dem am 11.04.2003 verstorbenen bisherigen Kläger 23.342,17 EUR zuzüglich 4 % Zinsen hieraus seit Klagezustellung zu zahlen.

III. Die Beklagten tragen gesamtschuldnerisch die Kosten des Rechtsstreits.

Die Beklagten beantragen die Zurückweisung der Berufung.

Die Wurmbehandlung durch intramuskuläre Gabe des Präparats Ivomec ist nach ihrer Behauptung sachgerecht gewesen.

Hinsichtlich der Fütterung bestehe keine Dokumentationspflicht. Die Beklagten hätten Chronograph nicht hungern lassen, vielmehr hätte er 1 - 2 Tage leichtes Schlappfutter in Form von Leinsamen/Kleie-Mash in dünner Suppenform erhalten.

Nach der Operation sei das Pferd zunächst mit Schlappfutter und sodann mit kleinen Portionen Heu angefüttert worden.

Hinsichtlich des Vorwurfs, es sei keine ausreichende Aufklärung erfolgt, nehmen die Beklagten Bezug auf ihre Ausführungen in der ersten Instanz und das Urteil des Landgerichts.

Der Beklagte zu 1) bringt vor, er habe die Klägerin über Operations- und Narkoserisiko aufgeklärt. Im Jahr würden in der Klinik rund 2.000 Pferde operiert. Ein bis zwei davon stürben in der Narkose durch Kreislaufversagen oder beim Aufstehen durch Knochenbrüche.

Bezüglich des Vorbringens der Parteien im übrigen wird verwiesen auf die Schriftsätze der Klägerinnen vom 13.05.2003 (Bl. 233/245 d. A.) und der Beklagten vom 30.07.2003 (Bl. 253/260 d. A.).

Der Senat hat Beweis erhoben durch die Erholung eines schriftlichen Gutachtens des Tierarztes Prof. Dr. Dr. ... vom 14.08.2003 (Bl. 263/266 d. A.) und dessen mündliche Anhörung im Termin vom 11.09.2003 (Sitzungsniederschrift Bl. 277/280 d. A.).

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerinnen hat keinen Erfolg. Ein Anspruch aus positiver Verletzung des tierärztlichen Behandlungsvertrages oder aus § 823 Abs. 1 BGB besteht nicht.

1) Ein Behandlungsfehler der Beklagten ist nicht nachweisbar.

a) Der Sachverständige Prof. Dr. Dr. ... bezeichnete in seinem schriftlichen Gutachten und seiner Anhörung vor dem Senat die Laparoskopie vor Durchführung der Wurmbehandlung als unbedenklich. Als erwachsener Hengst habe Chronograph nicht zu der Erkrankungsgruppe gehört, bei der es zu einem massenhaften Befall mit kleinen Strongyliden komme. Es sei davon auszugehen, dass es sich um große Strongyliden gehandelt habe, die keinen Risikofaktor für eine Typhlocolitis X bildeten. Eine weitere - sehr aufwändige - Differenzierung im Kot nachgewiesener Strongylideneier finde im Rahmen eines Klinikaufenthalts erwachsener Pferde nicht statt.

b) In Übereinstimmung mit seinen Ausführungen in der ersten Instanz verneinte der Sachverständige die Ursächlichkeit der Injektion von Isomec für den Tod des Pferdes.

c) Wie das Landgericht, auf dessen Darstellung auf S. 10/11 des Urteils Bezug genommen wird, sieht der Senat den Nachweis eines Fütterungsfehlers nicht als erbracht an.

Zwar ist es laut Prof. Dr. Dr. ... üblich, bei einem Klinikaufenthalt die Art der Fütterung konkret zu dokumentieren, was die Beklagten unterlassen haben. Der Beklagte zu 1) bestätigte bei seiner Anhörung durch den Senat jedoch glaubhaft die Aussage der Zeugin ... in erster Instanz, dass Chronograph bis zum Abend vor der Operation zur Entlastung des Darmes Schlappfutter erhalten habe. Dabei verwendete er hierfür den Begriff "Hungern". Dies mag bereits Anlass für die Fehlinterpretation früherer Äußerungen von Klinikmitarbeitern durch die Klägerin zu 1) gewesen sein. Das Anlegen eines Maulkorbs erklärte der Beklagte zu 1) nachvollziehbar damit, dass die Pferde nicht die als Streu verwendeten Reisspelzen fressen sollten (insoweit nicht protokolliert).

Der Sachverständige Prof. Dr. Dr. ... erklärte, er nehme an, dass die vom Beklagten zu 1) angegebene Menge von Schlappfutter (dreimal 4 Liter) ausreiche, um eine Dysbakteriose, das heißt eine Umstellung der natürlichen Bakterienflora, im Blinddarm zu verhindern. Die absolute Hungerphase vom Vorabend bis zur Operation sei üblich.

Im übrigen steht die Kausalität eines - unterstellten - Fütterungsfehlers für die eingetretene Komplikation nicht fest.

d) Eine fehlerhafte Anfütterung und deren Ursächlichkeit für den Tod des Pferdes haben die Klägerinnen nicht nachgewiesen, wie das Landgericht zu Recht ausgeführt hat.

2) Die Klägerinnen können keine Verletzung der Beratungspflicht der Beklagten über die Risiken der Operation nachweisen. Außerdem hätte ... nach der Überzeugung des Senats einer Operation auch bei einer ausführlichen, alle nur theoretisch denkbaren Komplikationen erfassenden Belehrung durch die Beklagten zugestimmt.

a) Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über die Eingriffsaufklärung in der Humanmedizin sind in der Tiermedizin nicht anwendbar. Dies gilt auch für die Beweislastverteilung.

Der Tierarzt, der eine Operation durchführt, schuldet in erster Linie den Einsatz der von einem gewissenhaften Veterinärmediziner zu erwartenden tiermedizinischen Kenntnisse und Erfahrungen. Außerdem ist es seine Aufgabe, seinen Auftraggeber über die Behandlungsmethode und ihre Gefahren zu beraten. Dazu gehört die Erörterung der Art und Weise eines geplanten Eingriffs in großen Zügen, seiner Erfolgsaussichten und seiner Risiken. Zwar geht es bei der Tätigkeit des Tierarztes auch um die Behandlung eines lebenden Organismus, aber eben doch um Sachen, deren Erhaltung sich weithin nach wirtschaftlichen Erwägungen zu richten hat. Deshalb können die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über Art und Umfang der humanärztlichen Aufklärungspflicht nicht ohne weiteres auf die Tiermedizin übertragen werden. Steht in der Humanmedizin das Selbstbestimmungsrecht des Patienten im Vordergrund, so spielt dieses Moment in der Tiermedizin keine Rolle. Dort geht es um wirtschaftliche Interessen. Art und Umfang der tierärztlichen Aufklärungspflicht richten sich nach den dem Tierarzt erkennbaren Interessen seines Auftraggebers oder nach dessen besonderen Wünschen. Dabei kann auch der materielle oder ideelle Wert des Tieres für den Auftraggeber eine Rolle spielen (BGH NJW 1980, 1904/1905).

Die Darlegungs- und Beweislast für eine objektive Pflichtverletzung und deren Kausalität für den eingetretenen Schaden trifft die Klägerinnen. Hierfür im Bereich des tierärztlichen Handelns etwa in Anlehnung an die Rechtsprechung zur ärztlichen Aufklärungspflicht im Bereich der Humanmedizin eine Ausnahme zu machen, besteht kein Anlass, weil das Selbstbestimmungsrecht des Patienten in der Tiermedizin keine Rolle spielt (BGH VersR 1982, 435; OLG Frankfurt NJW-RR 2001, 893 m. w. N.).

b) Die Beklagten waren verpflichtet, auf das Operationsrisiko hinzuweisen. Ins einzelne gehende Erläuterungen über alle denkbaren Komplikationen schuldet der Tierarzt jedoch nicht.

Der Bundesgerichtshof hat zwar in BGH NJW 1980, 1904/1905 die Verneinung einer Verletzung der Beratungs- und Aufklärungspflicht eines Tierarztes, der beim Pferd über Narkoserisiken im engeren Sinne nicht aufklärte, durch das OLG Düsseldorf bestätigt. Die Begründung lautete, das Narkoserisiko sei einerseits allgemein bekannt, andererseits seien tödliche Narkosezwischenfälle sehr selten.

Nach Auffassung des Senats hatte im vorliegenden Fall aber eine Aufklärung über das allgemeine Operationsrisiko, das das der Anästhesie einschließt, zu erfolgen.

Der Sachverständige Prof. Dr. Dr. ... gab an, dass nach wissenschaftlichen Untersuchungen im Durchschnitt 0,9 % aller Pferde eine Narkose nicht überlebten. Darin enthalten seien nicht nur Narkoserisiken im engeren Sinne, sondern, wie Prof. Dr. Dr. ... bei seiner mündlichen Anhörung klarstellte, alle mit einer Operation verbundenen Komplikationen, bis das Pferd (wieder) aufgestanden sei. Dies ist wirtschaftlich gesehen keine völlig vernachlässigenswerte Zahl. Dementsprechend hat der Sachverständige eine Aufklärungspflicht hinsichtlich des Narkoserisikos und der operationsspezifischen Risiken (Blutung, Infektion, Wundheilungsprobleme) bejaht.

Für eine Aufklärungspflicht über das Operationsrisiko spricht im vorliegenden Fall zudem die fehlende Dringlichkeit des Eingriffs einerseits und der - gemessen an anderen Tieren - hohe Preis eines Pferdes andererseits. Dass den Beklagten der (behauptete) konkrete Wert von Chronograph bekannt war, ist aber nicht nachgewiesen.

Vom Tierarzt können jedoch keine lehrbuchartigen Ausführungen über sehr seltene Komplikationen (Typhlocolitis X), die Folge einer Operation und der mit ihrer Vorbereitung verbundenen Maßnahmen (Fütterungsumstellung, Hungernlassen) sein können, und deren Häufigkeit in Promillewerten erwartet werden. Hiervon wird der wirtschaftlich denkende Pferdeeigentümer seine Entscheidung über eine Operation anders als vielleicht ein Patient in der Humanmedizin nicht abhängig machen. Für ihn ist vielmehr interessant, ob überhaupt ein Operationsrisiko besteht und in welcher ungefähren Relation es sich zu dem von ihm mit dem Eingriff angestrebten Zweck verhält. Wenn ihn genaue Zahlen oder tiermedizinische Einzelheiten interessieren, kann er nachfragen.

Aus der Äußerung des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. ... es hätte ein Hinweis auf die möglichen Veränderungen in der Darmflora aufgrund der heufreien Futterdiät erfolgen sollen, vermag der Senat einen Verstoß gegen eine neben der Aufklärung über das Operationsrisiko bestehende tierärztliche Beratungspflicht daher nicht abzuleiten. Die Futterumstellung stand in direktem Zusammenhang mit der Operation; die Beklagten wurden nicht etwa unabhängig davon um Beratung hinsichtlich einer Änderung der Fütterung gebeten.

c) Die Klägerinnen haben ihre Behauptung, die Beklagten hätten nicht hinreichend aufgeklärt, nicht nachgewiesen. Dagegen spricht bereits der von der Klägerin zu 1) unterzeichnete Aufnahmeschein. Übereinstimmend, wenn auch in unterschiedlicher Nuancierung, haben die Parteien darüber hinaus vorgetragen, dass der Beklagte zu 3) auf Operationsrisiken hingewiesen habe. Der Beklagte zu 1) hat zudem bei seiner mündlichen Anhörung angegeben, mit der Klägerin zu 1) über das Operations- und Narkoserisiko gesprochen zu haben. An Einzelheiten konnte er sich naturgemäß angesichts der Vielzahl von ihm seither durchgeführten Eingriffe und des Zeitablaufs nicht mehr erinnern. Die Klägerin zu 1) erklärte hierzu, der Beklagte zu 1) habe ihr gesagt, wie jede Operation habe auch diese ein Risiko, dies sei jedoch sehr gering, da endoskopisch vorgegangen werde. Ob der Beklagte sich derart tendenziell verharmlosend ausgedrückt hat, ist aber keineswegs bewiesen.

Nach Auffassung des Senats wäre eine Bezeichnung des Risikos als gering bei der vom Sachverständigen angegebenen Schadensquote von 1 zu 111 durchaus gerechtfertigt, erst recht aber bei den vom Beklagten zu 1) genannten viel niedrigeren Zahlen.

d) Der Senat geht davon aus, dass ... die Kastrationsoperation auch bei eingehender Belehrung über das Risiko einer Typhlocolitis X und der präoperativen Änderung der Fütterung zugestimmt hätte.

Die Rechtsprechung zum Entscheidungskonflikt bei unterlassener Eingriffsaufklärung in der Humanmedizin ist nicht anwendbar, da es nicht um das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, sondern um wirtschaftliche Erwägungen geht (s. o.). Bei der Prüfung des hypothetischen Kausalverlaufs ist auf die Entscheidung eines "vernünftigen" Pferdeeigentümers abzustellen (BGH NJW-RR 1996, 736/737). Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. ... war das Risiko der Entwicklung einer tödlichen Typhlocolitis X bei einer Kastrationsoperation sehr gering (nahezu 1 : 2000), während er hinsichtlich des Gefährdungspotentials des "Fütterungsregimes" der Beklagten ausführte, hierzu fehlten überhaupt wissenschaftliche Untersuchungen. Der Beklagte zu 1) bestritt, insoweit negative Erfahrungen gemacht zu haben.

Bei den jetzigen Erklärungen der Klägerinnen zu ihrem hypothetischen Verhalten ist zu berücksichtigen, dass sie in Kenntnis der eingetretenen Komplikation erfolgt sind. Erfahrungsgemäß wird dadurch das Bewußtsein geprägt, selbst wenn es sich um kein bewußt wahrheitswidriges Vorbringen handelt. Demgegenüber hatte ... nach der Darstellung in der Klageschrift vor, Chronograph vollständig kastrieren zu lassen, bevor ihm der Kontakt zu den Beklagten vermittelt wurde. Er hatte die ernsthafte Möglichkeit, dass der Hengst bösartig werden würde, mit einem Operationsrisiko von 0,9 : 100 (laut Prof. Dr. Dr. ...) beziehungsweise über 1.1.000 (laut Beklagtem zu 1) bezogen auf die Verhältnisse in seiner Klinik) abzuwägen. Dabei handelte es sich bei den Operateuren um Fachleute, die ... von einem anderen Tierarzt empfohlen worden waren.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit regelt sich nach den §§ 708 Ziffer 10, 711 ZPO.

Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Ende der Entscheidung

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