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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 30.12.2004
Aktenzeichen: 1 U 2367/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 1
BGB § 831 Abs. 1
BGB a.F. § 847 Abs. 1
Das Unterlassen der Gabe eines Breitbandantibiotikums bei der Behandlung einer postoperativen Infektion am großen Zeh nach Emmert-Plastik ist grob fehlerhaft. Das Unterlassen einer Erregerbestimmung stellt zumindest einen einfachen Behandlungsfehler dar.
IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

Aktenzeichen: 1 U 2357/04

Verkündet am 30.12.2004

In dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatzes u. a.

erlässt der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht K. und die Richter am Oberlandesgericht S. und N. aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23.12.2004 folgendes

ENDURTEIL

Tenor:

I.

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 22.01.2004 hinsichtlich der Klageabweisung gegen die Beklagte zu 1) aufgehoben.

Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld von 1.000,-- EUR zuzüglich 4 % Zinsen seit 15.10.2003 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 1) verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche künftigen materiellen und immateriellen Schäden aus Anlass der ärztlichen Behandlung am 23.08.1998 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

Die weitergehende Klage gegen die Beklagte zu 1) wird ab- und die weitergehende Berufung zurückgewiesen.

Die gegen die Klageabweisung hinsichtlich der Beklagten zu 2) bis 6) gerichtete Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

II.

Von den Gerichtskosten tragen der Kläger 19/20 und die Beklagte zu 1) 1/20.

Der Kläger trägt 2/3 der außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1).

Die Beklagte zu 1) trägt 1/20 der außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) bis 6) trägt der Kläger.

Im Übrigen tragen die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

III.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der bei der AOK gesetzlich krankenversicherte Kläger macht gegenüber den Beklagten Schadenersatzansprüche wegen Komplikationen nach einer Zehenoperation im Jahr 1998 geltend.

Die Beklagte zu 1) betreibt in F. ein Krankenhaus. Der Beklagte zu 2) war und ist Chefarzt der "Chirurgie 1", der Beklagte zu 3) leitender Oberarzt und der Beklagte zu 4) Oberarzt.

Am 19.08.1998 ließ sich der Kläger in der chirurgischen Gemeinschaftspraxis Dr. F. und Dr. G. in München an der großen Zehe links an einem eingewachsenen Zehennagel operieren (sog. Emmert-Plastik). In den Folgetagen kam es im Operationsgebiet zu einer Infektion.

Am Sonntag, den 23.08.1998 besuchte der Beklagte zu 5), ein hausärztlich tätiger Internist, den Kläger auf dessen Bitte.

Der Beklagte zu 5) hielt in seiner Dokumentation fest: "Zust. N. OP Nagelbetteiterung gr. Zehe li. Massive Entzündung"

Anschließend begab sich der Kläger auf Anraten des Beklagten zu 5) in die chirurgische Ambulanz der Beklagten zu 1).

Dort nahm der Arzt im Praktikum P. eine Revision der Operationswunde vor. Ein Abstrich zur Erregerbestimmung, die Gabe eines (Breitband-)antibiotikums und eine Röntgenaufnahme des Zehs erfolgte nicht.

Der Eintrag in der Krankenakte der Beklagten zu 1) lautet: " - Z. n. Emmert-Plastik vor einigen Tagen am D1 li

- Gesamte Großzehe li. geschwollen, gerötet, Druckschmerz, aus den Stichkanälen etwas Pus

- Oberst-Leitungsanä., Wunde und Stichkante gespreizt, Reinigung mit scharfem Löffel, ausgiebige Spülung Jodoform-Gaze, offene Wundbehandlung

- Tetanus- Auffrischungsimpfung"

In einem Kurzbericht an den weiterbehandelnden Arzt bat P. um Wundkontrolle und täglichen Verbandswechsel.

Am 24., 25. und 26.08.1998 vermerkte der Beklagte zu 5) die Gebührenziffern 25, 2 und 10 in seiner Dokumentation.

Am 27. und 29.08.1998 besuchte der Chirurg Dr. G. den Kläger und stellte fest, dass die Entzündung rückläufig war.

Die Behandlungsunterlagen des Beklagten zu 5) für den 02.09.1998 und den 07.09.1998 enthalten wiederum die Eintragung der Gebührenziffern 25, 2 und 10.

Am 04.09.1998 schrieb der Beklagte zu 5) den Kläger bis zum 22.09.1998 krank.

In seiner Dokumentation vermerkte der Beklagte zu 5) am 07.09.1998: "Infizierte op Nagelbettentzündung. Seit 3 Wochen keine Rückbildung der Entzündungssymptomatik." Er verordnete Krankenhausbehandlung.

Der Kläger wurde zur stationären Behandlung in das Krankenhaus der Beklagten zu 1) aufgenommen.

Der Beklagte zu 6) führte am 08.09.1998 eine Großzehenendgelenksrevision durch. Inzwischen hatte sich eine Infektion des Endgelenks entwickelt. Der Kläger blieb bis 01.10.1998 in stationärer Behandlung.

Der Kläger hat behauptet, er verspüre seither Gefühlsstörungen im großen Zeh, eine Verfärbung des ganzen Fußes und Stauchungsschmerzen. Er könne kein Fahrzeug mit Kupplung mehr fahren und sei als Busfahrer partiell berufsunfähig.

Die Beklagten zu 1) bis 4) und zu 6) seien dafür verantwortlich, dass keine Röntgenkontrolle vorgenommen und kein Befund erhoben worden sei.

Der Beklagte zu 5) habe als Hausarzt nicht engmaschig genug kontrolliert.

Ein Schmerzensgeld von 10.000,-- DM (= 5.112,92 EUR) sei angemessen. Folgeschäden seien zu befürchten.

Der Kläger hat beantragt:

I. Die Beklagten werden samtverbindlich verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld für den Zeitraum bis zur letzten mündlichen Verhandlung, nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit Klagezustellung zu bezahlen.

II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten samtverbindlich verpflichtet sind, dem Kläger sämtlichen künftigen materiellen und immateriellen Schäden, letztere soweit sie nach Schluss der mündlichen Verhandlung eintreten, aus Anlass der ärztlichen Behandlung am 23.08.1998 und vom 08.09.1998 bis zum 01.10.1998 zu bezahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

Die Beklagten haben Behandlungsfehler bestritten und vorgebracht, es habe sich um eine schicksalhafte Entwicklung gehandelt.

Das Landgericht Landshut wies die Klage nach mündlicher Anhörung des chirurgischen Sachverständigen Prof. Dr. S. mit Endurteil vom 22.01.2004 ab. Wie das Landgericht ausführte, sei es zwar fehlerhaft gewesen, weder eine Röntgenkontrolle noch eine Erregerbestimmung vorzunehmen. Es sei jedoch nicht nachgewiesen, sondern vielmehr sogar unwahrscheinlich, dass diese Unterlassungen den Heilungsverlauf beeinflusst hätten. Ein grober Fehler liege nicht vor, zumal eine tägliche Kontrolle der Wunde empfohlen worden sei.

Hinsichtlich der Einzelheiten verweist der Senat auf die Urteilsbegründung.

Der Kläger verfolgt sein Begehren im Wege der Berufung weiter.

Er bringt vor, die fehlende Abstrichentnahme, Röntgenkontrolle und Antibiose stellten Befunderhebungsfehler dar, die zu einer Beweiserleichterung führten.

Der Arzt im Praktikum P. sei am 23.08.1998 mit der Gesamtbeurteilung überfordert gewesen.

Eine genügende Kontrolle der Wunde sei durch die Hausbesuche nicht erfolgt. Der Beklagte zu 5) habe den Kläger nur am 02. und 07.09.1998 besucht. Er hätte den Heilungsverlauf dokumentieren müssen. Die Behandlung durch Dr. G. könne ihn nicht entlasten.

Der Kläger behauptet, er habe am 23.08.1999 39,5 Grad Fieber und sehr starke Schmerzen gehabt.

Nach der Auffassung des Klägers lässt sich aus den Unterlassungen, die er dem Arzt im Praktikum P. am 23.08.2004 anlastet, auf eine Verletzung der Überwachungs- und Organisationspflicht durch die Beklagten zu 2), zu 3) und zu 4) schließen. Sie hätten dafür sorgen müssen, dass ein erfahrener Arzt ihn untersuchte, die Operation überwachte und die angeordnete Therapie überprüfte. Außerdem hätten die Beklagten zu 2), zu 3) und zu 4) die Anfertigung von Röntgenaufnahmen vor jeder Operation anordnen müssen.

Der Kläger beantragt:

I. Das am 22.01.2004 verkündete Urteil des Landgerichts Landshut, Az.: 44 O 2532/03 wird aufgehoben.

II. Die Beklagten werden samtverbindlich verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld für den Zeitraum bis zur letzten mündlichen Verhandlung, nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit Klagezustellung zu bezahlen.

III. Es wird festgestellt, dass die Beklagten samtverbindlich verpflichtet sind, dem Kläger sämtlichen künftigen materiellen und immateriellen Schäden, letztere soweit sie nach Schluss der mündlichen Verhandlung eintreten, aus Anlass der ärztlichen Behandlung am 23.08.1998 und vom 08.09.1998 bis zum 01.10.1998 zu bezahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

Die Beklagten beantragen die Zurückweisung der Berufung.

Die Beklagten zu 1) bis 4) und zu 6) bringen vor, die richtige Behandlung einer nicht heilenden Wunde am 4. postoperativen Tag bestehe darin, Nahtmaterial zu entfernen, ein Wund-Debridement durchzuführen, die Wunde zu spülen und weiter offen zu behandeln. Eine Röntgenkontrolle und eine Abstrichentnahme sei nicht erforderlich. Innerhalb vier Tagen könne eine Infektion nicht die Knochenstruktur schädigen. Ein eingewachsener Zehennagel weise stets ein kontaminiertes Wundgebiet auf. Ein Abstrich hätte vermutlich zu einem Zufallsbefund ohne Auswirkung auf die Therapie geführt. Eine vorschnelle Gabe von Antibiotika verursache vermeidbare Resistenzen und sei am 23.08.1998 nicht erforderlich gewesen. Am 23.08.1998 habe nur eine Weichteilinfektion vorgelegen. Dies beweise das im Schlichtungsverfahren (gegen Dr. F. und Dr. G.) von dem Chirurgen Dr. W. erstattete Gutachten.

Die Wunde sei am 23.08.1998 nicht eitrig gewesen.

Auch die Beklagten zu 2), zu 3) und zu 4) hätten als erfahrene Chirurgen weder eine Röntgenaufnahme noch einen Abstrich gemacht

Der Arzt im Praktikum P. habe die Operation gemeinsam mit einem erfahrenen Arzt durchgeführt. Weil die Dienstpläne nicht mehr vorhanden seien, habe man jedoch Schwierigkeiten, diesen zu ermitteln. Bereits bei seinem Dienstbeginn als Arzt im Praktikum am 01.12.1997 habe P. über Grundkenntnisse in der "kleinen" Chirurgie verfügt.

Der Beklagte zu 5) behauptet, der Kläger sei bis zum 23.08.1998 nicht sein Patient gewesen. Er habe ihn im Rahmen des ärztlichen Notdienstes besucht.

Er habe den Kläger auch am 24., 25. und 26.08. und 02.09.1998 besucht, obwohl dieser von seinem Zustand her in seine Praxis hätte kommen können.

Bezüglich des Vorbringens der Parteien im Übrigen nimmt der Senat Bezug auf die Schriftsätze des Klägers vom 31.03.2004 (Bl. 78/85 d. A.), 27.04.2004 (Bl. 90/93 d. A.), 01.07.2004 (Bl. 122/124 d. A.) und 08.12.2004 (Bl. 166/167 d. A.), der Beklagten zu 1) bis 4) und 6) vom 27.04.2004 (Bl. 94/99), 10.05.2004 (Bl. 105 d. A.), 29.06.2004 (Bl. 119/121 d. A.) und 30.11.2004 (Bl. 164/165 d. A.) sowie des Beklagten zu 5) vom 30.04.2004 (Bl. 100/102 d. A.).

Der Senat erhob Beweis durch die Befragung des Sachverständigen Prof. Dr. S. im Termin vom 03.06.2004 (Sitzungsniederschrift Bl. 111/116 d. A.). Davor hörte er den Kläger und den Beklagten zu 5) informatorisch an. Zusätzlich erholte er ein schriftliches Sachverständigengutachten des Chirurgen Prof. Dr. G. vom 27.10.2004 (Bl. 141/161 d. A.).

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist, soweit sie sich gegen die Klageabweisung gegen die Beklagte zu 1) richtet, teilweise begründet. Dem Kläger steht gegen diese ein Schmerzensgeldanspruch nach § 847 Abs. 1 BGB a. F. in Höhe von 1.000,-- EUR zu. Der Feststellungsantrag ist bezogen auf die ambulante Behandlung vom 23.08.1998 begründet.

Eine Haftung der Beklagten zu 2) bis 6) hat das Landgericht zu Recht verneint.

1) Die Beklagte zu 1) haftet dem Kläger wegen positiver Verletzung des Behandlungsvertrags und den §§ 823 Abs. 1, 831 Abs. 1 BGB auf Schadensersatz und nach den §§ 823 Abs. 1, 831 Abs. 1, 847 Abs. 1 a. F. BGB auf Schmerzensgeld.

a) Der Feststellungsantrag ist teilweise begründet.

aa) Der Kläger hat Anspruch auf die Erstattung des durch die Behandlung am 23.08.1998 ausgelösten materiellen Zukunftsschadens wegen positiver Verletzung des Behandlungsvertrags.

(1) Die Ambulanz wurde von der Beklagten zu 1), nicht den beiden Chefärzten der Chirurgie betrieben, so dass nicht nur für die spätere stationäre Behandlung, sondern auch für die ambulante Operation vom 23.08.1998 vom einem Behandlungsvertrag zwischen ihr und dem Kläger auszugehen ist.

(2) Die Behandlung am 23.08.1998 war fehlerhaft.

Der Arzt im Praktikum P., der die Behandlung des Klägers nicht ohne Abstimmung mit einem Facharzt für Chirurgie hätte durchführen dürfen, versäumte die Abnahme eines Abstrichs zur Erregerbestimmung und die Einleitung einer Antibiose.

Der Senat folgt den Sachverständigen Prof. Dr. S. und Prof. Dr. G. darin, dass die Behandlung vom 23.08.1998 von einem Arzt im Praktikum nicht völlig selbständig durchgeführt werden durfte. Dies entspricht im Übrigen der Auffassung des Beklagten zu 2), des zuständigen Chefarztes, der sich zu dieser Frage im Termin vor dem Landgericht äußerte. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf ein Berufsanfänger nur unter unmittelbarer Aufsicht eines erfahrenen Chirurgen eingesetzt werden, der jeden Operationsschritt beobachtend verfolgt und jederzeit korrigierend einzugreifen vermag (BGHZ 88, 248; BGH NJW 1992, 1560; zum Anästhesisten etwas großzügiger, aber im Grundsatz ähnlich BGH NJW 1993, 2989). Hinsichtlich der Qualifikationsfrage gilt eine Verschuldensvermutung zu Lasten des Krankenhausträgers (BGH NJW 1978, 1681, Steffen/Dressler, Arzhaftungsrecht 7. Aufl., Randnr. 259)

Aus der Dokumentation der Beklagten zu 1) ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, dass an der Behandlung des Klägers am 23.08.1998 ein Facharzt mitgewirkt hat. Ein Beweisangebot, dass ein bestimmter Chirurg die Aufsicht geführt hat, liegt nicht vor.

Der Unterschied zu den vom BGH entschiedenen Fällen liegt darin, dass im vorliegenden Fall die technische Durchführung des eher kleinen Eingriffs vom 23.08.1998 laut Prof. Dr. S. in Ordnung war und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie die Ausweitung der Infektion auf das Gelenk verursacht hat. Prof. Dr. S. hat jedoch darauf hingewiesen, dass der Arzt im Praktikum mit der Gesamtsituation überfordert gewesen sein könne (Anhörung vor dem Landgericht am 22.01.2004). Er hätte zusätzliche Maßnahmen treffen sollen, die die Gelenkinfektion möglicherweise verhindert hätten. Ein erfahrener Arzt hätte dies nach den Ausführungen von Prof. Dr. S. und Prof. Dr. G. getan. Beide gaben an, dass sowohl das Unterlassen der Behandlung mit einem Breitbandantibiotikum als auch das Unterlassen eines Abstrichs fehlerhaft waren. Den Verzicht auf eine Antibiose stufte Prof. Dr. S. als grob fehlerhaft ein. Prof. Dr. G. erklärte, er stimme mit der Bewertung durch Prof. Dr. S. überein. Der Verzicht auf die Gabe eines Antibiotikums bei der Revision eines chirurgischen Infekts verstoße gegen grundsätzliche Behandlungsregeln.

(3) Soweit der Feststellungsantrag sich auf die stationäre Behandlung zwischen dem 08.09. und 01.10.1998 bezieht, ist er unbegründet.

Nach dem Eingriff vom 23.08.2004 lassen sich keine Versäumnisse von Mitarbeitern der Beklagten zu 1) gegenüber dem Kläger nachweisen, die die zu einer Verschlechterung von dessen Zustand geführt haben. Insbesondere war nach dem Sachverständigen Prof. Dr. S. die Durchführung der Revisionsoperation vom 08.09.2004 korrekt. Eine Erregerbestimmung erfolgte zwar auch jetzt nicht. Dass dem Kläger gegebene Breitbandantibiotikum wirkte jedoch, so dass eine Kenntnis des Erregers nicht zu einem besseren Behandlungserfolg geführt hätte. Die Gelenkinfektion heilte ab. Dies ist, wie dem Senat aus anderen Verfahren bekannt ist, nicht selbstverständlich. Insgesamt ist, wie sich auch aus dem Gutachten von Prof. Dr. S. ergibt, von einem eher günstigen Verlauf auszugehen.

(4) Hinsichtlich der Kausalität der Unterlassungen am 23.08.1998 für die Ausweitung der Infektion auf den Knochen, nicht aber wegen der Arthrose des Zehenendgelenks kommen dem Kläger Beweiserleichterungen zu Gute. Die Verursachung der Arthrose durch die Behandlungsfehler steht nicht fest.

Ein günstigerer Verlauf, das heißt insbesondere eine Vermeidung der Knocheninfektion bei Gabe eines Breitbandantibiotikums ab dem 23.08.1998 lässt sich nach den Angaben der Sachverständigen Prof. Dr. S. und Prof. Dr. G. nicht beweisen. Er erscheint aber möglich.

Der grobe Behandlungsfehler führt hinsichtlich des sogenannten Primärschadens bei dieser Sachlage nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu einer Beweislastumkehr. Die durch die Behandlungsfehler ausgelöste Primärschädigung ist das Aufflammen der Infektion und deren Übergang auf den Knochen (vgl. die Abgrenzung in BGH NJW 1987, 1479, 1480).

Der Kläger leidet, wie der Sacherständige Prof. Dr. S. ausführte, unabhängig von der streitgegenständlichen Behandlung der postoperativen Komplikationen an einer schmerzhaften peripheren Durchblutungsstörung beider Beine. Die Beugung im linken Großzehenendgelenk ist eingeschränkt. Es liegt dort eine leichte Arthrose vor, die laut Prof. Dr. S. wahrscheinlich auf die Entzündung zurückzuführen ist. Möglicherweise verursache die Arthrose beim Anstoßen des Zehs einen Stauchungsschmerz. Eine Behinderung bei der Betätigung der Kupplung eines Fahrzeugs ist jedoch, wie der Sachverständige darlegte, nicht nachvollziehbar.

Der Sachverständige Prof. Dr. G. führte in seinem schriftlichen Gutachten aus, die Röntgenaufnahmen vom 05.03.2002 zeigten einen im Wesentlichen altersentsprechenden Befund des Großzehenendgelenks mit allenfalls geringgradigen arthrotischen Veränderungen. Diese seien altersbedingt und nicht Folge der operativen Interventionen.

Hinsichtlich der Entstehung der Arthrose gilt § 287 ZPO, aber keine Beweislastumkehr hinsichtlich der Kausalität, da es sich um einen sogenannten Sekundärschaden handelt.

Bei einer Gesamtbewertung der vorliegenden Gutachten liegt eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit für eine Verursachung der Arthrose durch die Knocheninfektion nicht vor. Auch die Einschätzung von Prof. Dr. S. ist zurückhaltend. In seiner Anhörung vor dem Landgericht äußerte er, dass die eine Verursachung schon durch die Grunderkrankung in Betracht komme. Der Beginn der Knochenbeteiligung lasse sich nicht mehr feststellen.

(5) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats erlaubt eine nachgewiesene Knochenbeteiligung jedoch die Prognose, dass der Eintritt irgendeines Zukunftsschadens wahrscheinlich ist.

bb) Der Feststellungsantrag ist nach den §§ 823 Abs. 1, 831 Abs. 1, 847 Abs. 1 a. F. BGB auch hinsichtlich des immateriellen Zukunftsschadens begründet.

Den Entlastungsbeweis für den Arzt im Praktikum P. hat die Beklagte nicht angetreten. Es fehlt jeder Vortrag zu dessen laufender Überwachung und den dabei gewonnenen Erkenntnissen.

Im Übrigen wird auf die Ausführungen unter aa) (2) - (5) Bezug genommen.

Die durch die Arthrose ausgelösten Beschwerden des Klägers können auch künftig nicht Gegenstand eines Schmerzensgeldanspruchs gegen die Beklagte zu 1) sein.

b) Der Kläger hat gegen die Beklagte zu 1) gemäß den §§ 831 Abs. 1, 847 Abs. 1 a. F. BGB einen Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 1.000,-- EUR.

Zum Haftungsgrund wird auf die Ausführungen unter a) verwiesen.

Aufgrund der Beweislastumkehr ist davon auszugehen, dass durch die Behandlung mit einem Breitbandantibiotikum ab dem 23.08.1998 und der Identifikation des Erregers mittels eines Abstrichs die Revisionsoperation vom 08.09.1998 und der anschließende dreiwöchige Krankenhausaufenthalt vermieden hätten werden können.

Die leichte Arthrose im Großzehenendgelenk würde einen Sekundärschaden darstellen (s. o.), für den die Beweislastumkehr hinsichtlich der Kausalität nicht gilt. Sie und die mit ihr verbundenen Beschwerden sind bei der Bemessung des Schmerzensgeldes aus den oben angeführten Gründen nicht zu berücksichtigen.

Dem Kläger hätten jedoch unter Berücksichtigung der Beweislastumkehr für den Eintritt der Knocheninfektion die dritte Operation vom 08.09.1998 und mehrwöchige Schmerzen erspart werden können. Es ist allgemein bekannt, dass die Zehen besonders schmerzempfindlich sind. Während des stationären Aufenthalts klagte der Kläger anfänglich, wie die Pflegeberichte (in Anlage B 1) ausweisen, über starke Schmerzen, die medikamentös behandelt wurden.

Andererseits wirkten die persönlichen Bekundungen des Klägers im Termin auf den Senat nicht überzeugend. Seine Behauptung, dass im Krankenhaus F. überhaupt keine Röntgenbilder gemacht wurden, ist nachweisbar falsch. Übertreibungen hinsichtlich der Intensität der Beschwerden nach dem 23.08.1998 liegen nahe. Dass der Kläger nicht, wie er vorbringt, "die ganze Zeit vor Schmerzen bewusstlos" war, wird durch die vorhandenen ärztlichen Dokumentationen belegt.

Durch das Schmerzensgeld sind alle derzeit bekannten Beschwerden des Klägers, auch soweit sie noch andauern, erfasst.

2) Eine Haftung des Beklagten zu 2) nach den §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 a. F. BGB besteht nicht.

Ein Überwachungs- oder Organisationsverschulden des Beklagten zu 2) lässt sich nicht nachweisen. Wie der Beklagte zu 2) im Termin vor dem Landgericht erklärte, werden Eingriffe wie am 23.08.1998 im Krankenhaus F. nicht durch einen Arzt im Praktikum allein, sondern gemeinsam mit einem erfahrenen Arzt durchgeführt.

Die Beklagten haben zwar nicht nachweisen können, dass das im konkreten Fall so gehandhabt wurde. Die Dokumentation des Arztes im Praktikum P. spricht dagegen.

Ein Einzelfall belegt jedoch weder ein Organisationsverschulden, noch rechtfertigt er eine Beweislastumkehr. Der Patient ist durch die Rechtsprechung zur Anfängeroperation und zum Behandlungsfehler hinreichend geschützt.

Vom Chefarzt kann nicht verlangt werden, dass er jeden Sonntag, ohne Dienst zu haben, in der Ambulanz Aufsicht führt. Die Anordnung, grundsätzlich vor jedem Bagatelleingriff unabhängig von der konkreten Indikation eine Röntgenaufnahme durchzuführen, ist angesichts der damit verbundenen Strahlenbelastung und deren Kosten nicht gerechtfertigt. Diese Forderung haben auch die beiden Sachverständigen nicht erhoben.

Da es sich um eine ambulante Behandlung handelte, war der Beklagte zu 2) im Rahmen der Visite nicht mit dem Fall befasst.

§ 831 Abs. 2 BGB findet auf das Verhältnis zwischen Chefarzt und nachgeordneten Ärzten keine Anwendung.

3) Gegen den Beklagten zu 3) hat der Kläger ebenfalls keinen Anspruch nach den §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 a. F. BGB.

Aus der Tätigkeit als leitender Oberarzt, das heißt als Vertreter des Chefarztes, ergibt sich keine Haftung des Beklagten zu 3). Sie ist allenfalls wegen eines konkreten Überwachungsverschuldens denkbar. Dieses ist nicht bewiesen.

4) Auch gegen den Beklagten zu 4) besteht kein Anspruch des Klägers nach den §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 a. F. BGB

Einen Oberarzt trifft keine allgemeine Überwachungs- und Organisationspflicht. Im Übrigen wird auf die Ausführungen zu 2) verwiesen.

5) Der Beklagte zu 5) haftet dem Kläger weder aufgrund positiver Verletzung des Behandlungsvertrags und § 823 Abs. 1 BGB auf Schadenersatz noch nach § 847 Abs. 1 BGB a. F. auf Schmerzensgeld.

Ein Behandlungsfehler des Beklagten zu 5) ist nicht nachweisbar.

Der Sachverständige Prof. Dr. S. erklärte bei seiner Anhörung, ein Fehler des Beklagten zu 5) sei für ihn nicht erkennbar. Er habe als Hausarzt nach dem 23.08.1998 auf die Anweisungen des Krankenhauses vertrauen dürfen, zumal er nicht ausgebildeter Chirurg, sondern Internist gewesen sei. Dr. G. habe bei seinen Hausbesuchen eine Besserung festgestellt.

Die Dokumentation des Beklagten zu 5) ist trotz ihrer Knappheit laut Prof. Dr. S. ordnungsgemäß, wie er bei seiner Anhörung vor dem Landgericht erläuterte. Ins Einzelne gehende Beschreibungen der Wundsituation können von einem niedergelassenen Arzt bei einem routinemäßigen Verbandswechsel nicht gefordert werden. Beweiserleichterungen aufgrund unzureichender Dokumentation kommen nicht in Betracht.

Die Gebührenziffer 25 weist jeweils einen Hausbesuch aus. Das spricht dafür, dass der Beklagte zu 5) den Kläger zu den angegebenen Tagen besucht hat.

6) Eine Haftung des Beklagten zu 6) nach den §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 a. F. BGB kommt nicht in Betracht.

Mit den Vorgängen am 23.08.1998 hatte der Beklagte zu 6) nichts zu tun. Die Operation vom 08.09.1998 erfolgte fehlerfrei.

Hinsichtlich des Zinssatzes gelten die §§ 291, 288 a. F. BGB, da die Schmerzensgeldforderung vor dem 01.05.2000 fällig geworden ist.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus den §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Sie berücksichtigt, dass mit größeren, auf den Behandlungsfehler zurückzuführenden Zukunftsschäden nicht zu rechnen ist.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr.10, 713 ZPO.

Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, § 543 Abs. 2 ZPO.



Ende der Entscheidung

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