Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 29.07.2004
Aktenzeichen: 1 U 2965/04
Rechtsgebiete: Musterberufsordnung für Ärzte


Vorschriften:

Musterberufsordnung für Ärzte § 25
Die Wahrung der für die Geltendmachung von Ansprüchen aus einer Unfallversicherung bestehenden Ausschlussfrist ist grundsätzlich Sache des Patienten und nicht des Arztes.

Bedarf der Patient hierzu einer ärztlichen Bescheinigung, hat er in geeigneter Weise darauf hinzuwirken und dafür zu sorgen, dass diese rechtzeitig vorliegt.

§ 25 Satz 2 der Musterberufsordnung für Ärzte statuiert keine bestimmte Frist für das Erstellen von Gutachten und Zeugnissen, nach deren Verstreichen der Arzt vom Patienten automatisch in die Pflicht genommen werden könnte.

Es besteht grundsätzlich auch keine vertragliche Nebenpflicht des Arztes, bei Erstellung von Attesten und Bescheinigungen für eine Versicherung für deren fristgemäße Vorlage zu sorgen.


IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

Aktenzeichen 1 U 2965/04

Verkündet am 29.07.2004

In dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatzes

erlässt der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht K. und die Richter am Oberlandesgericht R. und S. aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 29.7.2004 folgendes

ENDURTEIL:

Tenor:

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 31.3.2004 wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Auf die tatsächlichen Feststellungen im landgerichtlichen Urteil, hinsichtlich derer sich in der Berufungsinstanz keine Änderungen ergeben haben, wird zunächst Bezug genommen.

Der am 1.7.1976 geborene Kläger hatte am 29.5.1999 einen Fahrradunfall erlitten, bei dem er erheblich verletzt wurde. Unter anderem verlor er hierdurch seinen Geruchs- und Geschmackssinn und die Sehkraft auf dem rechten Auge.

Bei der A. Versicherung AG bestanden für den Kläger zwei Unfallversicherungen.

§ 7 Abs. 1 der Versicherungsbedingungen sah bei einer unfallbedingten Invalidität einer versicherten Person vor Vollendung des 25. Lebensjahres zu mindestens 70 % vor, dass die vierfache Invaliditätsleistung erbracht werde.

§ 7 Abs. 1 (1) a der vorgenannten Bedingungen verlangt die schriftliche Feststellung der Invalidität durch einen Arzt spätestens 15 Monate nach dem Unfall.

Am 28.6.2000 begab sich der Kläger zur Feststellung unfallbedingter neurologischer Defizite in die Behandlung des Beklagten und erbat von diesem eine neurologische Untersuchung und die Erstellung einer Bescheinigung für die Unfallversicherung, um Ansprüche geltend zu machen.

Mit Datum vom 15.9.2000 stellte der Beklagte dem Kläger die ärztliche Bescheinigung zur Vorlage bei der Allianz Versicherungs-Bank AG auf einem Formblatt der Versicherung aus (Anlage K 10).

Der Kläger hat in erster Instanz vorgetragen, der Beklagte habe fehlerhaft eine dauernde unfallbedingte Invalidität auf neurologischem Gebiet mit einem Beeinträchtigungsgrad von 20 % übersehen und nicht attestiert.

Darüber hinaus habe der Beklagte trotz einer vom Kläger geschilderten Eilbedürftigkeit und trotz mehrfacher Nachfrage durch den Kläger das Versicherungsformblatt erst am 15.9.2000 zur Übermittlung an die Allianz Versicherungs-Bank AG ausgefüllt. Dies sei aus mehreren Gründen schuldhaft verspätet gewesen.

Der Kläger hat deshalb in erster Instanz beantragt,

der Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger Ersatz für den durch das fehlerhafte und zu spät erstellte Attest entstandenen Schaden in Höhe von 132.301,-- € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz hieraus seit Klagezustellung zu bezahlen.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Er hat vorgetragen, weder aufgrund einer Vorgabe des Klägers noch aufgrund gesetzlicher Regelungen oder sonstiger ärztlicher Obliegenheiten veranlasst gewesen zu sein, innerhalb einer konkreten Frist die Bescheinigung zu erstellen.

Das Landgericht hat die Klage mangels Pflichtverletzung des Beklagten als unbegründet abgewiesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er seinen Klageantrag aus erster Instanz in vollem Umfang und im Wesentlichen mit derselben Begründung wie in erster Instanz weiterverfolgt.

Er ist der Auffassung, unabhängig von einer etwaigen Monierung durch den Kläger sei der Beklagte wegen positiver Vertragsverletzung des Arztvertrages zum Schadensersatz verpflichtet, da ihm auf alle Fälle bekannt sein habe müssen, dass Versicherungsleistungen aus privaten Unfallversicherungen regelmäßig Ausschlussfristen unterliegen und er gemäß § 25 der Musterberufsordnung für Ärzte verpflichtet gewesen sei, das Attest in angemessener Frist abzugeben. Auch habe der Beklagte letztlich in seinem Schreiben vom 10.11.2000 an die Allianz seinen Fehler eingeräumt.

Der Beklagte hat Zurückweisung der Berufung beantragt.

Er sieht sich keinerlei Pflichtverletzung für schuldig.

Eine Beweisaufnahme durch den Senat war nicht veranlasst.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Ein Anspruch des Klägers besteht aus den bereits vom Landgericht genannten Gründen, auf die zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, nicht.

Es fällt nicht in den Verantwortungsbereich des Beklagten, dass die Unfallversicherung des Klägers weitere Leistungen, wie vom Kläger vorgestellt, wegen Ablaufs der Ausschlussfrist des § 7 Abs. 1 der Versicherungsbedingungen ablehnte.

Zwar wurde die zur Fristwahrung erforderliche, vom Beklagten erstrebte ärztliche Bescheinigung erst nach Ablauf der zum 29.8.2000 endenden Frist, nämlich am 15.9.2000, ausgestellt. Dieser Umstand führt jedoch, unabhängig vom Inhalt der Bescheinigung, auf den es wegen des Fristablaufs nicht mehr ankam, für den Beklagten zu keinerlei haftungsrechtlichen Folgen.

1. Es ist zunächst ureigenste und alleinige Obliegenheit des Klägers, dafür zu sorgen, dass eine zur Erlangung von Versicherungsleistungen erforderliche ärztliche Bescheinigung rechtzeitig erstellt wird und bei der Versicherung vorliegt.

An der Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten hat es der Kläger jedoch erheblich missen lassen.

Ohne dies näher zu erklären, hat sich der Kläger unter Inkaufnahme einer Verkürzung der ihm dann noch verbleibenden Frist erst 13 Monate nach dem Unfall um die erforderliche ärztliche Bescheinigung bemüht.

Auch den Umstand, dass die Bescheinigung erst nach Fristablauf bei der Versicherung vorlag, hat der Kläger nicht unmittelbar nach Ablauf der Frist erfahren, sondern zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt, als er sich bei der Versicherung erkundigte und dabei erfuhr, dass die Bestätigung erst am bzw. nach dem 15.9.2000 eingegangen war.

2. Die feststellbare Nachlässigkeit des Klägers in der Wahrnehmung der eigenen Angelegenheiten versucht dieser durch eine Konstruktion von Pflichten des Beklagten und behauptete Pflichtenverstöße zu kompensieren.

Dies führt jedoch nicht zum Erfolg.

Der Beklagte hat weder allgemein bestehende ärztliche Pflichten verletzt noch sich aufgrund besonderer Umstände im Fall des Klägers einer Pflichtverletzung schuldig gemacht.

a) Der Kläger geht zunächst fehl darin, wenn er meint, § 25 der Musterberufsordnung für Ärzte, der in seinem Wortlaut im Wesentlichen § 25 der Berufsordnung für die Ärzte Bayerns vom 12.10.1997 entspricht, begründe eine sanktionierte Pflicht, dass der Arzt innerhalb einer ganz bestimmter, hier verstrichenen Frist, eine Bescheinigung auszustellen habe.

Die Berufsordnung für die Ärzte Bayerns, die gemäß Präambel die Überzeugung der Bayerischen Ärzteschaft zum Verhalten von Ärzten gegenüber den Patienten, den Kollegen, den anderen Partnern im Gesundheitswesen sowie zum Verhalten in der Öffentlichkeit darstellt, dient dem Ziel, das Vertrauen zwischen Arzt und Patient zu erhalten und zu fördern, die Qualität der ärztlichen Tätigkeit sicherzustellen, die Freiheit und das Ansehen des Arztberufes zu wahren und berufswürdiges Verhalten zu fördern sowie berufsunwürdiges Verhalten zu verhindern.

Soweit in § 25 Satz 2 der vorgenannten Berufsordnung bestimmt ist, dass Gutachten und Zeugnisse, zu deren Ausstellung der Arzt verpflichtet ist oder die auszustellen er übernommen hat, innerhalb einer angemessenen Frist abzugeben sind, folgen daraus jedenfalls keine konkreten, in das Behandlungsverhältnis übertragenen Pflichten des Arztes, wie der Kläger sie sich vorstellt.

Was als angemessene Frist im Sinne dieser Vorschrift zu gelten hat, ist zum einen nicht festgelegt, vielmehr einer von Fall zu Fall vorzunehmenden Interpretation zugänglich. Eine bestimmte angemessene Frist für alle Fälle gibt es nicht. Das Ansetzen einer Zwei-Wochen-Frist, wie es der Kläger unternimmt, erscheint willkürlich.

Darüber hinaus lässt sich die Antwort, welche Frist als angemessen im Sinne der Berufsordnung gelten könnte, nicht in der Weise auf das Arzt-Patienten-Verhältnis übertragen, dass bei Fristüberschreitung ohne weiteres die vom Patienten hieran geknüpften weitreichenden Haftungsfolgen treten.

b) Unabhängig von den Regeln in der Berufsordnung bestand für den Beklagten auch nicht anderweitig die vertragliche Nebenpflicht, bei Erstattung von Attesten für eine Versicherung sich von sich aus der Fristfrage anzunehmen und um die fristgemäße Vorlage von Attesten bzw. Bescheinigungen bemüht sein zu müssen.

aa) Dem Beklagten war es nicht bekannt und musste es ohne Hinweis durch den Kläger auch nicht bekannt sein, dass in Fällen wie demjenigen des Klägers bestimmte Fristen laufen, die peinlich genau einzuhalten wären.

bb) Soweit eine Pflichtverletzung des Beklagten überhaupt in Frage kommen konnte, hätte diese zur Voraussetzung, dass der Kläger den Beklagten auf die Eilbedürftigkeit und den drohenden Fristablauf hingewiesen hat. Dies ist jedoch nicht geschehen.

Zwar hat der Kläger solches behauptet. Der Beklagte hat das jedoch in Abrede gestellt.

Beweis für seine Behauptung hat der Kläger weder angeboten noch geführt.

Das Landgericht hat zu Recht davon abgesehen, den Kläger hierzu zu hören, da nichts dafür spricht, dass der Vortrag des Klägers zuträfe.

So konnte dieser weder angeben, mit wem konkret er in der Praxis des Beklagten zum Zwecke der Monierung des Attestes gesprochen haben will, noch, wann dies der Fall gewesen wäre. Auch spricht nicht das geringste dafür, dass der Kläger den Beklagten selbst bei der Untersuchung oder zu einem späteren Zeitpunkt auf die laufende Frist hingewiesen habe.

In einer in finanzieller Hinsicht auch für den Kläger erkennbar so eminent wichtigen Angelegenheit wäre es zu erwarten und zu fordern gewesen, dass er sich zumindest Notizen macht, sich Uhrzeit und Namen des Gesprächspartners notiert. Nichts dergleichen ist geschehen.

Wenn der Kläger weiter vorträgt, in der Praxis des Beklagten (wann?) die Auskunft erhalten zu haben, dass die Bescheinigung bereits an die Versicherung geschickt worden sei, hätte es mehr als nahe gelegen, vor Ablauf der Frist bei der Versicherung anzurufen, um dort in Erfahrung zu bringen, ob diese Auskunft tatsächlich zutrifft. Auch dies hat der Kläger nicht unternommen.

c) Letztlich führt auch die vom Beklagten - gefälligkeitshalber - für den Kläger ausgestellte Bescheinigung vom 10.11.2000 nicht zu einer Haftung.

In dieser Bescheinigung wird lediglich zum Ausdruck gebracht, dass der Beklagte die Bescheinigung verspätet erstellt hat. Dies ist insoweit unstreitig, als zwischen dem Aufsuchen des Beklagten durch den Kläger und dem Niederlegen des Attestes mehrere Wochen verstrichen sind.

In der Bestätigung kommt jedoch nicht ansatzweise zum Ausdruck, dass der Beklagte von einer bestimmten laufenden Frist gewusst hätte. Ebenso wenig übernimmt der Beklagte darin weder ausdrücklich noch konkludent die Verantwortung dafür, dass ein Teil der möglichen Versicherungsleistung nicht an den Kläger ausbezahlt wurde.

Darauf, ob vom Beklagten fehlerhaft die vom Kläger behaupteten neurologischen Defizite nicht attestiert bzw. nicht mit dem Unfallgeschehen in Zusammenhang gebracht wurden, kam es nicht mehr an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit bestimmt sich nach den §§ 708 Ziff. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 543 Abs. 2 ZPO).



Ende der Entscheidung

Zurück