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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 03.08.2004
Aktenzeichen: 1 U 3245/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1666
BGB § 1666 a
BGB § 839 Abs. 1
Die ihm durch einen gerichtlichen, auf §§ 1666,1666 a BGB beruhenden Beschluss überantwortete Pflicht eines Kreisjugendamts, für die Unterbringung eines jugendlichen mehrfachen Straftäters in einer sozialpädagogischen Einrichtung zu sorgen, ist grundsätzlich nicht drittschützend im Sinne von § 839 Abs. 1 BGB.

Wird bei unterlassener Durchführung der Maßnahme ein anderer das Opfer von Straftaten des Unterzubringenden, steht ihm deshalb kein Amtshaftungsanspruch zu.


Aktenzeichen: 1 U 3245/04

In dem Rechtsstreit

wegen Schadenersatzes

erlässt der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch die unterzeichnenden Richter am 3.8.2004 folgenden

Beschluss:

Tenor:

Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Gründe:

I.

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg.

Das Landgericht hat nach eingehender Prüfung der Sach- und Rechtslage Ansprüche der Klägerin verneint. Dem schließt sich der Senat unter Bezugnahme auf die Gründe des landgerichtlichen Urteils an.

Der Vortrag der Klägerin in der Berufungsbegründung ist nicht geeignet, zu einem anderen Ergebnis zu führen.

Ergänzend ist auszuführen:

Ansprüche der Klägerin scheiden bereits deshalb aus, da keine ihr gegenüber bestehende Amtspflicht verletzt wurde.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Geschädigte dann "Dritter" i.S. des § 839 I 1 BGB, wenn die Amtspflicht - nicht notwendig allein, so doch auch - den Zweck hat, gerade sein Interesse wahrzunehmen. Nur wenn sich aus den die Amtspflicht begründenden und sie umreißenden Bestimmungen sowie aus der besonderen Natur des Amtsgeschäfts ergibt, dass der Geschädigte zu dem Personenkreis zählt, dessen Belange nach dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts geschützt und gefördert werden sollen, besteht ihm gegenüber bei schuldhafter Pflichtverletzung eine Schadensersatzpflicht. Es muss mithin eine "besondere Beziehung" zwischen der verletzten Amtspflicht und dem Geschädigten bestehen. Anderen Personen gegenüber ist, selbst wenn die Amtspflichtverletzung sich für sie mehr oder weniger nachteilig ausgewirkt hat, eine Ersatzpflicht nach § 839 BGB nicht begründet (Schlick / Rinne, Die Rechtsprechung des BGH zum Staatshaftungsrecht (Teil 1), in NVwZ 1997, 1065).

So ist es aber im Fall der Klägerin.

Der amtsgerichtliche Beschluss vom 28.2.2000, der die Unterbringung von M. M. in einer sozialpädagogischen Einrichtung anordnete und dies in die Verantwortung des Kreisjugendamtes R. stellte, beruht auf §§ 1666, 1666 a BGB.

Diese Normen bezwecken ausschließlich den Schutz des Kindes. Dementsprechend sieht das Amtsgericht den Erlass seines Beschlusses auch allein deshalb für erforderlich an, da durch unverschuldetes Versagen seiner Eltern das geistige und seelische Wohl M.s gefährdet sei.

Dass zur Begründung dieser Feststellung auf bereits 39 vorliegende Strafanzeigen gegen M. Bezug genommen wurde und dessen fortwährende Begehung von Straftaten zumindest gewichtiger Mitauslöser für den gerichtlichen Beschluss waren, bedeutet nicht, dass durch eine Unterbringung des Minderjährigen - die pflichtwidrig unterlassen zu haben die Klägerin dem Beklagten zum Vorwurf macht - auch das Interesse Dritter, nicht Opfer von Straftaten des M. M. zu werden, geschützt sein sollte.

Die Allgemeinheit ist, wie es das Landgericht bereits zutreffend begründet hat, allenfalls faktisch im Sinne eines bloßen Rechtsreflexes geschützt.

Die von der Rechtsprechung zur Frage der Amtspflichtverletzung durch die Staatsanwaltschaft entwickelten Grundsätze können für den vorliegenden Fall zum Teil entsprechend herangezogen werden. Dabei gilt es allerdings zu beachten, dass der Staatsanwaltschaft als Organ der Strafrechtspflege gerade die Strafverfolgung im Interesse der Allgemeinheit obliegt und ihr auch im Präventivbereich gewisse Aufgaben zukommen, wohingegen das auf das Kreisjugendamt in dieser Weise nicht zutrifft und dort das Interesse des Kindes bzw. Jugendlichen im Vordergrund steht.

Bereits das Reichsgericht hat entschieden, dass die Verfolgung von Straftaten durch die Staatsanwaltschaft nur im öffentlichen Interesse erfolgt, so dass weder der Geschädigte noch sonstige Drittbeteiligte bei einer Verletzung hierauf bezogener Amtspflichten Ansprüche herleiten können. Dem hat sich der Bundesgerichtshof angeschlossen.

Eine Amtspflicht der Staatsanwaltschaft zum Einschreiten im Interesse der möglicherweise von einer Straftat Betroffenen ist danach nicht gegeben (BGH, Beschluss vom 28.3.1996, III ZR 141/95 = NJW 1996, 2373). Die Pflicht der Staatsanwaltschaft zur Verfolgung strafbarer Handlungen, zur Verhaftung eines Beschuldigten etc. besteht nur im öffentlichen Interesse. Ihre Unterlassung kann daher in aller Regel nicht eine Amtspflicht gegenüber dem durch die Straftat Geschädigten verletzen (vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7.8.1995, 18 W 5/95 = NJW 1996, 530). Anders kann es sich allenfalls dann verhalten, wenn der Staatsanwaltschaft in einem laufenden Ermittlungsverfahren konkrete Schutzpflichten gegenüber dem durch eine Straftat Geschädigten erwachsen, etwa zur Sicherstellung der Diebesbeute im Interesse des Bestohlenen.

Die genannten Grundsätze gelten auch für die Verhütung von Straftaten, um die es im Falle der Klägerin geht (so auch BGH, a.a.O.). Dass die Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaft mittelbar auch der Verhütung von Straftaten dient, führt nicht zu einem anderen Ergebnis, denn auch insoweit bezweckt die Erfüllung der Amtspflicht nur den Schutz der Allgemeinheit vor der Begehung weiterer Straftaten; der einzelne Bürger ist nur als Teil der Gemeinschaft in den "Schutz" hoheitlichen Handelns einbezogen. Die für die individuelle Drittbezogenheit erforderliche "besondere Beziehung" besteht in einem solchen Fall, in dem der einzelne nur als Glied der Allgemeinheit Adressat der Amtspflichten der Staatsanwaltschaft ist, gerade nicht, weil sein Interesse, von Straftaten verschont zu bleiben, den Interessen der gesamten Rechtsgemeinschaft gleichzusetzen ist (OLG Düsseldorf, a.a.O., m.w.N.).

Auch wenn man anderen Stimmen in der Literatur folgen wollte, in der diese Rechtsprechung nicht auf ungeteilte Zustimmung gestoßen ist, ergibt sich für die Klägerin nichts anderes. Es mag sein, dass dann, wenn die Staatsanwaltschaft von der Gefahr einer Schädigung eines Bürgers Nachricht erhält, und diese Gefahr konkret durch umfangreiche belegte Materialien nachgewiesen wird, der Dritte unmittelbar in den Kreis der Personen eintritt, die die Staatsanwaltschaft zu schützen hat. In solchen Fällen mag die Staatsanwaltschaft nicht nur dem Schutz der Allgemeinheit zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung dienen sondern auch verpflichtet sein, Hilfe zu gewähren und das unverzüglich (Hörstel, Staatshaftung wegen Verschleppung staatsanwaltlicher Ermittlungen, in NJW 1996, 497). Ein derart konkret bezeichneter Gefährdeter mag Dritter im Sinne des § 839 BGB sein. Für die Klägerin trifft dies jedoch nicht zu.

Mit den Aufgaben der Polizei, strafbare Handlungen zu verhüten, lassen sich die Aufgaben des Kreisjugendamtes nicht vergleichen.

Soweit der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung aus der Nachkriegszeit (BGH, Urteil vom 30.4.1953, III ZR 204/52 = LM § 839 (Fg) BGB Nr. 5) die Pflicht der Polizei zur Verhütung strafbarer Handlungen als Amtspflicht angesehen hat, die gegenüber jedem besteht, dessen Rechtskreis durch eine Verletzung dieser Pflicht gefährdet ist, lässt sich dies bereits im Hinblick auf die ganz andere Zielrichtung des Wirkens der Jugendämter nicht auf den vorliegenden Fall übertragen.

Da es bereits an einer drittgerichteten Amtspflicht fehlt, kam es auf die weiteren Umstände, die einem Anspruch der Klägerin im Wege stehen, nicht mehr an.

So kann darüber hinaus, nicht zuletzt aufgrund der Chronologie der unter Beweis gestellten Bemühungen des Jugendamtes und der im weiteren Verfahren nach Erlass des amtsgerichtlichen Beschlusses aufgetretenen, vom Jugendamt nicht zu verantwortenden Schwierigkeiten auch ein schuldhaftes Verhalten der Bediensteten des Beklagten nicht erkannt werden.

Nur am Rande sei bemerkt, dass auch hinsichtlich der Kausalität die größten Bedenken bestehen.

II.

Da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und eine Entscheidung des Berufungsgerichts auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist, liegen auch die weiteren Voraussetzungen für einen Zurückweisungsbeschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO vor.

Der Klägerin wird angeraten, ihre Berufung zurückzunehmen.

Die Parteien erhalten Gelegenheit, bis zum 23.8.2004 Stellung zu nehmen.

Bemerkung zu Sachverhalt:

Dem Kreisjugendamt war durch amtsgerichtlichen Beschluss die Heimunterbringung eines jugendlichen Straftäters übertragen.

Das Kreisjugendamt kam dem einige Monate lang nicht nach. Der Jugendliche brach in dieser Zeit den Wagen der Klägerin auf und fuhr ihn zu Schrott. Von ihm und seinen Eltern ist nichts zu holen.

Im Weg der Amtshaftungsklage versuchte die Geschädigte, Schadensersatz vom Landkreis zu erhalten.



Ende der Entscheidung

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