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Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 25.10.2001
Aktenzeichen: 1 U 3303/01
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, GG, GKG
Vorschriften:
ZPO § 144 | |
ZPO § 156 | |
ZPO § 539 | |
ZPO § 540 | |
ZPO § 546 Abs. 2 | |
BGB § 839 | |
GG Art. 34 | |
GKG § 8 |
OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Aktenzeichen: 1 U 3303/01
Verkündet am 25.10.2001
In dem Rechtsstreit
wegen Schadensersatzes
erläßt der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht und aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 5. Juli 2001 folgendes
Endurteil:
Tenor:
I. Auf die Berufung der Beklagten hin wird das Grundurteil des Landgerichts Kempten vom 26.2.2001 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Kempten zurückverwiesen.
II. Die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens werden niedergeschlagen.
III. Der Wert der Beschwer beträgt für beide Parteien 296.333,85 DM.
Tatbestand:
Die Kläger begehren von der Beklagten Ersatz des Hochwasserschadens, den sie am 22.5.1999 an ihrem früheren Anwesen in erlitten haben.
Die Beklagte ist die Gemeinde, in deren Gebiet das vorgenannte Anwesen gelegen ist und Trägerin der örtlichen Feuerwehr.
Die Kläger erwarben das Anwesen, an dessen südlicher Grenze die in einem Abstand von 16 bis 20 m vorbeifließt, 1984 für einen Kaufpreis von 385.000,-- DM. In den Folgejahren wurde das Anwesen von den Klägern umfassend renoviert, so daß es Anfang Mai 1999 einen Wert von ca. 450.000,-- DM hatte.
In der Woche vor Pfingsten 1999 stieg der Wasserstand der aufgrund lang anhaltender Regenfälle so stark an, daß die Überflutung des nordwestlichen Wertachdammes im südlichen Gemeindebereich von befürchtet werden mußte. In der Nacht zum Pfingstsamstag (22.5.1999) begann die Feuerwehr der Beklagten Sandsäcke entlang des Dammweges aufzuschichten. Gleichzeitig bildete sich auf der zwischen der und dem gelegenen Wiese" ein ständig ansteigender See. In der Wiese liegt ein Kontrollschacht des zur führenden Entwässerungskanals, der das Oberflächenwasser aus der Siedlung abführen soll. Die Ausflußöffnung des Kontrollschachtes in der Wiese, die ursprünglich mit einem an den betonierten Kanalabfluß angeschraubten Deckel versehen war, ist nicht durch ein Rückstauventil gesichert. Nachdem die Ausflußöffnung des Kanals im durch das Hochwasser überflutet worden war, wurde der Deckel durch den Druck des steigenden Wassers abgesprengt. Es gelang nicht, die Ausflussöffnung durch Auflegen von Sandsäcken abzudichten, da diese sofort weggespült wurden. Die Oberkante des Schachtes in der Wiese liegt bei 697,84 m. Der Pegel eines 100-jährigen Hochwassers bei 697,40 m.
Zum Hochwasser der kamen am Pfingstwochenende starke Niederschläge von 90 l/m² in 24 Stunden am 21.5.1999 (50-jähriger Regenfall) und 11 l/m² in 24 Stunden am 22.5.1999 hinzu.
Da das Wasser auf der "Wiese" weiter anstieg, wurden von der Feuerwehr der Beklagten an der südwestlichen Einmündung des und quer über den zwischen dem Anwesen der Kläger und der gelegenen Dammweg Sandsackbarrieren errichtet. Am 22.5.1999 gegen 14.00 Uhr überstieg das aufgestaute Wasser die etwa 40 cm hohe Grundstücksbegrenzungsmauer des Anwesens des Klägers und überflutete den gesamten Keller und bis in eine Höhe von 20 cm auch das Erdgeschoß des Wohngebäudes. Durch den Wasserdruck brachen die Befestigungen der Öltanks im Keller, was zum Austritt größerer Mengen Öls führte.
Die Kläger haben im ersten Rechtszug behauptet, daß die Überschwemmung ihres Anwesens auch durch Wasser verursacht worden sei, das über den Entwässerungskanal auf die "Wiese" ausgetreten sei. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, dies durch ein Rückstauventil zu verhindern. Ferner wäre die Beklagte verpflichtet gewesen, die Kanalöffnung nach der Sprengung des Deckels wieder abzudichten. Zudem wäre es der Feuerwehr der Beklagten möglich gewesen, die Überschwemmung des Grundstücks der Kläger durch den Einsatz leistungsfähiger Pumpen zu begrenzen. Zudem habe die Feuerwehr der Beklagten die Überflutung des Grundstücks der Kläger aktiv dadurch gefördert, daß sie durch die Errichtung von Sandsackbarrieren vor der südwestlichen Einmündung des weges und quer über den Dammweg das Wasser vor der nur ca. 40 cm hohen Gartenbegrenzungsmauer der Kläger aufgestaut habe. Zudem habe es die Beklagte unterlassen, eine Sandsackbarriere vor der Gartenmauer der Kläger und dem darauf angebrachten Holzzaun zu errichten. Die Beklagte habe es auch versäumt, die Öltanks im Keller des Anwesens der Kläger leerzupumpen oder zu sichern bzw. die Kläger zu veranlassen, eine Fachfirma damit zu beauftragen. Vielmehr habe eine Hilfskraft der Beklagten den Klägern erklärt, daß es ausreiche, die Ölzufuhr zum Brenner zu schließen. Durch das Hochwasser sei ein Schaden von 296.333,85 DM entstanden. Diesen müsse die Beklagte den Klägern ersetzen, da sie die Überflutung des Grundstücks der Kläger durch die Errichtung von Sandsackbarrieren aktiv gefördert habe.
Wenn diese statt quer über den Dammweg vor der Zufahrt des klägerischen Anwesens errichtet worden wären, hafte sich das Hochwasser großflächiger verteilt und auf einer Mehrzahl von Grundstücken allenfalls geringen Schaden verursacht.
Die Kläger haben im ersten Rechtszug beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger DM 296.333,85 nebst 8,42 % Zinsen seit 26.2.2000 zu bezahlen.
Die Beklagte hat im ersten Rechtszug Klageabweisung beantragt.
Sie hat geltend gemacht, ein Rückstauventil im Kanal sei nicht nötig gewesen, da die Schachtkante in der "Wiese" 44 cm über dem Pegel eines 100-jährigen Hochwassers der liegt. Im übrigen sei das Hochwasser auf der "Wiese" kein aus der stammendes Wasser gewesen, sondern nicht mehr über den Kanal abfließendes Oberflächenwasser. Die Sandsackbarrieren seien dort errichtet worden, wo dies zum jeweiligen Zeitpunkt für sinnvoll und wirkungsvoll erachtet worden sei. Im übrigen habe sie nicht schuldhaft gehandelt, da die Überschwemmung als Naturkatastrophe auf höherer Gewalt beruhe. Das Abpumpen eines Öltanks gehöre ohnehin nicht zu ihrem Aufgabenbereich. Außerdem sei ein erhebliches Mitverschulden der Kläger darin zu sehen, daß diese ihr Eigentum nicht ausreichend geschützt hätten.
Das Landgericht hat, nachdem die Kläger den Anspruch bis dahin nur auf Amtspflichtverletzung gestützt hatten und sich die Beklagte mit dem Einwand verteidigt hatte, daß ihr keine Pflichtwidrigkeit und auch kein Verschulden zur Last falle, im Termin vom 29.1.2001, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen wurde und aufgrund dessen das Endurteil vom 26.2.2001 erging, die Parteien erstmals darauf hingewiesen, daß der Anspruch der Klage/ auch aus enteignendem Eingriff gegeben sein könnte. Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 16.2.2001, eingegangen am 17.2.2001, leiteten die Kläger nunmehr ihren Anspruch auch aus verschuldensunabhängiger Staatshaftung wegen enteignungsgleichem oder enteignendem Eingriff her. Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 16.2.2001, eingegangen am 19.2.2001, behauptete die Beklagte, daß ohne die Sandsackbarrieren das Hochwasser von Anfang an das klägerische Anwesen überschwemmt hätte. Die Errichtung der Sandsackbarriere habe den Schadenseintritt bei den Klägern somit nicht verursacht, sondern vielmehr verzögert. Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung durch das Landgericht erfolgte nicht. Beweise hat das Landgericht nicht erhoben.
Mit dem Prozeßbevollmächtigten der Beklagten am 1.3.2001 zugestelltem Urteil vom 26.2.2001 hat das Landgericht den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. ES hat ausgeführt, daß den Klägern mangels Pflichtverletzung und Verschuldens zwar kein Amtshaftungsanspruch gegen die Beklagte zustehe, die Klage jedoch jedenfalls dem Grunde nach aus enteignendem Eingriff gerechtfertigt sei, da den Klägern im Interesse der Allgemeinheit durch die Errichtung der Sandsackbarrieren ein Sonderopfer auferlegt worden sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Urteil des Landgerichts Kempten vom 26.2.2001 verwiesen.
Hiergegen richtet sich die am 30.3.2001 eingegangene und am 30.4.2001 begründete Berufung der Beklagten.
Die Beklagte macht geltend, in dem Gebäude der Klägerin habe schon vor dem Eindringen des Hochwassers das Grundwasser 30 cm hoch gestanden. Selbst wenn die Feuerwehr keine Sandsackbarriere quer zum Dammweg errichtet hätte, wäre das Grundstück der Kläger gleichfalls über den etwas höher gelegenen Eingangsbereich überflutet worden. Die Kläger hätten pflichtwidrig nichts unternommen, ihr Grundstück abzusichern. So hätten sie nicht einmal die Kellerlichtschächte mit den bereit liegenden Sandsäcken abgesichert. Auf diese Weise wäre das Eindringen des Hochwassers in das Gebäude zu verhindern gewesen. Art. 27 Abs. 1 BayFwG sei im übrigen lex specialis zum Rechtsinstitut des enteignenden Eingriffs.
Die Beklagte beantragt:
1) Das Grundurteil des Landgerichts Kempten vom 26.2.2001 - 3 O 1358/00 - wird aufgehoben.
2) Die Klage wird kostenpflichtig abgewiesen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie machen geltend, die Feuerwehr der Beklagten habe das Hochwasser vor dem Grundstück der Kläger aufgestaut, anstatt es in die Siedlung abfließen zu lassen. Ohne die Sandsackbarrieren hätte sich das Hochwasser weiträumig über den Tegelbergweg und den Dammweg auf die Siedlung verteilt. Es sei nicht möglich gewesen, sämtliche Lichtschächte abzudecken. Außerdem sei das Wasser auch über die Terrassentür eingedrungen. Es sei erforderlich gewesen, daß die Beklagte einen Schieber an der Ausflußöffnung des Entwässerungskanals anbringt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die Berufungsbegründung vom 27.4.2001, die Berufungserwiderung vom 11.6.2001 und das Sitzungsprotokoll vom 5.7.2001 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Auf die zulässige Berufung der Beklagten hin war das Urteil des Landgerichts Kempten vom 26.2.2001 aufzuheben und der Rechtsstreit an das Landgericht Kempten zurückzuverweisen (§§ 539, 540 ZPO), da das Landgericht das Vorbringen der Beklagten zur Kausalität aus dem nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 16.2.2001 nicht übergehen durfte, sondern vielmehr gehalten war, die mündliche Verhandlung gemäß § 156 ZPO wieder zu eröffnen und Sachverständigenbeweis zu erheben.
1. a) Das Landgericht hat erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 29.1.2001, auf die hin das Grundurteil vom 26.2.2001 erging, nachdem bis dahin die Klage auf Amtspflichtverletzung (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) gestützt worden war und sich die Beklagte in erster Linie damit verteidigt hatte, daß ihr weder Pflichtwidrigkeit noch Verschulden zur Last falle, darauf hingewiesen, daß der Anspruch auch aus enteignendem Eingriff gerechtfertigt sein könnte. Auf dieses Rechtsinstitut, das bis zur mündlichen Verhandlung vom 29.1.2001 von beiden Parteien ersichtlich übersehen worden war, hat das Landgericht seine dem Grunde nach dem Klagebegehren stattgebende Entscheidung vom 26.2.2001 unter Ablehnung von Amtshaftungsansprüchen mangels Pflichtwidrigkeit und Verschulden auch gestützt. Für die Beklagte ergab sich durch den Hinweis des Gerichts auf die Anspruchsgrundlage enteignender Eingriff eine völlig neue prozessuale Lage, da die von der Beklagten gegenüber dem Amtshaftungsanspruch geltend gemachten Gesichtspunkte der fehlenden Pflichtwidrigkeit und des fehlenden Verschuldens gegenüber dem Anspruch aus enteignendem Eingriff nicht durchgreifen. Die Beklagte hatte folglich nunmehr allen Anlaß, ihr bisheriges rudimentäres Vorbringen zur Kausalität aus dem Schriftsatz vom 21.7.2000 (Seiten 3 und 4) zu vertiefen. Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 16.2.2001, eingegangen am 19.2.2001, hat die Beklagte deshalb behauptet, daß die Sandsackbarriere nicht, wie von den Klägern vorgetragen, durch Aufstauung des Hochwassers die Überschwemmung des Grundstückes der Kläger verursacht habe, sondern vielmehr dessen Überschwemmung, wenn auch nicht verhindert, immerhin verzögert habe. Wenn es aus der Sicht der Beklagten auch nahegelegen hätte, sich im Termin vom 29.1.2001 eine Schriftsatzfrist auszubedingen, durfte das Landgericht das vorgenannte Vorbringen der Beklagten aus dem Schriftsatz vom 16.2.2001 dennoch nicht übergehen, da das Gericht gehalten war, die Parteien auf einen wesentlichen, von diesen bisher offenkundig übersehenen Gesichtspunkt, auf den das Gericht seine Entscheidung zu stützen gedachte, entweder rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung hinzuweisen oder den Parteien durch Schriftsatzfrist oder Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung Gelegenheit zur nachträglichen Stellungnahme zu geben. Der Prozeßgrundsatz des rechtlichen Gehörs hätte folglich die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß § 156 ZPO geboten.
b) Der vorgenannte Verfahrensfehler ist wesentlich im Sinne von § 539 ZPO, da das Landgericht, wenn es das Vorbringen der Beklagten zur Kausalität berücksichtigt hätte, über diese, da Voraussetzung eines Anspruches aus enteignendem Eingriff, auf Parteiantrag oder von Amts wegen gemäß § 144 ZPO Sachverständigenbeweis hätte erheben müssen.
Auch ein Grundurteil hätte nicht ergehen können, solange die ernsthafte Möglichkeit bestand, daß sich bei näherer Prüfung ein den Gegenstand der Klage bildender Schaden nicht feststellen läßt (BGH VersR 1980, 867/868 m.w.N.).
c) Der Senat hat davon abgesehen, in der Sache selbst zu entscheiden, da es nicht, unter Verlust einer Instanz für die Parteien, Aufgabe des Berufungsgerichts sein kann, einen komplexen und umfangreichen Sachverständigenbeweis anstelle des Landgerichts zu erheben (§ 540 ZPO).
2. Der Senat hält es nicht für sinnvoll, derartige in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht schwierige Fälle auf eine Proberichterin als Einzelrichterin zu übertragen. Der Streitwert ist ebenfalls erheblich. Der Senat verkennt nicht, daß die Einzelrichterin sorgfältig und gewissenhaft gearbeitet hat. Augenscheinlich fehlt ihr jedoch, was auch nicht verwunderlich ist, die forensische Erfahrung, daß sich derartige Prozesse in aller Regel nicht ohne sachverständige Hilfe entscheiden lassen.
3. Für das weitere Verfahren wird zu beachten sein, daß an Stelle des Rechtsinstituts des enteignenden/enteignungsgleichen Eingriffs als lex specialis der ebenfalls im Zivilrechtsweg zu verfolgende Entschädigungsanspruch gemäß Art. 27 BayFwG tritt. Die Kausalitätsproblematik stellt sich im Rahmen dieser Anspruchsgrundlage jedoch in gleicher Weise. Auch über Ansprüche wegen Amtspflichtverletzung kann erst nach Erholung eines Sachverständigengutachtens abschließend befunden werden.
4. Die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens waren gemäß § 8 GKG niederzuschlagen. § 539 ZPO läßt die Zurückverweisung nur bei wesentlichen Verfahrensmängeln zu. Wesentlichen oder schwerwiegenden Verfahrensmängeln (Zöller, 21. Aufl., RdNr. 1 zu § 539 ZPO) ist gemäß § 8 GKG durch Niederschlagung der Gerichtskosten Rechnung zu tragen. Über die im Berufungsverfahren angefallenen außergerichtlichen Kosten wird im erneuerten erstinstanzlichen Verfahren mitzuentscheiden sein.
Gemäß § 546 Abs. 2 ZPO war der Wert der Beschwer festzusetzen.
Ende der Entscheidung
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