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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 08.01.2004
Aktenzeichen: 1 U 3924/03
Rechtsgebiete: SGB VII, ZPO, BGB


Vorschriften:

SGB VII § 2 Abs. 1 Nr. 8 a
SGB VII § 8 Abs. 2 Nr. 1
SGB VII § 8 Abs. 2 Nr. 2
SGB VII § 8 Abs. 2 Nr. 3
SGB VII § 8 Abs. 2 Nr. 4
SGB VII § 45
SGB VII § 105
SGB VII § 106
SGB VII § 106 Abs. 1 Nr. 2
ZPO § 540 Abs. 2
ZPO § 313 a Abs. 1 Satz 1
BGB § 781
BGB § 839
Im Rahmen des Haftungsausschlusses nach §§ 105, 106 SGB VII ist es nicht erforderlich, dass der Schädiger Versicherter ist. Er muss lediglich eine betriebliche Tätigkeit ausüben.
OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 1 U 3924/03

Verkündet am 08.01.2004

In dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatzes

erläßt der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ... und die Richter am Oberlandesgericht ... und ... im schriftlichen Verfahren, in dem bis zum 11.12.2003 Schriftsätze eingereicht werden konnten, folgendes

Endurteil:

Tenor:

I.a) Auf die Berufung der Streitverkündeten hin wird das Urteil des Landgerichts Passau vom 26.06.2003 in Ziffer II dahingehend abgeändert, dass festgestellt wird, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle immateriellen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 20.03.1998 auf der Kreisstraße Freyung 9 bei Rentpoldenreuth zu ersetzen.

b) Soweit die Klägerin die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten für den materiellen Schaden verlangt, wird die Klage abgewiesen.

II. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Rechtsstreites erster Instanz tragen die Klägerin 15 % und die Beklagte 85 %. Die Klägerin trägt 15 % der erstinstanzlichen Kosten der Nebenintervention. Im übrigen trägt die Streitverkündete die erstinstanzlichen Kosten der Nebenintervention selbst.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin 15 % und die Streitverkündete 85 %.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

A.

Die Beklagte haftet der Klägerin aus § 781 BGB auf Ersatz der immateriellen Schäden.

1.) Die Beklagte hat mit Schreiben des Bundesamtes für den Zivildienst vom 27.08.1999 ihre Haftung insoweit deklaratorisch dem Grunde nach anerkannt hat. Die Auffassung der Streitverkündeten, das Schreiben vom 27.08.1999 habe nur zum Ausdruck gebracht, dass das Bundesamt die Bearbeitung der Angelegenheit übernommen habe, ist mit dem eindeutigen Wortlaut des Schreibens unvereinbar. Dass mit dem Schreiben vom 27.08.1999 bezüglich der immateriellen Schäden der Klägerin die Haftung dem Grunde nach anerkannt wurde, ergibt sich im übrigen auch daraus, dass sich das Bundesamt im anschließenden Schreiben vom 02.11.1999 nur noch mit der Höhe des der Klägerin zustehenden Schmerzensgeldes beschäftigt. Unerheblich ist, dass das Bundesamt bei Abgabe des Anerkenntnisses möglicherweise die Rechtslage verkannt, insbesondere einen Haftungsausschluß nach SGB VII übersehen hat. Das deklaratorische Schuldanerkenntnis schließt alle Einwendungen tatsächlicher und rechtlicher Natur aus, die der Schuldner bei der Abgabe kannte oder kennen mußte.

2.) Die Höhe des vom Landgericht zugesprochenen Schmerzensgeldes ist nicht zu beanstanden.

B.

1.) Ersatz ihrer materiellen Schäden kann die Klägerin von der Beklagten nicht verlangen, da der Beklagten insoweit ein Haftungsausschluß gemäß §§ 106 Abs. 1 Nr. 2, 105, 2 Abs. 1 Nr. 8 a SGB VII zugute kommt. Das Anerkenntnis vom 27.08.1999 spielt insoweit keine Rolle, da es ausdrücklich auf die immateriellen Schäden begrenzt war.

Es ist unstreitig, dass sich der Unfall auf der Heimfahrt aus der vom ... ... betriebenen heilpädagogischen Tagesstätte ereignet hat. Desweiteren ist unstreitig, dass die Tagesstätte, die Streitverkündete hat auch eine entsprechende Bestätigung der Regierung von Niederbayern vorgelegt, gemäß § 45 SGB VIII genehmigt wurde. Folglich findet auf die Tagesstätte § 106 SGB VII mit der Folge Anwendung, dass die Klägerin Versicherte im Sinne dieser Vorschrift war. Der Zivildienstleistende, der den Unfall verursacht hat, war Betriebsangehöriger der Tagesstätte. Es ist im Rahmen von §§ 105, 106 SGB VII nicht erforderlich, dass der Schädiger Versicherter ist. Er muß lediglich eine betriebliche Tätigkeit ausüben (Kassler Kommentar, § 105 SGB VII, Rd.-Nr. 3; § 106 SGB VII, Rd.-Nr. 7). Für eine betriebliche Tätigkeit reicht es aus, dass diese dem Betrieb zuzurechnen ist. Die schädigende Handlung muß unmittelbar mit den Betriebszwecken zusammenhängen oder sonstwie rechtlich wesentlich betriebsbedingt sein (Kassler Kommentar, § 105 SGB VII, Rd.-Nr. 6). Es ist unstreitig, dass vom Trägerverein der Transport der Kinder von der Tagesstätte nach Hause organisiert und übernommen wurde. Dies beruht ganz augenscheinlich darauf, dass den Kindern wegen ihres Alters oder wegen ihrer Verfassung ein eigenveranwortlicher Heimweg im ländlichen Raum nicht möglich bzw. zumutbar ist. Die Heimfahrt von der Tagesstätte war mithin eine betriebliche Angelegenheit im vorgenannten Sinne.

2.) Entgegen dem Vorbringen der Klägerin handelt es sich nicht um einen vom Haftungsausschluß ausgenommenen Wegeunfall nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 - 4 SGB VII. Es hat sich bei dem Unfall kein allgemeines, sondern ein betriebliches Risiko verwirklicht. Zwar ist der Weg zur Schule bzw. Tagesstätte und von dort nach Hause in der Regel Privatsache des Schülers. Hier gilt jedoch die Besonderheit, dass, wie ausgeführt, der Transport der Schüler von der Tagesstätte nach Hause in deren Betrieb eingegliedert war. Die Klägerin hat kein öffentliches Verkehrsmittel benutzt. Sie wurde mit einem vom Trägerverein bereitgestellten Bus nach Hause gefahren. Die Heimfahrt wurde vom Trägerverein organisiert und übernommen. Ein solcher Transport ist als zu der versicherten Tätigkeit (§ 8 Abs. 1 SGB VII) zählender Betriebsweg und nicht als Wegeunfall (§ 8 Abs. 2 Nr. 2 - 4 SGB VII) zu bewerten (BGH NJW 01, 442).

3.) Da der den Unfall verursachende Zivildienstleistende der Klägerin wegen des Haftungsausschlusses (§ 106 SGB VII) nicht aus § 839 BGB schadensersatzpflichtig ist, kommt auch eine Überleitung der Haftung nach Art. 34 GG auf die Beklagte nicht in Betracht. Die Anstellungskörperschaft haftet nur insoweit als der "Beamte" selbst ohne die Haftungsverlagerung einstehen müßte (Palandt, 63. Auflage, Rd.-Nr. 3 zu § 839 BGB).

C.

1.)Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92, 97, 101 ZPO.

Der Senat bemißt das Unterliegen der Klägerin mit dem materiellen Feststellungsantrag mit 15 % des Streitwertes.

Die erstinstanzlichen Kosten der Nebenintervention hatte die Streitverkündete folglich zu 85 % selbst zu tragen, da diese nicht der Hauptpartei sondern nur dem Gegner auferlegt werden dürfen.

Der Beklagten waren im Berufungsverfahren keine Kosten aufzuerlegen, da lediglich die Streitverkündete Berufung eingelegt hat (Zöller, 23. Auflage, Rd.-Nr. 4 zu § 101 ZPO).

2.) Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

3.) Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO n.F. sind nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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