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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 11.11.2004
Aktenzeichen: 1 U 4066/04
Rechtsgebiete: StrEG, ZPO


Vorschriften:

StrEG § 2 Abs. 1
StrEG § 2 Abs. 2 Nr. 4
StrEG § 2 Abs. 2 Nr. 7
ZPO § 287
Der Anspruch auf Ersatz von Verteidigerkosten nach den §§ 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4, 7 StrEG im Rahmen einer Durchsuchung und Beschlagnahme lässt sich gemäß § 287 ZPO von den allgemeinen Kosten der Verteidigung im Ermittlungsverfahren abgrenzen. Ein untrennbarer Zusammenhang besteht nicht.

Bei der personellen Ausstattung von Spezialabteilungen einer Staatsanwaltschaft kann der unregelmäßige Arbeitsanfall berücksichtigt werden. Ein Rechtssatz, dass jedes Ermittlungsverfahren in Wirtschaftsstrafsachen innerhalb von drei Monaten nach der einleitenden Durchsuchungsaktion abgeschlossen sein muss, besteht nicht.


IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

Aktenzeichen: 1 U 4066/04

9 O 2796/04 LG M. I

Verkündet am 11.11.2004

In dem Rechtsstreit

wegen Forderung

erlässt der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts M. durch die Richter am Oberlandesgericht S., R. und N. aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28.10.2004 folgendes

ENDURTEIL:

Tenor:

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts M. I vom 21.06.2004 wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger macht gegen den Beklagten Ansprüche nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) und wegen Amtspflichtverletzung geltend.

Hinsichtlich des Tatbestandes und des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien nimmt der Senat auf das Urteil des Landgerichts M. I vom 21.06.2004, in dem dem Kläger ein Teilbetrag zugesprochen wurde, Bezug.

Der Kläger beantragt:

Unter Abänderung des Urteils des LG M. I vom 21.06.2004 - 9 O 2796/04 - wird der Beklagte verurteilt, an den Kläger weitere 649,60 EUR nebst 5 % Punkten hieraus ab dem 27.09.2003 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung.

Hinsichtlich des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird verwiesen auf die Schriftsätze des Klägers vom 31.07.2004 (Bl. 69/95 d. A.), 16.10.2004 (Bl. 121/123 d. A.), 27.10.2004 (Bl. 133/134 d. A.) und 31.10.2004 (Bl. 139/143 d. A.) sowie des Beklagten vom 05.10.2004 (Bl. 102/119 d. A.), 20.10.2004 (Bl. 124/125 d. A.) und 04.11.2004 (Bl. 145/146 d. A.). Von einer näheren Darstellung wird nach den §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.

Der Senat hat die Ermittlungsakte 66 Js 19252/03 der Staatsanwaltschaft M. beigezogen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Dem Kläger stehen nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen keine weitergehenden Ansprüche zu. Eine im Zusammenhang mit dem geltend gemachten Schaden stehende Amtspflichtverletzung der Staatsanwaltschaft M. ist zu verneinen.

1) Nach den §§ 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4, 7 StrEG steht dem Kläger selbst bei Ansatz der Höchstgebühr von 660,-- EUR statt der vertretbar vom Landgericht angesetzten 500,-- EUR gemäß § 12 BRAGO rechnerisch ein Anspruch in Höhe von nicht mehr als 180,50 EUR zu. Dies ist weniger als der vom Landgericht errechnete Betrag von 252, 88 EUR.

a) Der Ansatz einer Gebühr von 500,-- EUR nach den §§ 84 Abs. 2, 83 Abs. 1 Nr. 3, 12 BRAGO durch das Landgericht hält sich im Rahmen billigen Ermessens.

Der vom Landgericht angenommene Betrag liegt deutlich über der Mittelgebühr von 355,-- EUR (der Hälfte von 50,-- EUR + 660,-- EUR), die für durchschnittliche Angelegenheiten anzusetzen ist. Der Verteidiger wurde erst relativ spät im Laufe des Verfahrens eingeschaltet. Eine Anwesenheit bei Vernehmungen war nicht erforderlich. Die behaupteten überdurchschnittlichen Vermögensverhältnisse des Klägers werden in der Berufungsbegründung nicht näher dargelegt.

Andererseits handelte es sich um ein umfangreiches Verfahren mit komplizierten Personenzusammenhängen. Auf einen derartigen Verfahrenstypus, der ein langes Aktenstudium und eine sorgfältige Strukturierung erfordert, erscheint der gesetzliche Gebührenrahmen nicht zugeschnitten, weshalb Verteidiger in diesen Fällen Honorarvereinbarungen treffen, die erfahrungsgemäß über der Höchstgebühr liegen. Der angegebene Gesamtzeitaufwand von 20 - 30 Stunden erscheint plausibel. Es besteht jedoch kein Rechtssatz, dass die gesetzlichen Gebühren stets kostendeckend sein müssen. Jeder Anwalt arbeitet, soweit er nicht allein nach Zeit abrechnet, aufgrund einer Mischkalkulation aus lohnenden und weniger lohnenden Fällen.

Die Bedeutung der Sache für den Kläger, der sich beruflich umorientiert haben soll, ist schwer einzuschätzen. Existenzielle Auswirkungen sind nicht belegt. Doch handelt es sicher nicht um eine Bagatelle. Die Fragebogenaktion hat, worauf der Kläger zu Recht hinweist, zu einer Bloßstellung im Baustoffhandel und bei verschiedenen Schreinern geführt. Andererseits werden konkrete Beeinträchtigungen der Erwerbstätigkeit des Klägers nicht geschildert. Eine Vollzugsstrafe war nicht zu erwarten. Die Durchsuchung erfolgte, wie sich aus der Ermittlungsakte ergibt, sehr diskret.

Dass im Rahmen des billigen Ermessens nach § 12 Abs. 1 S. 1 BRAGO auch Spielraum für eine höhere Gebühr bestanden hätte, liegt nahe. Eine solche Festsetzung durch den Verteidiger ist aber nicht erfolgt. Für ein Gericht besteht keine Verpflichtung, die Obergrenze des Ermessensrahmens auszuschöpfen. Letztlich kommt es darauf aber im Ergebnis nicht an, wie noch darzulegen sein wird (siehe unten f).

b) Die vom Landgericht vorgenommene Aufspaltung der anwaltlichen Leistung in einen ersatzfähigen und einen nicht ersatzfähigen Teil ist richtig.

Sie beruht auf der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGHZ 68, 86, 89).

Der Kläger bringt vor, dass eine Trennung zwischen Verteidigung im Allgemeinen und der Durchsuchung nicht möglich sei, da das Bemühen um Einstellung des Verfahrens und um die Herausgabe der Unterlagen zeitlich und sachlich zusammenfalle. Letzteres trifft nicht zu. Anders als die Haftfrage (vgl. die vom Kläger zitierten Ausführungen des BGH Bl. 79 d. A.) hängt die Herausgabe von sichergestellten Unterlagen in Wirtschaftssachen nicht zwingend von der der Entkräftung des Tatverdachts oder der Verfahrenseinstellung gegen den Kläger ab. Ausgewertete, nicht im Original zu Beweiszwecken benötigte Unterlagen werden (schon zur Entlastung des knappen Speicherraums) von der Staatsanwaltschaft auch vorher zurückgegeben. Hier ist es umgekehrt: Die Unterlagen werden nach Auskunft der Staatsanwaltschaft noch für das Verfahren gegen die Mitbeschuldigten benötigt, eine bei Verfahren gegen mehrere Personen häufige Konstellation. Sie belegt ebenfalls, dass ein untrennbarer Zusammenhang nicht besteht.

c) Der Senat geht trotz der engen Formulierung des ursprünglichen Beschlusses des Amtsgerichts M. vom 09.08.2003 zu Gunsten des Klägers davon aus, dass nach den §§ 2 Abs. 2 Nr. 4, 7 StrEG nicht nur - nicht angefallene - Anwesenheitszeiten bei der Durchsuchung, sondern auch die Bemühungen um die Wiedererlangung der sichergestellten Unterlagen zu berücksichtigen sind. Der Generalstaatsanwalt und das Landgericht haben das bereits ebenso gesehen. Deshalb kommt es auf das anhängige Beschwerdeverfahren bei der 6. Strafkammer des LG M. I, in dem es um die Ergänzung des amtsgerichtlichen Beschlusses auf die Beschlagnahme geht, für den geltend gemachten Anspruch nicht an. Damit fehlen die Voraussetzungen für eine Aussetzung nach § 148 ZPO.

d) Die Bewertung der Auseinandersetzung um die Durchsuchung und Beschlagnahme mit 1/5 der Arbeitsbelastung des Verteidigers durch das Landgericht ist eher großzügig, bewegt sich aber im Rahmen des § 287 ZPO.

Als Maßstab für diese Aufteilung sind nach der Rechtsprechung entsprechend § 12 Abs. 1 BRAGO insbesondere die Bedeutung der Abwehr der vollzogenen Strafverfolgungsmaßnahme in ihrem Verhältnis zu den sonstigen vom Rechtsanwalt wahrgenommenen Angelegenheiten sowie die Schwierigkeit und der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit für die Aufhebung der Strafverfolgungsmaßnahme einerseits und für die Verteidigung im Übrigen heranzuziehen.

Der Schwerpunkt der anwaltlichen Arbeit lag darin, das Verfahren zur Einstellung zu bringen. Zum Tatvorwurf nahm der Verteidiger angesichts der komplizierten Personen- und Firmenzusammenhänge und Zahlungsflüsse in den Schriftsätzen vom 15.03.2003 (11 Seiten) und 10.06.2003 (9 Seiten) sehr zeitaufwändig Stellung. Die Durcharbeitung der Akten und präzise Erfassung der für den konkreten Beschuldigten wesentlichen Gesichtspunkte aus den Unterlagen und Aussagen erforderte mit Sicherheit einen Arbeitstag. Die Stellungnahmen des Verteidigers zeigen, dass er sich eingehend mit dem Sachverhalt befasst hat.

Dagegen wird nicht deutlich, ob der Kläger die sichergestellten Unterlagen überhaupt noch braucht. Es handelt sich um die Leitzordner "Rief Fenster und Türen/Notar" und "Rief Notar/ZGG Notar" (vgl. das dem Kläger ausgehändigte Sicherstellungsverzeichnis Band II Bl. 86 der Akte 66 Js 19252/03).

Der Klägervertreter erklärte im Termin vor dem Senat, der Kläger hätte sich nach seiner Entlassung als Geschäftsführer beruflich anders orientiert. Hätte der Kläger die Unterlagen benötigt, hätte er sich nach der ständigen Übung bei Polizei und Staatsanwaltschaft von den für ihn wichtigen Papieren Kopien machen können. Die Schreiben, in denen der Verteidiger am 18.01.2003 und 16.03.2003 um Rückgabe der sichergestellten Unterlagen bat, umfassten zwei beziehungsweise eine Seite.

e) Dass der Kläger keinen Anwalt allein wegen der Herausgabe der Unterlagen eingeschaltet hat, hat keine Erweiterung des Entschädigungsanspruches zur Folge. Die Rechtsprechung zum rechtmäßigen Alternativverhalten bezieht sich auf das Verhalten des Schadenersatzpflichtigen, nicht des Anspruchstellers.

f) Das Landgericht hat, wenn man wie es eine Rahmengebühr von 500,-- EUR zu Grunde legt, dem Kläger einen Betrag von 109,50 EUR zu viel zugesprochen. Durch die Ansetzung der Höchstgebühr von 660,-- EUR statt 500,-- EUR ergibt sich nur eine Veränderung von 37,12 EUR. Damit würde sich die Erhöhung der Rahmengebühr nicht auswirken, denn die Rechtskraft des landgerichtlichen Urteils bedeutet keine Bindung des Senats an die Höhe der vom Landgericht errechneten Einzelposten.

Das Landgericht berücksichtigt bei seiner Berechnung der Entschädigung auf S. 9/10 des Urteils vom 21.06.2004 nicht, dass die geltend gemachten Nebenkosten nur in Höhe von einem Fünftel angesetzt und nicht voll einbezogen hätten werden dürfen. Es ergibt sich mit dieser Korrektur ein Betrag von 143,38 EUR, wie folgende Rechnung zeigt: 100,-- EUR + (103,-- EUR + 15,-- EUR) : 5 + (100,-- EUR + (103,-- EUR + 15 EUR) : 5) x 0,16 = 100,-- EUR + 23,60 EUR + 19,78 EUR = 143,38 EUR. Die Differenz zum vom Landgericht errechneten Betrag von 252,88 EUR beträgt 109,50 EUR.

Ein Fünftel der Differenz zwischen 500,-- und 660,-- EUR sind zuzüglich Mehrwertsteuer 37,12 EUR.

Innerhalb der gleichen Schadensart stellen die verschiedenen Berechnungsgrundlagen lediglich unselbständige Faktoren eines einheitlichen Schadens und Ersatzanspruchs dar, die im Rahmen des verlangten Gesamtbetrags austauschbar sind (BGH WM 1991, 609). Das Berufungsgericht ist nicht nach § 322 ZPO daran gehindert, einen Einzelposten höher und einen anderen niedriger zu bewerten (BGHZ 36, 316, 321; RGZ 74, 131, 133).

g) Die Feststellungen des Landgerichts zur Berechnung des Anwaltshonorars im Entschädigungsverfahren hat der Kläger nicht angegriffen. Sie treffen auch zu, da sich der Gegenstandswert nach dem vom Generalstaatsanwalt zuerkannten und nicht dem im Prozess erstrittenen Betrag richtet (Schätzler/Kunz, 3. Aufl., § 7 StrEG Randnr. 31). Die Differenz zwischen 7,5/10 und 10/10 macht 6,25 EUR aus und liegt weit unter dem Betrag, den das Landgericht dem Kläger zuviel zugesprochen hat.

2) Ein Anspruch des Klägers nach § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG (Amtspflichtverletzung) besteht nicht.

Die Einleitung des Ermittlungsverfahrens und die Durchführung der Durchsuchung waren nicht pflichtwidrig. Das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger hätte auch nicht früher eingestellt werden müssen.

Zu den rechtlichen Voraussetzungen einer Amtspflichtverletzung der Staatsanwaltschaft nimmt der Senat Bezug auf S. 10/11 des Urteils des Landgerichts.

Die Mitglieder des Senats waren sämtlich langjährig bei der Staatsanwaltschaft als Bearbeiter von Wirtschafts- und Großverfahren tätig. Damit ist ihnen eine sachgerechte Beurteilung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsarbeit im konkreten Fall möglich. Hierzu hat der Senat die Ermittlungsakten 66 Js 19252/03 beigezogen und die Vertretbarkeit der Ermittlungsschritte überprüft. Letzteres ist bei einem Verfahren, in dem die Kriminalpolizei die wesentlichen Ermittlungshandlungen vornimmt und dokumentiert, anhand der Akten möglich. Die vom Kläger beantragte Vernehmung der beiden sachbearbeitenden Staatsanwältinnen, des Insolvenzverwalters, von Mitbeschuldigten und Mitarbeitern ist dagegen für den Amtshaftungsanspruch, bei dem es im konkreten Fall auf die Vertretbarkeit der staatsanwaltschaftlichen Handlungen aus der Sicht ex ante ankommt, nicht weiterführend. Im Einzelnen ist auszuführen:

a) Die Beantragung eines Durchsuchungsbeschlusses gegen den Kläger als früheren Geschäftsführer der R. GmbH war vertretbar.

aa) Bei "Ausschlachtungen" von schlechtlaufenden Unternehmen durch sogenannte "Firmenbestatter" besteht nach kriminalistischer Erfahrung eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für das Mitwirken der früheren Verantwortlichen der Firma an Bankrott- und Untreuehandlungen. Ein Verstoß gegen die §§ 84, 64 GmbHG liegt häufig vor, da die Vermeidung der Insolvenzantragstellung gerade ein Zweck der Einschaltung des "Firmenbestatters" ist.

Eine erkennbar dubiose Zahlung an den Kläger in Höhe von 20.000,-- EUR am 04.01.2001 war bekannt (runde Beträge sprechen nach kriminalistischer Erfahrung für ein "Abräumen" von Konten). Weitere unklare größere Zahlungsbewegungen in sechsstelliger Höhe im gleichen Zeitraum, die aus der Sicht ex ante mit Billigung des Klägers als Geschäftsführer erfolgt sein mussten, waren durch Kontoauszüge dokumentiert.

Am Anfang eines Ermittlungsverfahrens lässt sich nicht entscheiden, ob einem solchen Vorgang ein Bankrott, eine Untreue, eine Gläubigerbegünstigung nach § 283 c StGB oder eine unterlassene Konkursanmeldung zugrunde liegt, oder sich eine harmlose Erklärung findet. Angesichts der komplizierten Firmen- und Personenverflechtungen grenzte es an Hellseherei, die zugrunde liegenden Strukturen bereits damals zu erkennen, was der Kläger offenbar erwartet.

bb) In Wirtschaftssachen haben erfahrungsgemäß Schriftstücke eine besondere Bedeutung. Bei nach der Berufserfahrung voraussehbar haltlosen Anzeigen (etwa wegen eines sich aufdrängenden zivilrechtlichen Hintergrunds einer Strafanzeige) wird der Wirtschaftsstaatsanwalt auf eine Durchsuchung verzichten und dem Beschuldigten sofort Gelegenheit zur Stellungnahme geben. In Fällen, bei denen der Verdacht auf eine organisierte Ausschlachtung besteht, würde es sich aber um einen schweren ermittlungstaktischen Fehler handeln.

In solchen Fällen die Tatverdächtigen vor einer Durchsuchung zu vernehmen, hieße sie vorzuwarnen und die Vernichtung von Unterlagen zu riskieren. Auch die Vernehmung von (innerbetrieblichen) Zeugen, wie sie sich der Kläger vorstellt, ist riskant. Die Staatsanwaltschaft kann nicht abschätzen, ob sie mit den Tatverdächtigen in Verbindung stehen und diese warnen. Es ist also für die Vertretbarkeit der Beantragung der Durchsuchungsbeschlüsse unmaßgeblich, was diese Personen ausgesagt hätten.

Auf die Angaben des Tatverdächtigen gegenüber dem Insolvenzverwalter, die erfahrungsgemäß eine subjektive Entlastungstendenz aufweisen, darf sich ein Staatsanwalt entgegen der Meinung des Klägers nicht verlassen. Zu welcher Einschätzung der Insolvenzverwalter aufgrund dieser Angaben kommt, ist für die Entscheidung, ob durchsucht wird oder nicht, nicht von zentraler Bedeutung. Der Insolvenzverwalter gibt weder eine strafrechtliche Wertung ab, noch verfügt er über die strafprozessualen Mittel zur Erkenntnisgewinnung, zu denen im Wirtschaftsstrafrecht an zentraler Stelle die Durchsuchung gehört.

cc) In einem solchen Stadium des Ermittlungsverfahrens - also vor der Sicherstellung der Firmenunterlagen - bereits abschließende Feststellungen zur Zahlungsfähigkeit und Überschuldung der Firma Rief von der Staatsanwaltschaft zu verlangen, zeigt, dass der Kläger mit der praktischen Ermittlungsarbeit nicht vertraut ist.

Der Tatbestand des Bankrotts setzt ein Handeln in der Krise voraus. Dass sich das Unternehmen am Ende des Jahres 2000 in der Krise befand, durfte die ermittelnde Staatsanwältin angesichts der Einstellung der Beitragszahlungen zur Sozialversicherung im Januar 2001 bei der Beantragung der Durchsuchungsbeschlüsse annehmen. Die endgültige Zahlungseinstellung ist nach § 283 Abs. 6 StGB nur objektive Bedingung der Strafbarkeit.

Auf den Vorwurf der Beitragsvorenthaltung nach § 266a StGB stützt sich der Durchsuchungsbeschluss vom 24.10.2001 gerade nicht. Für die Vertretbarkeit der Ermittlungen gegen den Kläger spielt es keine Rolle, ob der insoweit bestehende Anfangsverdacht vor Durchführung der Durchsuchung durch die Antwort der AOK entkräftet war.

Eine Vernehmung der ermittelnden Staatsanwältinnen war nicht geboten. Der Gang der Ermittlungen lässt sich anhand der Akte, auf die auch der Kläger sich stützt, beurteilen.

b) Eine pflichtwidrig verzögerte Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen den Kläger liegt nicht vor, wie die Durchsicht der Ermittlungsakten ergibt.

aa) Die nach der Durchsuchungsaktion vorgenommenen polizeilichen Ermittlungshandlungen erscheinen sachgerecht. Sowohl die Kontenabklärungen als auch die Fragebogenaktion bei den Kunden der Firma Rief Fenster und Türen GmbH war in Hinsicht auf die Abklärung etwaiger Aushöhlungshandlungen sinnvoll. Angesichts der komplizierten Zusammenhänge, der Bearbeitung durch verschiedene Polizeidienststellen und der Tatsache, dass der Nachfolger des Klägers als Geschäftsführer, Habermaß, mit Wohnsitz in Ungarn schwer greifbar war, sind die Ermittlungen keineswegs besonders langsam vorangekommen.

bb) Die Vorstellung des Klägers, ein Staatsanwalt könne in komplizierten Verfahren mit mehreren Beteiligten ständig - quasi bei Eingang jeden Papiers - die Akten darauf prüfen, ob irgendein Beschuldigter mittlerweile hinreichend entlastet ist, zeigt eine völlig überzogene Erwartungshaltung und Unkenntnis der Ermittlungspraxis.

In den Wirtschaftsabteilungen der Staatsanwaltschaften betreuen die Staatsanwälte zeitgleich 30, 40 oder mehr Verfahren, darunter ausgesprochene Großverfahren, die den Umfang des vorliegenden weit übersteigen, sowie von Gesetzes wegen vorrangige Haftsachen. Ein beträchtlicher Teil der Akten befindet sich ständig zu laufenden Ermittlungen bei der Kriminalpolizei, die durch einen hektischen Aktentransfer nur behindert würden. Es wäre zudem mit einer sachgerechten Behördenorganisation unvereinbar, Wirtschaftsstaatsanwälten nur ganz wenige Verfahren zuzuteilen, da sich in diesem Fall immer wieder längere Perioden des Leerlaufs ergeben würden, wenn sich die Akten beim Ermittlungsrichter oder der Polizei befinden. Es lassen sich aber weder der Zeitpunkt des Rücklaufes der Akten, noch gar der Eingang von Neuanzeigen, der (Anklageerhebung in) Haftsachen oder plötzlich erforderlicher umfangreicher eigener Ermittlungen so steuern, dass alle Verfahren stetig und sofort abgearbeitet werden können. Das hat mit Fehlern aufgrund Arbeitsüberlastung nichts zu tun.

cc) Im vorliegenden Fall gingen die Akten Anfang Dezember 1992 bei der Staatsanwaltschaft M. II mit einem polizeilichen Ermittlungsbericht vom 29.11.2002 ein. Die staatsanwaltschaftliche Sachbearbeiterin bemühte sich in den nächsten Wochen um eine Übernahme des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft Nürnberg, die gegen den Mitbeschuldigten Sch. und H. Ermittlungsverfahren wegen ähnlicher Vorwürfe führte. Diese Handlungsweise war sachgerecht.

Im vorliegenden Fall mussten überdies unzweifelhaft die Aussagen der Mitverdächtigen abgewartet werden. Der Beschuldigte Thomas XX. äußerte sich am 26.02.2003, nachdem der (damalige) Zeuge H. den Kläger am 19.07.2002 als angeblichen Mittäter der Herren Prell und Sch. belastet hatte (Band III Bl. 12 der Ermittlungsakten 66 Js 19252/03).

Am 18.01.2003 beantragte der Verteidiger Akteneinsicht, die gewährt wurde. Die von diesem zugesagte Stellungnahme erfolgte am 15.03.2003. In einem Telefonat am oder kurz vor dem 16.05.2003 wies die Staatsanwältin zu Recht darauf hin, dass der Untreueverdacht im Zusammenhang mit der Zahlung von 20.000,-- DM noch nicht ausgeräumt worden sei. Der Verteidiger äußerte sich hierzu am 10.06.2003. Schon am 13.06.2003 erfolgte die Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs. 2 ZPO. Der Zeitabstand zwischen dem Eingang der ersten Stellungnahme des Verteidigers und der Reaktion hierauf - weniger als zwei Monate - ist aufgrund der geschilderten Besonderheiten der Tätigkeit eines Wirtschaftsstaatsanwalts und der Komplexität des Sachverhalts nicht auffallend. Eine Auswirkung auf den Schaden des Klägers - das Verteidigerhonorar - lässt sich zudem ausschließen.

dd) Eine andere Bewertung ergibt sich aus den vom Kläger zitierten Gerichtsentscheidungen BGH NJW 1989, 96, LG Dresden NStZ 2003, 567 und Landgericht Frankfurt/Main NJW 1997, 1170 nicht.

Die Entscheidung des BGH betrifft ein Ermittlungsverfahren wegen Brandstiftung, aus dem sich für die vorliegende, ganz unterschiedliche Fallgestaltung keine Schlüsse ziehen lassen. Der BGH hat mit dem auf den Einzelfall bezogenen Argument, dass von der raschen Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO die wirtschaftlich bedeutsame Zahlung der Feuerversicherung abhing, eine Amtspflichtverletzung bei einer Verzögerung der staatsanwaltschaftlichen Entscheidung über einen Monat hinaus bejaht. Im dortigen Verfahren waren nach der Wertung des BGH die sachdienlichen Ermittlungen jedoch abgeschlossen. Dies war im gesamten Jahr 2002 im vorliegenden Fall gerade nicht so.

Eine Frist zum Abschluss von komplexen Wirtschaftsverfahren von einem oder drei Monaten nach Durchführung der Durchsuchungsaktion zu setzen, wie es sich der Kläger offenbar vorstellt, erscheint dem Praktiker weltfremd. Sie wird in keiner der angeführten Gerichtsentscheidungen gefordert.

c) Dass die frühere Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Nachfolger des Klägers als Geschäftsführer, Habermaß, wegen Beitragsvorenthaltung nahe gelegen hätte, ist für den geltend gemachten Schadenersatzanspruch des Klägers ohne Bedeutung. Das Ermittlungsverfahren gegen ihn hätte dennoch durchgeführt werden müssen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass es in diesem Fall schneller beendet worden wäre. Erfahrungsgemäß verlängert sich mit steigender Anzahl von Beschuldigten vielmehr die Dauer eines Ermittlungsverfahrens.

Sinngemäß das gleiche gilt für den Vorwurf, die Ermittlungen hinsichtlich Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung der Rief Fenster und Türen GmbH hätten nach der Durchsuchungsaktion umfassender und präziser geführt werden müssen. Dies hätte sich allenfalls - in Hinsicht auf die so eventuell mögliche Feststellung eines Verstoßes gegen die §§ 64, 84 GmbHG - zu Lasten des Klägers auswirken können. Die Erstellung eines Überschuldungsgutachtens ist zudem zeitaufwendig und kostenträchtig. Es ist durchaus sachgerecht, wenn die Staatsanwaltschaft in Hinsicht auf § 154 ZPO erst versucht, etwaige Untreuehandlungen abzuklären und die Vernehmungen der Beschuldigten abwartet.

d) Selbst wenn man unterstellt, die Staatsanwaltschaft hätte die beiden sichergestellten Leitzordner schon 2002 zurückgeben können, und hätte dies amtspflichtwidrig unterlassen, so wäre dem Kläger dadurch kein Schaden entstanden, den das Landgericht nicht bereits berücksichtigt hat. Die Verteidigungskosten sind nämlich unabhängig davon entstanden. Jedenfalls trägt der Kläger nicht nachvollziehbar vor, dass der Inhalt gerade der zwei Leitzordner den Tatverdacht ausgeräumt hätte.

Der Kläger trägt gemäß § 97 ZPO die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Entscheidung ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Entgegen dem Vorbringen im klägerischen Schriftsatz vom 31.10.2004 liegen Gründe für eine Zulassung der Revision nicht vor.

Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts, § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO. Der Senat geht, wie schon der Generalstaatsanwalt und das Landgericht, zugunsten des Klägers davon aus, dass sich der Beschluss des Amtsgerichts vom 09.08.2003 auch auf die andauernden Folgen der Durchsuchung erstreckt. Die Darlegungen unter den Ziffern I.1. bis I.3. im Schriftsatz vom 31.10.2004 sind demgemäß für das Ergebnis des Rechtsstreits ohne Bedeutung. Ob ein untrennbarer Zusammenhang zwischen entschädigungspflichtiger Maßnahme und der Verteidigung gegen den Tatvorwurf besteht, ist ebenso wie die Angemessenheit der Gebühr nach § 12 BRAGO und der Maßstab der Quotelung eine Frage des Einzelfalles. Die Frage der Amtspflichtverletzung durch zu zögerliche oder ungenaue Sachbearbeitung lässt sich nur anhand der Ermittlungsakten beurteilen. Der vom Kläger behauptete Rechtssatz, jedes Ermittlungsverfahren in Wirtschaftssachen mit komplexen Personenzusammenhängen müsste innerhalb von einem oder drei Monaten nach Durchführung der einleitenden Durchsuchungsaktion abgeschlossen werden, besteht nicht.



Ende der Entscheidung

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