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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 21.06.2001
Aktenzeichen: 1 W 1161/01
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 406
Lehnt in einem Arzthaftungsprozess, in dem es um die behauptete Fehlerhaftigkeit der Arbeit eines Beamten des Freistaats Bayern geht, der geschädigte Patient einen Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit ab, kann diese Ablehnung bereits dann begründet sein, wenn es sich bei dem Sachverständigen um einen anderen Beamten dieses Dienstherrn handelt.

Dabei spielt es grundsätzlich weder eine Rolle, ob der Abgelehnte und der Beamte, dessen Tätigkeit er zu beurteilen hat, derselben Behörde angehören, noch, daß der Abgelehnte als Hochschulprofessor bei der Erstellung von Gutachten weisungsfrei ist.


OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN

Aktenzeichen: 1 W 1161/01

In dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatz; hier: Sachverständigenablehnung

erläßt der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch die unterzeichnenden Richter ohne mündliche Verhandlung am 21.06.2001 folgenden

Beschluß:

Tenor:

I)

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers vom 14.03.2001 wird der Beschluß des Landgerichts München I vom 14.02.2001 aufgehoben.

II)

Das Ablehnungsgesuch des Klägers gegen den Sachverständigen Prof. Dr. B vom 14.12.2000 wird für begründet erachtet.

Gründe:

I.

Der Kläger macht Schmerzensgeld- und materielle Schadenersatzansprüche wegen behaupteter fehlerhafter ärztlicher Behandlung in der Klinik G der Universität München unter anderem gegen den Freistaat Bayern geltend.

Das Landgericht München I hat mit Beschluß vom 29.09.2000 die Erholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet und mit Beschluß vom 27.11.2000 als Sachverständigen Prof. Dr. B, a.o. Professor und leitender Oberarzt der Klinik der Universität E-N, bestellt.

Dieser Beschluß wurde den Klägervertretern am 01.12.2000 zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 14.12.2000, eingegangen beim Landgericht München I am selben Tag, hat die Klagepartei Prof. Dr. B wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und ausgeführt, die Universität E-N sei zwar eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, werde aber vom beklagten Freistaat Bayern finanziert. Dies gelte: auch für die Besoldung des Sachverständigen. Außerdem habe der Sachverständige zusammen mit dem am Klinikum G tätigen Oberarzt Dr. B eine Handbuch der Ersten Hilfe herausgegeben, zu welchem Prof. Dr. P seinerseits Direktor des Instituts für am Klinikum G, das Geleitwort verfaßt habe. Außerdem habe Prof. Dr. F der Leiter der Klinik der Universität E-N, länger als Arzt am Klinikum gearbeitet.

Die Vertreter der Beklagten haben die Zurückweisung des Ablehnungsantrags beantragt.

Mit Beschluß vom 14.02.2001 hat das Landgericht München I den Befangenheitsantrag vom 01.12.2000 zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, die Erstellung von Gutachten im Zivilprozeß erfolge nicht in Abhängigkeit vom Anstellungsverhältnis, sondern im Rahmen der wissenschaftlichen Nebentätigkeit des beauftragten Sachverständigen. Weder die Tatsache, daß der Sachverständige gemeinsam mit einem Kollegen des Klinikums G ein Fachbuch herausgegeben, noch daß der derzeitige Chefarzt der Neurochirugischen Klinik in E, Prof. Dr. F, am Klinikum G tätig gewesen sei, vermöchten Zweifel an der Unparteilichkeit von Prof. Dr. B zu begründen. Um die Befangenheit von Prof. Dr. F gehe es nicht.

Gegen die ihnen am 28.02.2001 zugestellte Entscheidung haben die Prozeßbevollmächtigten des Klägers mit am 14.03.2001 eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt und diese begründet (wegen der Einzelheiten siehe Bl. 275/279 d. A.). Insbesondere hat die Klagepartei hervorgehoben, daß der Sachverständige Beamter des beklagten Freistaats Bayern und nicht, wie noch im Ablehnungsantrag angenommen, Angestellter der Universität sei.

Die Beklagtenvertreter haben die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde beantragt. Zur Begründung haben sie unter anderem vorgetragen, auch ein Richter könne bei einer Klage gegen seinen Dienstherren nicht abgelehnt werden.

II.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß den §§ 406 Abs. 5, 567, 568, 577 ZPO zulässig.

Die sofortige Beschwerde ist auch begründet, weil Umstände vorliegen, die geeignet sind, beim Kläger Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen (§§ 406 Abs. 1, 42 Abs. 1 und 2 ZPO).

Die Ablehnung des vom Gericht beauftragten Sachverständigen setzt nicht voraus, daß der Sachverständige tatsächlich parteilich ist, oder daß das Gericht selbst Zweifel an seiner Unparteilichkeit hat.

Der Senat teilt zwar die Auffassung des Landgerichts, daß weder die gemeinschaftliche Herausgabe eines Fachbuchs mit einem Arzt einer anderen Klinik der Universität München noch die Tatsache, daß der nicht mit der Begutachtung beauftragte Direktor der Klinik des Sachverständigen früher an der Klinik gearbeitet hat, an der der Kunstfehler geschehen sein soll, bei objektiver, vernünftiger Betrachtung für sich die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen. Derartige lose Verbindungen sind in der akademischen Welt allgegenwärtig.

Der praktischen Erfahrung des Senats entspricht es auch nicht, daß Ärzte an bayerischen Universitätskliniken zu besonderer Schonung der an anderen Hochschulen des Landes tätigen Kollegen neigen.

Darauf kommt es aber nach dem Gesetz nicht an. Vielmehr ist die Besorgnis der Befangenheit aus der Sicht einer verständigen Prozeßpartei zu beurteilen. Aus deren Sicht wird es in der Tat bedenklich erscheinen, wenn ein Beamter des Freistaats Bayern im Zivilprozeß, in dem es um die behauptete Fehlerhaftigkeit der Arbeit eines anderen Beamten des Freistaats Bayern geht, als Sachverständiger bestellt wird, zumal die Möglichkeit bestanden hätte, auch einen anderen Sachverständigen zu wählen, der nicht bayerischer Beamter war.

Ein Erfahrungssatz, daß im Öffentlichen Dienst tätige Personen sich generell leichter von etwa vorhandenen Loyalitäten lösen könnten als Angestellte in der Privatwirtschaft, und eine daraus abgeleitete Differenzierung, dürfte auch aus der Sicht einer verständigen, nicht im Übermaß mißtrauischen Prozeßpartei nicht haltbar sein.

Ein Dienst- oder Arbeitsverhältnis schafft zwischen den an ihm Beteiligten in aller Regel Bindungen, die eine Bereitschaft zu besonderer Rücksichtnahme auf wichtige Interessen des Dienstherrn nahelegen (HansOLG Hamburg MDR 1983, 412/413). Gerade bei der gutachterlichen Bewertung ärztlichen Verhaltens kommt es häufig, zum Beispiel bei der Frage, ob ein (grober) Behandlungsfehler vorliegt, auf Nuancen an, bei denen eine ungerechtfertigte Zurückhaltung oder verdeckte Rücksichtnahme durch die Prozeßbeteiligten nur sehr schwer zu erkennen ist.

Die zivilrechtliche Rechtsprechung hat ein Arbeitsverhältnis des Sachverständigen zu einer Partei als ausreichenden Ablehnungsgrund angesehen, ohne darüber hinausgehende Indizien für eine Befangenheit des Sachverständigen im konkreten Fall zu fordern (im Fall des HansOLG a.a.O. ging es ebenfalls um einen beamteten Hochschullehrer; RG JW 1898, 220; 1899, 487; 1902, 608). Dem ist die Kommentarliteratur zumeist gefolgt (Baumbach/Hartmann, 56. Aufl., § 406 ZPO Randnr. 5/7: beim Beamten, "soweit der Dienstzweig in Betracht kommt"; Münchner Kommentar Damrau, § 406 ZPO Randnr. 5; Musielak, 2. Aufl., § 406 ZPO Randnr. 7; Wiezorek, Zivilprozeß und Nebengesetze, § 406 ZPO A IIIa1 unter Hinweis auf weitere unveröffentlichte Entscheidungen des Reichsgerichts; Zöller/Greger, 21. Aufl., § 406 ZPO Randnr. 8; einschränkend Thomas/Putzo, § 406 ZPO Randnr. 2: "außer uU bei Behördenangestellten.").

Zurückhaltender ist die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, die die bloße Anstellung des Sachverständigen bei einer Prozeßpartei der Öffentlichen Hand als Ablehnungsgrund nicht anerkennt (BVerwG NVwZ 1998, 634, 635 m.w.N.; OVG Berlin NJW 1970, 1390), während die Angehörigkeit zur bescheiderteilenden Behörde als Ablehnungsgrund ausreiche (BVerwG NJW 1999, 963). Es müßten individuelle Umstände vorliegen, die bei einem außerhalb der Behörde stehenden Sachverständigen Anlaß zur Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit geben würden.

Letztlich erscheinen jedoch nicht nur aus der Sicht einer übermäßig mißtrauischen, sondern auch einer objektiven und vernünftigen Partei differenzierte Überlegungen zur Rechtfertigung der Beauftragung eines Beamten des Beklagten zu 1) kaum nachvollziehbar, wenn unschwer ein anderer Sachverständiger hätte bestellt werden können.

Die Möglichkeit, daß sich bei einer Begutachtung die Rücksichtnahme auf wirkliche oder nur vorgestellte Erwartungen des Arbeitgebers oder der Kollegen auf das Ergebnis auswirkt, dürfte in der Tat zwar abstrakt betrachtet um so naheliegender sein, je enger sich einerseits die Kontakte der beteiligten Personen zueinander darstellen und andererseits je eher das Ergebnis des Gutachtens schwerwiegende Folgen für Kollegen und Dienstherren auslösen kann.

Nachvollziehbare, allgemeingültige Kriterien für einen "Mindestabstand" des Sachverständigen zur verantwortlichen Dienststelle/Einrichtung nach Gesamtzahl der Beschäftigen, Gliederung, sachlicher Zuständigkeit, Intensität dienstlicher Kontakte und räumlicher Entfernung zu finden, erscheint indes schwierig.

Im konkreten Fall liegt es auf den ersten Blick nahe, an die Autonomie der einzelnen Hochschulen und die Wissenschaftsfreiheit der Hochschullehrer anknüpfen.

Art 3 des BayHochSchulG gewährleistet den Mitgliedern der Hochschulen die. Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG, Art. 108 BV. Nach § 74 Abs. 1 Nr. 5 BayBeamtG ist die mit ihrer Lehr- und Forschungstätigkeit zusammenhängende selbständige Gutachtertätigkeit von Professoren an staatlichen Hochschulen genehmigungsfrei.

(Dienst-)rechtliche Möglichkeiten des ärztlichen Direktors oder des Staatsministeriums, auf den Inhalt eines Gutachtens Einfluß zu nehmen oder etwa aufgrund eines unerwünschten Ergebnisses die weitere Gutachtertätigkeit eines Professors zu erschweren, bestehen nicht.

Nach Auffassung des Senats genügt diese gesetzliche Gewährleistung der Weisungsfreiheit bei der Erstellung eines Gutachtens durch einen Universitätsprofessor aber nicht, um die von der Klagepartei vorgetragenen Bedenken auszuräumen. Bei nüchterner Betrachtung besteht die Problematik der Beziehung zwischen Sachverständigem und Partei nämlich nicht in der Gefahr massiver Eingriffe der letzteren in dessen Arbeit, die äußerst unwahrscheinlich sind, sondern in sublimen Formen der Rücksichtnahme des Gutachters auf seinen Dienstherrn, die sich aber gerade im Arzthaftungsprozeß entscheidend auswirken können.

Der von Beklagtenseite gebrachte Vergleich des Sachverständigen mit dem ebenfalls vom Freistaat Bayern bezahlten Richter vermag nicht zu überzeugen. Der Aufbau der Zivilgerichtsbarkeit ergibt sich zwingend aus dem GVG. Einen alternativen gesetzlichen Richter gibt es nicht, so daß eine Ablehnung mit der alleinigen Begründung, der Richter werde vom (staatlichen) Prozeßgegner besoldet, nicht durchdringen kann (ohne besondere Umstände auch nicht beim Richter auf Probe, vgl. Baumbach/Hartmann, § 42 ZPO Randnr. 20 m.w.N.). Eine Justizgewährung wäre nicht mehr möglich, da der Einwand alle Richter des zuständigen Gerichts betrifft. Dies ist auch hinnehmbar, da Art. 97 GG und die diese Norm ausfüllenden Gesetze, insbesondere die §§ 25 ff DRiG, die richterliche Unabhängigkeit über eine bloße Weisungsfreiheit in Rechtsfragen hinaus garantieren.

Die Wahl eines nicht beim Freistaat Bayern beschäftigten Sachverständigen war dagegen sehr wohl möglich.

Ende der Entscheidung

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