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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 02.11.2006
Aktenzeichen: 1 W 1905/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 91 a
Erledigt sich die Klage auf höhere Enteignungsentschädigung gegen den Enteignungsbegünstigten vor dem Zivilgericht durch die Aufhebung des Enteignungsbeschlusses im vom Kläger parallel angestrengten verwaltungsgerichtlichen Verfahren gegen die Enteignungsbehörde, ist dies bei der Kostenentscheidung nach § 91 a ZPO im Rahmen billigen Ermessens zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen, wenn das zeitgleiche Vorgehen gesetzlich vorgegeben ist.

Die zum Zeitpunkt der Erledigung bestehende Unsicherheit bezüglich der Entschädigungshöhe tritt demgegenüber aber nicht völlig zurück (Kostenverteilung im konkreten Fall 1/4 Kläger, 3/4 Beklagter).


Aktenzeichen: 1 W 1905/06

In dem Rechtsstreit

wegen Enteignungsentschädigung

erlässt der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts M. durch die unterzeichnenden Richter ohne mündliche Verhandlung am 02.11.2006 folgenden

Beschluss:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird die Kostenentscheidung in Ziffer II. Satz 1 des Endurteils des Landgerichts M. I vom 11.05.2006, Az.: 12 O 20204/01, dahingehend abgeändert, dass der Kläger die Kosten des Verfahrens zu 26% und die Beklagte zu 74% tragen. Die weitergehende Beschwerde des Klägers wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Gründe:

1.

Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks in M., über das nach Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens und einer Besitzeinweisung der Deutschen Bundesbahn ca. 1993 eine Bahntrasse, die das Grundstück ungefähr in der Mitte durchschneidet, gebaut wurde. An dem Grundstück ist ein Erbbaurecht bestellt, dass der Kläger zur Hälfte erworben hat.

Am 11.10.2001 erließ die Landeshauptstadt M. einen Enteignungsbeschluss (Anlage A 23), mit dem dem Kläger das Eigentum an einer Teilfläche von 2.475 qm, die der neugebildeten FlNr. 1314/26 entsprach, zugunsten der Beklagten entzogen wurde.

Der Kläger griff den Enteignungsbeschluss im Verwaltungsrechtsweg an. Zugleich machte er beim Landgericht M. I gegenüber der Beklagten eine höhere Enteignungsentschädigung (Antrag I Streitwert 2.052.926,90 €), den Abbruch und Entsorgung von Gebäuden und Tanks beziehungsweise der Kosten dafür (Antrag II Streitwert 55.219,52 €) sowie die Sanierung des Bahndamms beziehungsweise die Kosten hierfür (Antrag III Streitwert 20.000,00 €) geltend. Mit Urteil vom 07.04.2005 hob das Verwaltungsgericht M. den Enteignungsbeschluss vom 11.10.2001 auf. Das Verwaltungsgericht führte aus, der Enteignungsbeschluss sei rechtswidrig, weil er sich auch auf Flächen erstrecke, die nicht durch die verbindlichen Festlegungen des zugrunde liegenden Planfeststellungsbeschlusses vom 07.05.1982 abgedeckt seien.

Die Parteien erklärten daraufhin den Rechtsstreit hinsichtlich Ziffer I. und II. der Klage (Enteignungsentschädigung und Abbruch/Entsorgung) übereinstimmend für erledigt. Hinsichtlich des Klageantrags III (Sanierung Bahndamm) stimmte die Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers nicht zu. Der Kläger beantragte festzustellen, dass Antrag III erledigt sei.

Mit Endurteil vom 11.05.2006 wies das Landgericht M. I den Feststellungsantrag mit der Begründung ab, durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts sei keine Erledigung des ursprünglichen Begehrens, dass sich allenfalls auf § 1004 BGB stützen könne, eingetreten. Die Kostenentscheidung des Landgerichts beruht insoweit auf § 91 ZPO, bezüglich der übereinstimmend für erledigt erklärten Anträge auf § 91a ZPO. Das Landgericht führte aus, hinsichtlich Ziffer I. der Klage sei wegen des ungewissen Ausgangs der Beweisaufnahme über den Grundstückswert eine Kostenteilung angemessen. Den fehlerhaften Enteignungsbeschluss habe nicht die Beklagte, sondern die Landeshauptstadt M. zu vertreten. Antrag II. hätte mangels Anspruchsgrundlage voraussichtlich keinen Erfolg gehabt, sodass der Kläger hierfür die Kosten zu tragen habe. Entsprechend den Einzelstreitwerten errechnete das Landgericht, dass der Kläger 52 % und die Beklagte 48 % der Verfahrenskosten zu tragen hatte.

Mit Schriftsatz vom 02.06.2006 (Bl. 245/253 d. A.) legte der Kläger gegen die Kosten- und Vollstreckbarkeitsentscheidung des Urteils, das ihm am 19.05.2006 zugestellt worden war, sofortige Beschwerde ein. Er beantragt, die Ziffern II. (gemeint ist offenkundig nur Satz 1) und III. des Urteils aufzuheben. Der Kläger bringt als zentrales Argument vor, bei der Kostenentscheidung müsse berücksichtigt werden, dass die Deutsche Bundesbahn bei der Trassenführung und der Stellung des Enteignungsantrags die Vorgaben des Planfeststellungsbeschlusses verletzt habe. Hinsichtlich der weiteren Argumentation nimmt der Senat auf den Beschwerdeschriftsatz Bezug.

Die Beklagte führte mit Schriftsatz vom 28.06.2006 (Bl. 255/256 d. A.) aus, die sofortige Beschwerde sei unzulässig.

Das Landgericht half der sofortigen Beschwerde nicht ab (Beschluss vom 10.07.2006 Bl. 258 d. A.).

2.

Die sofortige Beschwerde gegen die "gemischte" Kostenentscheidung ist statthaft und teilweise begründet.

Die Kostenentscheidung im Urteil darf im Rahmen des Beschwerdeverfahrens abgeändert werden, soweit sie auf § 91a ZPO beruht (BGH NJW-RR 2003, 1504; Thomas/Hüßtege, ZPO 27. Aufl., § 91a Rn 55; Zöller/Vollkommer, ZPO 25. Aufl., § 91 a Rn 56 m. w. N.). Soweit die Kostenentscheidung den Klageantrag III. betrifft, über den das Landgericht durch Urteil entschieden hat, wäre eine Überprüfung nur im Rahmen eines Berufungsverfahrens, das der Kläger ausdrücklich nicht angestrengt hat, möglich.

Die Kostenentscheidung im Verwaltungsprozess betrifft nur die dort angefallenen Kosten.

a) Hinsichtlich des ursprünglichen Antrags I. entspricht eine Kostenverteilung im Verhältnis Kläger 1/4 und Beklagte 3/4 billigem Ermessen.

Der Senat gewichtet die Unsicherheit hinsichtlich der Höhe der angemessenen Entschädigung gleich wie die Tatsache, dass der Kläger durch einen rechtswidrigen Enteignungsbeschluss zur Klageerhebung im Entschädigungsverfahren gezwungen wurde und die Entstehung der Kosten nicht vermeiden konnte. Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist der zweite Gesichtspunkt bei der Billigkeitsentscheidung im Verhältnis der Parteien zu berücksichtigen.

aa) Stellt man isoliert auf den voraussichtlichen Ausgang des Rechtsstreits ab, wenn der Enteignungsbeschluss nicht aufgehoben worden wäre, wäre eine Kostenteilung, wie sie das Landgericht vorgenommen hat, entgegen dem Beschwerdevorbringen sachgerecht.

Der Ausgang der Bewertungsstreitigkeit ist offen. Eine Begutachtung im Prozess hat nicht stattgefunden. Im Rahmen der summarischen Prüfung kann dem Gutachten Faltermeier keine größere Überzeugungskraft als den Feststellungen des Gutachterausschusses beigemessen werden. Dem Senat ist aus zahlreichen Verfahren bekannt, wie weit die Ergebnisse verschiedener Sachverständiger bei der Grundstücksbewertung auseinander liegen können. Das gilt gerade für größere Flächen, die nur für spezielle gewerbliche Nutzer in Betracht kommen. Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand ist das Ergebnis eines weiteren Sachverständigengutachtens nicht zu prognostizieren.

Die Rechtslage hinsichtlich der zweiten Hälfte des Erbbaurechts und die sich daraus ergebenden Auswirkungen auf eine etwaige Enteignungsentschädigung sind ungeklärt und brauchen im summarischen Verfahren des § 91 a ZPO nicht geklärt werden.

bb) Die rechtskräftig festgestellte Rechtswidrigkeit des Enteignungsbeschlusses ist aber im Rahmen billigen Ermessens zumindest deshalb zu berücksichtigen, weil die Deutsche Bahn als Rechtsvorgängerin der Beklagten abweichend vom Planfeststellungsbeschluss die Enteignung in dem Umfang des Enteignungsbeschlusses beantragt hat.

Das OLG Koblenz hat zwar in einem Fall, in dem die Enteignungsbehörde den Enteignungsbeschluss während eines Baulandverfahrens wegen ungenügender Sachverhaltsaufklärung von sich aus aufgehoben hat (NJW 1983, 2036), diesen Punkt nicht zu Lasten des Enteignungsbegünstigten berücksichtigt, sondern in seiner Beschwerdeentscheidung (Kostenteilung) allein auf die widerstreitenden Anträge zur Höhe der Entschädigung abgestellt. Ein Verursachungsbeitrag der Enteignungsbegünstigten an der Aufhebung ergibt sich jedoch aus den Gründen der Entscheidung nicht, so dass diese nicht vergleichbar ist.

Grundsätzlich kommt es nicht darauf an, wer die Erledigung verursacht beziehungsweise herbeigeführt hat, wenn dies nicht durch eine Partei willkürlich geschehen ist (Thomas/Hüßtege, ZPO 27. Aufl. § 91a Rn 48 m. w. N. Zöller/Vollkommer, ZPO 25. Aufl. § 91a Rn 25 m. w. N.).

Die Anfechtung des Enteignungsbeschlusses durch den Kläger war nicht willkürlich, wie das Landgericht zu Recht ausgeführt hat. Die Aufspaltung des Rechtswegs hinsichtlich Grund und Entschädigungshöhe ist durch § 22 Abs. 4 AEG, Art. 44, 45 BayEG gesetzlich vorgegeben. Der Kläger musste binnen einen Monats Klage erheben, wollte er jedenfalls eine höhere Entschädigung erlangen, ohne die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Enteignung abwarten zu können (vgl. Molodovsky/Bernstorff, Enteignungsrecht in Bayern, Art 44 BayEG Anm. 1.2). Sinnvollerweise hat er den Antrag gestellt, das Verfahren über die Höhe der Entschädigung auszusetzen. Damit hat er alles von seiner Seite Mögliche zur Kostenreduzierung getan.

Der gegen den Willen des Klägers erfolgte rechtswidrige Eingriff in sein Eigentum führt aufgrund der Aufspaltung des Rechtswegs also quasi automatisch zu einer erheblichen Kostenbelastung im Entschädigungsprozess.

Spezialgesetzliche Regelungen schaffen hierfür keinen Ausgleich. Der von Klägerseite angeführte § 121 BauGB und die ähnlichen, für die Enteignung nach § 22 Abs. 4 AEG maßgeblichen Art. 42, 43 BayEG beziehen sich nur auf das Enteignungs- beziehungsweise das vorgelagerte Besitzeinweisungsverfahren. Für das gerichtliche Verfahren gelten die Vorschriften nicht, sondern die §§ 91 ff ZPO, §§ 154 ff VwGO (Molodovsky/Bernstorff a. a. O.; Art. 43 BayEG Anm. 1.2). Die Art 42, 43 BayEG können weder unmittelbar noch in entsprechender Anwendung § 91a ZPO verdrängen.

Im Rahmen der Billigkeitsentscheidung nach § 91a ZPO ist eine Korrektur aber möglich und geboten (vgl. die Rechtsprechung zur so genannten reziproken Anwendung des § 93 ZPO mit Nachweisen bei Zöller/Vollkommer, 25. Aufl. ZPO, § 91a Rn 25).

Der Senat folgt dem Landgericht darin, dass die juristische Verantwortung dafür, dass ein rechtswidriger Enteignungsbeschluss erlassen worden ist, bei der Landeshauptstadt M. liegt. Im Rahmen einer Billigkeitsentscheidung ist diese Erwägung jedoch zu formal. Die Beklagte beziehungsweise ihre Rechtsvorgängerin haben das Enteignungsverfahren nicht nur eingeleitet, sondern durch ihre Abweichung vom Planfeststellungsbeschluss den Fehler der Enteignungsbehörde zudem begünstigt. Der Kläger wurde dagegen gegen seinen Willen in das Verfahren einbezogen.

cc) Entgegen der Meinung des Klägers ist eine Überwälzung der gesamten Kosten auf die Beklagte jedoch nicht gerechtfertigt.

Eine Billigkeitsentscheidung kann nämlich folgenden Gesichtpunkt nicht außer Acht lassen: Hat der Kläger eine völlig unrealistische Entschädigungsklage erhoben, entspräche es nicht billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens der Beklagten aufzuerlegen, denn das Ergebnis wäre absurd. Je abwegiger der beanspruchte Betrag, umso höher wären die vom Gegner zu tragenden streitwertabhängigen Kosten.

Wie realistisch die Mehrforderungen des Klägers sind, lässt sich, wie bereits dargelegt, nach dem jetzigen Verfahrensstand nicht beurteilen.

Im Rahmen einer summarischen Entscheidung erscheint es angemessen, beide Gesichtspunkte gleich, also mit je 50 %, zu bewerten. Da das Ergebnis der Entschädigungsklage offen ist, für sich betrachtet also eine Kostenteilung angemessen gewesen wäre, ergibt sich für den Klageantrag I. ein Kostenanteil des Klägers von 25 %.

b) Hinsichtlich des ursprünglichen Antrags II erscheint eine Kostenteilung angemessen.

Angesichts der völlig untergeordneten Bedeutung des Klageantrags II für die Kostenentscheidung (Anteil am Gesamtstreitwert 2,5 %) verzichtet der Senat bei seiner summarischen Betrachtung auf eine tiefer gehende Untersuchung der denkbaren Anspruchsgrundlagen und die Prüfung der damit verbunden schwierigen Rechtsfragen. Ob sich am Ende des Verfahrens eine deliktische Eigentumsverletzung oder ein Entschädigungsanspruch ergeben hätte, ist offen. Der Zusammenhang dieses Anspruchs mit dem Enteignungsbeschluss ist sehr lose, so dass anders als bei Antrag II. das Argument der "Klageprovokation" nur eine untergeordnete Rolle spielt. Die angeblichen Schäden sollen bereits durch den Bau des Gleises verursacht worden sein.

c) Soweit das Landgericht durch Urteil entschieden hat (ursprünglicher Antrag III.), scheidet eine Abänderung im Beschwerdeverfahren aus.

d) Eine Rechtsgrundlage zur Aufhebung von Ziffer III. des Urteils vom 11.05.2006 (vorläufige Vollstreckbarkeit) ist ebenso wenig ersichtlich, da der Kläger keine Berufung eingelegt hat.

e) Die Kostenentscheidung im Beschwerdeverfahren beruht auf den §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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