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Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 08.10.2004
Aktenzeichen: 1 W 1961/04
Rechtsgebiete: BGB
Vorschriften:
BGB § 309 Nr. 3 |
2. Soweit die Unwirksamkeit einer Klausel die Rechtsstellung des Kunden verbessern würde, ist die Unklarheitenregel auch im Individualprozess zunächst umgekehrt anzuwenden, das heißt, es ist vorweg zu prüfen, ob die Klausel bei scheinbar kundenfeindlichster Auslegung wegen Verstoß gegen ein Klauselverbot unwirksam ist.
Beschluss
des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München
vom 08.10.2004
Aktenzeichen: 1 W 1961/04
In dem Rechtsstreit
wegen Forderung
hier: Prozesskostenhilfe
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten werden die Beschlüsse des Landgerichts München I vom 23.06.2004 und 21.07.2004 aufgehoben.
Dem Beklagten wird zur beabsichtigten Rechtsverteidigung in erster Instanz Prozesskostenhilfe gegen monatliche Ratenzahlung von 135,-- EUR, beginnend am 01.01.2005, gewährt.
Ihm wird Rechtsanwalt Dr. H. beigeordnet.
Gründe:
1.
Der Beklagte ließ sich von der Zahnärztin Dr. T. im Jahr 2002 als Privatpatient mit einer Brücke im Oberkiefer versorgen. Vor Behandlungsbeginn, am 04.12.2001, unterzeichnete er eine vorformulierte Abtretungserklärung hinsichtlich des Behandlungshonorars an die Klägerin (Anlage K 2).
Die Klägerin betreibt das Factoringgeschäft mit zahnärztlichen Honorarforderungen.
Die Klägerin stellte am 06.05.2002 eine Rechnung über 8.412,59 EUR.
Am 08.07.2002 schlossen die Parteien eine Stundungsvereinbarung (Anlage K 6), in der die Klägerin dem Beklagten Ratenzahlung über drei Jahre zu einem effektiven Jahreszins von 13,11 % gewährte. In Ziffer 5. des Vertrages heißt es: "Der Schuldner verzichtet auf Einwendungen jeglicher Art hinsichtlich des Grundes und der Höhe der Schuld. Der Schuldner erkennt die Forderung an."
Der Beklagte leistete bis zum 24.07.2003 Teilzahlungen in Höhe von insgesamt 2.659,71 EUR.
Die Klägerin kündigte die Ratenzahlungsvereinbarung wegen Verzugs am 24.07.2003.
Im September 2003 stellte nach dem Vorbringen des Beklagten der Nachbehandler Dr. K. Mängel an einer Wurzelfüllung der Zahnärztin Dr. T. fest.
In einem vom Beklagten unter dem Aktenzeichen 27 OH 18193/03 beim Landgericht München I betriebenen selbständigen Beweisverfahren gegen Frau Dr. T. legte der gerichtliche Sachverständige Dr. B. in einem Gutachten am 18.02.2004 dar, ihre Leistungen würden Planungs- und Ausführungsfehler aufweisen (zu den Einzelheiten siehe Anlage B 1).
Die Klägerin machte mit Klage vom 16.02.2004 gegenüber dem Beklagten eine - rechnerisch unstreitige - Restforderung von 6.752,99 EUR geltend.
Der Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 09.03.2004 Prozesskostenhilfe. Er brachte vor, die Abtretung des Honoraranspruchs sei unwirksam. Die Leistung der Zahnärztin sei mangelhaft. Dies müsse die Klägerin sich trotz des Einwendungsverzichts entgegenhalten lassen (zu den Einzelheiten der Begründung siehe Bl. 9/13 d. A.).
Die Klägerin nahm hierzu am 21.04.2004 Stellung (Bl 14/16 d. A.).
Mit Beschluss vom 23.06.1984 wies das Landgericht den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe zurück (Bl. 17/18 d. A.). Es führte aus, auf die Wirksamkeit der Abtretung komme es nicht an, da in der Ratenzahlungsvereinbarung die Forderung anerkannt worden sei. Der Einwendungsverzicht gegenüber der Klägerin gelte nach den §§ 133, 157 BGB für alle Forderungen aus dem Behandlungsverhältnis, auch für Schadenersatzansprüche aufgrund später bekannt gewordener Behandlungsfehler.
Der Beklagte legte gegen den Beschluss am 07.07.2004 sofortige Beschwerde ein.
Das Landgericht half der sofortigen Beschwerde nicht ab (Beschluss vom 21.07.2004).
In der Beschwerdeinstanz vertieften der Beklagte mit Schriftsatz vom 05.08.2004 (Bl. 24/26 d. A.) und die Klägerin mit Schriftsatz vom 24.08.2004 (Bl. 27/29 d. A.) ihre gegensätzlichen Standpunkte.
2.
Die sofortige Beschwerde des Beklagten ist begründet. Die beabsichtigte Rechtsverteidigung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 114 ZPO. Der Beklagte kann mit dem behaupteten Schadenersatzanspruch wegen mangelhafter Prothetik gegenüber der Klägerin trotz des in der Ratenzahlungsvereinbarung erklärten Einwendungsverzichts aufrechnen (§§ 404, 406 BGB). Darüber, ob der Vorwurf fehlerhafter Behandlung zutrifft, muss im Hauptverfahren Beweis erhoben werden.
Die Abtretung der Honorarforderung an die Klägerin ist nach der Auffassung des Senats allerdings wirksam. Das Formular enthält die von der Rechtsprechung geforderten Hinweise.
Der Beklagte kann jedoch mit Schadenersatzforderungen gegen die Zahnärztin gegenüber der Klägerin aufrechnen.
Der Einwendungsverzicht verstößt gegen § 309 Nr. 3 BGB, weil er ein vollständiges Aufrechungsverbot zur Folge hat. Auch im Übrigen gibt es gegen die Angemessenheit der Klausel Bedenken. Selbst wenn die Klausel wirksam sein sollte, wäre sie im Sinne des Beklagten auszulegen. Denn nach § 305 c BGB gehen die Zweifel bei der Frage, ob die von der Klägerin verwendete Klausel erst nach Abschluss der Stundungsvereinbarung bekannt werdende Mängel der zahnärztlichen Leistung erfasst, zu ihren Lasten. Derartige Zweifel bestehen.
Bei Ziffer 5. der Stundungsvereinbarung vom 08.07.2002 handelt es sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne von § 305 Abs. 1 BGB, wie sich aus dem Gesamtbild von Anlage K 6 ersehen lässt. Selbst von der Klägerin wird nicht behauptet, dass ein individuell ausgehandelter Vertrag vorliegt.
a) Die streitige Klausel verstößt gegen § 309 Nr. 3 BGB.
Der Einwendungsverzicht verhindert die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegenüber der Klägerin selbst für unstreitige oder rechtskräftig festgestellte Mängel des Zahnersatzes. Seinem eindeutigen Wortlaut nach ("Einwendungen jeglicher Art hinsichtlich des Grundes und der Höhe der Schuld") erstreckt er sich auf alle Arten von Einwendungen. Dieser Begriff, der sich im vorliegenden Fall erkennbar auf die Terminologie in § 404 BGB bezieht, ist im weitesten Sinn zu verstehen; die Aufrechnung zählt dazu (Palandt/Heinrichs, 63. Aufl., § 404 BGB Randnr. 3).
Dass die Aufrechnung nicht ausdrücklich erwähnt wird, ändert an der Anwendbarkeit von § 309 Nr. 3 BGB nichts (vgl. Palandt/Heinrichs, 63. Aufl., § 306 a BGB Randnr. 2).
Eine geltungserhaltende Reduktion auf strittige Gegenforderungen ist nicht möglich (BGHZ 92, 312, 316). Insbesondere kann diese nicht aus der "Salvatorischen Klausel" in der Stundungsvereinbarung abgeleitet werden, da diese Regelung gegen § 306 Abs. 2 BGB verstößt und daher ebenfalls nichtig ist (Palandt/Heinrichs, 63. Aufl., § 306 BGB Randnr. 9 m. w. N.).
b) Nach der Auffassung des Senats wäre die Klausel aber selbst dann unwirksam, wenn § 309 Nr. 3 weder unmittelbar noch mittelbar über § 306a BGB anwendbar wäre.
Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen gehen nach § 305 c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders. Es gilt demnach, sollte die Klausel wirksam sein, die dem Patienten günstigste rechtlich vertretbare Auslegungsalternative (Palandt/Heinrichs, 63. Aufl., § 305 c Randnr. 18 m. w. N.).
Soweit die Unwirksamkeit einer Klausel die Rechtsstellung des Kunden verbessern würde, ist die Unklarheitenregel aber auch im Individualprozess zunächst umgekehrt anzuwenden, das heißt, es ist vorweg zu prüfen, ob die Klausel bei scheinbar kundenfeindlichster Auslegung wegen Verstoß gegen ein Klauselverbot unwirksam ist (Palandt/Heinrichs, 63. Aufl., § 305c BGB Randnr. 20 m. w. N.).
aa) Die von der Klägerin und vom Landgericht vertretene Auslegung, dass unter Einwendungen "jeglicher Art" auch die bisher noch unbekannten zu subsumieren sind, ist möglich. "Jeglich" bezeichnet nach Duden, Deutsches Universalwörterbuch A - Z, 3. Aufl. 1996, "alle einzelnen Personen oder alle Dinge einer Gesamtheit ohne Ausnahme", so dass diese Auffassung sich gut mit dem Wortlaut der Klausel vereinbaren lässt. Der Senat nimmt zudem an, dass die Klägerin die von ihr entworfene Regelung von Anfang an so verstanden hat. Es liegt in ihrem erkennbaren Interesse, ihre Betriebsabläufe zu vereinfachen und möglichst nicht in die aus tatsächlicher und rechtlicher Sicht oft schwierigen und langwierigen Haftungsprozesse zwischen Zahnarzt und Patient verwickelt zu werden.
bb) Unter den konkreten Umständen hält der Senat den Einwendungsverzicht bei dieser Auslegung - sieht man den vorrangig zu prüfenden § 309 Nr. 3 BGB als nicht anwendbar ab - nach § 307 BGB für unwirksam, da er den Beklagten entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt.
Der BGH hat im Rahmen einer formularmäßigen Stundungsvereinbarung einen "Verzicht auf Einwendungen jeglicher Art - bekannt oder unbekannt - hinsichtlich Grund und Höhe der Schuld" bezogen auf anwaltliche Dienstleistungen als keine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 9 Abs. 1 AGBG angesehen, da er in einem Austauschverhältnis zu einer annähernd einjährigen zinslosen Leistungsstundung stand (BGH NJW 2003, 2386, 2388). Die Klägerin hat sich dagegen Zinsen, die in der Höhe eines gewerblichen Teilzahlungskredits liegen, versprechen lassen. Dass die Klägerin ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der entgeltlichen Kreditgewährung hat, ergibt sich aus den "Stundungsbedingungen" (Anlage K 6 am Ende), die dem Beklagten erst nach 6 Monaten eine Ablösung des Kredits ermöglichen. Zugleich wird das Insolvenzrisiko des Zahnarztes durch den Einwendungsverzicht auf den Beklagten übergewälzt. In der "Stundungsvereinbarung" liegt damit wirtschaftlich gesehen anders als im vom BGH entschiedenen Fall kein Entgegenkommen der Klägerin.
Wenn der Beklagte bei einer Bank ein Darlehen aufgenommen hätte, um die Rechnung der Klägerin zu begleichen, hätte er keinen Einwendungsverzicht abgeben müssen. Dieser entspricht nicht den Grundgedanken der gesetzlichen Regelung des Verbraucherdarlehensvertrages, wie zum Beispiel dem nicht unmittelbar anwendbaren § 496 BGB entnommen werden kann.
§ 309 Nr. 7 BGB, der einen Haftungsausschluss für die Verletzung von Körper und Gesundheit für unwirksam erklärt, ist zwar nicht direkt einschlägig, da die Klägerin den Beklagten nicht behandelt hat, zeigt aber die von der Klausel abweichende Wertung des Gesetzgebers. Schließlich wird von den §§ 404, 406 BGB abgewichen.
c) Letztlich käme es auf die Unwirksamkeit der Klausel im konkreten Fall nicht einmal an. Eine engere Auslegung, die dem Beklagten die Aufrechnung mit erst nach Abschluss der Stundungsvereinbarung bekannt gewordenen Gegenansprüchen ermöglicht, ist rechtlich vertretbar.
Die höchstrichterliche Rechtsprechung stellt bei der Auslegung von Erklärungen im Zusammenhang mit einer Forderungsabtretung nämlich nicht vorrangig auf die Interessen des neuen Gläubigers, sondern auf den Erklärungswillen des Schuldners ab.
Erklärt der Schuldner nach Abtretung der gegen ihn gerichteten Forderung gegenüber dem Zessionar, dass die Forderung anerkannt werde, liegt darin regelmäßig kein konstitutives, sondern nur ein bestätigendes Anerkenntnis, durch das nur solche Einwendungen ausgeschlossen werden, die dem Schuldner bei der Abtretung bekannt sind oder mit denen er rechnen muss. Da die Interessen des Schuldners und des Zessionars typischerweise gegensätzlich sind, kann ein Verzicht auf erst künftig erkennbare Einwendungen nur angenommen werden, wenn dies in der Erklärung des Schuldners - auch für diesen unmissverständlich - klar und eindeutig zum Ausdruck kommt (BGH NJW 1983, 1903 m. w. N., Ermann/Westermann, 11. Aufl., § 404 BGB Randnr. 8). Die vom BGH geforderte Klarheit kann aus der Verwendung des Begriffes "Einwendungen jeglicher Art" nicht geschlossen werden. Der juristisch nicht vorgebildete Privatpatient wird kaum versuchen, anhand von Wörterbüchern die denkbare Reichweite der vorformulierten Erklärung zu erforschen, sondern er wird bei der Unterzeichnung des Formulars darüber nachdenken, ob die Rechnung des Zahnarztes (aus seiner laienhaften Sicht) in Ordnung ist, also nur erbrachte Leistungen enthält, im Rahmen des Kostenvoranschlags bleibt und die Versorgung "passt". Dies sind alles Überlegungen, die sich auf ihm bereits vorliegende Informationen beziehen. Über noch unerkannte Mängel und deren Geltendmachung wird er nach Auffassung des Senats eher nicht nachdenken, denn anders als zum Beispiel in Hinsicht auf Gewährleistungsansprüche beim Bau oder Kraftfahrzeugkauf handelt es sich um Fragen, die sich für den Verbraucher selten stellen und dann überraschend kommen.
3.
Unter Berücksichtigung der Kreditverbindlichkeiten geht der Senat von einem einzusetzenden monatlichen Einkommen des Beklagten von 400,-- EUR und damit einer Monatsrate von 135,-- EUR nach § 115 Abs. 1 S. 4 ZPO aus. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Leasing eines BMW für 322,36 EUR monatlich angesichts der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Beklagten um eine Luxusausgabe handelt. Zudem ist nach der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Ehefrau des Beklagten zu einem Zuschuss zu den Prozesskosten imstande. Ein Anspruch gegen sie auf Prozesskostenvorschuss ist gegeben (Palandt/Brudermüller, 63. Aufl., § 1360a BGB Randnr. 14 m. w. N.). Wegen fehlenden Vermögens der Ehefrau ist aber nur eine Ratenzahlung aus ihrem laufenden Einkommen möglich. Dies wiederum führt zur Gewähr von Prozesskostenhilfe gegen Ratenzahlung (Thomas/Reichold, 26. Aufl., § 115 ZPO Randnr. 19 m. w. N.).
Ende der Entscheidung
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