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Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 06.09.2006
Aktenzeichen: 1 W 2126/06
Rechtsgebiete: BGB, ZPO
Vorschriften:
BGB § 1610 Abs. 2 | |
ZPO § 115 Abs. 1 Satz 1 | |
ZPO § 115 Abs. 1 Satz 2 |
Aktenzeichen: 1 W 2126/06
In dem Rechtsstreit
wegen Forderung
hier: Bewilligung von Prozesskostenhilfe
erlässt der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts M. durch die unterzeichnenden Richter ohne mündliche Verhandlung am 06.09.2006 folgenden
Beschluss:
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Landgerichts M. I vom 03.07.2006, Az. 9 O 452/05, wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Die Klägerin macht im Zusammenhang mit einer im Krankenhaus M./B. vom Beklagten zu 1) am 05.05.1988 durchgeführten bzw. geleiteten operativen Beinverlängerung Schmerzensgeld in kapitalisierter Form und als monatliche Rente geltend und verlangt außerdem die Feststellung der Ersatzpflicht für alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden. Die Beklagte zu 2) wird als Trägerin des Krankenhauses in Anspruch genommen. Mit Schriftsatz vom 5.6.2006 stellte die Klägerin für die am 30.12.2005 erhobene Klage Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, dem das Landgericht mit Beschluss vom 30.05.2005 stattgab, soweit die Klägerin 25.000 € Schmerzensgeld, eine monatliche Rente von 250 € und Feststellung begehrt. Für die darüber hinausgehenden Klageanträge lehnte das Landgericht den Antrag auf Prozesskostenhilfe ab. Mit Schriftsatz vom 01.06.2006 legte die Klägerin den Entwurf einer Klageerweiterung vor, verbunden mit dem Antrag, auch für diese Ansprüche Prozesskostenhilfe zu gewähren.
Mit Schreiben vom 07.06.2006 legte der Bezirksrevisor sofortige Beschwerde gegen die teilweise Bewilligung von Prozesskostenhilfe ein, während sich die Klägerin mit Schriftsatz vom 30.06.2006 gegen die teilweise Ablehnung der Prozesskostenhilfe im Beschluss des Landgerichts vom 30.05.2006 wandte. Mit Beschluss vom 03.07.2006 gab das Landgericht der Beschwerde des Bezirksrevisors statt und lehnte für sämtliche Klageanträge Prozesskostenhilfe ab unter Hinweis auf einen vorrangigen Prozesskostenvorschussanspruch der Klägerin gegen ihre Eltern. Gegen diesen, am 07.07.2006 zugestellten Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 21.07.2006, der das Landgericht mit Beschluss vom 08.08.2006 nicht abgeholfen hat.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet, da das Landgericht zu Recht Prozesskostenhilfe mangels Bedürftigkeit der Klägerin versagt hat.
Nach § 115 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO hat eine Partei für die Prozesskosten zunächst alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert einzusetzen, wozu nach einhelliger Auffassung der Anspruch auf Prozesskostenvorschuss gegenüber Unterhaltspflichtigen gehört (BGH Beschluss vom 4.8.2004, Az. XII ZA 76/04 = FamRZ 2004, 1633). Die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber ihren Kindern unterliegt keinen Altersgrenzen. Sie beginnt mit der Geburt des Kindes und dauert grundsätzlich lebenslang fort, solange das Kind bedürftig und die Eltern leistungsfähig sind. Auch ein volljähriges Kind hat Anspruch auf Unterhalt, solange es sich noch in der Ausbildung befindet. In entsprechender Anwendung des § 1360 a BGB hat die Rechtsprechung einen Anspruch auf Zahlung eines Vorschusses für die Kosten eines Rechtsstreits in wichtigen persönlichen Angelegenheiten gegen die Eltern bejaht, wenn sich das volljährige Kind noch in der Ausbildung befindet und noch keine selbständige Lebensstellung erreicht hat (BGH a.a.O). Nach Abschluss der Ausbildung endet der Unterhaltsanspruch regelmäßig, da das Kind damit selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen kann und nicht mehr bedürftig ist. An die Erwerbsobliegenheiten eines volljährigen Kindes werden hohe Anforderungen gestellt. Ein Erwachsener muss grundsätzlich selbst für seinen Lebensbedarf aufkommen und gegebenenfalls auch mittels berufsfremder oder einfachster Tätigkeiten seinen Lebensunterhalt verdienen (BGH FamRZ 1985, 273). Ausnahmsweise kann jedoch der Unterhaltsanspruch fortbestehen oder sogar wieder aufleben, wenn es dem volljährigen Kind - beispielsweise durch Krankheit oder Behinderung - schlicht unmöglich ist, durch Arbeitsaufnahme für sich zu sorgen (Born in Münchner Kommentar, BGB, Rn. 9, 14 und 28 zu § 1610; Luthin, Handbuch des Unterhaltsrechts, 10. Aufl., S. 213 m.w.N.).
Nach den dargelegten Kriterien hat die Klägerin gegen ihre Eltern einen der Prozesskostenhilfe vorgehenden Anspruch auf Prozesskostenvorschuss.
1. Gegenstand der Klage sind weitreichende Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche wegen Verletzung der Gesundheit im Zusammenhang mit einer ärztlichen Behandlung. Dass die Klägerin mit dem Verfahren eine für sie außerordentlich wichtige persönliche Angelegenheit verfolgt, ergibt sich zweifelsfrei aus dem Klagevorbringen; im Übrigen zählen nach der Rechtsprechung Arzthaftungsprozesse regelmäßig zu den persönlichen Angelegenheiten im Sinne der §§ 1360 a, 1610 BGB (vgl. Brudermüller in Palandt, 65. Aufl., Rn. 14 zu § 1360 a BGB).
2. Die Klägerin hat kein verwertbares Vermögen und kein Einkommen. Sie ist auch nicht aufgrund von Zuwendungen ihres Lebensgefährten in der Lage, sich selbst zu unterhalten. Ihre Bedürftigkeit (§ 1602 Abs. 1 BGB) entfällt auch nicht dadurch, dass sie Erwerbsobliegenheiten schuldhaft verletzt.
Ob die Klägerin angesichts des von ihr geschilderten Gesundheitszustandes überhaupt in der Lage wäre, eine berufliche Tätigkeit auszuüben und damit ihren Lebensunterhalt selbst zu finanzieren, sie somit schon aus diesem Grund unterhaltsberechtigt ist, kann dahinstehen.
Denn die Klägerin befindet sich in einer Berufsausbildung, für die ihre Eltern nach wie vor barunterhaltspflichtig sind. Grundsätzlich umfasst der Unterhalt eines Kindes nach § 1610 Abs. 2 BGB die Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf. Geschuldet wird danach eine Berufsausbildung, die der Begabung und den Fähigkeiten, dem Leistungswillen und den beachtenswerten Neigungen des Kindes am besten entspricht und sich in den Grenzen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern hält. Eltern, die ihrem Kind eine solche Berufsausbildung gewährt haben, sind nicht mehr verpflichtet, die Kosten einer weiteren Ausbildung zu tragen. Eine fortdauernde Unterhaltspflicht kommt jedoch dann in Betracht, wenn die weitere Ausbildung zweifelsfrei als eine bloße in engem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang stehende Weiterbildung zu dem bisherigen Ausbildungsweg anzusehen ist und von vorneherein angestrebt war, oder während der ersten Ausbildung eine besondere, die Weiterbildung erfordernde Begabung deutlich wurde (BGH vom 17.05.2006, Az. XII ZR 54/04 m.w.N.).
Zieht man diese von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze heran, ist - ausgehend vom Sachvortrag der Klägerin - deren Jurastudium keine Zweitausbildung, sondern eine Weiterbildung, für die sie Unterhalt beanspruchen kann. Die Klägerin hat im Schriftsatz vom 01.06.2006 dargelegt, dass sie sich - nachdem sie das Gymnasium mit der Mittleren Reife verlassen und eine vorübergehenden Tätigkeit in einem Verlag ausgeübt hatte - bereits im Jahr 1987 entschlossen hat, das Abitur auf dem M. Kolleg nachzuholen und anschließend Jura zu studieren. Voraussetzung für den Besuch des Kollegs war eine abgeschlossene Berufsausbildung. Da Sprachkenntnisse die Einstellungschancen und die Berufsaussichten als Volljurist verbessern, absolvierte die Klägerin eine Sprachenschule, um durch das Diplom die erforderliche Qualifikation für den beabsichtigten weiteren Ausbildungsweg zu erlangen. Die Klägerin wollte nach ihrem Vortrag zu keinem Zeitpunkt mit Hilfe des erworbenen Diploms der Sprachenschule ihren Lebensunterhalt verdienen und den Beruf einer Übersetzerin ergreifen. Ziel war von Anfang an das Jurastudium, für das das Diplom an der Sprachenschule lediglich ein notwendiger Zwischenschritt war. Sämtliche Stufen der Ausbildung schlossen nahtlos aneinander an und wurden nicht durch eine zeitweilige Berufstätigkeit der Klägerin unterbrochen. Sie stellen sich somit als bis zum jetzigen Zeitpunkt andauernder, einheitlicher Ausbildungsweg dar. Hinzu kommt, dass die angestrebte akademische Laufbahn der Herkunft, den Neigungen und den Fähigkeiten der Klägerin entspricht, wie sie im Schriftsatz vom 01.06.2006 eingehend dargelegt hat. Auch dies spricht gegen ein Ende der Unterhaltspflicht durch das Ablegen des Sprachendiploms.
Auch aus dem unterhaltsrechtlichen Grundsatz der gegenseitigen Rücksichtnahme bestehen keine durchgreifenden Bedenken gegen einen Unterhaltsanspruch der Klägerin. Die Unterhaltspflicht der Eltern wird von der Frage mitbestimmt, inwieweit sie damit rechnen müssen, dass ihr Kind nach einem Schulabschluss und einer zu Ende geführten, in sich geschlossenen Berufsausbildung noch eine berufsqualifizierende Ausbildung - gegebenenfalls über weitere Ausbildungsstufen hinweg - anstrebt. Denn die Belange der Unterhaltspflichtigen dürfen nicht unberücksichtigt bleiben. Die Eltern müssen sich für ihre eigene Lebensplanung in etwa darauf einstellen können, wie lange sie mit einer Unterhaltslast zu rechnen haben. Einerseits haben die Eltern gewisse Verzögerungen oder ein zeitweiliges Versagen hinzunehmen, andererseits hat das Kind seine Ausbildung mit Fleiß und Zielstrebigkeit anzugehen. Auch besteht der Anspruch eines Kindes auf Finanzierung einer begabungsgerechten Ausbildung nicht schrankenlos. Je älter ein Kind bei der Aufnahme einer Ausbildung ist und je eigenständiger es seine Lebensverhältnisse gestaltet, desto mehr tritt die Elternverantwortung für seinen Berufs- und Lebensweg zurück. Die hinsichtlich der Angemessenheit der weiteren Ausbildung zu stellenden Anforderungen bedürfen deshalb mit zunehmendem Alter des Kindes der besonders sorgfältigen Prüfung. Auch wenn ein Kind noch keine oder keine angemessene Berufsausbildung erfahren hat, kann eine besonders lange Verzögerung dazu führen, dass sein Ausbildungsanspruch entfällt und es sich daher seinen Lebensunterhalt mit ungelernten Tätigkeiten oder aufgrund sonstiger Begabungen und Fertigkeiten verdienen muss (BGH vom 17.6.2006, Az. XII ZR 54/04 = FamRZ 2006, 1100 ff).
Vorliegend war der von der Klägerin gewählte Ausbildungsweg einschließlich der Aufnahme des Jurastudiums für ihre Eltern weder überraschend noch unvorhersehbar. Ersichtlich hat die Klägerin ihren erhebliche Zeit in Anspruch nehmenden Ausbildungsplan mit Wissen und Wollen ihrer Eltern eingeschlagen. Dem Vorbringen der Klägerin kann auch keinerlei Obliegenheitsverletzung bei der Absolvierung der Ausbildung entnommen werden. Der Senat verkennt nicht, dass die Klägerin mittlerweile 38 Jahre alt ist und dass sich der Abschluss ihres Studiums um mehrere Jahre verzögert hat. Die Verzögerung ist jedoch nach dem Vorbringen der Klägerin nicht auf mangelndes Talent oder mangelnden Fleiß zurückzuführen, sondern ausschließlich krankheitsbedingt. Sie lag damit außerhalb der Risikosphäre der Klägerin. Im Übrigen beabsichtigt sie, sich zum nächsten Examenstermin anzumelden. Festzustellen ist weiterhin, dass der Vater der Klägerin (ungeachtet des im Juli 1991 abgelegten Sprachendiploms) in der Vergangenheit ohne Unterbrechung monatliche Unterhaltszahlungen geleistet hat und bis heute für die Deckung des Lebensbedarfs seiner Tochter sorgt, auch wenn er die monatliche Zahlung von 560 € seit Februar 1999 als Darlehen bezeichnet und eine 5 %-ige Verzinsung beansprucht. Angesichts der besonderen Umstände des Einzelfalls ist trotz der langen Ausbildungszeit dem berechtigten Interesse der Klägerin am Abschluss ihres Studiums Vorrang einzuräumen, zumal die Klägerin - wie bereits dargelegt - bei krankheitsbedingter Erwerbsunfähigkeit ohnehin einen Unterhaltsanspruch gegen ihre Eltern hätte. Die Belange der Unterhaltspflichtigen sind demgegenüber nicht so gewichtig, als dass die Klägerin zum jetzigen Zeitpunkt auf die Aufnahme einer Berufstätigkeit zur selbständigen Finanzierung ihres Lebensunterhalts verwiesen werden kann.
3. Entgegen ihrer Einschätzung hat die Klägerin bislang keine von den Eltern selbständige Lebensstellung erreicht, so dass auch dieser Aspekt einem Anspruch auf Prozesskostenvorschuss nicht entgegensteht. Das Erreichen einer selbständigen Lebensstellung ist keine Frage des Alters, sondern der konkreten Lebensumstände. Hierzu ist festzustellen, dass die Klägerin weder verheiratet war noch ist. Sie hat keine eigenen Kinder. Sie war auch noch nie berufstätig. Auch wenn sie noch als Minderjährige aus der elterlichen Wohnung ausgezogen ist und seit mehreren Jahren in Düsseldorf mit einem Lebensgefährten zusammenlebt, hat sie zu keinem Zeitpunkt das Leben einer Schülerin bzw. Studentin aufgegeben, für deren Lebensunterhalt die Eltern sorgen. Bedingt durch ihre bis heute andauernde Berufsausbildung hat sie damit keine selbständige, von den Eltern unabhängige Lebensstellung erreicht.
4. Die Klägerin hat keine konkreten Umstände dargelegt und glaubhaft gemacht, die darauf schließen lassen, dass die Durchsetzung ihres Anspruchs auf Prozesskostenvorschusses gegen ihre Eltern in absehbarer Zeit nicht möglich und nicht zumutbar sei. Zwar hat die Klägerin zu den wirtschaftlichen Verhältnissen ihrer Eltern keine detaillierten Angaben gemacht. Sie hat lediglich offenbart, dass ihre Mutter Lehrerin war und bereits "in Rente sei", ihr Vater sei ein renommierter Germanist und Kunsthistoriker. Abgesehen davon, dass die Klägerin darzutun hat, dass der Vorschusspflichtige den Vorschuss nicht aufbringen kann, geht der Senat im Hinblick auf diese Erklärung davon aus, dass die Eltern der Klägerin über hinreichende Mittel zur Finanzierung des von der Klägerin bereits begonnenen Verfahrens verfügen. Auch die Erklärung der Klägerin, sie sei mit ihrem Vater zerstritten, dieser sei nicht bereit, den Prozess gegen die Beklagten zu finanzieren, ist unzureichend, zumal der Vater seine Tochter stets durch monatliche Zahlungen unterstützt hat.
5. In welchem Umfang der Rechtsstreit Aussicht auf Erfolg hat, kann dahinstehen. Soweit diese zu verneinen wären, bestünde auch kein Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
Ende der Entscheidung
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