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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 27.10.2006
Aktenzeichen: 1 W 2277/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 42 Abs. 2
ZPO § 406
1. Allein die Begegnung auf Fachkongressen, der wissenschaftliche Austausch in gemeinsamen fachlichen Arbeitsgemeinschaften oder die Mitarbeit bei größeren universitären Forschungsprojekten lassen für sich genommen nicht den Rückschluss zu, ein Sachverständiger habe nicht mehr die nötige Distanz zur kritischen Beurteilung der Tätigkeit eines Kollegen.

2. Der Sachverständige ist kein Jurist, von dem erwartet werden kann, dass er bei der Beurteilung, welche Anknüpfungstatsachen dem Gutachten zugrunde zu legen sind oder wie weit sein Gutachtensauftrag reicht, keine Fehler macht, zumal wenn es sich um ein umfangreiches und komplexes Verfahren handelt.


Aktenzeichen: 1 W 2277/06

In dem Rechtsstreit

wegen Schmerzensgeld u.a.

hier: Ablehnung des Sachverständigen Prof. Dr. med. W. F.

erlässt der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch die unterzeichnenden Richter ohne mündliche Verhandlung am 27.10.2006 folgenden

Beschluss:

Tenor:

I. Die sofortige Beschwerde des Klägers vom 15.08.2006 gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 27.07.2006 wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Beschwerdewert wird auf 1.114.616,-- Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Kläger macht geltend, der Beklagte zu 1) habe als Direktor der Psychiatrischen Klinik und Poliklinik mit Konsiliardienst G. Klinikum Innenstadt im Dezember 1994 auf Betreiben der damaligen Ehefrau des Klägers ein falsches, fachlich nicht vertretbares psychiatrisches Attest erstellt, in dem er zu Unrecht die Notwendigkeit der sofortigen Unterbringung des Klägers in einer geschlossenen Abteilung einer psychiatrischen Klinik bejaht habe. Mit Hilfe des pflichtwidrig an die Ehefrau ausgehändigten Attestes habe diese Ermittlungs- und Betreuungsverfahren gegen den Kläger in Gang gesetzt, seinen Ruf zerstört und ihn geschäftlich ruiniert. Die Beklagte zu 2) müsse sich das Verhalten des Beklagten zu 1) als hoheitliche Betätigung zurechnen lassen. Von beiden Beklagten verlangt der Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, das er mit mindestens 50.000 Euro bewertet, und die Feststellung der Ersatzpflicht für sämtliche materiellen und künftigen immateriellen Schäden, die er mit ca. 4 Mio Euro beziffert.

Nach Erholung mehrerer medizinisch-psychiatrischer Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. S. ordnete das Landgericht mit Beschluss vom 30.04.2003 nach § 412 ZPO eine neue Begutachtung an und bestimmte Prof. Dr. F. zum Sachverständigen. Dieser reichte am 16.01.2006 sein Gutachten beim Landgericht ein.

Mit Schriftsatz vom 24.04.2006 lehnte der Kläger den Sachverständigen Prof. Dr. F. wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Er macht geltend, eine Internet-Recherche habe ergeben, dass der Sachverständige mit dem Beklagten zu 1) in engem Kontakt stehe. Beide seien als Mitglieder fachwissenschaftlicher Vereine miteinander bekannt, würden wissenschaftlich und publizistisch eng zusammenarbeiten, seien Co-Autoren und Mitherausgeber zahlreicher Fachpublikationen und würden in einem Forschungsprojekt der Universität Bonn laufend miteinander in Verbindung stehen. Auch Formulierungen im Gutachten sowie Mängel der Begutachtung ließen erkennen, dass der Sachverständige zugunsten des Beklagten zu 1) und zu Lasten des Klägers voreingenommen sei. Zudem bestehe ein persönlicher Konflikt zwischen dem Sachverständigen Prof. Dr. F. und dem Vorgutachter Prof. S.. Sowohl der Sachverständige als auch die Beklagtenvertreter äußerten sich zum Befangenheitsantrag. Mit Beschluss vom 27.07.2006, dem Klägervertreter zugestellt am 02.08.2006, wies das Landgericht den Antrag zurück. Hiergegen richtet sich die am 15.08.2006 eingegangene sofortige Beschwerde des Klägers. Das Landgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 28.08.2006 nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt. Ergänzend wird auf die Schriftsätze des Klägervertreters vom 24.04.2006 (Bl. 1058/1089 d.A.), 19.06.2006 (Bl. 1107/1109 d.A.) und 15.08.2006 (Bl. 1117/1120 d.A.), der Beklagtenvertreter vom 19.06.2006 (Bl. 1093/1106 d.A.), 22.06.2006 (Bl. 1110/1111 d.A), 30.06.2006 (Bl. 1112/1113 d.A.), 22.08.2006 (Bl. 1121/1122 d.A.) und 25.08.2006 (Bl. 1123/1126 d.A.), das Schreiben des Sachverständigen vom 31.05.2006 (Bl. 1091/1092 d.A.) und den Beschluss der Kammer vom 27.07.2006 (Bl. 1114/1116 d.A.) Bezug genommen.

II. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Ein Sachverständiger kann wie ein Richter (§ 406 ZPO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO) wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn vom Standpunkt der Partei aus objektiv und vernünftig betrachtet ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen.

Das Landgericht hat im Beschluss vom 27.07.2006 zutreffend dargelegt, dass kein Ablehnungsgrund im vorgenannten Sinn gegen den Sachverständigen Prof. Dr. F. gegeben ist. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hierauf Bezug genommen.

Ergänzend ist folgendes auszuführen:

1. Ungeachtet der Frage, ob der Kläger bereits zu einem früheren Zeitpunkt Bedenken wegen der nunmehr über das Internet recherchierten beruflichen Berührungspunkte zwischen dem Sachverständigen und dem Beklagten zu 1 hätte geltend machen können und müssen, teilt der Senat die Beurteilung des Landgerichts, wonach die im klägerischen Schriftsatz vom 24.04.2006 aufgelisteten Tätigkeiten des Sachverständigen (insbesondere als Mitherausgeber von Publikationen und als Mitglied wissenschaftlicher Gremien) keinen hinreichenden Grund darstellen, an der Unvoreingenommenheit von Prof. Dr. F. zu zweifeln. Dementsprechend war der Sachverständige auch nicht gehalten, diese Umstände unaufgefordert von sich aus vor Übernahme des Gutachtensauftrags mitzuteilen.

Nicht jeder geschäftliche oder persönliche Kontakt zu einer Partei lässt bereits befürchten, dass ein Sachverständiger einen gerichtlichen Gutachtensauftrag nicht mehr objektiv und unvoreingenommen bearbeitet. Eine freundschaftliche Beziehung, eine enge berufliche Zusammenarbeit oder eine wirtschaftliche Abhängigkeit können dagegen die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen. Entgegen der Auffassung des Klägers muss ein Herausgeber wissenschaftlicher Veröffentlichungen nicht notwendigerweise eng mit anderen Mitherausgebern zusammenarbeiten. Regelmäßig übernimmt der Verlag die notwendige Organisation im Zusammenhang mit Publikationen, wie etwa die Auswahl der Autoren bzw. der Themen. Auch dass der Sachverständige im Falle eines für den Beklagten zu 1 ungünstigen Gutachtens finanzielle Nachteile befürchten müsste, ist nicht ersichtlich. Ebenso wenig lassen sich daraus, dass die vom Kläger recherchierte Schriftenreihe des R. Verlags seit mehreren Jahren existiert, Rückschlüsse auf einen engeren Kontakt oder auf eine bedenkliche persönliche Verbundenheit zwischen dem Sachverständigen und dem Beklagten zu 1 ziehen. Auch dass sich Experten auf einem Fachgebiet bei Kongressen begegnen, in gemeinsamen fachlichen Arbeitsgemeinschaften wissenschaftlich austauschen oder bei einem größeren universitären Forschungsprojekt mitarbeiten, ist nicht zu beanstanden. Solche Aktivitäten dienen der wechselseitigen fachlichen Information und Diskussion. Es mag einzelne Teilnehmer oder Mitglieder geben, bei denen sich engere Kontakte entwickeln, ein genereller Schluss auf eine persönliche Nähe, die eine kritische Beurteilung der Tätigkeit eines Kollegen erschwert oder zumindest in Frage stellt, lässt sich hieraus nicht ziehen.

2. Soweit der Kläger geltend macht, der Sachverständige habe den Beklagten zu 1 in seinem Gutachten als "Anwalt seiner Patienten" bezeichnet und damit seine deutliche Sympathie für die gegnerische Partei zum Ausdruck gebracht, hält der Senat die Äußerung aufgrund des Gesamtzusammenhangs für unbedenklich. Der Sachverständige hat auf Seite 3 seines Gutachtens einige allgemeine Bemerkungen vorangestellt, um auf die aus seiner Sicht bestehenden besonderen Schwierigkeiten der Begutachtung aufmerksam zu machen. Dabei hat er sich nicht einseitig zugunsten des Beklagten zu 1 geäußert, sondern die berufliche Tätigkeit beider Parteien angesprochen und hierbei für beide Seiten positive Aspekte herausgehoben. So hat er hinsichtlich des Klägers auf dessen hohe Intelligenz und beachtliche Reputation hingewiesen und ihn als "erfolgreichen Kaufmann, polyglott und weltgewandt" beschrieben. Mit der nachfolgenden Bezeichnung des Beklagten zu 1 als "Arzt und damit in zahllosen Fällen Anwalt seines Patienten" hat der Sachverständige lediglich allgemein einen positiven Aspekt der Tätigkeit des Beklagten zu 1 genannt, ohne dessen konkrete Vorgehensweise hinsichtlich des Klägers vorweg zu nehmen oder zu bewerten. Eine einseitige Sympathiekundgebung zugunsten des Beklagten zu 1, die auf eine voreingenommene Haltung des Sachverständigen schließen lassen würde, ist daraus nicht abzuleiten.

3. Hinsichtlich des Vorwurfs, der Sachverständige habe unter Verstoß gegen seine Neutralitätspflichten einseitig zugunsten des Beklagten zu 1 Tatsachen unterstellt, ist festzuhalten, dass der Sachverständige Psychiater und kein Jurist ist. Von ihm kann nicht erwartet werden, dass ihm bei der Beurteilung, welche Tatsachen unstreitig sind bzw. dem Gutachten zugrunde gelegt werden können, keine Fehler passieren. Selbst die Verfahrensbeteiligten sind häufig unterschiedlicher Meinung, von welchem Sachverhalt auszugehen ist. Hinzu kommt, dass es sich vorliegend um ein sehr umfangreiches und komplexes Verfahren handelt, bei dem es für den Sachverständigen außerordentlich schwierig ist, festzustellen, welche Anknüpfungstatsachen er zugrunde legen darf und muss. Dass der Sachverständige bewusst von streitigen oder unzutreffenden Tatsachen ausgegangen ist, um zu einem für den Beklagten zu 1 vorteilhaften Ergebnis zu gelangen, ist nicht ersichtlich. Im Übrigen ist es Sache des Gerichts, klarzustellen, von welchen (unstreitigen oder bewiesenen) Tatsachen der Sachverständige auszugehen hat, soweit hierüber Meinungsverschiedenheiten bestehen.

4. Auch die vom Kläger gerügte Überschreitung des Gutachtensauftrags lässt nicht auf eine Voreingenommenheit des Gutachters schließen. Der Gutachter hat nicht eigenmächtig ohne einen nachvollziehbaren Anlass einen strittigen Komplex des Verfahrens herausgegriffen und zugunsten einer Partei beantwortet. Seine Ausführungen betrafen vielmehr eine Frage, die in dem Beweisbeschluss vom 30.04.2003 enthalten war. Die Kammer hat den Beweisbeschluss vom 30.04.2003 in Ziffer IV 2 nicht aufgehoben, sondern die Frage lediglich gemäß Beschluss der Kammer vom 24.05.2004 als derzeit (noch) nicht relevant zurückgestellt. Dass der Sachverständige den zweiten Teil des Beweisbeschlusses vom 30.04.2003 dennoch beantwortet hat, legt nahe, dass er den Hinweis vom 24.05.2004 angesichts des Umfangs der Akten und der langen Zeitdauer zwischen Gutachtensauftrag und Gutachtenserstattung übersehen hat. Eine gezielte Missachtung oder Überschreitung des Gutachtensauftrags zum Zwecke der Förderung des Prozessausgangs zugunsten des Beklagten zu 1 kann der Senat darin nicht erkennen. Soweit der Kläger zudem beanstandet, der Sachverständige habe sich nicht dazu geäußert, dass der Beklagte zu 1 das Attest vom 7.12.1994 nicht ohne Exploration hätte ausstellen dürfen, obwohl im Beschluss vom 30.04.2003 diese Frage ausdrücklich enthalten sei, ist dies nur teilweise richtig. Zwar hat der Sachverständige bislang eine klare und eindeutige Aussage hierzu nicht abgegeben. Allerdings hat er auf Seite 21 - 23 des Gutachtens Ausführungen zu der Konfliktlage des Arztes gemacht, der aufgrund von Hinweisen und Verhaltensschilderungen Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung eines Patienten ohne Krankheitsbewusstsein hat. Seine gutachterliche Stellungnahme mag in diesem Punkt ergänzungsbedürftig sein, lässt jedoch nicht erkennen, dass der Sachverständige die Frage nicht beantwortet hat, um den Beklagten zu 1 vom Vorwurf des fachlich nicht vertretbaren Vorgehens zu entlasten. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass inhaltliche Einwände oder die Rüge der mangelnden Qualität eines Gutachtens keine Rückschlüsse auf eine Befangenheit erlauben. Dass ein Gutachten fachlich nicht überzeugt oder handwerklich angreifbar ist, bedeutet nicht, dass der Gutachter voreingenommen ist.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ausgehend von dem Streitwerbeschluss der Kammer vom 22.01.2003 (Bl. 770 d.A.) wurde der Wert des Beschwerdegegenstandes wurde mit etwa 1/3 des Wertes der Hauptsache bemessen.

Ende der Entscheidung

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