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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 17.11.2004
Aktenzeichen: 1 W 2593/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 406 Abs. 1
ZPO § 42 Abs. 2
Ein gegen einen Sachverständigen angebrachter Befangenheitsantrag, der sich darauf stützt, dass der Gutachter ebenso wie eine Prozesspartei an einer größeren wissenschaftlichen Publikation mitarbeitet, an der zahlreiche Mitarbeiter mit gesonderten Beiträgen mitwirken, ist grundsätzlich unbegründet.
Aktenzeichen: 1 W 2593/04

In dem Rechtsstreit

wegen Forderung

hier: Ablehnung des Sachverständigen Prof. Dr. Joachim M. durch die Klägerin

erlässt der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch die unterzeichnenden Richter am 17.11.2004 folgenden

Beschluss:

Tenor:

I. Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 14.9.2004 wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 86.000,-- € festgesetzt.

Gründe:

I.

1. Die Klägerin macht gegen (noch) acht Beklagte Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche aus ihrer am 7.7.1999 behauptetermaßen fehlerhaft erfolgten Entbindung geltend. Unter anderem gegen den die Geburt mit leitenden Beklagten zu 2) erhebt die Klägerin den Vorwurf, die vaginale operative Entbindung in Sektiobereitschaft durchgeführt zu haben, wohingegen angesichts der Lageanomalie der Klägerin und des Umstandes, dass bis zum Nachmittag des 7.7.1999 ein wesentlicher Geburtsfortschritt nicht erzielt worden sei, die Schnittentbindung indiziert gewesen sei. Bei einem Vorgehen lege artis wären die Schädelverletzung und die geburtstraumatische spastische Hemiparese der Klägerin vermieden worden.

2. Mit am 22.10.2003 verkündeten Beweisbeschluss (Bl. 229/233 d. A.) ordnete das Landgericht die Erholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. Joachim M. an.

Das von diesem unter dem 2.3.2004 erstellte Gutachten (Bl. 308/322 d. A.) ging dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 22.3.2004 zu.

Im Termin vom 28.7.2004 hörte das Landgericht den Sachverständigen Prof. Dr. M. an (Bl. 349/353 d. A.).

Hierbei äußerte der Sachverständige zu seiner Person unter anderem.: "Ich kenne Prof. Sch. aus der gemeinsamen Arbeit in der Bayerischen Arbeitsgemeinschaft für Qualitätssicherung sowie von Kongressen her. Eine nähere Beziehung zu ihm habe ich nicht, insbesondere haben wir kein gemeinsames Buch veröffentlicht."

3. Mit Schriftsatz vom 21.8.2004 nahm die Klägerin beweiswürdigend Stellung (Bl. 361/388 d. A.).

Mit weiterem Schriftsatz vom 23.8.2004 (Bl. 390/392 d. A.) teilte sie mit, eine weitergehende Recherche habe ergeben, dass der Gerichtssachverständige auch zusammen mit dem Beklagten zu 2) Lehrbücher herausgebe, wie man der Auflistung des Fachbuches "Klinik der Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Geburt II", herausgegeben von W. K., entnehmen könne. Dort seien als maßgebliche Mitautoren Prof. Dr. J. M. sowie der Beklagte zu 2), Prof. K. T. M. Schneider genannt.

Mit Schriftsatz vom 30.8.2001 (Bl. 402/403 d. A.) lehnte die Klägerin den gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. M. wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Sie führte hierzu aus, es bestehe eine deutliche Befangenheitssituation des Sachverständigen, da nicht zu erwarten sei, dass sich die Mitherausgeber maßgeblicher Fachbuchliteratur gegenseitig ein schlechtes Zeugnis ausstellen würden. Hinsichtlich der Ablehnungsgründe im Einzelnen wird auf Bl. 402/403 d. A. sowie den Schriftsatz vom 2.10.2004, Bl. 432/433 d. A. Bezug genommen, in dem die Klägerin des weiteren ausführte, der Sachverständige sei der Lüge überführt und müsse bereits deshalb abgelöst werden.

4. Mit Beschluss vom 14.9.2004, der Klägerin zugestellt am 20.9.2004, wies das Landgericht den Befangenheitsantrag als unzulässig, da verspätet, zurück.

Mit Schriftsatz vom 22.9.2004, bei Gericht eingegangen am 27.9.2004, legte die Klägerin gegen diesen Beschluss sofortige Beschwerde ein, die sie mit Schriftsätzen vom 27.9.2004 (Bl. 427/431 d. A.) und 11.11.2004 (Bl. 461/466 d. A.) näher begründete.

Der Sachverständige hat mit Schreiben vom 5.10.2004 (Bl. 436/437 d. A.) zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen Stellung genommen.

Die Beklagten beantragen, die Beschwerde zurückzuweisen. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten zu 2) hat hierzu näher vorgetragen (vgl. Bl. 444/445 d. A.).

Das Landgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 13.10.2004 (Bl. 447 d. A.) nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig und fristgerecht erhoben.

In der Sache ist sie jedoch nicht begründet.

Auch wenn man das von der Klägerin gegen den gerichtlichen Sachverständigen gestellte Ablehnungsgesuch aus den von der Klägerin genannten Gründen nicht für verfristet halten sollte, ist das Ablehnungsgesuch jedenfalls unbegründet.

Ein Sachverständiger kann wie ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden (§ 406 Abs. 1 i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO), wenn vom Standpunkt der Partei aus objektiv und vernünftig betrachtet ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen.

Bei verständiger Würdigung liegen hier jedoch keinerlei Gründe vor, die die Befürchtung wecken könnten, der Sachverständige werde der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüberstehen.

Weder der Umstand, dass der gerichtliche Sachverständige ebenso wie der Beklagte zu 2) Mitautor eines wissenschaftlichen Werkes ist, noch die Tatsache, dass der Sachverständige diesen Umstand bei seiner Befragung nicht genannt bzw. sogar ausdrücklich erklärt hat, mit dem Beklagten zu 2) kein gemeinsames Buch veröffentlicht zu haben, rechtfertigt bei vernünftiger Betrachtungsweise auch aus der Sicht der Klägerin die Besorgnis einer Befangenheit des Sachverständigen.

1) Der gerichtliche Sachverständige gibt nicht zusammen mit dem Beklagten zu 2) ein Lehrbuch heraus bzw. hat auch nicht mit dem Beklagten zu 2) ein gemeinsames Buch veröffentlicht.

Zutreffend weist der Sachverständige Prof. Dr. M. darauf hin, dass sich an dem fraglichen Band 7 eine Vielzahl von Mitautoren beteiligt haben. Wie sich aus der von der Klägerin vorgelegten Anlage ergibt, wird das Buch "Klinik der Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Geburt II, Band 7", von Herrn W. K. herausgegeben. Die danach als Mitarbeiter aufgeführten dreißig Autoren haben für dieses Buch Beiträge geliefert, sind jedoch, anders als die Klägerin behauptet, nicht Mitherausgeber bzw. für die Veröffentlichung des Buches verantwortlich. Der Senat glaubt dem Sachverständigen auch, wenn dieser weiter ausführt, im Rahmen der Entstehung des Bandes 7 sei es zu keinem einzigen persönlichen Treffen zwischen ihm und Prof. Dr. Schneider gekommen.

Aus dem Umstand, dass an einer größeren, umfassenden wissenschaftlichen Publikation, wie dies bei einem medizinischen Werk die Regel sein dürfte, zahlreiche Mitarbeiter mit gesonderten Beiträgen mitwirken, lässt sich bei objektiver Betrachtung nicht die Befürchtung herleiten, diese einzelnen Mitarbeiter seien einander derart verbunden, dass mit objektiven Angaben einer dieser Personen als Sachverständiger in einem gegen einen anderen Mitarbeiter gerichteten Zivilverfahren nicht mehr gerechnet werden könnte. Der vorliegende Fall ist auch nicht vergleichbar mit dem vom Oberlandesgericht Köln entschiedenen (Entscheidung vom 13.1.1992, 13 W 1/92 = VersR 93, 72), in dem die Besorgnis der Befangenheit als begründet angesehen wurde, da der Sachverständige und der Geschäftsführer einer Partei über mehrere Jahre wissenschaftlich zusammengearbeitet hatten und der Sachverständige zudem bei dem Geschäftsführer promoviert hatte.

Eine besondere Verbundenheit in sachlicher und/oder persönlicher Hinsicht zwischen dem gerichtlichen Sachverständigen und dem Beklagten zu 2) hat die Klägerin weder vorgetragen noch ist sie in irgendeiner Art und Weise ersichtlich.

2) Der Senat erachtet es unter Ablehnungsgesichtspunkten auch für völlig unbedenklich, dass der gerichtliche Sachverständige nicht über die an ihn offensichtlich gerichtete Frage nach der Buchherausgabe oder -veröffentlichung zusammen mit dem Beklagten zu 2) hinaus auf seine und des Beklagten zu 2) bestehende Mitautoreneigenschaft an dem fraglichen Werk hingewiesen hat.

Soweit im Ablehnungsgesuch der Klägerin der Verdacht auftaucht, der Sachverständige habe hier bewusst etwas verheimlichen wollen, was auf eine nähere Beziehung zum Beklagten zu 2) schließen lassen hätte können, erscheint dieser Vorwurf gekünstelt. Da, wie ausgeführt, bei verständiger Betrachtung eine bloße Mitautorenschaft im Kreis von insgesamt 30 Autoren ein Befangenheitsgesuch nicht trägt, musste es sich dem Sachverständigen auch nicht aufdrängen, diesen Umstand zu nennen. Ob dieser Umstand dem Sachverständigen, dessen wissenschaftliche vita sich nicht nur auf die Mitarbeit an dem fraglichen Werk beschränkt, bei der Anhörung überhaupt bewusst war, kann dahingestellt bleiben.

Der von der Klägerin erhobene Vorwurf, der Sachverständige habe sich durch eine Falschaussage bereits selbst disqualifiziert, sei der Lüge überführt und es sei zu überlegen, ob der gesamte Vorgang nicht richtigerweise an die ermittelnde Staatsanwaltschaft weiterzuleiten sei, schießt nicht nur sprachlich in völlig indiskutabler Weise über das Ziel hinaus. Er ist ersichtlich getragen von dem Bemühen, einen wegen des Inhalts und Ergebnisses seiner gutachtlichen Äußerungen unliebsamen Sachverständigen aus dem Prozess zu entfernen. Hierzu können die Vorschriften über die Ablehnung jedoch keinen Vorschub leisten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Den Wert des Beschwerdeverfahrens hat der Senat mit etwa 1/3 des Wertes der Hauptsache bemessen.



Ende der Entscheidung

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