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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 03.03.2004
Aktenzeichen: 15 U 4549/03
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 91
ZPO § 92 Abs. 2
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
BGB § 288 Abs. 1
BGB § 291
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 15 U 4549/03

Verkündet am 03.03.2004

In dem Rechtsstreit

erläßt der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Edlbauer und die Richter am Oberlandesgericht Dr. Knöringer und Dr. Reiter aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 3. März 2004 folgendes

Endurteil:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts München I vom 30.7.2003 aufgehoben.

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 6.454,81 nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz der Deutschen Bundesbank ab 16.3.2003 zu bezahlen.

Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen, bleibt die Klage abgewiesen.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Der Wert der Beschwer übersteigt € 20.000 nicht.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt vom Beklagten Schadensersatz wegen Verletzung von Beratungspflichten bei einem Anlagegeschäft. Bezüglich der Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Endurteil des Landgerichts München I vom 30.7.2003 Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Im Berufungsverfahren beantragt der Kläger, das Endurteil des Landgerichts München I vom 18.7.2003 dahin abzuändern, dass der Beklagte verurteilt wird, an den Kläger € 8.454,81 nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz der Deutschen Bundesbank ab 8.3.2000 zu bezahlen.

Im Senatstermin 3. März 2004 stellte der Kläger klar, dass sein Antrag so zu verstehen sei, dass er 10% des geltend gemachten Schadens fordere, mindestens aber den mit seiner Teilklage geltend gemachten Betrag.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, die Beschlüsse und die Sitzungsprotokolle wird Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig und begründet. Der Beklagte ist dem Kläger wegen Verletzung der Beratungspflicht zu Schadensersatz in der beantragten Höhe von € 8.454,81 verpflichtet, wobei der Senat von einer Mitverschuldensquote von 60% ausgeht (§§ 675, 611, 276, 254 Abs. 1 BGB).

1.

Der Beklagte haftet aus positiver Vertragsverletzung des zwischen den Parteien bestehenden Beratungsvertrages (§§ 675, 611, 276 BGB), da er den Kläger nicht hinreichend über die speziellen Verlustrisiken einer kreditfinanzierten Kapitalanlage aufgeklärt hat.

Im Rahmen des (teilweise kreditfinanzierten) Erwerbs der streitgegenständlichen Investmentfonds durch den Kläger (Anlagen B 1, 2; K 1) ist zwischen dem Kläger und dem Beklagten, Anlageberater bei dem ... spätestens bei den Vertragsgesprächen am 18.2.2000 stillschweigend ein Beratungsvertrag zu Stande gekommen. Der Kläger brachte dem mit ihm verwandten Beklagten weitreichendes persönliches Vertrauen entgegen; als Fachberater für Elektrogeräte verfügte der Kläger über keine ausreichenden Kenntnisse des Kapitalanlagebereichs und erwartete unstreitig eine fachkundige Beratung durch den Beklagten (vgl. BGH NJW-RR 1993, 1114,1115; Palandt-Sprau, BGB, 63. Aufl., Rn 30 zu § 675; Fullenkamp, OLGR 2001, K 33). Ohne Bedeutung für die Annahme eines Beratungsvertrages ist, ob der Kläger die Dienste des Beklagten, der ihn bereits bei einer früheren Geldanlage beraten hatte, von sich aus in Anspruch genommen hatte oder ob er vom Beklagten angesprochen worden war (vgl. BGHZ 123, 126,128).

Es kann auch dahin stehen, ob die unter Zeugenbeweis gestellte (bestrittene) Behauptung des Klägers zutrifft, der Beklagte habe zwar immer wieder auf die enormen Gewinnchancen hingewiesen, niemals aber über Risiken der Geldanlage gesprochen, da die Verletzung seiner Beratungspflichten bereits dem eigenen Vorbringen des Beklagten zu entnehmen ist. Der Beklagte hat im Senatstermin vom 3.3.2004 eingeräumt, dass die von ihm behauptete Beratung des Klägers inhaltlich der dem Kläger übergebenen Broschüre "Investment Plus" der Dr. Jung & Partner GmbH (Anlage B 9) entsprach. Mit der bloßen Wiedergabe des Inhalts dieser Broschüre, die nach ihrer ausdrücklichen Bestimmung lediglich der "Vorabinformation" von Anlageinteressenten diente, genügte der Beklagte nicht seiner Pflicht zur differenzierten, verständlichen und vollständigen Beratung des Klägers (vgl. BGH NJW-RR 1993, 1114,1115). Entsprechend der Empfehlung des Beklagten erwarb der Kläger für den Betrag von CHF 180.781,39 bei der Banque Generale du Luxembourg Investmentanteile. Der Kläger brachte dabei Eigenkapital in Höhe von CHF 95.374,14 ein, in Höhe von CHF 90.000 nahm er auf Vermittlung des Beklagten einen Kredit bei dieser Bank auf, für den Differenzbetrag von CHF 4.592,75 wurden dem Kläger Bearbeitungs- und Finanzvermittlungsgebühren in Rechnung gestellt (vgl. Anlage K 1). Auf die besonderen Gefahren einer Geldanlage in einer Fremdwährung und namentlich auf die Risiken einer (teilweise) kreditfinanzierten Geldanlage hat der Beklagte nicht hinreichend hingewiesen (vgl. Anlage B 2, 9). Da die erworbenen Investmentanteile (insgesamt) der kreditgebenden Bank zur Sicherheit verpfändet waren (Anlage B 1, K 1) hätte der Beklagte den Kläger darüber informieren müssen, dass bei fallenden Kursen die Sicherheit nicht mehr ausreicht und der Anleger gezwungen sein kann, die Wertpapiere in die Baisse hinein zu verkaufen (vgl. Anlage B 5), was nicht nur zum völligen Verlust des eingesetzten Kapitals, sondern auch zu einer fortbestehenden Verpflichtung zur Kredittilgung führen kann (vgl. BGH MDR 2004, 285,286; BGH NJW 1997, 1362). Tatsächlich mußte der Kläger zur Sicherung des Kredits im Zeitraum 2.4.2001 bis 25.2.2002 noch weitere Nachzahlungen an die kreditgebende Bank in Höhe von insgesamt € 25.1933 erbringen; dem Kläger ist aus dem Anlagegeschäft unstreitig ein Verlust von (mindestens) € 84.584,06 entstanden. Im Hinblick darauf; dass dem Beklagten bekannt war, dass der Kläger über keine größeren liquiden Mittel verfügte, das eingebrachte Eigenkapital vielmehr aus dem Verkauf einer Eigentumswohnung stammte, der Kläger nur eine Rente von etwa € 800 bezieht und die Geldanlage der Altersvorsorge des 67-jährigen Klägers dienen sollte, hätte der Beklagte dem Kläger sogar ausdrücklich abraten müssen, für die Finanzierung der Anlage einen seine wirtschaftlichen Verhältnisse erkennbar übersteigenden Kredit von 90.000 Schweizer Franken aufzunehmen (vgl. OLG Celle NJOZ 2003, 532,539). Dem eigenen Vorbringen des Beklagten ist zu entnehmen, dass eine solche Aufklärung nicht erfolgt ist. Der vom Beklagten beim Beratungsgespräch (lediglich) wiedergegebene Inhalt der Broschüre (Anlage B 9) streicht besonders die Chancen der Hinzunahme von Fremdkapital hervor: "Der "Hebeleffekt" kann Ihre Gesamtrendite deutlich erhöhen"; die besonderen Gefahren einer kreditfinanzierten Anlage werden demgegenüber nur undeutlich als "Nachschussrisiko" angesprochen mit der Empfehlung "genügend Reserven zu haben, um gegegebenfalls den Kredit abzulösen".

Nach der Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass die hinsichtlich der besonderen Gefahren einer kreditfinanzierten Geldanlage, also in einem wesentlichen Punkt, unvollständige Beratung ursächlich für die Anlageentscheidung war; der hierfür darlegungs- und beweispflichtige Beklagte hat bereits nicht vorgetragen, dass sich der Kläger auch bei ordnungsgemäßer Beratung für die kreditfinanzierte Anlage entschieden hätte (vgl. BGH NJW-RR 2000, 998, 999).

2.

Aufgrund der positiven Vertragsverletzung des Beratungsvertrages ist der Beklagte verpflichtet, den Kläger so zu stellen, als wäre er die mit Vereinbarung vom 18.2.2000 (Anlagen B 1, K 1) getroffenen Verpflichtungen nicht eingegangen (BGH NJW-RR 2000, 998,1000; Palandt-Heinrichs, BGB, 61. Aufl., Rn 123 zu § 276).

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass dem Kläger durch den kreditfinanzierten Erwerb der Anteile ein Schaden von (mindestens) € 84.548,06 entstanden ist. Zur Entstehung dieses Schadens hat ein erhebliches Mitverschulden des Klägers beigetragen. Zwar gibt derjenige, der sich bei einer Anlageentscheidung von einem Fachkundigen beraten läßt, damit zu erkennen, dass er nicht über die erforderlichen Kenntnisse verfügt, so dass sein Vertrauen besonderen Schutz verdient (vgl. BGH NJW-RR 1993, 1114, 1115). Der Kläger muß sich gleichwohl ein Mitverschulden anrechnen lassen (§ 254 Abs. 1 BGB), nach Auffassung des Senats mit einer Quote von 60%, da der Beklagte die Vereinbarung vom 18.2.2000 und gleichzeitig ein Formblatt "Bestätigung und Risikohinweis für die Anlage im "Investment-Plus" Programm" unterschrieben hat (Anlage B 2), ohne die erhaltene Broschüre durchzulesen und ohne dem Beklagten mitzuteilen, dass er die Beratung nur unzureichend verstanden hatte und ohne von sich aus nach möglichen Risiken zu fragen (vgl. OLG Köln NZG 2000, 51,52; OLG Karlsruhe BKR 2003, 382, 384).

Der Kläger hat klargestellt, dass bei seiner Teilklage seine Mithaftungsquote vom Gesamtschaden, nicht vom eingeklagten Betrag abgezogen werden soll (vgl. BGH NJW-RR 1998, 948, 949); da die Klageforderung von € 8.454,81 niedriger ist als der bestehende Schadensersatzanspruch in Höhe von € 33.819,22 (€ 84.548.06 abzüglich Mitverschuldensbetrag von € 50.728,84), ist die Berufung begründet.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 91, 92 Abs. 2 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO, die Zinsentscheidung beruht auf §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.

Für eine Zulassung der Revision fehlen die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 543 Abs. 2 ZPO), da es um die Beurteilung eines Einzelfalles geht und nur gängige Rechtsregeln zur Anwendung gelangen.

Ende der Entscheidung

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