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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 18.06.2002
Aktenzeichen: 21 W 1627/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 570
ZPO § 888
1. Die Aktualitätsgrenze im Bereich des BayPrG liegt bei Tageszeitungen bei etwa 4 Wochen, wenn die Erstmitteilung Teil eines durchschnittlichen Artikels ist. Dabei handelt es sich um eine objektive Grenze. Auf die Unverzüglichkeit der Geltendmachung der Gegendarstellung kommt es grundsätzlich nicht an.

2. Nach Ablauf der Aktualitätsgrenze sind Nachbesserungen der Gegendarstellung nur noch rechtzeitig zum ersten Termin zur mündlichen Verhandlung erster Instanz möglich.

3. Im Rahmen der Ermessensausübung nach § 570 Abs. 3 ZPO ist die Frage der Richtigkeit des Titels, aus dem vollstreckt wird, mit zu berücksichtigen.


OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN

Aktenzeichen: 21 W 1627/02

In dem Rechtsstreit

erläßt der 21. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch die unterzeichnenden Richter ohne mündliche Verhandlung am 18. Juni 2002

folgenden

Beschluss:

Tenor:

Die Vollziehung des Beschlusses des Landgerichts München I, 9. Zivilkammer, Aktenzeichen 9 O 6639/02 vom 28.5.2002 wird bis zur Entscheidung des Landgerichts über den Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung vom 16.4.2002 ausgesetzt.

Gründe:

Die Entscheidung ergeht in Anwendung von § 570 Abs. 3 n.F. ZPO. Danach kann das Beschwerdegericht vor der Entscheidung eine einstweilige Anordnung erlassen; es kann insbesondere die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung aussetzen.

1. Es bestehen Bedenken gegen die vom Landgericht am 16.4.2002 erlassene einstweilige Verfügung. Darin wird über die 5. Gegendarstellung mit dem 5. Veröffentlichungsverlangen vom 28.3.2002 entschieden. Dieses Verlangen ist nach Ablauf der Aktualitätsgrenze gestellt, die nach der Rechtsprechung des Senats bei der Süddeutschen Zeitung bei einem durchschnittlichen Artikel bei etwa 4 Wochen liegt (vgl. Senat AfP 2001, 137 = NJW-RR 2001, 832 - Zwang zum freiwilligen Rücktritt); der Artikel ist am 11.1.2002 erschienen. Das ist eine absolute Grenze, die von einem Verschulden nicht abhängt. Die Rechtsprechung (etwa des OLG Hamburg) zur Möglichkeit unverzüglicher Nachbesserung nach gerichtlicher Entscheidung kommt im Bereich des BayPrG nicht zum Tragen. Nach den dieser Rechtsprechung zugrunde liegenden Regelungen in anderen Landespressegesetzen ist ein Gegendarstellungsanspruch unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, geltend zu machen. Nach Art. 10 des BayPrG gilt jedoch die objektive Aktualitätsgrenze. Eine Möglichkeit zur Nachbesserung nach deren Ablauf ist nicht gegeben. Die frühere Rechtsprechung des Senats zur Möglichkeit von Nachbesserungen bei fehlendem Verschulden (vgl. Senat AfP 1990, 53 = OLGZ 1989, 244) ist in der damals vertretenen weiten Form aufgegeben. Der Senat hat allerdings zugelassen, dass eine Gegendarstellung auch nach Ablauf der Aktualitätsgrenze noch verlangt werden kann, wenn dies noch vor dem ersten Termin des Landgerichts zur mündlichen Verhandlung und damit so rechtzeitig geschieht, dass hierüber in diesem ersten Termin mit entschieden werden kann (vgl. Senat AfP 1998, 86 = NJW-RR 1998, 26 -Matratzenschlacht; AfP 1999, 72 = OLGR 1998, 297 - Birgenair; AfP 2001, 132 = OLGR 2001, 185 = ZUM-RD 2001, 163- Im Schlaraffenland). Dies beruht auf der Überlegung, dass in solchen Fällen der Ablauf der Aktualitätsgrenze für die Entscheidung nicht kausal sein kann und eine Abweisung des nachgebrachten Gegendarstellungsantrags unverhältnismäßig wäre (vgl. Senat AfP 2001, 216 = OLGR 2001, 23 = ZUM-RD 2000, 428 - Schweigen ist Silber). Von dieser Möglichkeit hat der Verfügungskläger am 26.3.2002 mit seinen Anträgen zur 2. und 3. Fassung der Gegendarstellung Gebrauch gemacht. Diese Fassungen konnten deshalb mit der Begründung, die Aktualitätsgrenze sei überschritten, nicht zurückgewiesen werden. Dies hat das Landgericht auch nicht getan.

Die danach abgefassten Gegendarstellungen samt den Veröffentlichungsverlangen vom 28.3.2002, zugegangen bei der Verfügungsbeklagten am 2.4.2002, sind nach Ablauf der Aktualitätsgrenze und auch erst nach dem Termin des Landgerichts vom 27.3.2002 gestellt worden. Dabei gilt die schon erwähnte Rechtsprechung des Senats zur Möglichkeit von Nachbesserungen bis zum ersten Verhandlungstermin für den vorliegenden Rechtsstreit nicht mehr; nur für die erste Verhandlung über Gegendarstellungen zu dem angegriffenen Artikel besteht die Nachbesserungsmöglichkeit. Das war die Verhandlung vor dem Landgericht am 27.3.2002 in dem Rechtstreit 9 O 1579/02, in welcher der allein noch gestellte Antrag zur 3. Gegendarstellung zurückgewiesen wurde. Ein neuer Rechtsstreit begründet keine andere Aktualitätsgrenze und nach den genannten Überlegungen auch keine neue Nachbesserungsmöglichkeit.

2. Bei dieser Sachlage braucht auf sachliche Bedenken zur streitgegenständlichen Gegendarstellung" nicht eingegangen zu werden. Allerdings bestehen Bedenken zur Nr. 2 der Gegendarstellung in der Fassung der einstweiligen Verfügung des Landgerichts. Die Behauptung, es habe jemand "kurz vor dem Konkurs gestanden" ist möglicherweise überwiegend Meinungsäußerung (vgl. BGH AfP 1994, 218 = NJW 1994, 2614 - Pleite gemacht).

Gewisse Bedenken bestehen auch zur Nr. 5 der einstweiligen Verfügung. Es ist fraglich, ob eine entgegengesetzte Darstellung oder eine berechtigte Ergänzungsdarstellung vorliegt. Im Artikel steht, dass das Jugendamt Zwickau nicht mehr zuständig gewesen sei. Dann aber ist es für den Leser ohne Belang, ob es trotz der fehlenden Zuständigkeit über das Schicksal des Kindes informiert wurde. Zudem ist im Artikel formuliert: "Wo sich das Kind aufhält, ob es zur Adoption freigegeben wurde, das Jugendamt in Zwickau weiß es nicht. Es ist nicht mehr zuständig." Das stellt ersichtlich auf die Äußerung dieses Jugendamts ab, nicht darauf, ob es informiert wurde. Wenn auf Anfrage geäußert wird, man wisse es nicht, wo sich das Kind aufhalte, dann wird das nicht dahin verstanden, dass es nicht informiert worden sei. Es drängt sich vielmehr das Verständnis dahin auf, dass man es nicht wisse, weil man nicht mehr zuständig war.

3. Die Aussetzung der Vollziehung wird zunächst bis zur Entscheidung des Landgerichts über den Widerspruch angeordnet. Zwar sieht § 888 ZPO eine materielle Prüfung des vollstreckbaren Titels nicht vor. Jedoch ist die Frage der Richtigkeit des Titels im Rahmen des Ermessens nach § 570 Abs. 3 ZPO mit zu berücksichtigen. Auf dem formalen Weg des § 888 ZPO kann nicht ein Gegendarstellungsanspruch durchgesetzt werden, der nach Auffassung des Beschwerdegerichts mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht besteht. Dabei ist allerdings vom Senat die Rechtslage nur summarisch überprüft worden. Irgendeine Bindung des Landgerichts an die dargelegten Bedenken besteht nicht. Auch handelt es sich um Fragen, die noch - jedenfalls im Bereich des Widerspruchsverfahrens und gegebenenfalls auch der Berufung - eingehend zu diskutieren sind.

Ende der Entscheidung

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