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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 31.05.2002
Aktenzeichen: 24 U 713/01
Rechtsgebiete: StGB, ZPO


Vorschriften:

StGB § 266 a
StGB § 266 a Abs. 1
ZPO § 3
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 546 Abs. 2 a.F.
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
Sind in wirtschaftlich bedrängter Lage einer Gemeinschuldnerin wegen Vorausabtretung sämtliche Zahlungseingänge an die jeweiligen Gläubiger abzuführen und deswegen als Fremdgelder anzusehen, wird in der Regel keine begründete Aussicht bestehen, Sozialversicherungbeiträge in beträchtlicher Höhe an den Sozialversicherungsträger abführen zu können. In einem solchen Fall kann der Geschäftsführer die später eingetretene Zahlungsunfähigkeit in Kauf genommen haben.
OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN - ZIVILSENATE IN AUGSBURG - IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 24 U 713/01

Verkündet am 31. Mai 2002

In dem Rechtsstreit

wegen Schadenersatzes

erlässt der 24. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München, Zivilsenate in Augsburg, durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht und aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. April 2002 folgendes

Endurteil:

Tenor:

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts Memmingen vom 19. Juli 2001 wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte trägt die Kosten der Berufung.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann die Vollstreckung abwenden durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 32.000 Euro, wenn nicht die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Die Beschwer des Beklagten beträgt 23.913,74 Euro.

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt Schadenersatz wegen nicht abgeführter Arbeitnehmer-Sozialversicherungsbeiträge.

Der Beklagte war Alleingeschäftsführer der. Deren wirtschaftliche Lage war spätestens seit Januar 1998 sehr angespannt. Das Unternehmen zahlte seinen Arbeitnehmern den Lohn für diesen Monat voll aus, führte aber keine Sozialversicherungsbeiträge an die Klägerin ab. Nach einer Beitragsstundung bis 9.3.1998 stellte die GmbH bereits am 16.3.1998 Antrag auf Konkurseröffnung (1.5.1998).

Die Klägerin hat den deliktischen Schadenersatzanspruch auf den strafrechtlichen Tatbestand "Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt" (§ 266 a StGB) gestützt und hierzu vorgetragen, der Beklagte sei als Geschäftsführer für die rechtzeitige Abführung der Beiträge verantwortlich gewesen. Nachdem schon im Jahr 1997 wegen Zahlungsschwierigkeiten eine Stundung der Beiträge durch die Klägerin erfolgt war, habe er die pünktliche Abführung selbst überwachen und Vorsorgemaßnahmen (Aufstellung eines Liquiditätsplans, Bildung von Rücklagen, Lohnkürzung) treffen müssen.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 46.771,21 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit 13.5.2000 zu bezahlen.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und eingewendet, für die Abführung der Beiträge sei sein Prokurist zuständig, die GmbH sei bei Ablauf der Stundungsfrist zahlungsunfähig gewesen. Zahlungseingänge seien zur Befriedigung anderer Gläubiger verwendet worden. Zur Lohnkürzung sei die GmbH nicht verpflichtet gewesen.

Das Landgericht hat den Beklagten nach Beweisaufnahme antragsgemäß verurteilt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, zwar sei die GmbH nach Ablauf der Stundungsfrist zur Beitragsabführung nicht mehr in der Lage gewesen. Diese Zahlungsunfähigkeit sei aber in pflichtwidriger Weise herbeigeführt worden. Dabei habe der Beklagte bedingt vorsätzlich gehandelt. Schon im Rahmen der Lohnauszahlung sei es seine Pflicht gewesen, darauf zu achten, dass die Beiträge zur Sozialversicherung abgeführt werden. Der Beklagte habe seinen Prokuristen nicht überwacht und keine konkreten Anweisungen gegeben.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten, der insbesondere vorträgt, die Zahlungseingänge hätten wegen Voraus- bzw. Globalabtretung den jeweiligen Gläubigern zugestanden, ein Vorrecht der Sozialversicherungsträger habe nicht bestanden.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin stellt den Antrag,

die Berufung zurückzuweisen und trägt im Wesentlichen wie im ersten Rechtszug vor.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachvortrags der Parteien und ihrer Beweisangebote wird zur Ergänzung des Tatbestands auf die in beiden Rechtszügen gewechselten Schriftsätze, auf die Sitzungsniederschriften und auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Die Einhaltung der Förmlichkeiten des Berufungsrechtszuges ist zur Sitzungsniederschrift des Senats vom 11.4.2002 festgestellt worden (Bl. 152 d. A.).

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung des Beklagten ist unbegründet.

Das Landgericht hat richtig entschieden, dass der Beklagte wegen Nichtabführung der Sozialversicherungbeiträge für den Monat Januar 1998 den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 266 a StGB erfüllt hat und der Klägerin aus unerlaubter Handlung zum Schadenersatz verpflichtet ist. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die ausführliche Begründung des angefochtenen Urteils Bezug. Lediglich zur Ergänzung, insbesondere zum Berufungsvorbringen, wird ausgeführt:

Auszugehen ist von der nunmehr unbestrittenen persönlichen Verantwortung auch des Beklagten als Geschäftsführer der GmbH zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen.

Unterstellt, die GmbH sei schon seit 10.3.1998, somit nach Ablauf der Stundungsfrist, zahlungsunfähig gewesen, führt dies zu keiner Entlastung des Beklagten. Deshalb bedarf es zu diesem Punkt nicht der vom Beklagten beantragten Beweiserhebung durch Gutachten (vgl. Berufungsbegründung S. 3 = Bl. 128 d. A.).

Zwar setzt der Tatbestand des § 266 a StGB grundsätzlich voraus, dass der GmbH die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge im Fälligkeitszeitpunkt noch möglich war. Bei Zahlungsunfähigkeit der GmbH hätte der Beklagte als deren verantwortlicher Geschäftsführer Sozialversicherungsbeiträge nicht mehr abführen können.

Als Unterlassungstäter haftet aber auch derjenige, der sich zu einem Zeitpunkt, in dem er noch handlungsfähig war, selbst in diese Lage gebracht hat. Voraussetzung ist, dass er sich dieses Umstands bewusst war und ihn sowie die Möglichkeit, dass er die gebotene Handlung (Beitragsabführung) nicht vornehmen wird, zumindest billigend in Kauf genommen hat. Somit ist ein Arbeitgeber straf- und haftungsrechtlich verantwortlich, wenn ihm die Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit im Fälligkeitszeitpunkt ihrerseits als zumindest bedingt vorsätzliches pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen ist (vgl. BGH VersR 2002, 321 f.). Das ist vorliegend der Fall.

Das Landgericht hat die maßgeblichen Umstände ausführlich dargestellt und umfassend gewürdigt (vgl. S.7 ff. des Urteils = Bl. 105 ff. d. A.). Diese Feststellungen werden durch das Berufungsvorbringen nicht entkräftet.

Unbestritten war die wirtschaftliche Lage der späteren Gemeinschuldnerin ab Januar 1998 - von der Geschäftsentwicklung insbesondere des Jahres 1997 her betrachtet - äußerst angespannt. Schon im Sommer 1997 musste die GmbH um Stundung der Beitragszahlung nachsuchen. Auch im Februar 1998 standen vor dem erneuten Stundungsantrag offensichtlich weder Eigen- noch Fremdmittel zur Verfügung, um die Beitragsschuld zu erfüllen. Der Beklagte konnte unter den gegebenen Umständen nicht erwarten und hat zur Überzeugung des Senats auch nicht damit gerechnet, die finanzielle Lage werde sich bis zum Ablauf der Stundungsfrist ändern und es werde dann der eingeklagte Betrag zur Verfügung stehen. Dafür wird vom Beklagten nichts Konkretes vorgetragen und sind auch sonst keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich. Zur "Situation der Gemeinschuldnerin" lässt er vortragen (vgl. Schriftsatz vom 5.4.2002 S.2 = Bl. 146 d. A.):

"Alle Zahlungseingänge standen entweder unter dem verlängerten Eigentumsvorbehalt der Lieferanten oder sie waren Gegenstand einer Globalabtretung an den die Gemeinschuldnerin finanzierenden Bankenpool."

Wenn der Beklagte - als Begründung für die Nichtverwendung zur Abdeckung der Beitragsrückstände bei der Klägerin - behauptet, sämtliche Zahlungseingänge seien nach (Voraus)Abtretung als Fremdgelder anzusehen und deshalb ungeachtet der bei der Klägerin bestehenden Beitragsschuld an die jeweiligen Gläubiger abzuliefern gewesen, bestand keinerlei begründete Aussicht, die hohe Beitragsschuld nach wenigen Tagen begleichen zu können. Der Beklagte hat vielmehr die in der unbestrittenen Krisensituation als möglich erkannte Zahlungsunfähigkeit in Kauf genommen.

Der Tatbestand des § 266 a Abs. 1 StGB sanktioniert allein die Nichtzahlung der geschuldeten Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung. Es geht in diesem Zusammenhang nicht um den Vorwurf, der Beklagte habe vor Fälligkeit der Arbeitnehmerbeiträge andere Schulden bezahlt und dabei vorwerfbar den Vorrang von Sozialversicherungansprüchen nicht beachtet (vgl. Berufungsbegründung S. 6 ff. = Bl. 131 ff. d. A.). Anzulasten ist ihm vielmehr, er habe im Zusammenhang mit der Auszahlung der Löhne an seine Arbeitnehmer und der pflichtwidrigen Nichtzahlung der Sozialversicherungsbeiträge in einer Krisensituation (vgl. z. B. die Ausgangslage bei "inkongruenter Deckung" im Konkurs- bzw. im konkursrechtlichen Anfechtungsrecht) die naheliegende Gefahr einer Zahlungsunfähigkeit erkannt und in Kauf genommen. Dass zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge für die Lohnzahlungen des Monats Januar 1998 am 15. des Folgemonats bereits Zahlungsunfähigkeit der GmbH bestanden habe, wird seitens des Beklagten nicht behauptet und nicht unter Beweis gestellt. Die Ausführungen des Beklagten zur Aussage des Zeugen und zu den Zahlungseingängen in diesem Zeitraum bzw. zur finanziellen Lage der GmbH im März 1998 sind nicht entscheidungserheblich.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit und der Vollstreckungsschutz richten sich nach § 708 Nr. 10, §§ 711 ZPO.

Die Beschwer wird nach §§ 3, 546 Abs. 2 ZPO a.F. festgesetzt.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO n. F.).

Ende der Entscheidung

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