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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 22.12.2005
Aktenzeichen: 25 W 1478/02
Rechtsgebiete: EuGVÜ, HZÜ


Vorschriften:

EuGVÜ Art. 34 Abs. 2
EuGVÜ Art. 27 Nr. 2
EuGVÜ Art. 46 Nr. 2
HZÜ Art. 5 Abs. 2
HZÜ Art. 10a i.V.m. § 6 AGHZÜ
Das Urteil eines Vertragsstaates des EuGVÜ ist nicht anerkennungsfähig, wenn zwischen den Vertragsstaaten ein Zustellungsvertrag besteht, der Ursprungsstaat jedoch die Zustellung nach dem innerstaatlichen Recht vornimmt, dieses aber nicht mit dem Zustellungsvertrag im Einklang steht.
OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN

Aktenzeichen: 25 W 1478/02

In dem Rechtsstreit

wegen Vollstreckbarerklärung

erläßt der 25. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch die unterzeichnenden Richter ohne mündliche Verhandlung am 22.12.2005 folgenden

Beschluss:

Tenor:

1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Vorsitzenden der 29. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 3.04.2002 aufgehoben.

2. Der Antrag der Antragstellerin auf Erteilung der Vollstreckungsklausel für das Urteils des Appellationsgerichts von Amiens/Frankreich vom 08.09.2000, Rg. 99/1068 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.

Gründe:

I.

Auf Antrag der Antragstellerin hat der Vorsitzende der 29. Zivilkammer des Landgerichts München I mit Beschluss vom 03.04.2002 angeordnet, das am 08.09.2000 erlassene Urteil des Appellationsgerichtshofes von Amiens/Frankreich, Az.: Rg. 99/1068, durch das eine ...zur Zahlung von 615.566,72 FF zuzüglich Zinsen und Kosten verurteilt worden ist, mit der Vollstreckungsklausel zu versehen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die Antragstellerin die formellen Voraussetzungen für die Erteilung der Vollstreckungsklausel durch Vorlage der nach Art. 46 Nr. 1, 47 Nr. 1 EuGVÜ erforderlichen Urkunden erfüllt haben und ein Anerkennungshindernis nach Art. 27, 28 EuGVÜ nicht ersichtlich sei.

Die daraufhin am 10.04.2002 von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle erteilte Vollstreckungsklausel wurde am 15.04.2004 zusammen mit dem angefochtenen Beschluss der Antragsgegnerin zugestellt. Am 14.05.2002 hat die Antragsgegnerin Beschwerde beim Oberlandesgericht München eingelegt. Zur Begründung ihrer Beschwerde trägt sie vor, dass das verfahrenseinleitende Schriftstück ihr nicht ordnungsgemäß zugestellt worden sei. Die Antragsgegnerin habe sich in Frankreich weder auf das erstinstanzliche noch auf das Berufungsverfahren eingelassen. Bei der Entscheidung sowohl des erstinstanzlichen Gerichts als auch derjenigen des Berufungsgerichts handele es sich daher um eine Versäumnisentscheidung. Die Klageschrift sollte ihr durch formlose Übergabe mittels eins deutschen Rechtspflegers übergeben werden. Sie habe die Annahme jedoch verweigert, weil die Klageschrift nur in französischer Sprache abgefasst gewesen sei, eine Übersetzung nicht beigelegen habe und sie in der Klageschrift nicht eindeutig als Partei identifizierbar gewesen sei. Als Beklagte sei eine "...." aufgeführt. Im Anschluss daran sei ihr die Klageschrift auf dem Postwege wiederum ohne Übersetzung übersandt worden. Die Zustellung sei daher fehlerhaft gewesen, weil sie nicht den Vorschriften des Haager Zustellungsübereinkommens vom 15.11.1965 (HZÜ) entsprochen habe. Auch scheide eine wirksame Zustellung nach anderen Vorschriften aus. Auch eine wirksame Zustellung der Berufungsschrift der Antragstellerin liege nicht vor, weil auch diese nur auf dem Postwege ohne Übersetzung übersandt worden sei. Hierbei habe es sich zudem nicht um das verfahrenseinleitende Schriftstück gehandelt. Eine Heilung der Zustellungsmängel komme nicht in Betracht. Diese Möglichkeit beurteile sich nach dem vorrangig anzuwendenden HZÜ, das jedoch keine Heilungsmöglichkeit vorsähe. Damit liege ein Anerkennungshindernis gemäß Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ vor.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Beschluss des Landgerichts München I vom 10.04.2002 aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin auf Vollstreckbarerklärung des Urteils des Appellationsgerichts von Amiens/Frankreich vom 08.09.2000 Rg. 99/1068 zurückzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie meint, auf das Verfahren sei die seit dem 01.03.2002 anwendbare EuGVVO, die gemäß Art. 68 EuGVVO das EuGVÜ verdränge, anzuwenden. Aber auch ein Anerkennungshindernis nach Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ liege nicht vor. Zwar habe sich die Antragsgegnerin auf das französische Verfahren nicht eingelassen. Die Zustellung sei jedoch ordnungsgemäß und so rechtzeitig gewesen, dass die Antragsgegnerin sich noch verteidigen habe können, weil aufgrund der vorgelegten Urkunden nachgewiesen sei, dass die Ladung vom 27.10.1998 zum Termin vom 22.01.1999 vor dem Handelsgericht von Amiens und die Klageschrift vom Gerichtsvollzieher an die zuständige Dienststelle der Staatsanwaltschaft der französischen Republik übergeben worden seien. Damit sei die Zustellung abgeschlossen gewesen. Die Staatsanwaltschaft habe dann die Ladung und Klageschrift entsprechend den Vorschriften des HZÜ an die zuständigen deutschen Behörden übermittelt. Der französische Gerichtsvollzieher habe zusätzlich die Klage und die Ladung an die Antragsgegnerin durch Einschreibebrief übersandt, dessen Eingang bei der Antragsgegnerin am 28.10.1998 bestätigt wurde. Damit sei die Zustellung ordnungsgemäß erfolgt ("remise au parquet"). Dieses Verfahren habe der französischen Verfahrensordnung entsprochen. Nach französischen Vorstellungen regle das französische Verfahrensrecht die Zustellung, wohingegen die Mitteilung über die erfolgte Zustellung sich nach dem HZÜ beurteile. Eine Übersetzung der Urkunden sei gemäß Art. 683 f. n.c.p.c. nicht erforderlich. Die Zustellung sei auch nicht unter Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 HZÜ erfolgt, wonach die um Zustellung ersuchte deutsche Behörde eine Übersetzung verlangen könne. Unterlasse die deutsche Behörde dies, so könne daraus kein Zustellungsmangel abgeleitet werden. Der diesbezüglich erklärte allgemeine Vorbehalt der Bundesrepublik Deutschland in der Ratifikationsurkunde zum HZÜ rechtfertige keine andere Beurteilung, da er keinem in der HZÜ enthaltenen Vorbehalt entspreche. Das französische Ausführungsgesetz zum HZÜ sehe nicht vor, dass bei Auslandszustellungen eine Übersetzung angefertigt werden müsse. Das deutsche Ausführungsgesetz zum HZÜ hätten die französischen Behörden nicht zu beachten. Außerdem ergebe sich aus Art. 3 Abs. 2 der gemäß Art. 24 HZÜ weiter anzuwendenden Vereinbarung zwischen Deutschland und Frankreich vom 06.05.1961 (BGBl. 1961 II, S. 1041), dass die Übersetzung von deutschen Behörden anzufertigen sei.

Der Senat hat mit Beschluss vom 31.10.2003 dem EuGH u.a. folgende Auslegungsfrage vorgelegt:

Sind Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ vom 27.09.1968 in der Fassung des vierten Beitrittsübereinkommens vom 29.11.1996 in Verbindung mit Art. IV Abs. 1 des Protokolls zum EuGVÜ vom 27.09.1968 in der Fassung des vierten Beitrittsübereinkommens vom 29.11.1996 dahingehend auszulegen, dass eine Zustellung eines gerichtlichen Schriftstücks an einen Beklagten, der im Zeitpunkt der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks seinen Wohnsitz in einem anderen Vertragsstaat als dem Gerichtsstaat hat, nur nach den zwischen den Vertragsstaaten geltenden Übereinkommen durchzuführen ist?

Der EuGH hat mit Urteil vom 19.10.2005 die Frage dahingehend beantwortet, dass Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ i.V.m. Art. IV Abs. 1 des Protokolls dahin auszulegen sei, dass, sofern zwischen dem Urteilsstaat und dem Vollstreckungsstaat ein internationales Übereinkommen gilt, die Ordnungsgemäßheit der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks an einen Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, ausschließlich nach den Bestimmungen dieses Übereinkommens zu beurteilen ist, es sei denn, es wird auf die Übermittlungsmethode der unmittelbaren Übersendung zwischen gerichtlichen Amtspersonen gemäß Art. IV. Abs. 2 des Protokolls zurückgegriffen und der Vollstreckungsstaat hat dieser Methode nicht offiziell widersprochen.

II.

1. Die gemäß Art. 36 Abs. 1 EuGVÜ statthafte Beschwerde (§ 11 AVAG) wurde innerhalb der in Art. 36 Abs. 1 EuGVÜ vorgesehenen einmonatigen Beschwerdefrist frist- und formgerecht eingelegt. Auf das Verfahren zur Erteilung der Vollstreckungsklausel und das Beschwerdeverfahren findet vorliegend gem. Art. 13 Abs. 2 des 4. Beitrittsübereinkommens zum EuGVÜ vom 29.11.1996 das EuGVÜ in der Fassung dieses Beitrittsübereinkommens Anwendung. Das EuGVÜ gilt in dieser Fassung seit dem 1.1.1999 für Deutschland und seit dem 1.8.2000 für Frankreich. Das Verfahren wurde zwar vor dem Inkrafttreten des Beitrittsübereinkommens in beiden Mitgliedstaaten eingeleitet, aber die zu vollstreckende Entscheidung erging nach dem Inkrafttreten des 4.Beitrittsübereinkommens für beide Staaten und auf Grund von Zuständigkeitsvorschriften, die dem EuGVÜ in der Fassung des 4.Beitrittsübereinkommens entsprechen, nämlich nach dem EuGVÜ in der Fassung des 3. Beitrittsübereinkommens. Die zum 1.3.2002 in Kraft getretene EuGVVO ist gem. Art. 66 Abs. 2 EuGVVO noch nicht anzuwenden, weil die zu vollstreckende Entscheidung nicht nach dem Inkrafttreten der EuGVVO erlassen wurde (vgl. Hüßtege in Thomas/Putzo, 27. Aufl., Art. 66 Rdnr. 4). Die gemäß § 36 Abs. 1, 37 Abs. 2 EuGVÜ, § 11 AVAG statthafte Beschwerde wurde innerhalb der in Art. 36 Abs. 1 EuGVÜ, § 11 Abs. 3 AVAG vorgesehenen einmonatigen Beschwerdefrist frist- und formgerecht (§ 11 Abs. 1, Abs. 2 AVAG) eingelegt.

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Das Landgericht hätte den Antrag auf Erteilung der Vollstreckungsklausel gemäß Art. 34 Abs. 2 i.V.m. Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ abweisen müssen, weil die Antragstellerin nicht mit Urkunden gemäß Art. 37 Nr. 2 EuGVÜ eine ordnungsgemäße Zustellung des das Verfahren einleitenden Schriftstücks, vorliegend die Klageschrift, nachgewiesen hat. Bei dem mit der Vollstreckungsklausel zu versehenden Urteil des Appellationsgerichts vom Amiens handelt es sich um eine Säumnisentscheidung, weil die Antragsgegnerin sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat und im Termin vor dem dortigen Gericht säumig war. In diesem Fall muss das verfahrenseinleitende Schriftstück ordnungsgemäß zugestellt sein. Bei diesem Tatbestandselement des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ, auf das sich die Antragsgegnerin beruft, handelt es sich um eine eigenständige, kumulative Voraussetzung neben der Rechtzeitigkeit. (EuGH EuZW 1993, 39).

Die Ordnungsgemäßheit der Zustellung beurteilt sich - wie vom EuGH festgestellt - ausschließlich nach Art. IV Abs. 1 des Protokolls zum EuGVÜ vom 27.09.1968 i.V.m. den einschlägigen Zustellungsvorschriften des im Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland geltenden HZÜ vom 15.11.1965.

Gemäß Art. 20 Abs. 3 EuGVÜ durfte das französische Gericht keine Entscheidung erlassen, bis es gemäß Art. 15 HZÜ festgestellt hat, dass die Zustellung dem Recht des Staates entspricht, in dem das Schriftstück zugestellt wird:

Die Zustellungsvoraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 HZÜ liegen nicht vor, weil die Antragsgegnerin nach ihrem, von der Antragstellerin nicht bestrittenen Vortrag nicht zur Entgegennahme des Schriftstücks bereit war. Jedenfalls hat die Antragstellerin entgegen Art. 46 Nr. 2 EuGVÜ kein Zustellungszeugnis einer deutschen Behörde nach Art. 6 HZÜ i. V. m. § 5 AGHZÜ vorgelegt, aus der sich die Zustellung an die Antragsgegnerin ergibt. Einen Nachweis für eine wirksame Zustellung nach Art. 5 Abs.1 Buchstabe a HZÜ hat die Antragstellerin ebenfalls nicht vorgelegt, obwohl sie hierzu gemäß Art. 46 Nr. 2 EuGVÜ verpflichtet wäre. Die Zustellung durch die Post scheitert an Art. 10 Buchstabe a HZÜ i. V. m. § 6 AGHZÜ. Eine Heilung des Zustellungsmangels scheidet in Ermangelung einer entsprechenden Reglung in dem HZÜ aus (BGH NJW 1991, 641).

Auch kann vorliegend nicht auf die Übermittlungsmethode nach Art. IV Abs. 2 des Protokolls zurückgegriffen werden, da die Bundesrepublik Deutschland hier einen Widerspruch eingelegt hat (BGBl. 1973 II, S. 60).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Eine Entscheidung über den Gegenstandswert ist entbehrlich, ebenso eine solche über die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 15 Abs. 1 AVAG)

Ende der Entscheidung

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