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Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 15.05.2003
Aktenzeichen: 29 U 2101/03
Rechtsgebiete: GMV, MarkenG


Vorschriften:

GMV Art. 9 Abs. 2 lit. b
GMV Art. 9 Abs. 2 lit. c
GMV Art. 13
GMV Art. 14 Abs. 1
GMV Art. 98 Abs. 2
MarkenG § 14 Abs. 5
MarkenG § 24
1. Für die Beurteilung der markenrechtlichen Erschöpfung ist stets an die konkreten körperlichen Gegenstände anzuknüpfen, deren Angebot, Vertrieb, Besitz oder Import/Export in Rede steht. Eine Erschöpfung tritt daher nur ein, wenn die konkrete Ware mit der Marke vom Markeninhaber oder mit seiner Zustimmung in dem in Art. 13 Abs. 1 GMV bezeichneten Raum in Verkehr gebracht worden ist.

2. Für den Einwand der Erschöpfung als Ausnahme zu den Ausschließlichkeitsrechten ist grundsätzlich derjenige darlegungs- und beweispflichtig, der sich auf die Erschöpfung beruft.


OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 29 U 2101/03

Verkündet am 15. Mai 2003

In dem Rechtsstreit

markenrechtliche Erschöpfung

hat der 29. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch den Vorsitzenden Richter Wörle sowie die Richter Dr. Kartzke und Dr. Albrecht auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 15. Mai 2003

für Recht erkannt:

Tenor:

1) Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts München I vom 18. Dezember 2002 abgeändert und wie folgt neu gefasst.

I. Die Beklagten werden unter Androhung eines vom Gericht für jeden Fall der künftigen Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 ?, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, verurteilt, es zu unterlassen,

Mineralwasser in Flaschen mit der Markenkennzeichnung "MW", die als für den Schweizer Markt bestimmte Ware gekennzeichnet sind und die weder von der Klägerin noch mit deren Zustimmung im Inland oder in einem der übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union in den Verkehr gebracht worden sind, in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, dort in den Verkehr zu bringen oder in diese einzuführen oder dort zu den genannten Zwecken zu besitzen.

II. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

2) Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen 3) Die Beklagten haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. 4) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten können die Vollstreckung jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 25.000 ? abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe:

I

Die Beklagten haben laut Etikettierung für den schweizer Markt bestimmtes Mineralwasser unter der Marke MW auf den deutschen Markt gebracht.

Die Klägerin hatte die Partie, zu denen die von den Beklagten in Deutschland vertriebenen Flaschen gehören, unstreitig zu einem geringen Teil an die Lufthansa nach Frankfurt am Main zum Verbrauch an Bord und im übrigen ausschließlich in die Schweiz geliefert.

Die Klägerin ist Inhaberin der Gemeinschaftsmarke MW, die u.a. für "eaux minérales" in Deutschland Schutz genießt, und verlangt auf Grund ihres Markenrechts von den Beklagten, den genannten Vertrieb zu unterlassen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagten zu verurteilen, es ... zu unterlassen Mineralwasser in Flaschen mit der Markenkennzeichnung MW, welche durch eine zweisprachige Etikettierung in deutscher und italienischer Sprache sowie zum Teil in französischer Sprache und durch den Hinweis "Pour la Suisse, Für die Schweiz" als für den Schweizer Markt bestimmte Ware gekennzeichnet sind, in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen, oder in diese einzuführen, oder zu den genannten Zwecken zu besitzen.

Das Landgericht München I hat die Klage mit Urteil vom 18. Dezember 2002 abgewiesen, weil das Markenrecht durch das Inverkehrbringen der Ware in Frankfurt am Main erschöpft sei.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Sie sieht in dem Vertrieb der mit ihren Marken versehenen Waren durch die Beklagten eine Markenrechtsverletzung und trägt vor, die strittigen Flaschen hätten die Beklagten aus der Schweiz erhalten. Dem Import in die europäische Gemeinschaft habe sie nie zugestimmt. Sie habe die Waren in der Gemeinschaft auch nicht in den Verkehr gebracht, da sie die für die Lufthansa bestimmten Waren direkt in den "außerterritorialen Raum des Flughafens" geliefert habe. Die von den Beklagten vertriebenen Flaschen stammten nicht aus der Lieferung nach Frankfurt am Main.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Landgerichts München I die Beklagte nach dem ursprünglichen Antrag zu verurteilen.

Die Beklagten beantragen

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Sie tragen vor, Flaschen mit der streitgegenständlichen Kennzeichnung aus Italien eingeführt zu haben; den Lieferanten wollten sie nicht nennen. Eine Erschöpfung sei eingetreten.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze sowie auf das Terminsprotokoll vom 15. Mai 2003 Bezug genommen.

II.

1) Die zulässige Berufung der Klägerin hat Erfolg, weil das Markenrecht der Klägerin nicht erschöpft ist.

a) Das Verhalten der Beklagten erfüllt die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 1 a GMV. Nach dieser Vorschrift ist es untersagt, ohne Zustimmung des Markeninhabers im geschäftlichen Verkehr ein der Marke identisches Zeichen für Waren zu benutzen, die mit denen identisch sind, für die sie eingetragen ist. Die Klägerin kann den Beklagten als Markeninhaberin daher verbieten, mit der Marke gekennzeichneten Flaschen in Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen, sie einzuführen oder zu den genannten Zwecken zu besitzen (Art. 9 Abs. 2 lit. b und c GMV). Sie kann gemäß Art. 14 Abs. 1, Art. 98 Abs. 2 GMV i.V.m. § 14 Abs. 5 MarkenG eine Verurteilung zur Unterlassung beantragen, weil die Beklagten ihre Rechte insoweit verletzt haben.

b) Hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Flaschen ist keine Erschöpfung gemäß Art. 13 Abs. 1 GMV eingetreten. Nach dieser Vorschrift könnte die Klägerin die Benutzung ihrer Marke nicht verbieten, wenn sie selbst oder mit ihrer Zustimmung ein Dritter die Waren unter dieser Marke in der Gemeinschaft in Verkehr gebracht hätte. Die Klägerin hat die von der Beklagten nach Deutschland gelieferten Flaschen jedoch in der Schweiz, die nicht der EU angehört, erstmals in Verkehr gebracht. Daran ändert es nichts, dass die Klägerin Teilmengen nach Frankfurt am Main geliefert hat und MW-Mineralwasser auch sonst in Deutschland und anderen Ländern der europäischen Gemeinschaft in Verkehr bringt. Das führt nicht zur Erschöpfung der Markenrechte an den von den Beklagten in Deutschland vertriebenen Waren, denn für die Erschöpfung ist stets an die konkreten körperlichen Gegenstände anzuknüpfen, deren Angebot, Vertrieb, Besitz oder Import/Export in Rede steht (Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 24 Rdnr. 5; vgl. auch BGH GRUR 1996, 271 - Gefärbte Jeans; OLG Stuttgart OLGR 1998, 108). Eine Erschöpfung tritt daher nur ein, wenn die konkrete Ware mit der Marke vom Markeninhaber oder mit seiner Zustimmung in dem in Art. 13 Abs. 1 GMV bezeichneten Raum in Verkehr gebracht worden ist (EuGH WRP 1998, 851, 852 - Silhouette). Erschöpfung kann vorliegend auch nicht aus dem Freihandelsabkommen der EWG mit der Schweiz vom 22. Juli 1972 (juris: EWGAbk CHE) hergeleitet werden, so dass die Benutzung der Marke in Deutschland nach wie vor von der Zustimmung der Klägerin abhängig war; diese hat sie aber unstreitig nie erteilt.

c) Maßgeblich für die Erschöpfungsfrage sind vorliegend somit allein diejenigen Waren, die die Beklagten vertrieben haben. Die stammten aber nach eigener Behauptung der Beklagten nicht aus der Lieferung der Klägerin nach Frankfurt am Main, sondern aus Italien. Dafür dass die Klägerin die streitgegenständlichen Waren dort selbst in Verkehr gebracht hat oder bringen ließ, sind die Beklagten beweispflichtig. Die Rechtsprechung wendet auch im Bereich der gewerblichen Schutzrechte und des Urheberrechts den allgemeinen Grundsatz an, dass jede Partei die tatsächlichen Voraussetzungen der ihr günstigen Rechtsnorm darzulegen und zu beweisen hat. Für den Einwand der Erschöpfung als Ausnahme zu den Ausschließlichkeitsrechten ist damit grundsätzlich derjenige darlegungs- und beweispflichtig, der sich auf die Erschöpfung beruft. Diese Beweisregel ist auch mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar (EuGH vom 8. April 2003, C-244/00). Für den Bereich des Patentrechts entspricht es einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, dass der Benutzter eines fremden Patents die Erschöpfung beweisen muss (vgl. BGH GRUR 2000, 299, 302 - Karate; OLG Düsseldorf GRUR 1978, 588, 589; Benkard, Patentgesetz, 9. Aufl., § 139 Rdnr. 115; Hesse GRUR 1972, 675, 681). Die gleiche Beweislastverteilung gilt auch im Urheberrecht (BGH GRUR 1988, 373 - Schallplattenimport III; OLG Karlsruhe GRUR 1979, 771 - Remission) und im Markenrecht (OLG Karlsruhe GRUR 1999, 343; BGH GRUR 2000, 879 - stüssy). Immer beruft sich der Benutzer eines fremden Rechts, wenn er Erschöpfung geltend macht, auf einen Tatbestand, der sein an sich verbotenes Verhalten ausnahmsweise erlaubt machen soll; er erhebt also eine Einwendung. Für die Richtigkeit dieser Auffassung spricht auch, dass das deutsche Markengesetz die Erschöpfung (§ 24 MarkenG) in 2.Teil 4. Abschnitt unter der Überschrift "Schranken des Schutzes" zusammen etwa mit der Verjährung und der Verwirkung (§§ 20, 21 MarkenG) regelt.

Auch eine generelle Umkehrung der Beweislast wäre systemfremd (vgl. EuGH GRUR 1998, 919 - Silhouette; BGH GRUR 1996, 271 - Gefärbte Jeans; GRUR 2000, 879 - stüssy). Um die Beweislast im konkreten Einzelfall ausnahmsweise umzukehren, hätten die Beklagten wenigstens Angaben über ihren Lieferanten machen müssen, die es rechtfertigen könnten, von der Klägerin deren Widerlegung zu verlangen - wenn also z.B. Anlass dafür bestanden hätte, anzunehmen, dass der Lieferant das streitgegenständliche Mineralwasser von der Klägerin in Italien bezogen oder mit deren Zustimmung aus der Schweiz importiert hätte.

2) Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Einschränkung des Klageanspruchs entsprechend dem Wortlaut des Art. 13 GMV fällt nicht ins Gewicht.

3) Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

4) Die Revision war nicht zuzulassen (§ 543 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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