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Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 07.11.2002
Aktenzeichen: 29 U 4634/02
Rechtsgebiete: DiätV, LMBG, UWG


Vorschriften:

DiätV § 1 Abs. 4a
LMBG § 17 Abs. 1 Nr. 5
UWG § 1
Für eine bilanzierte Diät ist nach § 1 Abs. 4a Satz 2 letzter Halbsatz DiätVO kein Raum, wenn für die diätetische Behandlung eine Modifizierung der normalen Ernährung, andere Lebensmittel für eine besondere Ernährung oder eine Kombination aus beiden ausreichen; dabei sind neben anderen Lebensmitteln für eine besondere Ernährung auch Nahrungsergänzungsmittel zu berücksichtigen.
OBERLANDESGERICHT MÜCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 29 U 4634/02

Verkündet am 07.11.2002

In dem Rechtsstreit

hat der 29. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch den Vorsitzenden Richter Wörle und die Richter Retzer und Dr. Kartzke aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 07.11.2002

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 22.08.2002 - 1HK O 3360/02 wird zurückgewiesen.

2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Gründe:

I.

Der Antragsteller, der Verband ..., macht gegen die Antragsgegnerin im Wege des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung Unterlassungsansprüche im Zusammenhang mit dem Vertrieb von "A- M.- Kapseln" als diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) und der Werbung hierfür geltend.

Das Landgericht hat mit Urteil vom 22.08.2002, auf das Bezug genommen wird, auf Antrag des Antragstellers folgende einstweilige Verfügung erlassen:

Der Antragsgegnerin wird geboten, es zu unterlassen

1. das Mittel "A. M.- Kapseln" als diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) in den Verkehr zu bringen,

2. für das Mittel "A. M.- Kapseln" zu werben: "Rheuma? Arthrose? Entzündete Gelenke? M.-Kapseln mit EPA + Rheumadiät helfen", sofern dies geschieht wie in der Werbeanzeige im "R. K.", Heft 6/2002, Seite 12.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Antragsgegnerin, die ihren Abweisungsantrag weiterverfolgt. Sie macht geltend, bei den M.-Kapseln handele es sich um ein diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke in Form einer ergänzenden bilanzierten Diät, nicht um ein Arzneimittel. Bei Omega-3-Fettsäuren handele es sich ebenso wie bei Vitamin E um essentielle Nährstoffe. Bei einem diätetischen Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke ließen sich der medizinische Zweck und der Ernährungszweck nicht voneinander trennen. Für eine diätetische Behandlung reiche eine Modifizierung der normalen Ernährung nicht aus. Es gebe keine Fischölkapseln als Nahrungsergänzungsmittel auf dem Markt, mit denen durch zwei Kapseln 900 mg EPA (Eicosapentaensäure) zugeführt werden könnten. Im Übrigen stelle § 1 Abs. 4a DiätV nicht auf Nahrungsergänzungsmittel ab. Zudem fehle die Eilbedürftigkeit für den Antrag Nr. 11. Der Antragsteller habe sich in seinem Abmahnschreiben zunächst nur gegen die Werbung im R. K. Heft 6/2002 gewandt, der Anfang Juni 2002 erschienen sei. Erst mit seinem Antrag vom 08.08.2002 habe der Antragsteller beantragt, der Antragsgegnerin zu verbieten, das Mittel A. M.-Kapseln als diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) in den Verkehr zu bringen.

Das Verbot, für das Mittel gemäß der Werbeanzeige im R. K. Heft 6/2002 zu werben, sei nach Auffassung des Landgerichts begründet, weil es sich um eine krankheitsbezogene Werbung handele. Da das streitgegenständliche Mittel ein Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke sei, sei es vom Verbot der krankheitsbezogenen Werbung freigestellt.

Die Antragsgegnerin beantragt,

unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 8.8.2002 zurückzuweisen.

Der Antragsteller beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Antragsteller verteidigt das Urteil des Landgerichts. Er macht insbesondere geltend, dem von der Antragsgegnerin beworbenen Produkt komme der erforderliche besondere Ernährungszweck nicht zu. Auch die weiteren Voraussetzungen einer ergänzenden bilanzierten Diät lägen nicht vor. Auf dem Markt befänden sich vergleichbare Mittel als Nahrungsergänzungsmittel. Eine diätetische Behandlung der Patienten mit einem unterstellten Nährstoffbedarf an Omega-3-Fettsäuren sei durch eine Modifizierung der Ernährung im Sinne einer fleischarmen Kost in Verbindung mit der Zufuhr von Omega-3-Fettsäuren durch Nahrungsergänzungsmittel möglich.

Wegen des Parteivorbringens in der Berufungsinstanz wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Ferner wird auf das Protokoll des Termins vom 07.11.2002 Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig und begründet. Sowohl Verfügungsanspruch als auch Verfügungsgrund sind gegeben.

1. Der Antragsteller ist prozessführungsbefugt (§ 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG; BGH GRUR 1995,122 - Laienwerbung für Augenoptiker; Baumbach/Hefermehl, UWG, 22. Aufl., UWG Einl., Rdn. 36).

2. a) Dem Antragsteller steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch Nr. 11 (Urteilsausspruch des Landgerichts Nr. 11) nach § 1 UWG i.V.m. § 17 Abs. 1 Nr. 5 LMBG zu. Es ist irreführend, das Produkt "M.-Kapseln" als diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) in Verkehr zu bringen. Denn die Voraussetzungen für ein solches Lebensmittel im Sinne des § 1 Abs. 4a DiätV, der auf Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 1999/21/EG der Kommission vom 25.03.1999 über diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (ABl. EG 1999 Nr. L 91 S. 29) beruht, liegen nicht vor. Nach § 1 Abs. 4a Satz 2 DiätV dienen diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diäten) - abgesehen von im Streitfall von vornherein nicht einschlägigen Fällen wie Verdauungs- und Resorptionsstörungen - der Ernährung von Patienten mit einem sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf, für deren diätetische Behandlung eine Modifizierung der normalen Ernährung, andere Lebensmittel für eine besondere Ernährung oder eine Kombination aus beiden nicht ausreichen. Die Voraussetzungen dieser Subsidiaritätsklausel (§ 1 Abs. 4a Satz 2 letzter Halbsatz DiätV) sind bei den M.-Kapseln der Antragsgegnerin nicht erfüllt. Die in den M.-Kapseln enthaltenen Omega-3-Fettsäuren und das darin enthaltene Vitamin E können den angesprochenen Patienten auch durch eine Modifizierung der normalen Ernährung, nämlich durch hinreichenden Verzehr von Seefisch und Vitamin E-haltiger Lebensmittel und ggf. durch zusätzliche Einnahme einschlägiger Nahrungsergänzungsmittel zugeführt werden. Die Antragsgegnerin weist selbst auf der Verpackung (Anlage AG 5) daraufhin, dass die gezielte Versorgung mit der Omega-3-Fettsäure EPA (Eicosapentaensäure) in Form von M.-Kapseln eine Alternative zum täglichen Fischverzehr ist. Entsprechendes gilt für die Hinweise in der Gebrauchsanweisung (Anlage AG 6). Auch wenn die von der Antragsgegnerin geltend gemachten Schwierigkeiten, regelmäßig geeigneten Seefisch zu erhalten und zu verzehren, in Rechnung gestellt werden, sind die Voraussetzungen des § 1 Abs. 4a Satz 2 letzter Halbsatz DiätV nicht erfüllt. Denn der mit Fischverzehr etwa nicht zu deckende Bedarf an Omega-3-Fettsären kann ggf. durch Einnahme einschlägiger Nahrungsergänzungsmittel gedeckt werden. Für den mit normaler Ernährung etwa nicht zu deckenden Bedarf an Vitamin E gilt Entsprechendes. Wie die Antragstellerin durch Vorlage von Kopien verschiedener Verpackungen (Anlage BB 7) glaubhaft gemacht hat, sind verschiedene Nahrungsergänzungsmittel auf dem Markt, die ebenfalls Omega-3-Fettsäuren und Vitamin E mit allerdings schwächerem Gehalt als bei den M.-Kapseln enthalten. Dieser schwächere Gehalt kann durch eine vermehrte Einnahme kompensiert werden. Für eine bilanzierte Diät ist nach § 1 Abs. 4a Satz 2 letzter Halbsatz DiätV kein Raum, wenn für die diätetische Behandlung eine Modifizierung der normalen Ernährung, andere Lebensmittel für eine besondere Ernährung oder eine Kombination aus beiden ausreichen; dabei sind neben anderen Lebensmitteln für eine besondere Ernährung auch Nahrungsergänzungsmittel zu berücksichtigen (vgl. Hahn, LMR 2002, 553, 555).

Es kann daher im Streitfall dahinstehen, ob bei der Zielgruppe, nämlich Rheumapatienten, Arthrosepatienten und Patienten mit entzündeten Gelenken, ein medizinisch bedingter Nährstoff bedarf in Gestalt von Omega-3-Fettsäuren und Vitamin E gegeben ist, obgleich bei der von der Antragsgegnerin intendierten Diät das medizinisch definierte Ziel der Entzündungskontrolle bzw. Entzündungsverringerung im Vordergrund steht (vgl. gutachtliche Stellungnahme des Diplomchemikers und Assessors d. L. R. vom 27.10.2002, S. 6 [Anlage BK 5]). Des Weiteren kann im Streitfall offen bleiben, ob die Voraussetzungen des § 14b Abs. 1 DiätV bezüglich der Wirksamkeit der M.-Kapseln erfüllt sind (vgl. dazu Hahn aaO 558 ff.).

b) Dem Antragsteller steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß Antrag Nr. 12 (Urteilsausspruch des Landgerichts Nr. 12) nach § 1 UWG i.V.m. § 18

Abs. 1 Nr. 1 LMBG zu. Die angegriffene Werbung mit dem Text "Rheuma? Arthrose? Entzündete Gelenke? ... M.-Kapseln mit EPA + Rheumadiät helfen. Zur diätetischen Behandlungen von Erkrankungen der Gelenke wie Rheuma und Arthrose ... In vielen Fällen stellen sich im Rahmen einer fleischarmen Diät in Verbindung mit M.- Kapseln bereits nach vier Wochen folgende Ergebnisse ein: Reduzierung der Gelenkschmerzen, Geringere Bewegungssteitigkeit am Morgen, Steigerung der Beweglichkeit" enthält krankheitsbezogene Werbeaussagen im Sinne von § 18 Abs. 1 Nr. 1 LMBG. Es wird eine mögliche Linderung der genannten Krankheiten durch Einnahme von M.-Kapseln in Aussicht gestellt. Zwar gilt das Verbot des § 18 Abs. 1 Nr. 1 LMBG nach § 18 Abs. 2 Satz 2 LMBG nicht für diätetische Lebensmittel, soweit nicht das zuständige Bundesministerium durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates etwas anderes bestimmt hat. Nach § 3 Abs. 1 DiätV gelten jedoch abweichend von § 18 Abs. 2 Satz 2 LMBG die Verbote des § 18 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 7 LMBG auch für diätetische Lebensmittel, soweit nicht nach § 3 Abs. 2 DiätV zulässige Aussagen verwendet werden. § 3 Abs. 2 DiätV, nach dem krankheitsbezogene Werbeaussagen für diätetische Lebensmittel in bestimmten, enumerativ aufgeführten Ausnahmefällen zulässig sind (vgl. Senat LMRR 1989, 10 - Lachsöl-Kapseln), ist im Streitfall nicht einschlägig. In dem Ausnahmekatalog des § 3 Abs. 2 DiätV sind die hier von der Werbeaussage angesprochenen Krankheiten "Rheuma" und "Arthrose" und "entzündliche Erkrankungen der Gelenke" nicht aufgeführt. Soweit in § 3 Abs. 2 Nr. 4 Buchst. f DiätV bestimmte Werbeaussagen für Lebensmittel, die zur besonderen Ernährung bei Gicht geeignet sind, für zulässig erklärt werden, ist diese Bestimmung hier nicht einschlägig. Von Gicht ist in der angegriffenen Werbung nicht die Rede; bei Gicht handelt es sich zudem um eine mit den in der angegriffenen Werbung genannten Krankheiten zwar verwandte, aber nicht identische Krankheit (vgl. Gutachten von Prof. Dr. L. vom 17.12.2001, S.24 [Anlage AG 6]). Mangels Vorliegens einer bilanzierten Diät kann im Übrigen dahinstehen, ob im Anwendungsbereich von § 1 Abs. 4a DiätV eine krankheitsbezogene Werbung zulässig ist, soweit es um den besonderen medizinischen Zweck der betreffenden bilanzierten Diät geht, obgleich § 3 Abs. 2 DiätV bei diätetischen Lebensmitteln nur bestimmte, enumerativ aufgeführte Aussagen für zulässig erklärt, die unbeschadet der Kennzeichnungsvorschrift des § 21 DiätV bilanzierte Diäten als solche nicht betreffen.

c) Die vorstehend genannten Verstöße gegen §§ 17, 18 LMBG, bei denen es sich um wertbezogene Normen mit unmittelbar wettbewerbsregelndem Charakter handelt (vgl. Köhler/Piper, UWG, 3. Aufl., § 1, Rdn. 783), indizieren die wettbewerbsrechtliche Unlauterkeit im Sinne von § 1 UWG. Besondere Umstände, die ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten (vgl. BGHZ 140, 134, 138 f- Hormonpräparate; BGH GRUR 2002, 269, 270 - Sportwelten-Genehmigung), sind nicht dargetan und auch nicht ersichtlich.

d) Die vorstehend genannten Verstöße sind auch im Sinne des § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG geeignet, den Wettbewerb auf dem hier einschlägigen Markt wesentlich zu beeinträchtigen (vgl. BGH GRUR 1998,493, 495 - Gelenk-Nahrung; Köhler/Piper aaO § 13 Rdn. 16).

3. Auch ein Verfügungsgrund ist gegeben. Die Dringlichkeit wird vermutet (§ 25 UWG). Die Vermutung ist nicht widerlegt. Aufgrund der eidesstattlichen Versicherung von A. L. vom 29.10.2002 (Anlage BB 3) ist glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller von der Existenz des Mittels "M.-Kapseln" und der Werbung hierfür im R. K. 6/2002 erst am 17.07.2002 Kenntnis erhalten hat. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist am 09.08.2002 bei Gericht eingegangen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

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