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Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 08.11.2004
Aktenzeichen: 29 W 2601/04
Rechtsgebiete: ZPO, GG
Vorschriften:
ZPO § 270 | |
ZPO § 299 | |
GG Art. 103 Abs. 1 |
OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN BESCHLUSS
Aktenzeichen: 29 W 2601/04
In dem Verfahren
hat der 29. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Zwirlein sowie Richter am Oberlandesgericht Cassardt und Richterin am Oberlandesgericht Hübner ohne mündliche Verhandlung am 08. November 2004 beschlossen:
Tenor:
I. Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Beschluss des Landgerichts München I vom 14. Oktober 2004, Az. 33 O 23315/03, aufgehoben.
II. Das Landgericht hat dem Beklagtenvertreter eine Ablichtung von Anlagenkonvolut K 21 zuzuleiten.
III. Der Beschwerdewert wird auf € 45.000.- festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Beschwerdeführer wird im Ausgangsverfahren vor dem Landgericht München I wegen Markenverletzung u.a. auf Unterlassung, Auskunft und Feststellung der Schadenersatzpflicht in Anspruch genommen. Zur Rechtsverteidigung erhebt er in der Klageerwiderung vom 10. Februar 2004 zunächst die Einrede mangelnder rechtserhaltender Benutzung der unter Nr. 383 205 beim DPMA für Waren der Klassen 7, 6, 9, 11, 12 und 20 (u.a. Mühlen) eingetragenen Klagemarke "M..."; im Wege der Widerklage (Schriftsatz vom 10. Mai 2004) verlangt er überdies Einwilligung in die Löschung dieser Klagemarke wegen Verfalls (§ 49 MarkenG).
Zum Nachweis einer rechtserhaltenden Benutzung hat die Klägerin - nach wiederholt gewährten Fristverlängerungen - unter dem 09. September 2004 schließlich als Anlagen K 21a bis K 21m ein umfangreiches Konvolut von Korrespondenzunterlagen bei Gericht mit der Anregung eingereicht, die Kammer möge "in geeigneter Weise dafür Sorge <tragen>, dass der Beklagte die übergebenen Unterlagen nicht zweckfremd nutzen" könne, insofern sich daraus ihr Kundenstamm, d.h. ein Geschäftsgeheimnis ergebe. Zu diesem Zweck hat sie beantragt (Bl. 101 f. d.A.), lediglich dem Beklagtenvertreter auf der Geschäftsstelle des Gerichts dergestalt Einsicht in Anlagenkonvolut K 21a bis K 21m zu gewähren, dass dieser keine Kopien ziehen und sich auch keine Notizen über Namen und Kontaktadressen der Kunden machen könne. Zur Begründung hat sie in ihrem Schriftsatz vom 08. Oktober 2004 (Bl. 120 d.A.) ausgeführt, es gehe ihr nicht darum, in der Art eines Geheimprozesses dem Beklagten die Korrespondenz schlechthin vorzuenthalten; vielmehr wolle sie bei den "im Rahmen ihrer Beweispflicht vorgelegten Benutzungsunterlagen" lediglich ihre berechtigten Interessen an daraus ersichtlichen nicht entscheidungserheblichen Tatsachen, nämlich dem Kundenstamm, wahren. Die im Zuge der Akteneinsicht gewonnenen Erkenntnisse über den Umfang der Nutzung des Klagezeichens "M..." für Ersatzteile könne der Beklagtenvertreter ohne weiteres mit seinem Mandanten erörtern. Dieses Vorgehen sei mit der Zivilprozessordnung durchaus in Einklang zu bringen und werde gerade im gewerblichen Rechtsschutz - etwa in Gestalt des Wirtschaftsprüfervorbehalts bei Auskunftsverpflichtungen, aber auch gemäß §§ 172 Nr. 3 i.V.m. 174 Abs. 3 S. 1 GVG, wonach im Fall der Erörterung eines privaten Geheimnisses die Öffentlichkeit ausgeschlossen und der Parteivertreter verpflichtet werden könne, seinem Mandanten nicht über alle gewonnenen Informationen Auskunft zu erteilen - ständig praktiziert.
Entsprechend richterlicher Verfügung vom 14. September 2004 (Bl. 97 d.A.) hat das Landgericht dem Beklagten nur den klägerischen Schriftsatz vom 09. September 2004 - ohne Anlagenkonvolut K 21a - K 21m - zur Stellungnahme bis 08. Oktober 2004 übermittelt. Das Begehren des Beklagten, die zurückgehaltenen Unterlagen nachzureichen, hilfsweise ihm Akteneinsicht durch Überlassung der Gerichtsakte für drei Tage in seine Kanzlei zu gewähren (Bl. 115 d.A.), hat es (nach Anhörung der Klagepartei) mit Beschluss vom 14. Oktober 2004 (Bl. 125 d.A.) unter Verweis auf die Kommentierung bei Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 299 Rdnr. 4a, dahingehend beschieden, dass "nach Abwägung der ... <beiderseits> vorgetragenen Argumente dem Beklagtenvertreter bezüglich der Anlage K 21 Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle gewährt <werde>; die Anfertigung oder Übersendung vollständiger Kopien der umfangreichen Auftragsbestätigungs- und Rechnungskopien u.ä. <werde> nicht gestattet".
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Beklagten vom 25. Oktober 2004 (Bl. 127 ff. d.A.). Er macht geltend, seinem Anspruch auf rechtliches Gehör könne nur dadurch Genüge getan werden, dass ihm der gesamte gegnerische Prozessvortrag einschließlich eingereichter Anlagen vollständig übermittelt werde, zumal die ihm vorenthaltenen Dokumente die allein prozessentscheidende Frage der behaupteten rechtserhaltenden Benutzung der Klagemarke durch Verwendung des Zeichens M... für Ersatzteile der geschützten Waren beträfen. Ohne die Mitwirkung des Beklagten persönlich könne der Prozessbevollmächtigte dies im Rahmen der Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle nicht sachgerecht beurteilen.
Der Beklagte und Beschwerdeführer beantragt daher,
seinem Prozessbevollmächtigten unter Aufhebung des Beschlusses vom 14. Oktober 2004 eine Kopie des Anlagensatzes K 21 zu übersenden,
hilfsweise
seinem Prozessbevollmächtigten Akteneinsicht durch Überlassung der Gerichtsakte auf drei Tage in seine Kanzleiräume zu gewähren,
weiter hilfsweise
seinem Prozessbevollmächtigten Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle unter ausdrücklicher Gestattung der Anfertigung von Kopien der Anlage K 21 zu gewähren.
Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 26. Oktober 2004 (Bl. 131 d.A.) nicht abgeholfen und die Akten dem OLG München zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte (§ 569 Abs. 1, 2 ZPO) sofortige Beschwerde hat Erfolg. Der angefochtene Beschluss, den der Senat mit dem Beschwerdeführer dahingehend auslegt, dass
- die Übermittlung von Anlagen K 21a - K 21m an den Beklagten abgelehnt wird,
- Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle nur seinem Prozessbevollmächtigten gestattet wird,
- die Anfertigung von Ablichtungen der Unterlagen gemäß K 21a - K 21m untersagt wird und
- ihm die Anfertigung von Notizen nur insoweit gestattet wird, als nicht Namen und/oder Adressen von Abnehmern betroffen sind,
war aufzuheben, da die getroffene Entscheidung gegen §§ 270, 299 ZPO verstößt und dadurch in die prozessualen Rechte des Beschwerdeführers eingreift. Gleichzeitig war die Mitteilung von Anlagenkonvolut K 21 an den Beklagtenvertreter anzuordnen.
1. a. Zunächst ist festzustellen, dass die mit K 21a - K 21m vorgelegten Unterlagen entgegen den Ausführungen der (am Beschwerdeverfahren nicht beteiligten) Klägerin keine Beweismittel für (anderweitig behauptete) Benutzungshandlungen darstellen, sondern ihrerseits erstmals Vortrag zu solchen Benutzungshandlungen enthalten. Denn in ihrem Schriftsatz vom 09. September 2004 (Bl. 97 ff.) führt die Klägerin die in Anlagen K 21a - K 21m dokumentierten Fälle einer etwaigen Verwendung des Zeichens "M..." für geschützte Waren bzw. deren Ersatzteile nicht auf - so dass es, lässt man diese Unterlagen außer Betracht, an jeglichem Sachvortrag für Benutzungshandlungen fehlte.
b. Des weiteren geht der Senat in Übereinstimmung mit dem Landgericht davon aus, dass die Einreichung des Konvoluts gemäß Anlage K 21 seitens der Klägerin nicht unter die ausdrückliche Bedingung (etwa im Sinne eines Sperrvermerks) gestellt wurde, dass es dem Beklagten nicht vollständig zur Kenntnis gebracht werden dürfte (läge eine solche Fallkonstellation vor, müsste das Gericht die Unterlagen unberücksichtigt lassen, widrigenfalls eine gleichwohl auf diese Dokumente gestützte gerichtliche Entscheidung bereits wegen Verstoßes gegen das Gebot rechtlichen Gehörs anfechtbar wäre). Vielmehr beantragt die Klägerin hinsichtlich dieser Unterlagen lediglich, dass das Gericht im Rahmen prozessleitender Verfügungen ihrem Wunsch nach teilweiser Geheimhaltung Rechnung tragen möge, stellt mithin die Wahrung ihrer Belange insoweit ausdrücklich in die Entscheidung des Gerichts. Dementsprechend ist Anlagenkonvolut K 21a - K 21m mit Einreichung auch uneingeschränkt Aktenbestandteil geworden.
2. Das in Art. 103 Abs. 1 GG verankerte Gebot rechtlichen Gehörs verlangt, dass eine Prozesspartei sich zum gesamten dem Gericht zur Entscheidung unterbreiteten Vortrag des Prozessgegners äußern kann (BVerfGE 19, 32, 36; 49, 325, 328). Dies setzt voraus, dass ihr die Angriffs- oder Verteidigungsmittel des Gegners auch vollständig zugänglich gemacht werden. Dabei geht die Zivilprozessordnung grundsätzlich nicht von einer prozessualen Obliegenheit der einen Partei aus, sich (erst) durch eigene Aktivitäten wie etwa die (kostenpflichtige) Akteneinsicht ihres anwaltlichen Vertreters vom gegnerischen Sachvortrag - sei er in Schriftsätzen, sei er, wie hier teilweise, in Anlagen enthalten - Kenntnis zu verschaffen; eine effektive Rechtsverfolgung bzw. -verteidigung ist vielmehr nur dann gewährleistet, wenn ihr der gesamte Sachvortrag der Gegenpartei zugeleitet wird. Dementsprechend sieht § 270 ZPO vor, dass die Geschäftsstelle des Gerichts (§ 168 Abs. 1 ZPO) Erklärungen der einen Partei von Amts wegen dem Gegner zustellt bzw. formlos mitteilt. Im Einklang hiermit bestimmt auch § 133 Abs. 1 ZPO, dass die Parteien den bei Gericht eingereichten Schriftsätzen die für die Zustellung erforderliche Zahl von Abschriften der Schriftsätze und deren Anlagen beifügen sollen.
Indem der angegriffene Beschluss dem Beklagten eine Übermittlung von Anlagen K 21a - K 21m versagt, verstößt er gegen § 270 S. 1 ZPO und beschneidet dadurch die prozessualen Rechte des Beschwerdeführers in unzulässiger Weise. Die gleichzeitig gestattete Akteneinsicht kann diesen Eingriff nicht kompensieren. Denn die in §§ 299 Abs. 1, 270 ZPO vorgesehenen Verfahrensweisen stehen nicht etwa als substituierbare Alternativen zur Verfügung, zwischen denen das Gericht zur Gewährung rechtlichen Gehörs die Wahl hätte. Vielmehr tritt das Akteneinsichtsrecht des § 299 Abs. 1 ZPO kumulativ neben die gemäß § 270 ZPO zwingend vom Gericht zu veranlassende Mitteilung von Schriftsätzen oder sonstigen Parteierklärungen an den Gegner. Im Übrigen verstieße der Verweis des Beschwerdeführers auf Akteneinsicht in der vorliegenden Form auch gegen § 299 Abs. 1 ZPO: denn entgegen dieser Vorschrift wird zum einen nur dem Prozessbevollmächtigten und nicht der Partei selbst die Einsicht in Anlagen K 21a - K 21m gestattet, und zum anderen wird darüber hinaus auch die in § 299 Abs. 1 ZPO ausdrücklich vorgesehene Erteilung von (vollständigen) Ausfertigungen, Auszügen und Abschriften verwehrt.
Der Eingriff in die prozessualen Rechte des Beklagten ist auch mit Rücksicht auf ein Geheimhaltungsinteresse der Klagepartei nicht gerechtfertigt. Insbesondere ließe er sich nicht auf die klägerseits angeführte Erwägung stützen, ihre Kundendaten seien nicht entscheidungserheblich. Denn die - unter Berücksichtigung der gegnerischen Einwände vorzunehmende - Beurteilung dieser Frage obliegt dem Gericht. Desgleichen gibt die in § 174 Abs. 3 S. 1 GVG i.V.m. § 172 Nr. 2,3 GVG geregelte Möglichkeit, den Beteiligten die Geheimhaltung bestimmter Tatsachen zur Pflicht zu machen, entgegen der klägerischen Ansicht insoweit keine Handhabe. Denn diese Vorschrift erlaubt nur, die fraglichen Tatsachen der Öffentlichkeit vorzuenthalten, nicht hingegen, die Verfahrensbeteiligten selbst von einer Kenntnisnahme auszuschließen oder sie darin zu behindern. Den Grundsatz uneingeschränkter Parteiöffentlichkeit hat auch der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung NJW 1992, 1817, 1819 für das Beweisverfahren betont, wenn er darlegt, dass gutachterliche Ausführungen, deren (Geschäftsgeheimnisse betreffende) tatsächliche Grundlagen nicht offengelegt werden, nicht verwertbar sind (ebenso OLG Köln, NJW-RR 1996, 1277). Nichts anderes kann für den (dem Beweisverfahren vorgelagerten) Tatsachenvortrag einer Partei gelten. Schließlich ist auch der von der Klägerin angeführte Wirtschaftsprüfervorbehalt, wie er im gewerblichen Rechtsschutz für Auskunftsverpflichtungen anerkannt ist, mit der vorliegenden Konstellation nicht vergleichbar; denn er betrifft nicht eine Einschränkung der Parteiöffentlichkeit im Erkenntnisverfahren, sondern lediglich die Art und Weise der Erfüllung einer vom Gericht - unter Wahrung der Parteiöffentlichkeit - ausgeurteilten Verpflichtung.
3. Bei dieser Sachlage war der angefochtene Beschluss in vollem Umfang aufzuheben und die in Ziffer II. tenorierte Anordnung zu treffen. Einer Zurückverweisung an das Erstgericht zur weiteren Sachaufklärung bedurfte es nicht, da die Sache entscheidungsreif ist (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 26. Aufl., § 572 Rdnr. 19). Insbesondere ist, wie oben unter Ziff. II.1.b. dargelegt, der Status von Anlage K 21a - K 21m als von der Klägerin unbedingt eingereichter Aktenbestandteil geklärt. In diesem Fall sieht das Gesetz zu der angeordneten Übermittlung einer Kopie der Unterlagen an den Gegner keine Alternativen vor. Sofern das Konvolut dem Landgericht nur in einfacher Ausfertigung vorliegt, wird die Geschäftsstelle, falls die Klägerin entgegen § 133 Abs. 1 ZPO weitere Abschriften nicht einreicht, sie auf deren Kosten (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 133 Rdnr. 3) anzufertigen haben, § 28 Abs. 1 S. 2 GKG. Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die dem Beklagten zur Stellungnahme einzuräumende Frist erst mit Übermittlung der Unterlagen nach K 21 zu laufen beginnt.
4. Eine Kostenentscheidung ist im vorliegenden nicht kontradiktorischen Verfahren nicht veranlasst (vgl. Thomas/Putzo, a.a.O., § 572 Rdnr. 24; Zöller/Greger, a.a.O., § 97 Rdnr. 9). Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 47 Abs. 1 S. 1 GKG: Das Interesse des Beschwerdeführers an der beantragten Übermittlung des Anlagenkonvoluts K 21a - K 21m bemisst der Senat angesichts des Umstands, dass es sich dabei nach übereinstimmender Beurteilung der Parteien um streitentscheidendes Material handelt, mit 1/5 des im Ausgangsverfahren vorläufig festgesetzten Streitwerts.
5. Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor, § 574 Abs. 1 Nr. 2; Abs. 3 ZPO. Denn die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
Ende der Entscheidung
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