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Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 12.03.2004
Aktenzeichen: 29 W 2840/03
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 269 Abs. 3 Satz 3 | |
ZPO § 344 | |
ZPO § 568 Satz 1 |
2. § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO ist auch anwendbar, wenn
a) die Klage erst nach Eintritt der Rechtshängigkeit zurückgenommen wird und
b) der Klageanlass bereits vor Einreichung der Klage weggefallen ist.
BESCHLUSS
In dem Verfahren
hat der 29. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Wörle sowie die Richter am Oberlandesgericht Dr. Kartzke und Cassardt ohne mündliche Verhandlung am 12. 03. 2004
beschlossen:
Tenor:
I. Der Beschluss des Landgerichts vom 27. 10. 2003 wird aufgehoben.
II. Die Kosten des Rechtstreits einschließlich derjenigen des Beschwerdeverfahrens trägt der Beklagte.
Gründe:
I.
Der Kläger erwirkte am 11. 03. 2003 eine einstweilige Verfügung, mit der dem Beklagten die Versendung von Angeboten für einen Eintrag in ein Branchenverzeichnis, die wie Rechnungen aufgemacht waren, untersagt wurde. Mit Schreiben vom 17. 04. 2003 übermittelte der Kläger dem Beklagten ein Angebot auf Abgabe einer Abschlusserklärung, auf das dieser nicht antwortete.
Mit am 16. 05. 2003 eingereichter Klage, die dem Beklagten 05. 07. 2003 zugestellt wurde, machte der Kläger in der Hauptsache den Unterlassungsanspruch und Aufwendungsersatz geltend. Die Kammer für Handelssachen des Landgerichts verurteilte den Beklagten mit Versäumnisurteil vom 30. 07. 2003, das dem Beklagten am 27. 09. 2003 zugestellt wurde, antragsgemäß. Mit Schriftsatz vom 13. 10. 2003 legte der Beklagte Einspruch ein und trug vor, er habe wegen desselben Wettbewerbsverstoßes bereits mehrfach Abschlusserklärungen und strafbewehrte Unterlassungserklärungen abgegeben; von der Klage habe er erst durch die Zustellung des Versäumnisurteils erfahren, weil die Staatsanwaltschaft seit dem 25. 02. 2003 eine Postsperre verhängt und seine Post beschlagnahmt habe. Der Einspruch und die darin in Bezug genommenen Unterlagen wurden dem Kläger am 22. 10. 2003 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 27. 10. 2003, bei Gericht am folgenden Tag eingegangen, nahm der Kläger die Klage zurück und beantragte, gemäß § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Die Klage habe sich dadurch erledigt, dass der Beklagte - wie er, der Kläger, erst durch den Einspruch nebst Anlagen erfahren habe - jedenfalls am 13. 05. 2003 zu einem Verfügungsverfahren vor dem Landgericht Berlin wegen des gleichen Wettbewerbsverstoßes eine Abschlusserklärung abgegeben habe; dadurch sei die Wiederholungsgefahr vor Eintritt der Rechtshängigkeit im vorliegenden Verfahren entfallen.
Mit Beschluss vom 27. 10. 2003 hat die Vorsitzende der Kammer für Handelssachen die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Kosten, die durch die Säumnis des Beklagten entstanden waren, dem Kläger auferlegt und zur Begründung ausgeführt, dass die Klage erst nach Rechtshängigkeit zurückgenommen worden sei, so dass § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO nicht anwendbar sei.
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Klägers. Er beantragt,
unter Aufhebung des Beschlusses vom 27. 10. 2003 dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits insgesamt aufzuerlegen.
Der Beklagte schließt sich ohne ausdrückliche Antragstellung im Beschwerdeverfahren der Rechtsansicht des angegriffenen Beschlusses an.
Die Vorsitzende der Kammer für Handelssachen hat der Beschwerde mit Beschluss vom 16. 12. 2003 unter Verweisung auf die Gründe des angegriffenen Beschlusses nicht abgeholfen.
Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
II.
1. Zur Entscheidung ist der Senat berufen, da es sich bei der Vorsitzenden der Kammer für Handelssachen nicht um einen Einzelrichter im Sinne des § 568 Satz 1 ZPO handelt*1.
2. Die zulässige Beschwerde ist begründet.
a) Der angegriffene Beschluss ist schon deshalb aufzuheben, weil ein Antrag, dem Kläger die Kosten aufzuerlegen, nicht vorliegt, ein Kostenausspruch aber ohne Antrag nicht zulässig ist (vgl. § 269 Abs. 4 ZPO). Das Landgericht hätte allenfalls den Antrag des Klägers, dem Beklagten die Kosten aufzuerlegen, zurückweisen dürfen. Für den darüber hinausgehenden Ausspruch, dass nicht der Beklagte, sondern der Kläger die Kosten des Verfahrens - zu denen auch die dem Beklagten erwachsenen Rechtsanwaltskosten gehören - zu tragen habe, bestünde auch bei Zugrundelegung der Auffassung des Landgerichts zur Kostentragungslast keine Veranlassung, solange der Beklagte dies nicht beantragt.
b) Der angegriffene Beschluss ist aber auch aufzuheben, weil der Antrag des Klägers, dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen, begründet ist; dementsprechend hat auch der klägerische Kostenantrag Erfolg.
aa) Gemäß § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO bestimmt sich die Kostentragungslast dann unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstand nach billigem Ermessen, wenn der Anlass zur Einreichung der Klage vor Rechtshängigkeit weggefallen ist und die Klage daraufhin unverzüglich zurückgenommen wird.
(1) Diese Vorschrift ist auch dann anwendbar, wenn die unverzügliche Klagerücknahme nach Eintritt der Rechtshängigkeit erfolgt ist. Nach ihrem Wortlaut ist alleine ausschlaggebend, ob der Klageanlass vor Rechtshängigkeit weggefallen ist; dass auch die Klagerücknahme vor Rechtshängigkeit erfolgen müsste, kann ihm nicht entnommen werden. Auch dem Gesetzeszweck lässt sich eine derartige Beschränkung nicht entnehmen. Die Regelung sollte es aus Gründen der Prozessökonomie ermöglichen, in den Fällen des Wegfalls des Klagegrunds vor Rechtshängigkeit einem materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch Rechnung zu tragen, ohne dass ein neues Verfahren erforderlich wird; eine Unterscheidung danach, ob die Klagerücknahmeerklärung vor oder nach Eintritt der Rechtshängigkeit erfolgte, war vom Gesetzgeber nicht ins Auge gefasst worden*2. Das Bedürfnis nach einer prozessökonomischen Lösung der Kostenfrage besteht aber in allen Fällen des Wegfalls des Klageanlasses vor Eintritt der Rechtshängigkeit, ohne dass es dabei darauf ankäme, ob der Kläger vor oder nach Eintritt der Rechtshängigkeit mit der Klagerücknahme auf den Wegfall reagiert hat, weil in allen diesen Fällen ohne die Regelung des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO eine Berücksichtigung eines materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs im Ausgangsverfahren nicht möglich wäre. Im Übrigen zeigt die Konzentration der Diskussion auf den Streit darüber, ob § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO auch auf die Fälle anwendbar sei, in denen die Klagerücknahme vor Eintritt der Rechtshängigkeit erklärt worden ist*3, dass die Anwendbarkeit dieser Vorschrift auf die Fälle der Klagerücknahme nach Eintritt der Rechtshängigkeit allgemein vorausgesetzt wird*4.
§ 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO erfasst auch die Fälle, in denen der Klageanlass bereits vor Eintritt der Anhängigkeit weggefallen ist, wenn der Kläger in Unkenntnis des Wegfalls Klage erhoben und dann unverzüglich zurückgenommen hat*5. So, wie der Wortlaut der Vorschrift diesen Fall ebenfalls abdeckt, ist auch das Argument der Prozessökonomie in gleicher Weise wie in den Fällen des Wegfalls des Klageanlasses zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit stichhaltig.
(2) Im vorliegenden Fall war Anlass für die Klage, dass für den vom Kläger vorgetragenen Wettbewerbsverstoß aus dessen Sicht Wiederholungsgefahr bestanden hatte. Diese war zwar bereits drei Tage vor Klageeinreichung dadurch weggefallen, dass der Beklagte in einem anderen Verfahren eine Abschlusserklärung abgegeben hatte*6, was dem Kläger aber bei Klageeinreichung nicht bekannt war. Sein Vertreter erfuhr hiervon erst am 22. 10. 2003, der die Klage mit Schriftsatz vom 27. 10. 2003 zurücknahm. § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO ist hier anwendbar, weil der Klagegrund bereits vor Eintritt der Rechtshängigkeit weggefallen war und der Kläger darauf die Klage unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern innerhalb einer angemessenen Überlegungsfrist*7, zurücknahm.
bb) Es entspricht billigem Ermessen, die gesamten außerhalb des Beschwerdeverfahrens angefallenen Kosten des Rechtsstreits dem Beklagten aufzuerlegen.
Für die durch die Versäumnis verursachten Kosten folgt das bereits aus der Wertung des § 344 ZPO.
Für die übrigen Kosten ergibt sich die Kostentragungspflicht aus dem vorprozessualen Verhalten des Beklagten, auf das im Rahmen im Rahmen der Billigkeitserwägungen wesentlich abzustellen ist. Die Handlungen, deren Unterlassung der Kläger begehrte, waren wettbewerbswidrig*8. Dadurch, dass er trotz Aufforderung des Klägers hierzu keine Abschlusserklärung abgab, gab er Anlass zur Klageerhebung. Der pauschale Hinweis des Beklagten auf eine von der Staatsanwaltschaft verhängte "Postsperre" ist ohne Belang. Wie das Anlagenkonvolut B1 zum Einspruch zeigt, ging dem Beklagten im fraglichen Zeitraum sehr wohl Post zu, auf die er auch jedenfalls mit der Abschlusserklärung vom 13. 05. 2003 in einem anderen Verfahren, nach seinem Vortrag auch mit anderen Schreiben, reagierte.
3. Hinsichtlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht die Entscheidung auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
4. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren bemisst sich nach den zu ersetzenden Kosten. Da diese Kosten berechenbar sind, bedarf der Streitwert für das Beschwerdeverfahren keiner Festsetzung.
*1 Vgl. BGH, Beschl. v. 20. 10. 2003 - II ZB 27/02 -, veröffentl. in juris.
*2 Vgl. BT-Drs. 14/4722, S. 81.
*3 Vgl. etwa OLG Köln NJW-RR 2003, 1509 einerseits und Hartmann in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 62. Aufl. 2004, § 269 Rz. 39 oder Greger in: Zöller, ZPO, 24. Aufl. 2003, § 296 Rz. 8a, 8b andererseits.
*4 Vgl. etwa Greger NJW 2002, 3049 (3050); Putzo in: Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl. 2003, § 91a Rz. 36 a. E.; möglicherweise a. A. Reichold in: Thomas/Putzo, a. a. O., § 269 Rz.15, der ohne Begründung in allen Fällen der Klagerücknahme für die Kostenlast nur danach unterscheidet, ob die Rücknahme vor oder nach Rechtshängigkeit erfolgt ist.
*5 Vgl. LG Düsseldorf NJW-RR 2003, 213; Greger in: Zöller, ZPO, a. a. O., § 269 Rz. 8a; Foerste in: Musielak, ZPO, 3. Aufl. 2002, § 269 Rz. 13; Elzer NJW 2002, 2006 (2008), a. A. wohl Hartmann, a. a. O., Rz. 37.
*6 Vgl. Berneke, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 2 Aufl. 2003, Rz. 335 a. E.; vgl. auch Köhler in Köhler/Piper, UWG, 3. Aufl. 2002, vor § 13 Rz. 8 a. E., 15 m. w. N.
*7 Vgl. OLG Brandenburg OLG-NL 2003, 143 (144).
*8 Vgl. BGH GRUR 1998, 415 (416) - Wirtschaftsregister; vgl. auch BGHSt 47, 1 ff. Seite 4
Ende der Entscheidung
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