Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 20.12.2006
Aktenzeichen: 29 W 2904/06
Rechtsgebiete: UWG


Vorschriften:

UWG § 8 Abs. 4
Daraus allein, dass ein konkreter Mitbewerber gegen diverse, wenn auch gleich gelagerte Wettbewerbsverstöße verschiedener Antragsgegner vorgeht, kann ein Rechtsmissbrauch im Sinne des § 8 Abs. 4 UWG nicht gefolgert werden.
OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN BESCHLUSS

Aktenzeichen: 29 W 2904/06

In dem Verfahren

hat der 29. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Zwirlein, Richter am Oberlandesgericht Cassardt und Richter am Oberlandesgericht Dr. Kartzke

ohne mündliche Verhandlung am 20.12.2006

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Landgerichts München I vom 29.08.2006 aufgehoben.

Der Antragsgegnerin wird bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000,-- €, Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre) verboten, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken für Fernabsatzverträge mit niedrigeren als den tatsächlich verlangten Versandkosten zu werben.

2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten beider Instanzen des Verfügungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten des Beschwerdeverfahrens 29 W 2675/06 zu tragen.

3. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens 29 W 2904/06 wird auf 50.000,-- € festgesetzt.

Gründe:

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 29.08.2006, mit dem der Antrag der Antragstellerin vom 16.08.2006 auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen wurde, ist zulässig (§ 567 Abs. 1 Nr. 2, § 569 ZPO) und begründet. Der Antragstellerin stehen sowohl ein Verfügungsanspruch als auch ein Verfügungsgrund zur Seite.

1. Der Antrag der Antragstellerin vom 16.08.2006 auf Erlass einer einstweiligen Verfügung kann - entgegen der Auffassung des Landgerichts und der Antragsgegnerin - nicht als rechtsmissbräuchlich und damit unzulässig im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG eingestuft werden. Allerdings kann die Rechtsverfolgung in jeweils getrennten Verfügungsverfahren gegen mehrere Unterlassungsschuldner, die eine gemeinschaftliche Werbeanzeige geschaltet haben, rechtsmissbräuchlich sein, wenn diese einen einheitlichen Gerichtsstand haben und durch denselben Rechtsanwalt vertreten werden, weil dadurch im Vergleich zu einer streitgenössischen Inanspruchnahme eine höhere Kostenbelastung entsteht (vgl. BGH, Urteil vom 11.05.2006 - I ZR 79/03 = Beck RS 2006 Nr. 06769 - Alles muss raus!; BGH GRUR 2006, 243, 244, Rdn. 15 bis 21 - MEGA SALE). So liegt der Fall hier indes nicht. Es ist nicht ersichtlich - das Landgericht hat hierzu auch keine Feststellungen getroffen - , dass es sich bei den von der Antragstellerin bzw. anderen Unternehmen, die zum selben Konzern wie die Antragstellerin gehören, beanstandeten Werbeaussagen um gemeinschaftliche Werbeaussagen der verschiedenen Antragsgegner handelt. Daraus allein, dass ein konkreter Mitbewerber gegen diverse, wenn auch gleich gelagerte Wettbewerbsverstöße verschiedener Antragsgegner vorgeht, kann ein Rechtsmissbrauch im Sinne des § 8 Abs. 4 UWG nicht gefolgert werden (ebenso OLG München, Beschluss vom 12.12.2006 - 6 W 2908/06 unter Nr. 4 der Gründe).

2. Die Antragstellerin hat die Voraussetzungen für einen Verfügungsanspruch nach § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 i. V. m. § 5, § 3 UWG hinreichend glaubhaft gemacht. Die Antragsgegnerin hat ausweislich der Anlage JS 1 am 04.08.2006 unter "www.pr....de" für das Fernsehgerät Hy...

... mit Versandkosten "ab: € 7,00" geworben, wohingegen sie ausweislich der Anlage JS 2 unter www.e...-team.de für Pakete mit einem Gewicht von 30-40 kg 17,80 € Versandkosten berechnet; das Fernsehgerät Hy... ... wiegt, wie mit der Anlage JS 3 hinreichend glaubhaft gemacht ist, verpackt 32 kg. Bei der unzutreffenden Angabe der Versandkosten in Anlage JS 1 handelt es sich um eine relevante Irreführung im Sinne von § 5 UWG (vgl. BGH, Beschluss vom 03.12.1998 - I ZR 125/98 = MD 1999, 135 - Versandkosten), mit der ein Anlockeffekt verbunden ist; auch eine derartige Irreführung wird von § 5 UWG erfasst (vgl. Bornkamm in Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, 24. Aufl., § 5, Rdn. 2.192; 2.193).

An der genannten Irreführung ändert auch - entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 13.12.2006 - der Zusatz "ab" nichts; der durchschnittlich informierte und verständige Verbraucher, der der Werbung die der Situation angemessene Aufmerksamkeit entgegenbringt (vgl. BGH GRUR 2005, 438, 440 - Epson-Tinte), wird annehmen, dass die günstigste von mehreren Versandarten 7,-- € kostet. Hierin wird der genannte Verbraucher durch die Antwort auf Frage 10 in der Rubrik "Häufig gestellte Fragen (FAQ)" (Anlage 1 zum Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 13.12.2006), falls er diese Antwort zusammen mit dem Internetauftritt gemäß Anlage JS 1 wahrnimmt (vgl. BGH GRUR 2005, 438, 441 - Epson-Tinte), noch bestärkt. Denn dort wird ausgeführt, dass es "unzählige Versandkostenmodelle" gebe. Durch die Händlerinformationen betreffend die Antragsgegnerin (Anlage 2 zum Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 13.12.2006) wird die genannte Irreführungsgefahr nicht beseitigt. Es kann hier dahinstehen, ob der genannte Verbraucher diese Informationen, die über den Button "Händlerinformationen" aufgerufen werden können, überhaupt regelmäßig zusammen mit dem Internetauftritt gemäß Anlage JS 1 wahrnehmen wird (vgl. BGH GRUR 2005, 438, 441 - Epson-Tinte). Selbst wenn dies der Fall sein sollte, sind die genannten Informationen nicht hinreichend, um die vorstehend erörterte Irreführungsgefahr zu beseitigen. Zwar werden dort, gestaffelt nach Gewicht, Versand- und Zahlungsinformationen betreffend die Antragsgegnerin gegeben, wobei als geringster Betrag 8,90 € genannt wird. Ohne Kenntnis des Versandgewichts des Fernsehgeräts Hy... ... kann der Verbraucher indes mit diesen abstrakten Versand- und Zahlungsinformationen nichts anfangen und wird die Angabe "ab: € 7.00" im Internetauftritt gemäß Anlage JS 1 als speziellere Angabe zu den Versandkosten für das beworbene Fernsehgerät verstehen.

3. Ein Verfügungsgrund ist gegeben. Die Dringlichkeit wird vermutet (§ 12 Abs. 2 UWG). Die Vermutung ist im Streitfall - entgegen der Auffassung des Landgerichts und der Antragsgegnerin - nicht widerlegt. Der beanstandete Internetauftritt datiert vom 04.08.2006. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist am 18.08.2006 bei den Justizbehörden in München eingegangen (Bl. 1). Die Einreichung des Ablehnungsgesuchs vom 02.09.2006 und die Durchführung des Beschwerdeverfahrens betreffend die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs können aus Rechtsgründen nicht als dringlichkeitsschädlich eingestuft werden. Denn mit dem Institut der Ablehnung des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit (§ 42 Abs. 2 ZPO) wird dem verfassungsrechtlich fundierten Recht der Parteien auf einen gesetzlichen, unparteiischen und neutralen Richter Rechnung getragen (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Aufl., Vor § 41, Rdn. 1). Auch der Umstand, dass die von der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 15.09.2006 eingelegte sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts vom 29.08.2006 ergänzend mit Schriftsatz vom 17.09.2006 begründet wurde, wirkt sich im Streitfall nicht dringlichkeitsschädlich aus, weil zu diesem Zeitpunkt das vorgreifliche Ablehnungsverfahren noch nicht abgeschlossen war.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO; danach hat der Antragsgegner die Kosten beider Instanzen des Verfügungsverfahrens zu tragen. Allerdings hat es bei der Kostenentscheidung im Senatsbeschluss vom 07.11.2006 - 29 W 2674/06 hinsichtlich des Beschwerdeverfahrens wegen des Ablehnungsgesuchs der Antragstellerin sein Bewenden.

5. Die Streitwertentscheidung beruht auf § 47 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO.

6. Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist im Streitfall, dem ein Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zugrunde liegt, kein Raum (§ 574 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

Ende der Entscheidung

Zurück