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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 09.02.2005
Aktenzeichen: 29 W 798/05
Rechtsgebiete: UWG


Vorschriften:

UWG § 12 Abs. 2
Die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG kann nicht nur durch Zeitablauf, sondern auch durch sonstiges Verhalten des Antragstellers (hier: teilweise Antragsrücknahme hinsichtlich eines Streitgegenstands und spätere erneute Einreichung des zunächst zurückgenommenen Antrags) widerlegt werden.
OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN BESCHLUSS

Aktenzeichen: 29 W 798/05

In dem Verfahren

wegen einstweiliger Verfügung

hat der 29. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch Richter am Oberlandesgericht Dr. Kartzke als Vorsitzenden sowie die Richterinnen am Oberlandesgericht Tacke und Hübner ohne mündliche Verhandlung am 09. Februar 2005 beschlossen:

Tenor:

I. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 21. Januar 2005, Az. 4 HK O 1852/05, wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Beschwerdewert wird auf € 100.000.- festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller hat unter dem 12. Januar 2005 (Anlage ASt 9) beim Landgericht München I eine einstweilige Verfügung beantragt, wonach der Antragsgegnerin unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel verboten werden sollte,

sich im geschäftlichen Verkehr, insbesondere gegenüber Augenoptikern und/oder deren Einkaufszusammenschlüssen wie nachstehend wiedergegeben zu äußern und/oder äußern zu lassen:

- "Zwischen der T...-Gruppe und H...GmbH gab es einen Vertrag, den H... zum 31. 01.2005 außerordentlich gekündigt hat".

- "Die Zusammenarbeit von T... und H... entsprach zu keinem Zeitpunkt unseren Vorstellungen."

Von entsprechenden Schreiben der Antragsgegnerin u.a. an ein Optikgeschäft in München (Anlage ASt 5) hatte der Antragsteller nach den vorgelegten Glaubhaftmachungsmitteln (ASt 2, 3) erstmals am 05. Januar 2005 erfahren. Auf fernmündlichen Hinweis des Gerichts vom 14. Januar 2005, dass es den Verbotsantrag hinsichtlich der ersten Äußerung für unbegründet halte, hat der Antragsteller "aus Gründen der Zweckmäßigkeit, insbesondere um möglichst schnell wenigstens eine einstweilige Verfügung mit dem vom Gericht nicht beanstandeten Inhalt zu erwirken", den Antrag am 14. Januar 2005 insoweit zurückgenommen, als die Behauptung einer außerordentlichen Kündigung angegriffen war.

Gestützt auf den identischen Sachvortrag, hat der Antragsteller mit bei Gericht am 21. Januar 2005 eingegangenem Schriftsatz sodann erneut den Erlass einer einstweiligen Verfügung des Inhalts begehrt, der Antragsgegnerin möge es bei Meidung von Ordnungsmitteln verboten werden,

sich im geschäftlichen Verkehr, insbesondere gegenüber Augenoptikern und/oder deren Einkaufszusammenschlüssen wie nachstehend wiedergegeben zu äußern und/oder äußern zu lassen:

"Zwischen der T...-Gruppe und H...GmbH gab es einen Vertrag, den H... zum 31.01.2005 außerordentlich gekündigt hat."

Dabei hat er unter Hinweis darauf, dass er die im vorangegangenen Verfahren geäußerte Rechtsauffassung des Gerichts nicht teile, ausdrücklich um eine Entscheidung im Beschlusswege gebeten. Das Landgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 21. Januar 2005 (Bl. 8 d.A.), dem Antragsteller zugestellt am 26. Januar 2005, mangels Verfügungsanspruchs zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, bei der seitens der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 27. Dezember 2004 (Anlage ASt 4) ausgesprochenen Kündigung habe es sich ungeachtet der dortigen Bezeichnung als "ordentliche Kündigung" tatsächlich um eine außerordentliche Kündigung der mit Rahmenvertrag vom 08. Oktober 2004 (Ast 1) begründeten Zusammenarbeit gehandelt, da nach dem Vertrag eine ordentliche Kündigung bis zum Ende der auf 31. Dezember 2007 befristeten Laufzeit ausgeschlossen gewesen sei. Bei dieser Sachlage sei die angegriffene Äußerung zutreffend. Für sich genommen stelle sie weder eine unlautere Herabsetzung des Mitbewerbers i.S.d. § 4 Nr. 7 UWG noch eine Anschwärzung (§ 4 Nr. 8 UWG) dar.

Gegen diese Zurückweisung richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 26. Januar 2005, mit der er sein erstinstanzliches Begehren weiter verfolgt. Zur Begründung stützt er sich im Wesentlichen auf die Erwägung, das Landgericht habe die Kündigung vom 27. Dezember 2004 zu Unrecht als außerordentliche Vertragsbeendigung qualifiziert. Wie in dem Schreiben ausdrücklich angeführt, habe es sich - schon mangels Angabe eines wichtigen Grundes - tatsächlich um eine ordentliche Kündigung gehandelt. Durch die angegriffene falsche Behauptung sei den Adressaten der Eindruck vermittelt worden, ein wichtiger Grund, d.h. ein schwerer Vertragsbruch seitens des Antragstellers, sei gegeben. Dies stelle eine gravierende Herabsetzung und Verunglimpfung seiner geschäftlichen Tätigkeit und damit einen groben Wettbewerbsverstoß dar.

Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 31. Januar 2005 nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt. Der Senat hat den Antragstellervertreter am 02. Februar 2005 fernmündlich auf Bedenken hinsichtlich der Eilbedürftigkeit hingewiesen und ihm zur Stellungnahme antragsgemäß eine Frist bis 08. Februar 2005 eingeräumt. Mit Schriftsatz vom 03. Februar 2005, bei Gericht eingegangen am 08. Februar 2005, hat er im Wesentlichen ausgeführt, gerade die Rücknahme des Antrags habe einer unverzüglichen obergerichtlichen Beurteilung der Sache gedient.

Wegen des weiteren Vorbringens des Antragstellers wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Der nach §§ 567 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2; 922 Abs. 1 ZPO statthaften und auch im Übrigen zulässigen, insbesondere form- und fristgerecht (§ 569 Abs. 1, Abs. 2 ZPO) eingelegten sofortigen Beschwerde des Antragstellers bleibt der Erfolg versagt.

1. Der Senat hat Bedenken, ob der Beurteilung des Landgerichts, wonach dem Antragsteller wegen der angegriffenen Äußerung kein Verfügungsanspruch nach §§ 8 Abs. 1 S. 1; 3; 4 Nr. 7, Nr. 8 UWG zustehe, gefolgt werden kann. Die Frage kann indes dahinstehen; denn jedenfalls fehlt es mit der Dringlichkeit an dem in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach §§ 935, 936, 917 Abs. 1 ZPO erforderlichen Verfügungsgrund.

Zwar ist, wie in § 12 Abs. 2 UWG bestimmt, in wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten die Dringlichkeit grundsätzlich zu vermuten mit der Folge, dass es der Darlegung und Glaubhaftmachung eines Verfügungsgrundes regelmäßig nicht bedarf. Diese gesetzlich normierte tatsächliche Vermutung ist indes als widerlegt anzusehen, wenn der Verletzte durch sein eigenes Verhalten zu erkennen gegeben hat, dass ihm die Angelegenheit nicht dringlich ist. Dies ist nach einhelliger Ansicht (vgl. Baumbach/Hefermehl/Köhler, UWG, 23. Aufl., § 12 Rdnr. 3.15, 3.16) stets dann der Fall, wenn er trotz Kenntnis der den Wettbewerbsverstoß begründenden Umstände längere Zeit zuwartet, ohne gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. In ständiger Rechtsprechung der mit Verfahren des gewerblichen Rechtsschutzes befassten Senate des Oberlandesgerichts München ist die dem Verletzten als nicht dringlichkeitsschädlich zuzubilligende Überlegungszeit mit einem Monat zu bemessen. Zwar hat der Antragsteller mit der am 21. Januar bei Gericht eingegangen Antragsschrift angesichts des Umstands, dass ihm die Schreiben nach Anlagen ASt 5, 5a erstmals am 05. Januar 2005 zur Kenntnis gebracht worden sind, diesen Zeitraum nicht ausgeschöpft. Die Vermutung des § 12 Abs. 2 UWG kann jedoch, wie allgemein anerkannt (vgl. Nachweise bei Harte-Henning/Retzer, UWG, § 12 Rdnr. 321) nicht nur durch Zeitablauf, sondern auch durch sonstige Verhaltensweisen des Antragstellers - auch während des gerichtlichen Verfahrens - widerlegt werden. So liegt der Fall hier: Dabei ist zu sehen, dass der Antragsteller mit seinem vorangegangenen Verfügungsbegehren vom 12. Januar 2005 das identische und auf denselben Sachvortrag gestützte Unterlassungsbegehren bereits einmal bei Gericht anhängig gemacht, den entsprechenden Antrag jedoch anschließend - um eine mündliche Verhandlung zu vermeiden und hinsichtlich einer damals ebenfalls beanstandeten zweiten Äußerung eine Verbotsverfügung im Beschlusswege erlangen zu können - mit Schriftsatz vom 14. Januar 2005 (Anlage ASt 10) wieder zurückgenommen hatte. Wenn er nunmehr wiederum einen gleichlautenden Verfügungsantrag bei Gericht einreicht, kann sein vorangegangenes Vorgehen, das eine gerichtliche Entscheidung über das damals wie hier streitgegenständliche Begehren zwangsläufig um den Zeitraum verzögern musste, der zwischen Antragsrücknahme und neuerlicher Anbringung verstrichen ist (hier: eine Woche), bei der Beurteilung der Eilbedürftigkeit nicht außer Acht gelassen werden. Denn durch diesen - eine bereits eingeleitete summarische Klärung verhindernden - actus contrarius in Form der Antragsrücknahme hat der Antragsteller selbst zu erkennen gegeben, dass es ihm zwar auf einen raschen Verbotstitel hinsichtlich der zweiten Äußerung ankommt, eine gerichtliche Überprüfung des anderen Streitpunkts für ihn hingegen nicht vordringlich ist, ja er insoweit ausdrücklich keine Entscheidung zur Sicherung eines etwaigen Unterlassungsanspruchs wünscht. Damit hat er gegen seine (zum Erhalt der Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG zu wahrende) Obliegenheit, zügig auf die Erwirkung eines vorläufig vollstreckbaren Titels hinzuwirken (vgl. Harte-Henning/Retzer, a.a.O., § 12 Rdnr. 321; Baumbach/Hefermehl/Köhler, a.a.O., § 12 Rdnr. 3.15; Berneke, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 2. Aufl. 2003, Rdnr. 89) und insbesondere nach Einleitung des gerichtlichen Verfahrens entscheidungsverzögernde Maßnahmen zu unterlassen (vgl. Traub, GRUR 1996, 707, 710; ebenso Rechtsprechungsnachweise bei Harte-Henning/ Retzer, a.a.O., § 12 Rdnr. 323; Baumbach/Hefermehl/Köhler, a.a.O., § 12 Rdnr. 3.16), mit dringlichkeitsschädlicher Wirkung verstoßen. Ein sachlicher Grund für dieses Procedere ist nicht ersichtlich. Denn es wäre dem Antragsteller ohne weiteres möglich gewesen, die vom Erstgericht angebotene mündliche Verhandlung über das am 12. Januar 2005 eingereichte Verfügungsbegehren als Ganzes wahrzunehmen und, falls es ihm in der mündlichen Erörterung nicht gelingt, das Gericht hinsichtlich seiner zunächst geäußerten (vorläufigen) Meinung zur Frage eines Verfügungsanspruchs umzustimmen, eine so erstrittene Entscheidung obergerichtlich überprüfen zu lassen. Zum selben Ergebnis kommt in einer vergleichbar gelagerten Fallkonstellation das OLG Frankfurt (GRUR 2002, 44 f.), wenn es für ein Verfügungsbegehren, das der Antragsteller bereits früher mit einem gleichlautenden Antrag (sei es auch bei einem anderen Gericht) verfolgt hatte, diesen Antrag jedoch im Beschwerdeverfahren zurückgenommen hatte, die Dringlichkeit verneint (ebenso OLG Karlsruhe, GRUR 1993, 135). Soweit das Oberlandesgericht Düsseldorf in seiner Entscheidung vom 29. April 2004 (Az. 20 U 18/04) ausführt, das Kriterium der Dringlichkeit sei nicht geeignet, ein an sich unerwünschtes Forum-Shopping zu unterbinden, ist diese Erwägung vorliegend nicht einschlägig, da der Antragsteller beide Verfügungsanträge im selben Gerichtsstand anhängig gemacht hat. Die Sache dem einmal angerufenen Gericht (nachdem dieses sich eine vorläufige Meinung gebildet hat) durch Antragsrücknahme zu entziehen, um sich sodann, zeitversetzt um eine Woche, mit dem selben Anliegen wieder an es zu wenden, stellt sich hingegen als - verfahrensverzögerndes - venire contra factum proprium dar, das nicht als rechtlich unbeachtlich qualifiziert werden kann. Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die vermeidbare Belastung der Gerichte durch eine wiederholte Inanspruchnahme "testhalber" auch effektivem Rechtsschutz nicht förderlich ist. Nicht zuletzt erscheint die vom Antragsteller gewählte Vorgehensweise auch unter dem Gesichtspunkt als bedenklich, dass dem Gegner bei Erfolg des Verfügungsbegehrens infolge der nachträglichen Aufspaltung der erstrebten Verbote vermeidbare Kosten entstehen müssen.

2. Als unterlegene Partei hat der Antragsteller die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO. Der Beschwerdewert war nach § 47 Abs. 1 S. 1 GKG entsprechend den Angaben des Antragstellers, der sein Interesse an der begehrten Entscheidung in dieser Höhe beziffert hat, auf € 100.000.- festzusetzen.

3. Für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde ist wegen des in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes durch § 542 Abs. 2 ZPO begrenzten Instanzenzugs kein Raum (BGH NJW 2003, 1531).



Ende der Entscheidung

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