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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 23.05.2006
Aktenzeichen: 3 VAs 35.06
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 463a Abs. 2
Die Anordnung der polizeilichen Beobachtung gemäß § 463 a Abs. 2 StPO betrifft die Ausgestaltung der Führungsaufsicht. Zuständig für die Entscheidung über die Anfechtung dieser Anordnung ist das nach § 68 a StGB zur Durchführung der Führungsaufsicht berufene Gericht.
Tatbestand:

Mit Urteil der Jugendstrafkammer vom 29.10.1998 wurde wegen der Verwirklichung der objektiven Tatbestände der versuchten schweren räuberischen Erpressung mit Todesfolge, der Körperverletzung mit Todesfolge und des versuchten Totschlags die Unterbringung des Antragstellers in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB aufgrund nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit zur Tatzeit angeordnet.

Mit Beschluss vom 11.7.2005 erklärte das Oberlandesgericht München u. a. die Unterbringung des Antragstellers in einem psychiatrischen Krankenhaus für erledigt und beließ es bei der kraft Gesetzes eintretenden Führungsaufsicht, deren Dauer es auf 5 Jahre festsetzte. Der Antragsteller wurde am 12.7.2005 aus dem Bezirkskrankenhaus entlassen.

Mit Verfügung des Leiters der Führungsaufsichtsstelle bei dem Landgericht T. wurde unter Bezugnahme auf eine justizministerielle Anordnung festgestellt, der Antragsteller bedürfe der besonderen Betreuung und Überwachung und seine Ausschreibung zur beobachtenden Fahndung angeordnet.

Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 8.5.2006 beantragte der Verurteilte, ihm Rechtsanwalt B. als Pflichtverteidiger beizuordnen und legte gegen die Anordnung der Ausschreibung zur beobachtenden Fahndung "Beschwerde" ein; vorsorglich beantragte er die gerichtliche Entscheidung gemäß § 23 EGGVG.

Der Leiter der Führungsaufsichtsstelle bei dem Landgericht half der Beschwerde mit Verfügung vom 4.7.2006 nicht ab und legte die Akten dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vor.

Gründe:

Der Senat ist zur Entscheidung über den Rechtsbehelf des Verurteilten vom 8.5.2006 nicht berufen.

Bei der mit Verfügung des Leiters der Führungsaufsichtsstelle bei dem Landgericht T. vom 22.8.2005 angeordneten Ausschreibung zur beobachtenden Fahndung handelt es sich zwar um eine Maßnahme einer Justizbehörde auf dem Gebiet der Strafrechtspflege im Sinne von § 23 Abs. 1 EGGVG. Das Institut der Führungsaufsicht zählt zu den Maßregeln der Besserung und Sicherung (§ 61 Nr. 4 StGB), die Aufsichtsstelle, der der Verurteilte gemäß § 68 a Abs. 1 StGB unterstellt ist, gehört zum Geschäftsbereich der Landesjustizverwaltung (Art. 295 Abs. 1 EGStGB). Die Anordnung der polizeilichen Beobachtung gemäß § 463 a Abs. 2 StPO, die in der angefochtenen Verfügung mit dem Ausdruck beobachtende Fahndung offensichtlich gemeint ist, stellt auch eine Maßnahme dar, die unmittelbar der Regelung einer einzelnen Angelegenheit dient und geeignet ist, den Betroffenen in seinen Rechten zu verletzen. Gleichwohl kommt eine Anfechtung nach § 23 Abs. 1 EGGVG nicht in Betracht.

Gemäß § 23 Abs. 3 EGGVG treten die Vorschriften der §§ 23 ff. EGGVG zurück, soweit die ordentlichen Gerichte bereits aufgrund anderer Vorschriften angerufen werden können. Dies ist hier der Fall.

Allerdings enthält § 463 a StPO, in dessen Absätzen 1 und 2 die Befugnisse der Aufsichtsstellen bei der Überwachung des Verhaltens des Verurteilten und der Erfüllung von Weisungen geregelt sind, keine Bestimmung über die Anfechtbarkeit der hierbei von den Aufsichtsstellen getroffenen Maßnahmen und den dafür gegebenen Rechtsweg. Dies gilt insbesondere auch für die hier in Frage stehende Anordnung der polizeilichen Beobachtung, für die nach § 463 a Abs. 2 Satz 3 StPO der Leiter der Führungsaufsichtsstelle zuständig ist. Er wird seine Entscheidung regelmäßig im Einvernehmen mit dem zuständigen Gericht (unter Beteiligung des Bewährungshelfers) treffen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 463 a, Rdnr. 6; Löwe/Rosenberg-Wendisch, StPO, 25. Aufl., § 463 a, Rdnr. 11; Karlsruher Kommentar-Fischer, StPO, 4. Aufl., § 463 a, Rdnr. 5 a), auch wenn es sich hierbei nicht um einen Richtervorbehalt handelt. Dies entspricht der in § 68 a StGB geregelten Aufgabenverteilung und Zusammenarbeit zwischen Gericht und Aufsichtsstelle, bei der dem Gericht eine übergeordnete Stellung zugewiesen wird. Nach dieser Vorschrift überwacht die Aufsichtsstelle im Einvernehmen mit dem Gericht und mit Unterstützung des Bewährungshelfers das Verhalten des Verurteilten und die Erfüllung der Weisungen (Abs. 3), wobei das Gericht bei Divergenzen zwischen Aufsichtsstelle und Bewährungshelfer entscheidet (Abs. 4) und der Aufsichtsstelle und dem Bewährungshelfer für ihre Tätigkeit Anweisungen erteilen kann (Abs. 5). Die insbesondere in § 68 a Abs. 5 StGB zum Ausdruck gekommene umfassende Regelungsbefugnis des Gerichts erlaubt ihm nicht nur, von sich aus steuernd auf die Tätigkeit der Aufsichtsstelle einzuwirken. Vielmehr korrespondiert damit auch ein Anspruch des Verurteilten aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG auf gerichtliche Entscheidung. Demgemäß hat das Oberlandesgericht Düsseldorf (Beschluss vom 20.9.2004, StraFo 2004, 426) entschieden, dass der Verurteilte bei dem mit der Führungsaufsicht befassten Gericht um gerichtliche Entscheidung nachsuchen kann, wenn dieses eine Weisung nach § 68 b Abs. 1 Nr. 1 StGB erteilt hat und die Führungsaufsichtsstelle die Erlaubnis für einen beantragten Aufenthaltswechsel versagt hat. Eine Anfechtung der Erlaubnisversagung nach § 23 Abs. 1 EGGVG kommt nach Ansicht des Oberlandesgerichts Düsseldorf aufgrund der Subsidiaritätsregel des § 23 Abs. 3 EGGVG nicht in Betracht, es verbleibt bei der Zuständigkeit des unmittelbar mit der Führungsaufsicht befassten Gerichts.

Die vom Oberlandesgericht Düsseldorf angestellten Erwägungen treffen auch im vorliegenden Fall zu. Die Anordnung der polizeilichen Beobachtung gemäß § 463 a Abs. 2 StPO betrifft ebenfalls die Ausgestaltung der Führungsaufsicht, die hier gemäß § 67 d Abs. 6 Satz 2 StGB kraft Gesetzes eingetreten ist. Sowohl das Verbot, den Aufenthaltsort ohne Erlaubnis der Aufsichtsstelle zu wechseln (§ 68 b Abs. 1 Nr. 1 StGB) als auch die Ausschreibung des Verurteilten zur Beobachtung anlässlich polizeilicher Kontrollen (§ 463 a Abs. 2 StPO) sollen der Aufsichtsstelle eine planmäßige Überwachung des Verurteilten ermöglichen.

Es erscheint sachgerecht, die Entscheidung über die Anfechtung der Anordnung gemäß § 463 a Abs. 2 StPO dem nach § 68 a StGB für die Durchführung der Führungsaufsicht verantwortlichen Gericht zuzuweisen, da dieses regelmäßig mit den Besonderheiten des Einzelfalls vertraut ist. Ferner lässt sich die an die Strafvollstreckungskammer gerichtete "Beschwerde" vom 08.05.2006 zwanglos als Antrag des Verurteilten an dieses Gericht auslegen, die Anordnung des Leiters der Führungsaufsichtsstelle vom 22.08.2005 aufzuheben. Es liegt auf der Hand, dass dieser Auslegung der Vorrang vor der Auslegung als subsidiärer Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 Abs. 1 EGGVG zukommt. Im Übrigen korrespondiert die nach der hier vertretenen Auffassung gegebene gerichtliche Zuständigkeit mit der Zuständigkeit, die besteht, wenn die Rechtswidrigkeit der von der Staatsanwaltschaft gemäß § 163 e StPO gegen einen Beschuldigten angeordneten polizeilichen Beobachtung geltend gemacht wird. Nach wohl allgemeiner Auffassung ist in jenem Fall die gerichtliche Überprüfung der Maßnahme in entsprechender Anwendung von § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO und nicht nach § 23 EGGVG herbeizuführen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 163 e, Rdnr. 16; § 163 d, Rdnr. 26).

Nachdem der Antragsteller eine freiheitsentziehende Maßregel, zuletzt im Bezirkskrankenhaus G., verbüßt hat, ist zuständiges Gericht die Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht T. (§§ 463 Absätze 2 und 6, 462 a Abs. 1, 453 StPO). An dieses Gericht war die Sache zur Entscheidung zuständigkeitshalber abzugeben.

Ende der Entscheidung

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