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Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 23.11.2006
Aktenzeichen: 31 AR 138/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 35
ZPO § 36
ZPO § 281
ZPO § 690 Abs. 1 Nr. 5
ZPO § 696 Abs. 3
1. Die Rechtsprechung, wonach die Bezeichnung des streitigen Gerichts im Mahnbescheidsantrag die Ausübung eines der Klagepartei zwischen mehreren Gerichtsständen zustehenden Wahlrechts darstellt, setzt ein zu diesem Zeitpunkt bestehendes Wahlrecht voraus. Entsteht das Wahlrecht erst zu einem späteren Zeitpunkt im Mahnverfahren, so kann die Klagepartei ihr Wahlrecht grundsätzlich noch durch Stellung eines Verweisungsantrags beim Streitgericht vor Zustellung der Klagebegründung an den Prozessgegner ausüben (hier: Wohnsitzverlegung des Beklagten während des Mahnverfahrens).

2. Die Auffassung, dass dies auch gilt, wenn zum Zeitpunkt des Mahnbescheidsantrags das Wahlrecht zwar objektiv gegeben war, die Klagepartei von den das Wahlrecht begründenden Tatsachen aber - nicht vorwerfbar - keine Kenntnis hatte, ist jedenfalls nicht willkürlich; eine darauf gestützte Verweisung ist für das Empfangsgericht grundsätzlich bindend.


Gründe:

I.

Die Klägerin macht gegen den Beklagten Ansprüche aus Reisevertrag geltend. Im Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids ist eine Adresse des Beklagten in Ebersberg und als Streitgericht das Amtsgericht Ebersberg angegeben. Nach Widerspruch des Beklagten, mit dem er zugleich seine neue Adresse in München angab, wurde der Rechtsstreit 6 Monate später an das Amtsgericht Ebersberg abgegeben. Auf Antrag der Klägerin verwies das Amtsgericht Ebersberg mit Beschluss vom 21.3.2006 den Rechtsstreit an das Amtsgericht München. Zur Begründung ist auf den Wohnsitz des Beklagten in München hingewiesen; auch sei das Amtsgericht München als Gerichtsstand des Erfüllungsorts zuständig. Mit Beschluss vom 11.4.2006 lehnte das Amtsgericht München die Übernahme ab, da der Gerichtsstand des Erfüllungsorts in Ebersberg liege und das Amtsgericht Ebersberg durch die im Mahnbescheidsantrag bindend getroffene Wahl zuständig sei. Das Amtsgericht Ebersberg übernahm das Verfahren zunächst wieder, erklärte sich aber auf Rüge des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung vom 1.8.2006 erneut für unzuständig und verwies den Rechtsstreit auf Antrag der Klagepartei an das Amtsgericht München. Dieses Gericht lehnte die Übernahme wiederum ab und legte die Akten dem Oberlandesgericht München vor.

II.

Zuständig ist das Amtsgericht München, bei dem der allgemeine Gerichtsstand des Beklagten besteht (§§ 12, 13 ZPO) und an das der Rechtsstreit durch Beschluss des Amtsgerichts Ebersberg vom 1.8.2006 mit bindender Wirkung verwiesen wurde (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO). Die Bindungswirkung dieses Verweisungsbeschlusses träte ausnahmsweise dann nicht ein, wenn die Verweisung sich so weit von der gesetzlichen Grundlage entfernt hätte, dass sie im Hinblick auf das Gebot des gesetzlichen Richters und das Willkürverbot des Grundgesetzes nicht hingenommen werden könnte (BGHZ 102, 338/341; BayObLGZ 2003, 187/190). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

1. Vom Sachverhalt nicht getragen ist allerdings die Auffassung des Amtsgerichts Ebersberg, dass dort kein Gerichtsstand des Erfüllungsorts begründet sei. Gemäß § 269 Abs. 1, § 270 Abs. 1, 4 BGB ist Erfüllungsort für die Zahlung des vertraglich vereinbarten Entgelts der Wohnsitz des Schuldners zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Das gilt nur dann nicht, wenn ein anderer Ort bestimmt oder aus den Umständen zu entnehmen ist. Hierfür bietet das Parteivorbringen aber keinen Anhalt. Die Parteien haben zwar im Laufe des gerichtlichen Verfahrens die Auffassung vertreten, der Erfüllungsort sei bei der Niederlassung der Klägerin in München. Tatsachenvortrag, der diese Rechtsmeinung stützen könnte, fehlt jedoch. Insbesondere handelte es sich offensichtlich nicht um ein Ladengeschäft des täglichen Lebens mit beiderseitiger sofortiger Leistungserbringung.

Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses hatte der Beklagte seinen Wohnsitz in Ebersberg; ein späterer Wohnsitzwechsel ist bedeutungslos (BayObLG NJW-RR 1996, 956; Zöller/Vollkommer ZPO 25. Aufl. § 29 Rn. 24). Beim Amtsgericht Ebersberg bestand daher von Anfang an der Gerichtsstand des Erfüllungsorts (§ 29 ZPO).

2. Zweifelhaft erscheint auch die Annahme des Amtsgerichts Ebersberg, dass der Beklagte zum Zeitpunkt der Zustellung des Mahnbescheids seinen Wohnsitz nicht mehr in Ebersberg hatte. Für die Angabe des Beklagten, die Zustellung sei im Wege der Nachsendung an seine Anschrift in München erfolgt, findet sich in den Akten keine Bestätigung. Aus Blatt 5 der Akten ergibt sich dies, anders als das Amtsgericht Ebersberg meint, gerade nicht. Der Aktenausdruck nach § 696 Abs. 2 ZPO, dem die Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde zukommt (§ 696 Abs. 2 Satz 2, § 418 ZPO), bekundet auf Blatt 5 der Akten im Gegenteil, dass nach dem Inhalt der Zustellungsurkunde der Postbedienstete das Schriftstück dem Adressaten (Beklagten) "unter der Zustellanschrift" "persönlich" übergeben hat, wobei als Zustellanschrift die Adresse des Beklagten in Ebersberg angegeben ist. Wurde sonach dem Beklagten persönlich an seine Adresse in Ebersberg zugestellt, so ist dies jedenfalls ein starkes Indiz, dass der Beklagte dort noch seinen Wohnsitz hatte. Wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen, bedarf dies jedoch keiner abschließenden Aufklärung.

3. Das Amtsgericht Ebersberg stellt in seinem zweiten Verweisungsbeschluss nicht mehr entscheidend darauf ab, dass (nach seiner Auffassung) bei ihm kein Gerichtsstand begründet ist. Es stützt seine Verweisung auch darauf, dass selbst im Falle eines gegebenen Gerichtsstands in Ebersberg der Klägerin im Hinblick auf den Wohnsitzwechsel des Beklagten noch ein Wahlrecht (§ 35 ZPO) zwischen Ebersberg und München offen gestanden habe, das durch Stellung des Verweisungsantrags wirksam ausgeübt worden sei. Diese Auffassung ist unter den hier gegebenen Umständen zutreffend oder jedenfalls vertretbar.

a) Im Mahnverfahren wird ein bestehendes Wahlrecht zwischen mehreren zuständigen Streitgerichten grundsätzlich bereits im Mahnbescheidsantrag durch die Bezeichnung eines dieser Gerichte als für ein streitiges Verfahren zuständig (§ 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO) ausgeübt und die so getroffene Wahl mit Zustellung des Mahnbescheids bindend und unwiderruflich (BGH NJW 1993, 1273). Das setzt jedoch ein "bestehendes Wahlrecht" voraus. Daran fehlt es, wenn dem Kläger zum Zeitpunkt der Beantragung des Mahnbescheids ein Wahlrecht nicht zusteht; in diesem Fall kann die Angabe des Streitgerichts im Mahnbescheidsantrag keine Wahlrechtsausübung sein, an dessen Ausübung der Kläger gebunden wäre (vgl. BGH NJW 1993, 2810). Auch wenn ein Wahlrecht objektiv besteht, dem Kläger die das Wahlrecht begründenden Tatsachen zum maßgeblichen Zeitpunkt aber (noch) nicht bekannt sind, ist die Qualifizierung einer unter solchen Umständen vorgenommenen Bezeichnung des Streitgerichts als Ausübung des Wahlrechts zumindest zweifelhaft. Es erscheint durchaus vertretbar, dem Kläger jedenfalls dann, wenn seine Unkenntnis der Tatsachen nicht auf mangelhafter Prozessvorbereitung beruht, nach Kenntniserlangung ein Wahlrecht zuzubilligen, das innerhalb der nachfolgend aufgezeigten prozessualen Grenzen noch ausgeübt werden kann (vgl. Stein/Jonas/Roth ZPO 22. Aufl. § 35 Rn. 6; Musielak/Voit ZPO 5. Aufl. § 35 Rn. 3; für einen besonders gelagerten Fall: KG NJW-RR 2001, 62).

b) Das mit der Wohnsitzverlegung des Beklagten im Laufe des Mahnverfahrens erstmals entstandene Wahlrecht der Klägerin zwischen den fakultativ zuständigen Amtsgerichten Ebersberg (Erfüllungsort) und München (Beklagtenwohnsitz) konnte die Klägerin noch dadurch ausüben, dass sie zugleich mit Einreichen der Klagebegründung beim Amtsgericht Ebersberg die Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht München beantragte.

Der Grundsatz der perpetuatio fori (§ 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO) steht nicht entgegen. Wann beim Übergang vom Mahnverfahren in das Streitverfahren Rechtshängigkeit eintritt, ist gesetzlich nicht eindeutig geregelt und im Einzelnen strittig. Die Rückbeziehung nach § 696 Abs. 3 ZPO bleibt im hier erörterten Zusammenhang außer Betracht (Musielak/Voit § 696 Rn. 6), greift im Übrigen mangels "alsbaldiger" Abgabe im konkreten Fall auch nicht ein. Überwiegend wird Rechtshängigkeit mit Eingang der Akten beim Streitgericht oder zu einem zeitlich späteren Zeitpunkt, etwa mit Zustellung der Anspruchsbegründung, angenommen (vgl. zum Streitstand Zöller/Vollkommer § 696 Rn. 5; Musielak/Voit § 696 Rn. 4). Nach Auffassung des Senats ist jedenfalls für die hier zu entscheidende Frage, bis wann die Klagepartei von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen kann, wenn die Angabe des Streitgerichts im Mahnbescheidsantrag ausnahmsweise noch keine Ausübung des Wahlrechts darstellt, auf die Zustellung der Anspruchsbegründung abzustellen. Nur so wird der Gleichklang mit dem Verfahren bei Klageerhebung gewahrt (vgl. § 697 Abs. 2 Satz 1 ZPO), in dem die Klagepartei ihre Wahl erst mit Zustellung der Klageschrift bindend und unwiderruflich ausübt. Zuvor, im Zeitraum zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit der Klage, kann ein durch Einreichen der Klage etwa ausgeübtes Wahlrecht jederzeit geändert oder ein in diesem Zeitraum überhaupt erst entstehendes Wahlrecht ohne weiteres noch ausgeübt werden. Im Mahnverfahren ist dieser Zeitpunkt zwar grundsätzlich vorverlegt auf die Zustellung des Mahnbescheids. Diese Regelung versagt jedoch, wenn zu diesem Zeitpunkt eine Wahlrechtsausübung nicht möglich war. Dann besteht kein Grund, die Klagepartei, die ihren Anspruch zunächst im Wege des Mahnverfahrens verfolgt, schlechter zu stellen gegenüber einer Partei, die unmittelbar im Klageweg vorgeht. So wie diese erst durch die Zustellung der Klage gebunden wird, muss jene ihr Wahlrecht bis zur Zustellung der Anspruchsbegründung ausüben können.

Das ist hier geschehen: Die Klägerin hat auf den ihr erst nach Widerspruchseinlegung bekannt gewordenen Wohnsitzwechsel des Beklagten reagiert und mit der Klagebegründung die Verweisung an das Amtsgericht München beantragt. Zu diesem Zeitpunkt war ihr die Ausübung des Wahlrechts noch möglich. Hier kommt hinzu, dass auch der Beklagte schon beim Widerspruch gegen den Mahnbescheid beantragt hat, den Rechtsstreit in München zu führen. Die Parteien hätten in diesem Stadium auch ein übereinstimmendes Verlangen nach § 696 Abs. 1 Satz 1 ZPO auf Abgabe des Rechtsstreits an das Amtsgericht München stellen und eine Gerichtsstandsvereinbarung (§ 38 Abs. 3 ZPO) schließen können. Unabhängig davon konnte das durch die Abgabe der Akten vom Mahngericht an das Streitgericht in der Prüfung der Zuständigkeit nicht gebundene Amtsgericht Ebersberg (§ 696 Abs. 5 ZPO), wie dargelegt, die Auffassung vertreten, dass eine Verweisung unter den hier gegebenen Umständen noch möglich war, und zwar auch geraume Zeit nach - rechtzeitiger - Stellung des Verweisungsantrags, da eine Verhandlung zur Sache bisher nicht stattgefunden hat. Die Verweisung ist daher für das Empfangsgericht bindend.

Ende der Entscheidung

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