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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 13.02.2008
Aktenzeichen: 31 AR 274/07
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 33
ZPO § 36
1. Der besondere Gerichtsstand der Widerklage gilt nicht für widerbeklagte Dritte (Vorlage an den Bundesgerichtshof wegen Abweichung von OLG Dresden).

2. Die Bestimmung des Gerichts der Klage als gemeinsam zuständiges Gericht für Widerklage und Drittwiderklage setzt nicht voraus, dass einer der widerbeklagten Streitgenossen dort seinen allgemeinen Gerichtsstand hat (Vorlage an den BGH wegen Abweichung von OLG Dresden).


Gründe:

I.

Mit der zum Landgericht Augsburg erhobenen Klage beantragt der Kläger, die Beklagte zu 1 und den Beklagten zu 2 als Gesamtschuldner zu verurteilen, an eine näher bezeichnete Erbengemeinschaft 160.000 EUR zu bezahlen. Hintergrund des Rechtsstreits sind im Jahre 2005 ausbezahlte Entschädigungsleistungen des Vereinigten Königreichs für zu Kriegszeiten vom englischen Staat beschlagnahmte Konten der 1957 verstorbenen Großmutter und des 1941 verstorbenen Großvaters des Klägers. In Streit stehen Geschehnisse um einen Finanzierungsvertrag im Zusammenhang mit den Bemühungen, den englischen Staat zu entsprechenden Entschädigungsleistungen zu bewegen. Die Beklagte zu 1 erhob Widerklage gegen den Kläger und Drittwiderklage gegen ein bisher nicht am Verfahren beteiligtes Mitglied der Erbengemeinschaft. Der Kläger und Widerbeklagte hat seinen allgemeinen Gerichtsstand im Bezirk des Landgerichts München II, der Drittwiderbeklagte im Bezirk des Landgerichts Köln (zum Zeitpunkt der Zustellung der Widerklage im Bezirk des Landgerichts Koblenz). Die Widerklägerin hat beantragt, das Landgericht Augsburg als gemeinsam zuständiges Gericht für Widerklage und Drittwiderklage zu bestimmen.

II.

Der Senat hält die Voraussetzungen der Bestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO für gegeben. An der Vornahme der Bestimmung sieht er sich jedoch durch die Entscheidung des Oberlandesgerichts Dresden vom 17.4.2002, 1 AR 17/02 gehindert. Das OLG Dresden hält in Fällen der Widerklage und Drittwiderklage - sogenannte (nicht isolierte) Partei erweiternde Widerklage - eine Bestimmung nicht mehr für zulässig. Der Bestimmungsantrag wird daher gemäß § 36 Abs. 3 ZPO dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt. Diese hängt von der Beantwortung von zwei Rechtsfragen ab: (1.) Ist die Bestimmung des Gerichts der Klage als gemeinsam zuständiges Gericht für Widerklage und Drittwiderklage generell unzulässig, weil der Gerichtsstand der Widerklage (§ 33 ZPO) auch für die Drittwiderklage gilt, es mithin einer Bestimmung gar nicht bedarf? (2.) Ist die Bestimmung des Gerichts der Klage als gemeinsam zuständiges Gericht für Widerklage und Drittwiderklage, wenn nicht bereits generell ausgeschlossen, nur dann zulässig, wenn wenigstens eine Partei aus dem Kreis der Widerbeklagten und Drittwiderbeklagten dort seinen allgemeinen Gerichtsstand hat? Im Gegensatz zum OLG Dresden verneint der vorlegende Senat beide Fragen.

1. Der Senat ist nach § 36 Abs. 2 ZPO zur Behandlung des Bestimmungsantrags berufen, weil das mit dem Hauptsacheverfahren befasste Landgericht Augsburg, nicht aber das Gericht des allgemeinen Gerichtsstands des Drittwiderbeklagten, zu seinem Bezirk gehört (hypothetische BGH-Zuständigkeit). Der Anwendungsbereich der Divergenzvorlage nach § 36 Abs. 3 ZPO ist eröffnet (vgl. BGH NJW 2000, 3214).

2. Die Voraussetzungen der Bestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen vor. Widerbeklagter und Drittwiderbeklagter werden gesamtschuldnerisch in Anspruch genommen und sind Streitgenossen nach § 59 ZPO. Ein gemeinschaftlicher allgemeiner oder besonderer Gerichtsstand, der die Bestimmung ausschlösse (vgl. BGH NJW 2000, 1871), besteht nicht. Darauf, ob einer der widerbeklagten Streitgenossen seinen allgemeinen Gerichtsstand am Gericht der Klage hat, kommt es nach Auffassung des Senats nicht an.

a) Für Widerklage und Drittwiderklage besteht insbesondere nicht ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand nach § 33 ZPO am Gericht der Klage. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NJW 1991, 2838; 1993, 2120) gilt der Gerichtsstand der Widerklage (§ 33 ZPO) nicht für die Drittwiderklage. Der Senat teilt nicht die Auffassung, dass diese Rechtsprechung " überholt" wäre, wie Vollkommer (in Zöller ZPO 26. Aufl. § 36 Rn. 15 a.E.) behauptet und wovon auch das Oberlandesgericht Dresden ausgeht. Diese Auffassung dürfte, wie nachfolgend ausgeführt wird, auf einer Verkennung der Reichweite der Entscheidung des Bundesgerichtshofs in NJW 2000, 1871 beruhen. Im Gegensatz zum OLG Dresden sieht der Senat keinen Grund, die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass § 33 ZPO nicht für die Drittwiderklage gilt, als überholt anzusehen oder in Frage zu stellen und von ihr abzuweichen.

b) Das OLG Dresden versteht BGH NJW 2000, 1871 im Anschluss an den Aufsatz von Vollkommer/Vollkommer in ZRP 2000, 1062 dahin, dass der Weg nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO im Fall der Drittwiderklage "nicht mehr gangbar" sei (vgl. auch Zöller/Vollkommer aaO: "ohne praktische Bedeutung"). Vollkommer/Vollkommer meinen, der BGH habe entschieden, dass auch im Fall der Drittwiderklage sämtliche Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zu prüfen seien, also auch diejenige, dass die Streitgenossen "im allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden sollen". Sie ziehen daraus den Schluss, dass eine Gerichtsstandsbestimmung für die Drittwiderklage nur noch in den - eher zufälligen, seltenen - Fällen zulässig sei, in denen beim Gericht der Klage zugleich der allgemeine Gerichtsstand eines Widerbeklagten oder Drittwiderbeklagten besteht. Das OLG Dresden hat sich dieser Rechtsmeinung angeschlossen und ist der Empfehlung von Vollkommer/Vollkommer auch darin gefolgt, § 33 ZPO auf den Drittwiderbeklagten anzuwenden.

c) Der Senat versteht die Entscheidung des Bundesgerichtshofs anders und vermag die von Vollkommer/Vollkommer gezogenen und vom OLG Dresden übernommenen Schlussfolgerungen nicht zu teilen. Der BGH hatte seinerzeit den konkreten Fall zu entscheiden, ob die Bestimmung zulässig ist, wenn Widerbeklagter und Drittwiderbeklagter einen gemeinsamen allgemeinen oder besonderen Gerichtsstand haben. Er hat dies mit der Erwägung verneint, dass die aus Gründen der Zweckmäßigkeit und Prozessökonomie dem Kläger durch die Gerichtsstandsbestimmung eröffnete Möglichkeit, mehrere Streitgenossen in einem gemeinsamen Verfahren vor demselben Gericht zu verklagen, dann nicht gerechtfertigt ist, wenn der Kläger die Streitgenossen vor einem für alle Beklagten zuständigen Gericht in Anspruch nehmen kann; diese Erwägung gelte gleichermaßen auch für den Widerkläger. Diese Begründung bezieht sich nur auf die Frage des gemeinschaftlichen Gerichtsstands. Auch der Leitsatz des Gerichts ist in seiner Aussage auf die Thematik des "an sich gegebenen gemeinschaftlichen Gerichtsstands" beschränkt. Dass die Bestimmung auch dann unzulässig sein soll, wenn der Gerichtsstand der Klage nicht zufällig auch ein allgemeiner Gerichtsstand eines der widerbeklagten Streitgenossen ist, lässt sich dem nicht entnehmen. Im Gegenteil: Im letzten Satz der Entscheidung wird ausdrücklich festgehalten, dass die Bestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO auch im Fall der Drittwiderklage durch den Grundsatz der Prozessökonomie geboten ist, wenn die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO vorliegen, "das heißt, wenn die Widerbeklagten keinen gemeinsamen allgemeinen oder besonderen Gerichtsstand haben". Auch hier ist also die Erwähnung der "Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO" ganz konkret bezogen und beschränkt auf die Frage des gemeinsamen Gerichtsstands.

Es ist auch keineswegs so, dass nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nur einer der allgemeinen Gerichtsstände der Streitgenossen bestimmt werden könnte. Dies ist zwar der Regelfall. Die Rechtsprechung lässt jedoch seit langem Ausnahmen oder die entsprechenden Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO auf andere Fallgestaltungen zu. So kann etwa der für einen Streitgenossen geltende ausschließliche Gerichtsstand zum gemeinsam zuständigen Gericht auch für andere Streitgenossen bestimmt oder die Auswahl unter mehreren ausschließlichen Gerichtsständen getroffen werden (vgl. BGH NJW 1987, 439; BGHZ 90, 155/159). Unter Umständen kann auch ein nicht ausschließlicher besonderer Gerichtsstand bestimmt werden, bei dem keiner der verklagten Streitgenossen seinen allgemeinen Gerichtsstand hat (vgl. BayObLGR 2004, 203; Zöller/ Vollkommer § 36 Rn. 18 a.E.). Um eine solche Variante geht es auch hier.

Der Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts für Widerklage und Drittwiderklage zielt nach dem Verständnis des Senats von vornherein nicht etwa darauf, dem bestimmenden Gericht eine Auswahl unter den allgemeinen Gerichtsständen der widerbeklagten Streitgenossen treffen zu lassen, sondern gerade spezifisch darauf, das Gericht der Klage, bei dem zugleich der besondere Gerichtsstand der Widerklage besteht, auch für die Drittwiderklage für zuständig zu erklären. Nur das kann richtigerweise überhaupt in Betracht gezogen werden; denn § 33 ZPO gibt dem Beklagten nur das Recht, seine behaupteten konnexen Gegenansprüche gegen den Kläger als Widerkläger bei demselben Gericht und im selben Prozess geltend zu machen, nicht aber, durch Erhebung der Widerklage die Klage an ein anderes Gericht zu ziehen. Nichts anderes kann für die Drittwiderklage und das dadurch notwendig werdende Bestimmungsverfahren gelten. Die auch vom Bundesgerichtshof befürwortete Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO in diesen Fällen soll, wenn es keinen anderen gemeinschaftlichen Gerichtsstand gibt, eine sinnvolle und prozessökonomische Bündelung und Zusammenführung der gegen mehrere Streitgenossen widerklagend geltend gemachten konnexen Gegenansprüche mit den klageweise geltend gemachten Ansprüchen ermöglichen, nicht aber ein Instrument sein, dem Kläger den Gerichtsstand der Klage zu entziehen. Demgemäß kann es nicht darauf ankommen, ob der Gerichtsstand von Klage und Widerklage, den der Widerkläger im Wege des Bestimmungsverfahrens auch für die Drittwiderklage nutzbar machen will, zufällig ein allgemeiner Gerichtsstand eines der widerbeklagten Streitgenossen ist. Vielmehr stellt sich diese Frage nicht, weil eine - von der Rechtsprechung zu § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nicht von vornherein ausgeschlossene - Fallkonstellation vorliegt, in der statt eines allgemeinen ein besonderer Gerichtsstand, nämlich der des § 33 ZPO, bestimmt werden soll.

Nach diesem vom Senat zugrunde gelegten Verständnis setzt die Bestimmung im Fall der (nicht isolierten) Drittwiderklage nur voraus, dass die widerbeklagten Parteien als Streitgenossen in Anspruch genommen werden und keinen gemeinschaftlichen allgemeinen oder besonderen Gerichtsstand haben (vgl. Musielak/Heinrich ZPO 5. Aufl. § 33 Rn. 25). Ein solcher Fall liegt hier vor.

3. Nach alldem steht der beantragten Bestimmung nach Auffassung des Senats kein Hindernis entgegen; die Bestimmung ist vorzunehmen. Der Einwand des Drittwiderbeklagten, die Drittwiderklage sei unschlüssig und unzulässig, ist im Bestimmungsverfahren nicht zu prüfen. Die Bestimmung, die der Senat vornehmen würde, ließe die Befugnis des Prozessgerichts unberührt, über die Sachdienlichkeit der Drittwiderklage gemäß § 263 ZPO selbst zu befinden (vgl. BGH NJW 1991, 2838; BayObLGZ 1996, 88/90). Bei Zugrundelegung der vom OLG Dresden - als tragende Gründe für seine Entscheidung - vertretenen Rechtsauffassung, eine Bestimmung könne nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht mehr vorgenommen werden, ferner auch deshalb nicht, weil § 33 ZPO auch für die Drittwiderklage gelte, müsste der Senat die Bestimmung ablehnen. Der Senat müsste folglich eine andere als die von ihm beabsichtigte Endentscheidung treffen. Die Abweichung ist somit entscheidungserheblich und die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorzulegen (§ 36 Abs. 3 ZPO).

Ende der Entscheidung

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