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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 25.04.2007
Aktenzeichen: 32 Wx 137/06
Rechtsgebiete: WEG


Vorschriften:

WEG § 15 Abs. 1
Die nähere Bezeichnung von Sondereigentum in der Teilungserklärung als "Laden" hat nicht die Bedeutung einer Nutzungsbeschränkung mit Vereinbarungscharakter, wenn sich aus der Gemeinschaftsordnung ergibt, dass sämtliche Sondereigentumseinheiten nicht von vorneherein ausschließlich der Nutzung als Wohnraum oder als gewerbliche Räume zugeordnet werden.
Gründe:

I.

Antragsteller, Nebenintervenient und Antragsgegner sind die Wohnungs- und Teileigentümer einer Wohnanlage, die von der weiteren Beteiligten verwaltet wird.

Mit Kaufvertrag vom 29.10.2004 erwarb der Antragsteller vom Nebenintervenienten die Sondereigentumseinheit Nr. 5, die im Nachtrag zur Teilungserklärung vom 16.10.1980 folgendermaßen beschrieben ist:

"Mit dem Miteigentumsanteil von 104,95 1/000 ist nicht das Sondereigentum an dem im Aufteilungsplan mit Nr. 5 bezeichneten Büro, sondern an der im Aufteilungsplan mit Nr. 5 bezeichneten Praxis verbunden. Zur Praxis Nr. 5 gehört keine Diele, sondern ein Eingang."

Die Gemeinschaftsordnung in der Teilungserklärung vom 11.2.1980 beinhaltet in § 2 und § 3 auszugsweise folgende Regelungen:

"§ 2 Gegenstand des Wohnungseigentums und Begriffsbestimmungen

1) Wohnungseigentum ist das Sondereigentum an einer abgeschlossenen Wohnung oder einem bewohnbaren Raum in Verbindung mit dem Miteigentumsanteil an dem gemeinschaftlichen Eigentum, zu dem es gehört.

2) Teileigentum ist das Sondereigentum an nicht zu Wohnzwecken dienenden Räumen eines Gebäudes in Verbindung mit dem Miteigentumsanteil an dem gemeinschaftlichen Eigentum, zu dem es gehört.

...

§ 3 Nutzung

1) Jeder Wohnungseigentümer hat das Recht, die in seinem Sondereigentum stehenden Räume, die seinem Sondernutzungsrecht unterliegenden Gegenstände und neben den übrigen Miteigentümern das gemeinschaftliche Eigentum in der jeweiligen Zweckbestimmung entsprechenden Weise zu nutzen, soweit nicht das Gesetz, diese Gemeinschaftsordnung oder die Rechte der übrigen Wohnungseigentümer oder Rechte Dritter entgegenstehen.

2) Zur Ausübung eines Gewerbes oder eines Berufes in den dem Sondereigentum unterliegenden Räumen ist der Wohnungseigentümer nur mit Zustimmung des Verwalters berechtigt. Ausgenommen hiervon sind die Sondereigentumseinheiten im Erdgeschoß, 1. Obergeschoss und 2. Obergeschoss, die jederzeit gewerblich genutzt werden dürfen."

Derzeit wird das Sondereigentum, wie in der Teilungserklärung beschrieben, im 3., 4. und 5. Obergeschoss als Wohnungseigentum, in den übrigen Geschossen als gewerbliche Einheiten genutzt.

In der Wohnungseigentümerversammlung vom 10.2.2005 lehnten die Wohnungseigentümer unter Tagesordnungspunkt (TOP) 4 mehrheitlich den Antrag auf Zustimmung der Gemeinschaft zur Nutzungsänderung der Praxen in Wohnraum - 2. Obergeschoss Teileigentum 4 und 5 - ab.

Der Antragsteller hat beantragt, den Eigentümerbeschluss zu TOP 4 für ungültig zu erklären und die Antragsgegner zu verpflichten, ihm die Nutzung seines Teileigentums Nr. 5 zu Wohnzwecken zu gestatten. Mit Beschluss vom 27.12.2005 hat das Amtsgericht diese Anträge abgelehnt. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers hat das Landgericht mit Beschluss vom 8.8.2006 zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner sofortigen weiteren Beschwerde.

II.

Das zulässige Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Für die Anfechtung des Negativbeschlusses zu TOP 4 fehle es dem Antragsteller nicht am Rechtsschutzbedürfnis, da dieser Beschluss für den Verwalter eine bindende Wirkung hinsichtlich seiner Zustimmungsmöglichkeiten zu einer Nutzungsänderung nach § 3 Nr. 2 der Gemeinschaftsordnung (GO) entfalten könne.

Der Beschluss sei aber nicht für ungültig zu erklären, da er ordnungsmäßiger Verwaltung entspreche. Ein Anspruch auf Gestattung der Nutzungsänderung gegen die Antragsgegner bestehe nicht.

Bei der Eigentumseinheit Nr. 5 handle es sich gemäß § 2 Nr. 2 GO um Teileigentum, das nicht zu Wohnzwecken bestimmt sei. Da in § 2 Nr. 1 und 2 GO eine eindeutige Unterscheidung zwischen Wohnungs- und Teileigentum getroffen worden sei, scheide eine Auslegung, dass beide Nutzungsarten zulässig sein sollten, aus. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 3 Nr. 2 GO, dem nur zu entnehmen sei, dass für bestimmte Einheiten eine Genehmigung der Nutzung zu gewerblichen Zwecken nicht erforderlich sei, nicht aber, dass jede Gewerbeeinheit primär Wohnungseinheit sei. Die Zweckbestimmung "Praxis" habe Vereinbarungscharakter im Sinne von § 15 Abs. 1, § 1 Abs. 6 WEG. Eine Änderung der gewerblichen Nutzung zur Wohnraumnutzung sei unzulässig, da diese mehr störe als die Nutzung entsprechend der Zweckbestimmung.

2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Für die betroffene Wohnanlage wurde die Nutzung des Sondereigentums durch § 3 der Gemeinschaftsordnung geregelt, der einer Vereinbarung nach § 15 Abs. 1 WEG gleichsteht. In der Urkunde vom 11.2.1980 zur Begründung des Wohnungseigentums ist die Einheit Nr. 5 zwar als "Büro", in der Nachtragsurkunde vom 16.10.1980 als "Praxis" bezeichnet. Die Teilungsurkunde enthält jedoch neben der rein sachenrechtlichen Teilungserklärung auch eine in sich abgeschlossene schuldrechtliche Gemeinschaftsordnung. In dieser ist in § 3 Nr. 2 geregelt, dass die Sondereigentumseinheiten im Erdgeschoss, 1. und 2. Obergeschoss jederzeit gewerblich genutzt werden dürfen, während es für die übrigen im Sondereigentum stehenden Räume hierzu der Zustimmung des Verwalters bedarf.

Teilungserklärung und Gemeinschaftsordnung sind vom Rechtsbeschwerdegericht selbständig auszulegen (BayObLGZ 1982, 1/4). Dabei kommt es nicht auf den Willen des Verfassers an, sondern, wie bei allen Grundbucheintragungen, allein auf den Wortlaut und Sinn, wie sich dieser für einen unbefangenen Betrachter als nächstliegende Bedeutung ergibt (BayObLGZ 1983, 73/78). Im vorliegenden Fall ist aus § 3 GO für die im unteren und im oberen Teil des Gebäudes liegenden Sondereigentumseinheiten eine differenzierende Regelung für die Voraussetzung der gewerblichen Nutzung getroffen. Die Einheiten beider Haushälften werden dabei als Sondereigentum bezeichnet. Im Zusammenhang mit der in § 2 GO enthaltenen Begriffsbestimmung wird deutlich, dass sämtliche Sondereigentumseinheiten nicht von vorn herein nur dem Zweck der Wohnnutzung (durch die Bezeichnung als "Wohnungseigentum") oder der gewerblichen Nutzung (durch die Bezeichnung als "Teileigentum") zugeordnet werden. Aus § 3 GO ist vielmehr zu entnehmen, dass eine Wohnnutzung für alle Sondereigentumseinheiten genehmigungsfrei ist, eine gewerbliche Nutzung dagegen nur für die drei unteren Geschosse. Die Auslegung der Teilungserklärung ergibt daher, dass eine Wohnraumnutzung der verfahrensgegenständlichen Einheit ohne weiteres zulässig ist.

Daran ändert auch die Bezeichnung der Teileigentumseinheit Nr.5 in der Teilungserklärung als "Büro" und im Nachtrag als "Praxis" nichts. Hier greift die allgemeine Vermutung, dass Gebrauchsregelungen in der Gemeinschaftsordnung enthalten sind, wenn der teilende Eigentümer, wie im vorliegenden Fall, in seiner Erklärung an das Grundbuchamt ausdrücklich zwischen der Teilungserklärung und der Gemeinschaftsordnung unterschieden hat (BayObLGZ 1988, 238/242). Der jeweiligen Bezeichnung der Einheit in der Teilungserklärung kommt damit nicht die Bedeutung einer Nutzungsbeschränkung zu.

b) Die Entscheidung über die Nutzung sämtlicher Wohneinheiten zu Wohnzwecken ist damit nach der Gemeinschaftsordnung nicht dem Mehrheitsprinzip unterworfen. Die Wohnungseigentümerversammlung war daher für die am 10.2.2005 getroffene Beschlussfassung absolut unzuständig (BayObLG NZM 2005, 825/826). Der entsprechende Beschluss ist folglich nicht nur anfechtbar, sondern nichtig.

Wegen der ohne weiteres zulässigen Nutzung der Sondereigentumseinheit als Wohnraum fehlt es auch an einer Anspruchsgrundlage für die Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer.

Der Senat hat deshalb den Anfechtungs- und den Verpflichtungsantrag jeweils nach dem Willen des Antragstellers ohne Bindung an den Wortlaut als Feststellungsantrag ausgelegt (vgl. Niedenführ/Schulze WEG 7. Aufl. vor § 43 ff. Rn. 42).

c) Auf die von den Vorinstanzen weiter erörterten Fragen der Zulässigkeit einer Nutzungsänderung kommt es nicht mehr an.

3. Es entspricht der Billigkeit, den Antragsgegnern samtverbindlich die Gerichtskosten aller Rechtszüge aufzuerlegen (§ 47 Satz 1 WEG). Von der Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten sieht der Senat wegen der abweichenden Entscheidungen der Vorgerichte ab (§ 47 Satz 2 WEG).

Die Geschäftswertfestsetzung beruht auf § 48 Abs. 3 Satz 1 WEG. In Übereinstimmung mit den nicht angegriffenen Festsetzungen der Vorinstanzen hält der Senat einen Geschäftswert von 10 000 EUR angemessen.

Ende der Entscheidung

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