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Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 06.11.2006
Aktenzeichen: 32 Wx 155/05
Rechtsgebiete: WEG, FGG


Vorschriften:

WEG § 45 Abs. 1
FGG § 22 Abs. 2
FGG § 29 Abs. 1
FGG § 29 Abs. 4
Die Prüfung und Entscheidung, welches Rechtsmittel im konkreten Fall statthaft ist, hat der Anwalt selbst zu treffen und darf sie nicht seinem Personal überlassen.
Gründe:

I.

Die Antragstellerin ist Verwalterin einer Hotelappartementanlage, in der der Antragsgegner Wohnungseigentum hat.

Nachdem der ursprüngliche Bauträger der Hotelanlage im Jahre 1994 Konkurs anmelden musste, beschlossen die damaligen Erwerber von Hotelappartements, das steckengebliebene Bauvorhaben fortzuführen. In einer Eigentümerversammlung vom 6.10.1996 genehmigten die Wohnungseigentümer bestandskräftig die bisherigen Beschlüsse der Erwerbergemeinschaft zur Fortführung des Bauvorhabens. Die Hotelanlage wurde schließlich im November 1996 eröffnet.

Die Antragstellerin macht nun in Verfahrensstandschaft gegen den Antragsgegner letztlich die Bezahlung rückständigen Hausgeldes für die Jahre 1999 bis 2003 in einer Gesamthöhe von 4.067,41 EUR, sowie restliche Herstellungskosten für das Appartement des Antragsgegners in Höhe von 14.151,98 EUR und eine anteilige Finanzierungsumlage in Höhe von noch 4.016,56 EUR geltend.

Mit Beschluss vom 23.5.2005 hat das Amtsgericht den Antragsgegner antragsgemäß zur Zahlung von 22.235,94 EUR nebst Zinsen verurteilt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragsgegners hat das Landgericht mit Beschluss vom 29.8.2006 zurückgewiesen. Gegen diesen, seinen Verfahrensbevollmächtigten am 4.9.2006 zugestellten Beschluss richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Antragsgegners, die am 4.10.2006 beim Rechtsbeschwerdegericht eingelegt und mit der zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsbeschwerdefrist beantragt worden ist.

II.

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung ist nicht stattzugeben. Damit ist die sofortige weitere Beschwerde als verfristet zu verwerfen.

1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist zulässig, aber unbegründet, weil die Versäumung der Frist ihren Grund in einem Verschulden des anwaltlichen Vertreters des Antragsgegners hat, das diesem zuzurechnen ist (§ 22 Abs. 2 Satz 2 FGG).

a) Gegen die Entscheidung des Landgerichts ist die sofortige weitere Beschwerde gemäß § 45 Abs. 1 WEG statthaft. Sie ist binnen einer Frist von 2 Wochen einzulegen (§ 22 Abs. 1 FGG). Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in welchem die Entscheidung dem Beschwerdeführer bekanntgemacht worden ist (§ 29 Abs. 4, § 22 Abs. 1 FGG), hier also am 4.9.2006. Sie endete folglich mit Ablauf des 18.9.2006.

b) Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die der Antragsgegner zugleich mit der Beschwerdeeinlegung am 4.10.2006 beantragt hat, kommt nicht in Betracht, da das Fristversäumnis auf einem Verschulden des Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners beruht, das sich dieser nach § 22 Abs. 2 Satz 2 FGG, § 45 Abs. 1 WEG zurechnen lassen muss.

aa) Die Einhaltung der Beschwerdefristen im Wohnungseigentumsverfahren muss von einem Rechtsanwalt mit der gleichen Sorgfalt überwacht werden wie die Einhaltung der Rechtsmittelfristen im Zivilprozess (BayObLG NJW-RR 1987, 1424/1425). Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH NJW-RR 2001, 1072) kann ein Anwalt die Berechnung der allgemein anfallenden einfachen Fristen sowie die Führung des Fristenkalenders im Rahmen einer von ihm zu verantwortenden Büroorganisation auf sein geschultes, als zuverlässig erprobtes und sorgfältig überwachtes Personal zur selbständigen Erledigung übertragen. Kommt es zu einem organisationsunabhängigen Versagen von Angestellten bei der Fristenberechnung und/oder Fristenkontrolle und damit zu einem Fristversäumnis, so kann dieses dem Anwalt und damit auch dem Beschwerdeführer, nicht zugerechnet werden.

bb) Der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners hat zur Fristversäumung vorgetragen und glaubhaft gemacht:

Er habe die Berechnung der allgemein anfallenden, einfachen Fristen sowie die Führung des Fristenkalenders in seiner Kanzlei auf das geschulte und als zuverlässig erprobte und sorgfältig überwachte Personal zur selbständigen Erledigung übertragen. Rechtsmittelfristen würden am Tage des Posteingangs jeweils durch eine erfahrene Rechtsanwaltsfachangestellte notiert. Die Bürovorsteherin der Kanzlei, eine Rechtsfachwirtin, kontrolliere regelmäßig die Einhaltung der Kanzleivorgaben und prüfe auch stichprobenhaft die Fristenkontrolle und -überwachung. Im vorliegenden Fall sei die Frist am Tage des Posteingangs von einer erfahrenen Rechtsanwaltsfachangestellten auf dem letzten Blatt der Beschwerdeentscheidung notiert worden. Allerdings habe die Angestellte als Fristablauf den 4.10.2006 und als Vorfrist den 28.9.2006 notiert, in der irrigen Annahme, es handle sich bei dem statthaften Rechtsmittel um eine Rechtsbeschwerde nach § 575 ZPO.

cc) Es liegt damit kein Fehler bei der Fristenberechnung vor, sondern bei der Entscheidung, ob und wenn ja, welches Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Landgerichts gegeben ist. Die Beurteilung dieser Frage aber darf der Rechtsanwalt nicht dem Büropersonal, wie hier geschehen, überlassen, sondern muss in jedem Fall selbst die Entscheidung treffen, welche Art, Form und Frist eines Rechtsmittels in Betracht kommt, sobald er das Empfangsbekenntnis unterzeichnet (BayObLG WE 1991, 362; Stein/Jonas/Roth ZPO 22. Aufl. Band 3 § 233 Rn. 50).

Zu der irrtümlichen Annahme der Kanzleiangestellten, es handle sich bei dem statthaften Rechtsmittel um die Rechtsbeschwerde nach § 575 ZPO mit einer Notfrist von einem Monat konnte es nur kommen, weil der Verfahrensbevollmächtigte die ihm obliegende Prüfung und Entscheidung unterlassen hatte.

2. Dem Senat erscheint es nach § 47 WEG angemessen, dem Antragsgegner im Hinblick auf die Unzulässigkeit seines Rechtsmittels neben den gerichtlichen Kosten auch die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens aufzuerlegen.

Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 48 Abs. 3 Satz 1 WEG. Eine Korrektur der vorinstanzlichen Geschäftswertfestsetzungen, die die nachträglichen Antragserweiterungen bzw. -rücknahmen unberücksichtigt lassen, konnte auch nach § 31 Abs. 1 Satz 2 KostO nicht erfolgen, da es dazu eines zulässigen Rechtsmittels bedurft hätte (KG ZMR 2000, 860).



Ende der Entscheidung

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