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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 04.08.2009
Aktenzeichen: 32 Wx 33/09
Rechtsgebiete: BGB, FGG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 157
BGB § 328 Abs. 1
FGG § 27 Abs. 1 S. 2
ZPO § 546
1. Die Auslegung von Individualverträgen durch den Tatrichter kann vom Gericht der weiteren Beschwerde grundsätzlich nur darauf geprüft werden, ob der Auslegungsstoff vollständig berücksichtigt worden ist, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, die Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt sind oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht; zu den anerkannten Auslegungsregeln gehört insbesondere die Berücksichtigung des mit der Absprache verfolgten Zwecks und der Interessenlage der Parteien.

2. Enthält ein Wohnungseigentumskaufvertrag entgegen der Teilungserklärung die Bestimmung, dass der Käufer die Durchführung von baulichen Maßnahmen duldet und diesen hiermit zustimmt, so enthält dieser Vertrag bei interessengerechter Auslegung regelmäßig ein "pactum de non petendo", das Anträge (bzw. Klagen) auf Beseitigung des durch diese Maßnahmen bestimmungsgemäß zu Stande gekommenen Zustandes und auf Feststellung der Rechtwidrigkeit eines solchen Zustandes unzulässig macht. Die vertragliche Duldungspflicht und das "pactum de non petendo" wirken regelmäßig auch zugunsten des jeweiligen Eigentümers der Wohnung.


OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN BESCHLUSS

Aktenzeichen: 32 Wx 033/09

Der 32. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München hat unter Mitwirkung der Richterin am Oberlandesgericht Dr. Wiringer-Seiler als Vorsitzender, des Richters am Oberlandesgericht Gierl und des Richters am Oberlandesgericht Wimmer

am 4. August 2009

in der Wohnungseigentumssache

auf die sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegnerin

beschlossen:

Tenor:

I. Auf die sofortige weitere Beschwerde wird der Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 18. März 2009 mit Ausnahme der Geschäftswertfestsetzung aufgehoben.

II. Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 7. Juli 2008 wird zurückgewiesen.

III. Die Antragsteller tragen die Gerichtskosten des Verfahrens in allen drei Instanzen. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.

IV. Der Geschäftswert für das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde wird auf 10.000 € festgesetzt.

Gründe:

I. Die Antragsteller und die Antragsgegnerin sind Mitglieder der verfahrensgegenständlichen Wohnungseigentümergemeinschaft, deren Anwesen aus einem Vorder- und einem Hinterhaus besteht. Das Sondereigentum der Antragsteller liegt im ersten Stock des Vorderhauses und geht mit einem Balkon zum Innenhof hinaus, so dass der Balkon der Antragsteller direkt gegenüber dem Hinterhaus liegt. Ursprüngliche Eigentümerin des gesamten Anwesens war die Antragsgegnerin, die nach Errichtung der Teilungserklärung das gesamte Anwesen in eine GmbH & Co. KG einbrachte. In der Teilungserklärung vom 12.12.2002 wurde die Antragsgegnerin zur ersten Verwalterin der WEG berufen.

Hierin heißt es unter § 1 Abs. 6:

"Kein Sondereigentümer darf die äußere Gestalt der Gebäude und ihrer im gemeinschaftlichen Eigentum stehenden Bestandteile ... verändern." Die Antragsgegnerin erteilte im Laufe des Jahres 2004 sich selbst gegenüber mündlich die Zustimmung zur Anbringung der Balkone. In der Folgezeit wurde am Rückgebäude ein Balkon auch im Dachgeschoss (= 2. OG) angebaut und zwar derart, dass dieser Balkon in kurzer Entfernung oberhalb des Balkons der Antragsteller, direkt gegenüber, liegt; Eigentümerin dieser Wohnung ist die Antragsgegnerin.

Mit notariellem Kaufvertrag vom 12.12.2003 erwarben die Antragsteller von der GmbH & Co. KG ihren Miteigentumsanteil, verbunden mit dem Sondereigentum an der genannten Wohnung im Vorderhaus, 1. OG. Die Eintragung im Grundbuch ist erfolgt. In Ziff. XI. (2) des Kaufvertrages heißt es unter anderem:

"Dem Erwerber ist bekannt, dass das Anwesen ... in Nürnberg umfassend renoviert und saniert wird ...Im Rahmen dieser Baumaßnahmen werden Balkone angebaut und eine Dachterrasse erstellt. Der Erwerber duldet die Durchführung dieser Maßnahmen und stimmt diesen hiermit zu. Der Verwalter wird hiermit ermächtigt und unter Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB bevollmächtigt etwa erforderlichen Um- und Ausbauplänen zuzustimmen." Am 22.06.2007 schlossen die Parteien einen notariellen Vertrag, in dem die Parteien ihre unterschiedlichen Auffassungen über die Rechtmäßigkeit der Anbringung des Balkons im Dachgeschoss des Hinterhauses zum Ausdruck brachten. Auszugsweise heißt es dort unter 11.2:

"... soweit das Wohnungseigentumsgericht feststellt, dass die Baugenehmigung für die Balkone im zweiten Obergeschoß rechtswidrig ist bzw. dass die Balkone wohnungseigentumsrechtlich nicht zulässig sind und zu entfernen wären, verpflichtet sich [die Antragsgegnerin] an die [Antragsteller] eine Entschädigung in Höhe von 10.000,00 € zu bezahlen und zwar innerhalb von 10 Wochen nach Rechtskraft des vorgenannten Urteils.

Die Antragsteller verpflichten sich hiermit, die streitgegenständlichen Balkone in jedem Fall zu dulden und sind in keinem Fall berechtigt, eine Entfernung des Balkons zu verlangen. Dies gilt unabhängig von einer etwaigen anders lautenden gerichtlichen Entscheidung.

..." Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und der gestellten (Haupt- und Hilfs-) Anträge wird auf die Darstellung im angefochtenen Beschluss Bezug genommen.

Das Amtsgericht wies die Anträge mit Beschluss vom 7.7.2008 als unzulässig zurück.

Auf die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde änderte das Landgericht am 18.3.2009 diesen Beschluss entsprechend dem Hilfsantrag dahingehend ab, dass es feststellte, dass die Antragsgegnerin nicht berechtigt war, die am Rückgebäude des verfahrensgegenständlichen Anwesens installierten Balkonanlagen in der derzeitigen Form zu errichten; im übrigen wies es die Anträge zurück.

Gegen diesen am 23.3.2009 zugestellten Beschluss legte die Antragsgegnerin am 3.4.2009 formgerecht sofortige weitere Beschwerde ein, mit der sie die Wiederherstellung der amtsgerichtlichen Entscheidung erstrebt.

II. Die zulässige sofortige weitere Beschwerde ist begründet.

1. Das Landgericht hat folgendes ausgeführt:

Die Errichtung des Balkons widerspreche der Teilungserklärung und sei daher rechtswidrig.

Die Duldungsverpflichtung stehe der Feststellung nicht entgegen, da mit ihr keine Beseitigungsverpflichtung begründet werde und die Abtretung der Duldungsverpflichtung an die jetzigen Eigentümer der Wohnungen nach § 399 1. Alternative BGB unwirksam sei.

2. Die angefochtene Entscheidung hält der auf Rechtsfehler (§ 43 Abs. 1 WEG, § 27 Abs. 1 Satz 2 FGG, § 546 ZPO) beschränkten Nachprüfung durch den Senat nicht stand und führt zur Wiederherstellung der amtsgerichtlichen Entscheidung.

Das Landgericht hat die im notariellen Kaufvertrag vom 12.12.2003 enthaltene Duldungsverpflichtung nicht beachtet. Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung die Ermittlung des Inhalts und der Bedeutung von Individualvereinbarungen grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten. Die Auslegung durch den Tatrichter kann deshalb vom Gericht der weiteren Beschwerde grundsätzlich nur darauf geprüft werden, ob der Auslegungsstoff vollständig berücksichtigt worden ist, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, die Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt sind oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht (vgl. BGHZ 150, 32/37 m.w.N.; Keidel/Meyer-Holz FGG 15. Aufl. § 27 Rn. 49 m.w.N.). In diesem Rahmen ist die Auslegung aber zu beanstanden. Das Beschwerdegericht hat die anerkannte Auslegungsregel nicht beachtet, dass der Tatrichter bei seiner Willensforschung den mit der Absprache verfolgten Zweck (BGHZ 109, 19/22) und die Interessenlage der Parteien (BGH NJW 2003, 2235/2236; NJW-RR 2003, 1053/1054; Senatsbeschluss vom 23.8.2007 - 32 Wx 126/07) zu berücksichtigen hat. Ferner hat es nicht die sich aus der interessengerechten Auslegung ergebenden Folgerungen gezogen. Diese Versäumnisse kann der Senat nachholen, da der Sachverhalt insoweit vom Beschwerdegericht ordnungsgemäß festgestellt ist und weitere Erkenntnisse nicht zu erwarten sind.

a) Der einzelne Käufer kann auch in seinem Kaufvertrag verpflichtet werden, bestimmte Maßnahmen zu dulden, die er nach dem Teilungsplan nicht dulden müsste. Hierdurch wird zwar der Teilungsplan nicht geändert, sondern eine persönliche Duldungsverpflichtung zugunsten der vertraglich Begünstigten geschaffen, die nicht ohne weiteres auf den Einzelrechtsnachfolger des Verpflichteten übergeht.

b) Durch die im Kaufvertrag enthaltene unentgeltliche Duldungsverpflichtung sollte erreicht werden, dass die Antragsteller das Anbauen der Balkone und deren Weiterbestand nicht verhindern oder erschweren können. Es entspricht interessengerechter Auslegung, dass hierdurch auch Klagen hiergegen verhindert werden sollten. Wer sich gerichtlich gegen eine Maßnahme wendet, duldet diese gerade nicht. Damit liegt für alle Anträge, die sich gegen den Bestand der Balkone richten, ein "pactum de non petendo" vor, das zur Unzulässigkeit dieser Anträge führt (Zöller/Greger ZPO 26. Aufl. vor § 253 Rn. 19). Da die Feststellung der Unzulässigkeit der Balkone zu anderen Ansprüchen als der Beseitigung führen kann, bezieht sich das "pactum de non petendo" auch auf solche Ansprüche.

b) Bei interessengerechter Auslegung sollten nicht nur die ursprüngliche Eigentümerin, sondern auch die jeweiligen Eigentümer der Wohnung geschützt sein, auch soweit die Teilungserklärung noch nicht geändert wurde. Damit stellt die Duldungsklausel und das darin enthaltene "pactum de non petendo" im Kaufvertrag eine Vertragsklausel zugunsten Dritter dar (§ 328 Abs. 1 BGB; vgl. auch BGH JZ 1956, 120). Den Antragstellern war bei Kaufvertragsabschluss bewusst, dass es sich um eine Eigentumswohnanlage handelt.

Damit war klar, dass auch die Erwerber der jeweiligen Eigentumswohnungen diese mit den Balkonen erwerben und die Balkone nutzen wollen. Wenn die Duldungsverpflichtung überhaupt einen Sinn haben sollte, musste sie auch zugunsten der jeweiligen Erwerber wirken. Die Begünstigten des Vertrages müssen auch nicht namentlich genannt sein; es genügt vielmehr, dass diese bestimmbar sind (BGH NJW-RR 2008, 683/684). Dies ist bei den Eigentümern und Erwerbern der Wohnungen mit den abgebauten Balkonen der Fall.

Auf eine Abtretung kommt es somit nicht an. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, wieso die Abtretung der Duldungsverpflichtung nicht ohne Veränderung des Inhalts erfolgen könnte (§ 399 BGB; vgl. BGH NJW 1979, 1707).

c) Durch den notariellen Vertrag vom 22.6.2007 wurde auch die Duldungsverpflichtung aus dem Kaufvertrag nicht eingeschränkt, sondern nur für den Fall, dass das Gericht diese nicht bejahe, gegen Geldausgleich bestätigt.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 47 WEG a.F.; es war wegen der divergierenden Entscheidungen nicht angemessen, den Antragstellern auch die außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin aufzuerlegen.

4. Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 48 Abs. 3 WEG a.F..

Ende der Entscheidung

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