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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 02.06.2005
Aktenzeichen: 32 Wx 35/05
Rechtsgebiete: WEG


Vorschriften:

WEG § 14 Nr. 1
WEG § 22 Abs. 1
Es ist anhand einer Interessenabwägung im Einzelfall zu beurteilen, ob die Verdoppelung eines insgesamt geringen Risikos der Brandausbreitung durch eine bauliche Veränderung einen unvermeidbaren Nachteil darstellt.
Tatbestand:

Die Antragstellerin und die Antragsgegner sind Wohnungs- und Teileigentümer einer Wohnanlage, die von der Zustellungsbevollmächtigten der weiteren Beteiligten verwaltet wird.

Die Antragsgegner zu 1 sind Teileigentümer der Ladeneinheit Nr. 45, die der Antragsgegner zu 2 angemietet hat und in der er seit mindestens 15 Jahren einen Sex- und Erotikshop betreibt. Nachdem der Antragsgegner zu 2 die daneben liegende Ladeneinheit Nr. 44 erworben hatte, wurde Ende 2002/Anfang 2003 die Trennwand zwischen den beiden Läden durchbrochen und eine Öffnung von ca. 2,50 m Breite und etwa 2,74 m Höhe geschaffen. Seitdem wird der Erotik-Shop in beiden Läden als einheitliches Geschäft betrieben.

Die Urkunde zur Begründung von Wohnungs- und Teileigentum vom 30.9.1982 enthält unter Nr. V 2 zur Abgrenzung von Sonder- und Gemeinschaftseigentum folgende Regelung:

"Das Sondereigentum umfasst:

a) Die Gesamtinnenfläche der besonders zugewiesenen Räume samt Wand- und Deckenverputz, Wandbelag und -verkleidung und Bodenbelag, jedoch ohne die tragenden Teile der Decken und der Wände und ohne Trennwände zwischen Sondereigentum und gemeinschaftlichem Eigentum;

b) die in den bezeichneten Räumen vorhandenen nicht tragenden Zwischenwände und - soweit vorhanden - nicht tragenden Trennwände zwischen Sondereigentum; ..."

Auf Veranlassung des Antragsgegners zu 2 wurde in der Eigentümerversammlung vom 3.6.2003 unter Punkt 4.2 der Tagesordnung mehrheitlich bestandskräftig beschlossen:

"Die Eigentümergemeinschaft beschließt die Duldung der Nutzung der Ladeneinheit, derzeit Eigentümer P., in der derzeitigen Form als Laden bei Bewerbung der Ladenfläche im erotikfreier Form durch den Betreiber."

Die Antragstellerin begehrt von den Antragsgegnern die Verschließung des Wanddurchbruchs durch Wiederherstellung der Trennwand. Das Amtsgericht hat nach Erholung eines Sachverständigengutachtens zu den Auswirkungen des Mauerdurchbruchs auf den Brandschutz mit Beschluss vom 21.10.2004 die Antragsgegner antragsgemäß zur Wiederherstellung der Trennwand verpflichtet. Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegner hat das Landgericht mit Beschluss vom 18.3.2005 den Beschluss des Amtsgerichts aufgehoben und den Antrag als unbegründet abgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie die Aufhebung des landgerichtlichen Beschlusses und die Wiederherstellung der amtsgerichtlichen Entscheidung erstrebt und nunmehr hilfsweise beantragt, festzustellen, dass die gesamte Ladenfläche der zusammengelegten Ladeneinheiten in erotikfreier Form beworben werden müsse. Das zulässige Rechtsmittel führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Gründe:

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Der Antragstellerin stehe ein Anspruch auf Beseitigung der baulichen Veränderung nach §§ 22 Abs. 1, 15 Abs. 3 WEG, § 1004 BGB nicht zu, da sie auf Grund des bestandskräftigen Eigentümerbeschlusses zu TOP 4.2 vom 3.6.2003 - ebenso wie die übrigen Miteigentümer - verpflichtet sei, den Mauerdurchbruch zu dulden. Zwar liege hier unstreitig eine bauliche Veränderung vor, die grundsätzlich nach § 22 Abs. 1 Satz 2 WEG der Zustimmung aller Wohnungseigentümer bedürfe. Der Eigentümerbeschluss vom 3.6.2003 sei aber so auszulegen, dass er eine Genehmigung der baulichen Veränderung durch den Mauerdurchbruch umfasse. Nachdem der nur mehrheitlich gefasste Beschluss mittlerweile bestandskräftig geworden sei, sei die dem Beschluss entsprechende Maßnahme rechtmäßig und müsse auch von denjenigen Wohnungseigentümern geduldet werden, die dagegen gestimmt hätten.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

a) Zutreffend hat das Landgericht gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 1 WEG die übrigen Wohnungseigentümer am Verfahren beteiligt, da sie von dem Verfahrensausgang ebenfalls betroffen werden.

b) Ebenfalls zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Durchbrechung der Trennmauer zwischen den Ladeneinheiten eine bauliche Veränderung im Sinne von § 22 Abs. 1 WEG darstellt. Nach dem unstreitigen Vortrag der Verfahrensbeteiligten handelt es sich bei der betreffenden Mauer um eine tragende Wand, die nach der Teilungserklärung nicht dem gemeinsamen Sondereigentum beider Antragsgegner (vgl. BGHZ 146, 241/248 = ZWE 2001, 314 = NJW 2001, 1212), sondern dem gemeinschaftlichen Eigentum der Wohnungseigentümer zuzurechnen ist.

c) Zur Geltendmachung des Antragsbegehrens auf Beseitigung des Durchbruchs (§ 1004 Abs. 1 BGB, §§ 15 Abs. 3, 14 Nr. 1, 22 Abs. 1 WEG) bzw. Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes (§§ 823 Abs. 1, 249 BGB; §§ 823 Abs. 2, 1004, 249 BGB) gegen andere Wohnungseigentümer ist die Antragstellerin auch ohne Ermächtigung durch die Wohnungseigentümergemeinschaft berechtigt (BGH WuM 1992, 159).

Die Antragsgegner können als Handlungsstörer in Anspruch genommen werden, da sie im Zeitraum der Baumaßnahme eingetragene Eigentümer der betroffenen Ladeneinheiten waren (vgl Niedenführ/Schulze WEG 7. Aufl. § 22 Rn. 46 m.w.N.).

d) Ein Beseitigungs- oder Wiederherstellungsanspruch setzt aber voraus, dass die vorgenommene bauliche Veränderung rechtswidrig ist. An einer solchen Rechtswidrigkeit fehlt es, wenn der Maßnahme entweder alle Wohnungseigentümer zugestimmt haben, oder dazu ein Mehrheitsbeschluss gefasst worden ist, der bestandskräftig geworden ist, oder die Rechte der Antragstellerin durch die Baumaßnahme nicht über das in § 14 Nr. 1 WEG bezeichnete Maß hinaus beeinträchtigt werden.

aa) Eine allseitige Zustimmung der Wohnungseigentümer liegt unstreitig nicht vor. Das Landgericht ist zudem fehlerhaft davon ausgegangen, dass der bestandskräftige Mehrheitsbeschluss vom 3.6.2003 zu TOP 4.2 eine Genehmigung des Mauerdurchbruchs beinhaltet.

Bei dem Eigentümerbeschluss vom 3.6.2003 handelt es sich um eine Regelung mit Dauerwirkung, an die auch ein Rechtsnachfolger gebunden ist. Der Senat hat den Beschluss daher selbständig auszulegen (BGH NJW 1998, 3713). Beschlüsse der Wohnungseigentümer sind aus sich heraus objektiv und normativ auszulegen, ohne dass es auf die subjektiven Vorstellungen der Beteiligten bei der Beschlussfassung ankommt. Umstände außerhalb des protokollierten Beschlusses dürfen nur herangezogen werden, wenn sie nach den besonderen Umständen des Einzelfalles für jedermann erkennbar sind (BGH NJW aaO).

Nach dem Beschlusstext wird, wie schon im Verfahren des Bayerischen Obersten Landesgerichts, Az. 2Z BR 205/04, dargelegt wurde, die Nutzung derjenigen Ladeneinheit, die im Eigentum des Antragsgegners zu 2 steht, als Sex- und Erotikshop genehmigt. Damit bezieht sich die Beschlussfassung nur auf die Ladeneinheit Nr. 44 und deren Nutzung. Der Beschluss enthält keinerlei Regelungen zu einer baulichen Umgestaltung der Ladeneinheit, insbesondere nicht zu einer Verbindung der beiden Einheiten Nr. 44 und Nr. 45 durch einen Mauerdurchbruch. Auch die Tatsache, dass die Baumaßnahme bereits zum Zeitpunkt der Beschlussfassung vorgenommen worden war, lässt eine andere Auslegung nicht zu, da weder aus dem Beschluss selbst, noch aus dem Versammlungsprotokoll entnommen werden kann, dass die Wohnungseigentümer bei der Beschlussfassung in Kenntnis oder unter Bezugnahme auf die bauliche Maßnahme gehandelt haben. Es fehlt daher an einer Genehmigung des Mauerdurchbruchs.

bb) Für das Bestehen eines Beseitigungs- oder Wiederherstellungsanspruchs ist es weiterhin erforderlich, dass die Rechtsstellung der Antragstellerin über das bei geordnetem Zusammenleben unvermeidbare Maß hinaus beeinträchtigt wird (§§ 22 Abs. 1 Satz 2, 14 Nr. 1 WEG), da dem Wohnungseigentumsgesetz der Gedanke zugrunde liegt, dass nicht jeder bei der Durchführung einer Baumaßnahme von einem Eigentümer begangene Verstoß gegen gesetzliche Bestimmungen, die Teilungserklärung, Vereinbarungen oder Beschlüsse der Eigentümergemeinschaft Ansprüche der übrigen Wohnungseigentümer begründen soll (BGHZ 146, 241/245). Entscheidend ist, ob sich ein Wohnungseigentümer nach der Verkehrsanschauung verständlicherweise beeinträchtigt fühlen kann (BGHZ aaO 246).

Ob ein anderer Wohnungseigentümer durch eine bauliche Veränderung in dieser Weise beeinträchtigt wird, obliegt in erster Linie der tatrichterlichen Würdigung und ist durch das Rechtsbeschwerdegericht nur beschränkt nachprüfbar (BayObLG NZM 2000, 392). Ein zu beachtender Rechtsfehler liegt vor, wenn die Entscheidung des Tatrichters keine durch Tatsachen gestützte vollständige und einzelfallbezogene Abwägung der beteiligten Interessen erkennen lässt. So verhält es sich hier.

Zwar haben die Vorinstanzen zu Recht nicht zu den Fragen einer Beeinträchtigung durch optische Veränderungen oder intensivere Nutzung Stellung genommen. Zum einen ist der Mauerdurchbruch nicht von außen sichtbar, zum anderen könnte der Erotik-Shop nach der Teilungserklärung auch in zwei nicht verbundenen Ladenräumen betrieben werden, was weit eher zu einer Beeinträchtigung der übrigen Wohnungseigentümer führen würde. Die Kunden wären in diesem Falle nämlich gezwungen, über die Außeneingänge in den jeweils anderen Ladenteil zu wechseln.

Die Tatsacheninstanzen haben aber zu den Fragen der Brandsicherheit und der konstruktiven Stabilität nur unzureichende Ermittlungen zu den maßgeblichen Umständen angestellt (§ 12 FGG). Bei Durchbrechung einer tragenden, im Gemeinschaftseigentum stehenden Wand, ist ein nicht hinnehmbarer Nachteil erst dann ausgeschlossen, wenn kein wesentlicher Eingriff in die Substanz des Gemeinschaftseigentums erfolgte, insbesondere keine Gefahr für die konstruktive Stabilität des Gebäudes und dessen Brandsicherheit geschaffen worden ist (BGHZ 146, 241). Zur Frage der konstruktiven Stabilität des Gebäudes sind keinerlei Feststellungen getroffen worden, bei der Beurteilung der Brandsicherheit sind nicht alle relevanten Umstände in die Bewertung einbezogen worden.

Es wurde lediglich auf die gutachtliche Feststellung abgestellt, dass sich die Wahrscheinlichkeit einer Brandentwicklung für oberhalb zusammengelegter Läden befindliche Einheiten gegenüber dem Zustand getrennter Einheiten verdoppelt. Ohne Beachtung blieb aber, dass die Wahrscheinlichkeit der vertikalen Brandausbreitung auf Grund der Gestaltung der Fassade (Mauerwerk mit Fenstern) und der massiven Bauweise relativ gering ist. Bei der von der Gutachterin vorgenommenen Schätzung steigt das Risiko für eine vertikale Brandausbreitung von 2,7 x 10 -5 auf 5,4 x 10 -5 durch die Zusammenlegung der Läden. Es wäre daher abzuwägen gewesen, ob diese Risikosteigerung auf Grund des geringen absoluten Wertes eine über das zulässige Maß hinausgehende Beeinträchtigung darstellt. Auch wird in die Interessenabwägung einzubeziehen sein, ob es für die Antragsgegner möglich und zumutbar ist, die Durchbruchsöffnung mit einer Schutzvorrichtung zu versehen, die im Brandfall das Risiko der horizontalen Ausbreitung senkt und damit auch die Gefahr der vertikalen Ausbreitung vermindert.

Sollte diese Abwägung zu dem Ergebnis führen, dass die Antragstellerin durch die veränderte Brandschutzsituation nicht erheblich in ihren Rechten beeinträchtigt ist, so bleibt weiterhin zu prüfen, ob die Baumaßnahme, wie von der Antragstellerin vorgetragen, Auswirkungen auf die konstruktive Stabilität des Gebäudes hat.

3. Auf die Antragserweiterung durch Stellung des Hilfsantrags, die allerdings nur bis zur Entscheidung über die Erstbeschwerde erfolgen kann (vgl. BayObLGZ 1975, 53), kommt es hier nicht mehr an.

Ende der Entscheidung

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