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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 12.01.2006
Aktenzeichen: 32 Wx 72/05
Rechtsgebiete: WEG, ZPO


Vorschriften:

WEG § 47
ZPO § 533
1. In einem Verfahren nach dem Wohnungseigentumsgesetz beurteilt sich die Zulässigkeit einer Antragsänderung entsprechend § 533 Nr. 1 ZPO analog. § 533 Nr. 2 ZPO ist nicht anzuwenden (Anschluss an KG ZMR 2006, 62).

2. Eine materielle Einigung über die Tragung der Kosten für ein Gutachten, das der vom Gericht bestellte Sachverständige erstattet, ist bei der Kostenentscheidung nach § 47 WEG zu berücksichtigen.


Tatbestand:

Die Antragsteller begehrten ursprünglich, die Antragsgegnerin zu verpflichten, Blechabdeckungen für einen Balkon wieder anzubringen. Mit Gegenantrag sollten die Antragsteller verpflichtet werden, Mängel am Balkon der Eigentumswohnung über dem Balkon der Antragsgegnerin zu beseitigen.

In der mündlichen Verhandlung vom 15.10.2001 einigten sich die Beteiligten hinsichtlich des weiteren Vorgehens auf Folgendes:

Es wird Einigkeit darüber erzielt, dass ein vom Gericht auszuwählender Sachverständiger mit der Begutachtung des oberhalb der Wohnung der Antragsgegnerin gelegenen Balkons beauftragt wird.

Für den Fall, dass der Sachverständige sanierungsbedürftige Schäden an diesem Balkon feststellt, wird die Eigentümergemeinschaft die Kosten des Verfahrens tragen.

Es besteht Einigkeit darüber, dass Auftrag zur Wiederanbringung der Bleche von der Verwalterin erteilt wird und die Kosten für die Wiederanbringung die Eigentümergemeinschaft auslegt.

Es besteht weiter Einigkeit darüber, dass es bei dieser Kostenregelung verbleibt, wenn der Sachverständige sanierungsbedürftige Schäden feststellt. Wenn der Sachverständige solche Schäden nicht feststellt, übernimmt die Antragsgegnerin die Kosten der Wiederanbringung.

Der gerichtlich beauftragte Sachverständige stellte fest, dass der Balkon über der Wohnung der Antragsgegnerin in Bezug auf Abdichtungsmaßnahmen Mängel aufweist.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 29.10.2004 die Antragstellerin verpflichtet, den Balkon über der Wohnung der Antragsgegnerin gegen Wassereintritt abzudichten, so dass das anfallende Oberflächenwasser nicht mehr in den Balkonaufbau eindringen und dort aus dem Estrich Kalkbestandteile auslösen kann. Ferner wurden die Antragsteller verpflichtet, die Aluminiumabdeckbleche wieder anbringen zu lassen und die für die Wiederanbringung anfallenden Kosten auszulegen. Die Kosten für die Wiederanbringung und Einlagerung der Bleche sollten die Beteiligten jeweils zur Hälfte tragen. Weiter wurde die Antragstellerin verpflichtet, Kalkflecken auf dem Balkon der Antragsgegnerin zu entfernen. Sollte die Entfernung der Kalkspuren technisch nicht möglich sein oder der Kostenaufwand einen Betrag von 1.000 EUR überschreiten, sollten die Antragsteller berechtigt sein, die Verpflichtung zur Durchführung der genannten Maßnahmen durch Zahlung eines Betrags von 1.000 EUR an die Antragsgegnerin abzuwenden. Die übrigen Anträge wurden zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluss haben die Antragstellerin und die Antragsgegnerin sofortige Beschwerde eingelegt. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wurde zurückgenommen. Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 15.3.2005, die Antragsteller zu verpflichten, an die Antragsgegnerin 4.134,43 EUR Schadensersatz wegen ihrer durch Kalkflecken beschädigten Balkonfliesen zu zahlen.

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 27.5.2005 auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin den Beschluss des Amtsgerichts vom 29.10.2004 insoweit aufgehoben, als die Antragsgegnerin verpflichtet wurde, die Kosten für die Wiederanbringung der Abdeckbleche und die Einlagerung der Bleche zur Hälfte zu tragen, und die Antragsgegnerin auf Aufforderung durch die Antragsteller die Hälfte der ihr durch Vorlage der Abrechnung der Firma A.-Bau nachgewiesenen Kosten zu tragen hatte. Den insoweit gestellten Antrag der Antragsteller hat es abgewiesen und die sofortige Beschwerde im Übrigen zurückgewiesen. Die Gerichtskosten beider Rechtszüge hat das Landgericht der Antragstellerin zu _, der Antragsgegnerin zu 1/4 auferlegt und die Erstattung außergerichtlicher Kosten nicht angeordnet.

Gegen diese Entscheidung richtete sich die sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegnerin. Das zulässige Rechtsmittel führte im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Gründe:

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Der begehrte Schadensersatzanspruch sei mit dem ursprünglichen Antrag, die Fliesen zu reinigen, nicht identisch, da es sich insoweit um einen eingeschränkten Antrag auf Naturalrestitution handele. Die Antragsgegnerin hätte im Wege des Beschwerdevorbringens die vom Amtsgericht getroffene Anrechnung des Mitverschuldens der Antragsgegnerin angreifen können. Der neu formulierte Schadensersatzantrag berücksichtige dies jedoch nicht. Angesichts der erheblichen Verfahrensdauer und der daraus resultierenden Möglichkeiten, im ersten Rechtszug einen solchen Antrag zu formulieren, sei die erfolgte Antragsänderung nicht als sachdienlich anzusehen. Die Kostenentscheidung beruhe auf § 47 WEG. Dabei sei die erfolgte Beschwerderücknahme zu Lasten der Antragsteller zu berücksichtigen gewesen.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Die Zulässigkeit einer Antragsänderung im Beschwerdeverfahren bestimmt sich in entsprechender Anwendung des § 533 Nr. 1 ZPO (vgl. BayObLG NJW-RR 1995, 652/653). Die Voraussetzungen des § 533 Nr. 2 ZPO sind jedoch nicht zu prüfen, da das zweitinstanzielle Verfahren nach dem FGG im Gegensatz zum Berufungsverfahren nach der ZPO als zweite Tatsacheninstanz ausgestaltet ist, was eine verfahrensrechtliche Einschränkung des Tatsachenstoffes verbietet (KG ZMR 2006, 62). Die Sachdienlichkeit ist objektiv im Hinblick auf die Prozesswirtschaftlichkeit zu beurteilen. Die Klageänderung ist als sachdienlich zuzulassen, wenn der bisherige Streitstoff eine verwertbare Entscheidungsgrundlage bleibt und die Zulassung die endgültige Beilegung des Streits fördert und einen neuen Prozess vermeidet. Nicht gegen die Sachdienlichkeit spricht, dass die Zulassung weitere Erklärungen und eine eventuelle Beweiserhebung notwendig macht. Eine gewisse Verzögerung des Rechtsstreits ist hinzunehmen (vgl. zum Ganzen Thomas/Putzo/Reichold ZPO 27. Aufl. § 263 Rn. 8).

Die Entscheidung darüber, ob eine Antragsänderung sachdienlich ist, obliegt in erster Linie dem Gericht, bei dem die Antragsänderung erklärt wird, wobei dieses bei der Beurteilung der Sachdienlichkeit ein Ermessen hat. In der Rechtsbeschwerde nachprüfbar ist, ob der Tatsachenrichter bei Verneinung der Sachdienlichkeit die Voraussetzungen und die Grenzen seines Ermessens verkannt hat (Thomas/Putzo/ Reichold aaO Rn. 10).

Die Entscheidung des Landgerichts ist nicht frei von Ermessensfehlern. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen ist es nahe liegend, dass das bisherige Prozessergebnis auch für den geänderten Antrag zu verwerten ist. Insbesondere hat das Gericht bereits ein Sachverständigengutachten zum Vorliegen eines Schadens erholt. Durch eine endgültige Entscheidung unter Heranziehung des bisherigen Verfahrensergebnisses würde ein weiterer Rechtsstreit verhindert. Diese Gesichtspunkte hat das Landgericht nicht berücksichtigt. Soweit das Landgericht ausführt, die Anrechnung des Mitverschuldens durch das Amtsgericht hätte bereits im Wege des Beschwerdevorbringens angegriffen werden können, ist nicht nachvollziehbar, was dies mit der Sachdienlichkeit der Klageänderung zu tun haben soll. Ob der erneut formulierte Schadensersatzantrag ein Mitverschulden berücksichtigt oder nicht, ist nicht eine Frage der Sachdienlichkeit der Antragsänderung, sondern der Begründetheit des geänderten Antrags. Die bisherige Verfahrensdauer ist ebenfalls kein Gesichtspunkt, der im vorliegenden Fall die Verneinung der Sachdienlichkeit stützen kann, da das Landgericht nicht darlegt, dass die Berücksichtigung der Antragsänderung gerade im Hinblick auf die bisherige Verfahrensdauer der Antragstellerin nicht zumutbar ist. Die Sachdienlichkeit der Antragsänderung kann auch nicht mit der Begründung verneint werden, dass bereits im ersten Rechtszug die Möglichkeit bestanden hätte, den im Beschwerderechtszug gestellten Antrag zu stellen. Die grundsätzlich gegebene Möglichkeit, auch in der Beschwerdeinstanz den Antrag zu ändern, soll gerade auch die Möglichkeit schaffen, den Antrag gegenüber demjenigen der ersten Instanz zu ändern. Im Übrigen hängt die Möglichkeit, einen Antrag umzustellen, nicht von einer "erheblichen" Verfahrensdauer ab.

b) Die teilweise Aufhebung der landgerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache führt auch zur Aufhebung der Kostenentscheidung. Da das Verfahren noch nicht endgültig abgeschlossen ist, ist auch die Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens dem Landgericht vorzubehalten.

Hierzu wird für das weitere Verfahren bemerkt, dass es allgemein anerkannt ist, dass bei der Kostenentscheidung auch materielle Kostenerstattungsansprüche zu berücksichtigen sind (vgl. z.B. Riecke/Schmid/Abramenko Kompaktkommentar WEG § 47 Rn. 17; Niedenführ/Schulze WEG 7. Aufl. § 47 Rn. 10 jeweils m.w.N.). Bei der Kostenentscheidung ist deshalb die Einigung der Beteiligten vom 15.10.2001 zumindest mit zu berücksichtigen.

Ende der Entscheidung

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