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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 18.07.2006
Aktenzeichen: 32 Wx 90/06
Rechtsgebiete: BGB, WEG


Vorschriften:

BGB § 1004 Abs. 1
WEG § 22 Abs. 1
Zur Auslegung einer Teilungserklärung, nach der "Teileigentumseinheiten ... zu beliebigen gewerblichen Zwecken verwendet werden" dürfen, im Hinblick auf die Frage der baulichen Veränderung.
Tenor:

I. Die sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Landgerichts Augsburg vom 24. April 2006 wird zurückgewiesen.

II. Die Antragsgegnerin trägt die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens.

III. Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

Gründe:

I. Die Antragsgegnerin ist Teileigentümerin in einer Wohnanlage, die von der Antragstellerin verwaltet wird. Diese macht in Verfahrensstandschaft für die Wohnungseigentümer gegen die Antragsgegnerin einen Anspruch auf Beseitigung eines Abluftrohres geltend.

In der Teileigentumseinheit der Antragsgegnerin wird eine Cocktailbar geführt, für deren Betrieb im Sommer 2003 im rückwärtigen Hofbereich des Anwesens an der Außenfassade ein Abluftrohr angebracht wurde, das bis über das Dach hinausreicht. Zur Nutzung des Teileigentums als Gewerbeeinheit ist in der Teilungserklärung vom 14.2.1989 unter § 1 Abs. 2 auszugsweise folgende Regelung getroffen:

"Die Teileigentumseinheiten dürfen ... bezüglich der Einheit Nr. 49 zu beliebigen gewerblichen Zwecken verwendet werden (Angaben im Aufteilungsplan sind insoweit nicht verbindlich). Dem oder den Eigentümern der Teileigentumseinheit Nr. 49 ist das Anbringen von Reklame-Einrichtungen und Firmenschildern auf dem Grundstück oder dem Haus mit Zustimmung des Verwalters gestattet."

Die übrigen Wohnungseigentümer, deren Zustimmung zur Anbringung des Abluftrohrs nicht eingeholt worden war, beschlossen in der Wohnungseigentümerversammlung vom 4.11.2003 mehrheitlich, die Verwaltung zu ermächtigen, "unter Einschaltung eines Rechtsanwalts gerichtlich und außergerichtlich im eigenen Namen für die Entfernung des Rohrs zu sorgen".

Dieser Beschluss blieb unangefochten.

Durch Beschluss vom 27.12.2005 hat das Amtsgericht dem Beseitigungsantrag stattgegeben. Das Landgericht hat die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin durch Beschluss vom 24.4.2006 zurückgewiesen. Mit ihrer sofortigen weiteren Beschwerde verfolgt die Antragsgegnerin weiter ihren Antrag auf Abweisung.

II. Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Die Verwalterin könne im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft die Beseitigung des Abluftrohres nach § 1004 BGB, §§ 22 Abs. 1 Satz 2, 14 Nr. 1 WEG verlangen, da dieses eine bauliche Veränderung darstelle, die den optischen Gesamteindruck des Gebäudes nachhaltig beeinträchtige.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung im vollen Umfang stand.

a) Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Antragstellerin berechtigt ist, in Verfahrensstandschaft tätig zu werden.

Es kann hier dahingestellt bleiben, ob Beseitigungsansprüche nach § 1004 BGB den einzelnen Wohnungseigentümern allein oder unter Umständen auch der Wohnungseigentümergemeinschaft als Verband sui generis zustehen können, da jedenfalls die Verwalterin durch bestandskräftigen Eigentümerbeschluss vom 4.11.2003 wirksam ermächtigt wurde, den Beseitigungsanspruch im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen. Das für die gewillkürte Verfahrensstandschaft neben der Ermächtigung erforderliche eigene schutzwürdige Interesse des Verfahrensstandschafters ergibt sich aus der Pflicht der Verwalterin, ihre Aufgaben ordnungsgemäß und reibungslos zu erfüllen (BGHZ 73, 302/307; Niedenführ/Schulze WEG 7. Aufl. vor §§ 43 ff. Rn. 76 f.).

b) Ebenfalls zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass die Antragsgegnerin als (zumindest mittelbare) Handlungsstörerin in Anspruch genommen werden kann, da sie im Zeitpunkt der Baumaßnahme eingetragene Eigentümerin war (vgl. Niedenführ/Schulze § 22 Rn. 46 m.w.N.).

c) Die Anbringung des Abluftrohrs stellt des weiteren ohne Zweifel eine bauliche Veränderung nach § 22 Abs. 1 WEG dar, da sie einen auf Dauer angelegten gegenständlichen Eingriff in die Substanz des gemeinschaftlichen Eigentums bildet, der nicht mehr der Pflege, Erhaltung oder Bewahrung des gegenwärtigen Zustandes oder seiner erstmaligen Herstellung dient, sondern einen neuen Zustand schafft (BayObLGZ 1989, 437/438).

Zwar gilt § 22 WEG nicht für Baumaßnahmen, die sich aus der Zweckbestimmung des Hauses oder der Teilungserklärung ergeben oder erkennbar sind (BayObLG WE 1995, 344). Dies bedeutet aber nicht, dass die ursprünglich im Plan vorgesehene Ausstattung eines Anwesens unbegrenzt verändert werden kann, wenn sich aus der Teilungserklärung ergibt, dass die Gewerbeeinheiten, wie hier, grundsätzlich zu beliebigen gewerblichen Zwecken verwendet werden dürfen.

Wie bei allen Grundbucheintragungen kommt es bei der Auslegung der Teilungserklärung, die vom Rechtsbeschwerdegericht selbständig vorzunehmen ist, nicht auf den Willen des Verfassers an, sondern allein auf den Sinn und Wortlaut, wie sich dieser für einen unbefangenen Betrachter als nächstliegende Bedeutung ergibt (BayObLGZ 1983, 73/78). Im vorliegenden Fall stellt die Teilungserklärung durch die Bezugnahme auf den Aufteilungsplan lediglich klar, dass die dortige Bezeichnung der Gewerbeeinheit nicht verbindlich ist, sondern auch andere Gewerbe als das im Aufteilungsplan angegebene in den jeweiligen Räumen betrieben werden können, soweit dies bei den vorhandenen baulichen Voraussetzungen möglich ist. Darüber hinaus enthält die Teilungserklärung aber keine Ermächtigung zu jeglichen baulichen Veränderungen, die ein etwaiges Gewerbe erfordert.

Bei der Anbringung des Abluftrohres handelt es sich also nicht um die erstmalige ordnungsgemäße Herstellung des Anwesens, sondern um eine bauliche Veränderung im Sinne von § 22 Abs. 1 WEG.

d) Die Beseitigung dieser baulichen Veränderung kann von der Antragsgegnerin auch verlangt werden, da die Anbringung des Abluftrohrs rechtswidrig war. Es haben nämlich weder alle betroffenen Wohnungseigentümer zugestimmt noch liegt ein bestandskräftiger Mehrheitsbeschluss zur Genehmigung der Maßnahme vor. Ferner werden die Rechte der übrigen Wohnungseigentümer durch die Baumaßnahme über das in § 14 Nr. 1 WEG bezeichnete Maß hinaus beeinträchtigt.

aa) Eine ausdrückliche allseitige Zustimmung der Wohnungseigentümer oder ein bestandskräftiger mehrheitlicher Genehmigungsbeschluss sind unstreitig nicht gegeben. Auch beinhalten die Regelungen in der Teilungserklärung, die die Nutzung des Teileigentums als Gewerbeeinheit betreffen, keine vorweg genommene Genehmigung von baulichen Veränderungen.

Wie bereits angeführt, kommt es bei der Auslegung der Teilungserklärung allein auf den Sinn und Wortlaut an, wie er sich für einen unbefangenen Betrachter ergibt. Danach wird die erforderliche allseitige Zustimmung der Wohnungseigentümer nicht durch eine Genehmigung seitens des Verwalters ersetzt. Die entsprechende Regelung in der Teilungserklärung bezieht sich eindeutig nur auf die Anbringung von Reklame-Einrichtungen und Firmenschildern, so dass hier dahingestellt bleiben kann, ob diese Genehmigung überhaupt die allseitige Zustimmung ersetzen oder nur ergänzen soll und ob die Verwalterin das Abluftrohr genehmigt hat.

bb) Schließlich hat das Landgericht zutreffend festgestellt, dass die übrigen Wohnungseigentümer durch die bauliche Veränderung in ihrer Rechtsstellung über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidbare Maß hinaus beeinträchtigt werden.

Die Beurteilung, ob eine derartige Beeinträchtigung vorliegt, obliegt in erster Linie der tatrichterlichen Würdigung und ist durch das Rechtsbeschwerdegericht nur beschränkt nachprüfbar (BayObLG NZM 2000, 392). Ein zu beachtender Rechtsfehler liegt vor, wenn die Entscheidung des Tatrichters keine durch Tatsachen gestützte vollständige und einzelfallbezogene Abwägung der grundrechtlich geschützten Interessen der Beteiligten erkennen lässt (BVerfG NZM 2005, 181/183). Das Landgericht hat hier auf Grund der vorliegenden Lichtbilder rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die dicke, hohe und auffällige Röhre den optischen Gesamteindruck auch eines Hinterhofes nachhaltig beeinträchtigt.

3. Es erscheint nach § 47 WEG angemessen, der in allen Rechtszügen unterlegenen Antragsgegnerin in der Rechtsbeschwerdeinstanz die gerichtlichen und die außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen.

Der Geschäftswert für das Verlangen nach Beseitigung einer baulichen Maßnahme bemisst sich regelmäßig nach der Beeinträchtigung durch den gegenwärtigen Zustand, aber auch nach dem Abwehrinteresse des Gegners. Maßgebliche Anhaltspunkte bieten die Baukosten einerseits, die Beseitigungskosten andererseits (BayObLGZ WE 2002, 407). Der Senat bewertet das maßgebliche Interesse aller Beteiligten, das auch die Gestaltung des Hofes berücksichtigt, in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen auf 3.000 EUR.

Ende der Entscheidung

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