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Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 01.12.2005
Aktenzeichen: 32 Wx 93/05
Rechtsgebiete: WEG


Vorschriften:

WEG § 25
1. § 25 Abs. 3 WEG kann dahin abgedungen werden, dass eine ordnungsgemäß einberufene Eigentümerversammlung ohne Rücksicht auf die Zahl der erschienenen und vertretenen Wohnungseigentümer beschlussfähig ist.

2. Sieht eine Gemeinschaftsordnung vor, dass eine Vollmacht schriftlich zu erteilen und zu den Akten des Verwalters zu übergeben ist, so kann diese Regelung dahin ausgelegt werden, dass die Übergabe der Vollmacht zu den Akten Voraussetzung für die Ausübung des Stimmrechts ist.


Tatbestand:

Die Antragstellerinnen und die Antragsgegner sind die Wohnungseigentümer einer Wohnanlage, die von der weiteren Beteiligten verwaltet wird. Den Antragstellerinnen stehen zusammen 650/1000 Stimmanteile zu.

In § 15 der Gemeinschaftsordnung ist unter anderem Folgendes geregelt:

3.) Beschlussfähigkeit

Die ordnungsgemäß einberufene Eigentümerversammlung ist ohne Rücksicht auf die Zahl der teilnehmenden bzw. vertretenen WE beschlussfähig.

Jeder WE kann sich in der Eigentümerversammlung und bei der Abstimmung vertreten lassen. Die Vertretungsvollmacht ist schriftlich zu erteilen und zu den Akten des Verwalters zu übergeben.

Am 9.9.2004 fand eine Eigentümerversammlung statt. Als Vertreterin der Antragstellerinnen war Frau H. anwesend. Zwischen den Parteien ist umstritten, inwieweit diese auf der Versammlung eine Vollmacht vorgelegt hat und bereit gewesen ist, eine Kopie der Vollmacht zur Verfügung zu stellen. Jedenfalls hat die Bevollmächtigte die Originalvollmacht nicht zu den Akten der Verwaltung gegeben. Die Vertreterin der Antragstellerinnen wurde deshalb nicht zur Abstimmung zugelassen.

Unter Punkt 3 der Tagesordnung wurde über die Aufhebung eines früheren Verwalterbestellungsbeschlusses und über die Neubestellung der weiteren Beteiligten zur Verwalterin beschlossen.

Die Antragstellerinnen haben beim Amtsgericht beantragt, den Beschluss für ungültig zu erklären. Diesem Antrag hat das Amtsgericht stattgegeben. Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegner hat das Landgericht die Entscheidung des Amtsgerichts abgeändert und den Antrag zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Antragstellerinnen. Das zulässige Rechtsmittel erwies sich als nicht begründet.

Gründe:

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Die Bevollmächtigte habe ihre Vollmacht nicht zu den Akten des Verwalters übergeben. Die Vertretung sei deshalb nicht wirksam nachgewiesen. Es bestehe ein Dokumentationsinteresse, um im Nachhinein feststellen zu können, ob ein bestimmter Vertreter bei einer Beschlussfassung anwesend bzw. ordnungsgemäß bevollmächtigt war. Die Versammlung sei auch beschlussfähig gewesen. Die Vorschrift des § 25 Abs. 3 WEG sei durch die Gemeinschaftsordnung wirksam abgedungen worden.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält im Ergebnis der rechtlichen Nachprüfung stand.

a) Regelungen der Gemeinschaftsordnung sind vom Rechtsbeschwerdegericht selbst auszulegen. Dabei ist auf den Wortlaut und Sinn abzustellen, wie er sich für einen unbefangenen Betrachter als nächstliegende Bedeutung der Erklärung ergibt (st. Rspr. vgl. z.B. BayObLG ZMR 2001, 832). Der Senat teilt im Ergebnis die Auslegung durch das Landgericht.

Dass sich ein Wohnungseigentümer in der Eigentümerversammlung und bei der Abstimmung vertreten lassen kann, ergibt sich bereits aus dem Gesetz (§ 164 ff. BGB). § 15 Abs. 3 Unterabs. 1 Satz 1 der Gemeinschaftsordnung hat deshalb keinen eigenständigen Regelungsgehalt. Die Vertretungsbefugnis wird jedoch eingeschränkt durch § 15 Abs. 3 Unterabs. 2 Satz 2. Eine solche Einschränkung ist durch Vereinbarung (Gemeinschaftsordnung) zulässig. Der Senat ist ebenso wie das Landgericht der Auffassung, dass die Erfüllung dieser Regelung Voraussetzung dafür ist, dass ein Bevollmächtigter an der Versammlung teilnehmen und wirksam abstimmen kann. Wie das Landgericht rechtsfehlerfrei und deshalb für den Senat bindend (§ 27 FGG, § 559 ZPO) festgestellt hat, wurde die Vollmacht nicht zu den Akten des Verwalters übergeben. Das wäre aber Voraussetzung dafür gewesen, dass von einer Abstimmungsvollmacht hätte Gebrauch gemacht werden können. Der Senat vermag nicht die Auffassung der Rechtsbeschwerde zu teilen, dass es sich dabei lediglich um eine Ordnungsvorschrift handle, die Beweiszwecken dient. Zwar ist die Übergabe zu den Akten der Verwaltung vor allem deshalb sinnvoll, weil damit auch im Nachhinein der Beweis für das Vorliegen einer Vollmacht geführt werden kann. Hieraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass eine Abstimmung auch dann vom Bevollmächtigten vorgenommen werden kann, wenn er die Vollmacht nicht zu den Akten gibt. Die Regelung wäre nämlich weitgehend sanktionslos, wenn der Bevollmächtigte zunächst abstimmen könnte und erst im Nachhinein die Vollmacht übergeben müsste. Eine spätere gerichtliche Durchsetzung eines Anspruchs auf Übergabe der Vollmacht ist von eher theoretischer Bedeutung.

Darüber hinaus muss bereits bei der Abstimmung Klarheit darüber herrschen, ob eine Bevollmächtigung vorliegt oder nicht. Die Regelung ist deshalb auch im Zusammenhang mit dem Schriftformerfordernis zu sehen. Es würde zu einer Rechtsunsicherheit führen, wenn ein Bevollmächtigter, der seine Vollmacht lediglich mündlich behauptet, zur Abstimmung zugelassen würde. Die Interessen des Vollmachtgebers werden damit nicht in unzumutbarer Weise beeinträchtigt. Der Vollmachtgeber ist nicht gehindert, für jede Eigentümerversammlung eine gesonderte Vollmacht auszustellen oder dem Bevollmächtigten im Falle einer Generalvollmacht von vornherein mehrere Vollmachtsexemplare zu überlassen. Im Falle einer notariellen Generalvollmacht können mehrere Ausfertigungen nach § 47 BeurkG erteilt werden. Eine interessengerechte Auslegung führt deshalb dazu, dass die Übergabe der Vollmacht zu den Akten des Verwalters Voraussetzung dafür ist, dass der Bevollmächtigte abstimmen kann. Da diese Voraussetzung nicht vorlag, ist die Bevollmächtigte der Antragstellerinnen zu Recht nicht zur Abstimmung zugelassen worden.

b) Durch die Zurückweisung der Bevollmächtigten der Antragstellerinnen wird die Beschlussfähigkeit der Versammlung nicht in Frage gestellt. Nach § 15 Abs. 3 Unterabs. 1 ist die Eigentümerversammlung ohne Rücksicht auf die Zahl der teilnehmenden bzw. vertretenen Wohnungseigentümer beschlussfähig. Hierin liegt eine Abbedingung von § 25 Abs. 3 WEG. Diese Vorschrift ist abdingbar (Palandt/Bassenge BGB 64. Aufl. § 25 WEG Rn. 12; Weitnauer/Lüke WEG § 25 Rn. 1). Die von der Rechtsbeschwerde hiergegen geäußerten Bedenken vermag der Senat nicht zu teilen. Insbesondere kann sich die Rechtsbeschwerde nicht auf die Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts (WE 1989, 64) und des Kammergerichts (WE 1994, 82) berufen. Im Gegenteil: In beiden Entscheidungen ist ausgeführt, dass die Regelung des § 25 Abs. 3 WEG abdingbar ist.

c) Soweit sich die Rechtsbeschwerde auf Rechtsmissbrauch oder stillschweigende Abbedingung beruft, vermag ihr der Senat ebenfalls nicht zu folgen. Dem Verwalter oder Versammlungsleiter fehlt von vornherein die Kompetenz zu einer verbindlichen Auslegung oder gar stillschweigender Abbedingung von Regelungen der Gemeinschaftsordnung. Selbst den Sachvortrag der Rechtsbeschwerde als richtig unterstellt, kann auch nicht von einer stillschweigenden Willenserklärung oder einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten ausgegangen werden. Den Beteiligten ist es unbenommen, im jeweiligen Einzelfall eine bestimmte Formvorschrift abzuwenden oder nicht. Ebenso ist es den Beteiligten unbenommen, von der Anfechtung eines Beschlusses, der unter Verstoß gegen Regelungen der Gemeinschaftsordnung zustande gekommen ist, abzusehen. Besondere Umstände, die darauf schließen ließen, dass die Regelungen der Teilungserklärung stillschweigend geändert werden sollten, sind nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich. Insbesondere sind keine Umstände erkennbar, die auf einen Rechtsbindungswillen aller Wohnungseigentümer schließen ließen.

Für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Antragsgegner gibt der vorgetragene Sachverhalt ebenfalls nichts her. Das gilt auch, wenn man von dem Sachvortrag der Antragstellerinnen ausgeht, dass die Bevollmächtigte die Vollmacht vorgelegt hat und mit der Anfertigung einer Kopie für die Verwaltungsakten einverstanden gewesen wäre. Zwar hätte eine vom Versammlungsleiter gefertigte und bestätigte Kopie dem Beweissicherungsinteresse Genüge getan. Es ist jedoch nicht Aufgabe des Versammlungsleiters möglicherweise eine Vielzahl von Kopien zu fertigen, zumal dies noch vor Beginn der Versammlung geschehen müsste. Es ist Sache des Vollmachtgebers bzw. des Bevollmächtigten, die Voraussetzungen für die Ausübung des Stimmrechts zu schaffen. Da dies, wie ausgeführt, unschwer möglich gewesen wäre, verstößt es nicht gegen Treu und Glauben, dass sich der Versammlungsleiter und die Antragsgegner nicht auf die Fertigung einer Kopie verweisen ließen.

Ende der Entscheidung

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