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Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 17.07.2007
Aktenzeichen: 33 AR 7/07
Rechtsgebiete: FGG
Vorschriften:
FGG § 65 Abs. 1 | |
FGG § 65 Abs. 4 | |
FGG § 65 Abs. 5 | |
FGG § 65a |
Gründe:
I.
Die Betroffene wurde seit Anfang April 2007 im Universitätsklinikum A. wegen einer progredient verlaufenden dementiellen Symptomatik stationär behandelt.
Mit Schreiben vom 18.4.2007 regte der leitende Oberarzt der Klinik beim Amtsgericht A. die Errichtung einer Betreuung an. Die Sache wurde dort als Betreuungsverfahren eingetragen. Am 23.4.2007 suchte der Vormundschaftsrichter die Betroffene in der Klinik auf und stellte in der Niederschrift fest, dass sie nicht ansprechbar sei. Klar erkennbar sei, dass sie infolge schwerer Erkrankung ständiger Hilfe und Betreuung bedürfe. Die Betroffene sei zur Zeit nicht in der Lage, ihren Willen kundzutun. Sie sei ein "Dauerbetreuungsfall und geschäftsunfähig". Die Betreuungsbedürftigkeit sei offensichtlich.
Mit Beschluss vom 24.4.2007 bestellte das Vormundschaftsgericht den Ehemann der Betroffenen zum Betreuer mit dem Aufgabenkreis "alle Angelegenheiten, incl. Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post sowie Entscheidung über Fernmeldeverkehr". Als spätester Termin für eine Überprüfung der Entscheidung wurde der 24.4.2014 festgelegt
Anschließend verfügte der Richter die Übersendung der Akten an das für den Wohnsitz der Betroffenen zuständige Vormundschaftsgericht "mit der Bitte um Übernahme des Verfahrens zuständigkeitshalber".
Das Notariat XXX - Vormundschaftsgericht - lehnte mit Beschluss vom 10.5.2007 "die Übernahme des Verfahrens hierher zur weiteren Beaufsichtigung" ab. In der Begründung bezweifelte es, dass die Betreuung überhaupt rechtswirksam angeordnet worden sei, weil weder ein Verfahrenspfleger bestellt noch die Betreuungsbehörde sowie nahe Angehörige angehört worden seien und auch kein Gutachten eingeholt wurde.
Bei der erneuten Zuleitung der Akten vermerkte der Vormundschaftsrichter, er habe lediglich als "Bedürfnisgericht" im Sinne des § 65 Abs. 5 FGG gehandelt. Auch erläuterte er, weshalb er den Ehemann der Betroffenen ohne zusätzliche Anhörungen zum Betreuer bestellt und von der Einholung eines Gutachtens sowie der Beteiligung eines Verfahrenspflegers abgesehen habe.
Daraufhin rief das Notariat XXX das Oberlandesgericht Stuttgart an mit der Bitte um Entscheidung, "ob das hiesige Vormundschaftsgericht das Betreuungsverfahren zur weiteren Beaufsichtigung zu übernehmen hat bzw. ob eine Betreuung überhaupt rechtswirksam angeordnet wurde, die in der Folge hierher zu übernehmen ist."
Mit Beschluss vom 12.6.2007 - 8 AR 17/07 lehnte das OLG Stuttgart "die Zuständigkeitsbestimmung nach § 5 Abs. 1 Satz 1 FGG" ab und gab die Sache an das Notariat zurück. Es handle sich um einen Zuständigkeitsstreit im Sinne diese Vorschrift , weil das AG A. nicht als örtlich zuständiges Gericht, sondern als Eilgericht nach § 65 Abs. 5 FGG tätig geworden sei. Hierüber habe aber dasjenige Oberlandesgericht zu entscheiden, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehöre.
Das Notariat XXX begehrt nunmehr eine Entscheidung des Oberlandesgerichts München.
II.
1. Das Oberlandesgericht München hat nach der Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts als gemeinschaftliches oberes Gericht für Bayern u. a über Zuständigkeitsstreitigkeiten im Sinne von § 5 FGG zu entscheiden. Es tritt in diesen Fällen auch an die Stelle des Oberlandesgerichts, das die Zuständigkeit zu bestimmen oder über die Übernahme zu entscheiden hat, ohne gemeinschaftliches oberes Gericht zu sein (§ 199 Abs. 2 FGG; Art. 11a AGGVG; vgl. Senatsbeschluss vom 25.1.2005 in FamRZ 2005, 1577). Hier besteht ein Streit oder eine Ungewissheit im Sinne von § 5 Abs. 1 FGG darüber, welches von mehreren Gerichten örtlich zuständig ist.
2. Das AG A. legt zugrunde, dass seine Zuständigkeit fehle, da es lediglich als wegen eines Fürsorgebedürfnisses im Sinne von § 65 Abs. 5 FGG tätig geworden sei.
Grundsätzlich ist richtig, dass das Gericht, in dessen Bezirk ein Fürsorgebedürfnis hervortritt, durch ein Tätigwerden im Rahmen seiner Kompetenzen keine eigene Zuständigkeit für das weitere Verfahren erlangt. Hätte das AG A. lediglich als "Bedürfnisgericht" oder "Eilgericht" nach § 65 Abs. 5 FGG Verfahrenshandlungen vorgenommen oder Entscheidungen getroffen, hätte dies die örtliche Zuständigkeit des Notariats XXX - Vormundschaftsgericht - nach § 65 Abs. 1 FGG nicht berührt. Das AG A. hätte in jedem Fall nach Erfüllung seiner durch die Dringlichkeit des Falles gebotenen Aufgabe den Vorgang an das Notariat XXX übersenden müssen und dieses wäre grundsätzlich zur Fortführung des Verfahrens verpflichtet (vgl. BayObLG BtPrax 2002, 270 [Ls.]).
a) Im vorliegenden Fall hat aber das AG A. sich nicht darauf beschränkt, lediglich Eilmaßnahmen zu treffen, für die es nach § 65 Abs. 5 FGG zuständig gewesen wäre. Es hat vielmehr den Vorgang unverzüglich nach Eingang der Anregung auf Einrichtung einer Betreuung als Verfahren unter einem XVII - Aktenzeichen eingetragen und, offenbar ohne Prüfung seiner örtlichen Zuständigkeit nach § 65 Abs. 1 FGG hierfür, bereits wenige Tage später und nur einen Tag nach Verschaffung eines persönlichen Eindrucks von der Betroffenen eine endgültige Betreuung angeordnet. Zwar hat der Richter im Beschlussvordruck sowohl im Tenor als auch in den Gründen das Wort "endgültige" gestrichen. Da aber umgekehrt nicht zum Ausdruck gebracht wurde, dass es sich nur um eine vorläufige, auf höchstens sechs Monate befristete Maßnahme handeln solle, sondern vielmehr der späteste Überprüfungszeitpunkt auf 24.4.2014 festgelegt wurde, stellt sich dies als eine endgültige Betreuungsanordnung dar. Dass sie von einem nicht nach § 65 Abs. 1 FGG zuständigen Gericht und ohne Einhaltung zwingender gesetzlicher Vorschriften erlassen wurde, steht für sich genommen nicht entgegen. Derartige Verfahrensmängel können allenfalls auf Anfechtung zur Aufhebung der Entscheidung führen, bewirken aber nicht deren Nichtigkeit (vgl. auch OLG Karlsruhe FGPrax 2002, 115 mwN; Jansen/Sonnenfeld § 65a FGG 3. Aufl. Rn. 11).
b) In einem derartigen Fall ist die Vorschrift des § 65 Abs. 4 FGG zu beachten, die festlegt, dass nach Bestellung eines Betreuers das Gericht, bei dem die Betreuung anhängig ist, auch für weitere die Betreuung betreffende Verrichtungen zuständig bleibt. Diese Rechtsfolge tritt mit Erlass des Bestellungsbeschlusses ein (Bassenge/Herbst/Roth RpflG/FGG 10. Aufl. § 65 FGG Rn. 7).
Nach der Begründung zum Regierungsentwurf des Betreuungsgesetzes (BT-Drucks. 11/4528 S. 169 f.) soll die Vorschrift sicherstellen, "dass das mit der Betreuung befasste Gericht auch für weitere, die Betreuung betreffende Angelegenheiten zuständig bleibe, damit dort vorhandene Erkenntnisse verwertet werden können." Zwar wird diesem typisierenden Gesetzeszweck jedenfalls dann kaum entsprochen, wenn ein Gericht bei der Betreuerbestellung lediglich in geringem Umfang über Erkenntnisse zum Betroffenen verfügt. Gleichwohl handelt es sich um eine zwingende spezielle Festlegung der Zuständigkeit, die aus der vom Vormundschaftsgericht getroffenen Maßnahme folgt und auch dann zu beachten ist, wenn sich aus dem allgemeinen Grundsatz des § 65 Abs. 1 FGG die örtliche Zuständigkeit eines anderen Gerichts ergeben würde.
Wenn das lediglich für Eilmaßnahmen zuständige Vormundschaftsgericht in einem vermeintlich "eindeutigen" Fall abweichend von den Vorgaben des Gesetzgebers statt einer ihm möglichen nur vorläufigen Betreuerbestellung eine endgültige Anordnung trifft, hat es somit zu beachten, dass es hierdurch nach § 65 Abs. 4 FGG endgültig zuständig wird. Es kann sich nicht darauf berufen, seine Eilzuständigkeit sei mit der Entscheidung beendet und es sei nunmehr durch bloße Übersendung der Akten das nach § 65 Abs. 1 FGG zuständige Gericht mit der Sache zu befassen.
4. Allerdings steht es dem nach § 65 Abs. 4 FGG zuständig gewordenen Gericht frei, nach der Regelung des § 65a Abs. 1 FGG das Verfahren aus Gründen der Zweckmäßigkeit mit entsprechender Begründung an ein anderes Vormundschaftsgericht abzugeben. Eine Übernahme durch dieses Gericht wird dann nur aus den von Gesetz und Rechtsprechung hierfür vorgesehenen Gründen abgelehnt werden können, Nach überwiegender Ansicht gehört hierzu - entgegen der Meinung des Notariats XXX - nicht die Beachtung des geltenden Verfahrensrechts bei Sachentscheidungen des abgebenden Gerichts (vgl. OLG Karlsruhe aaO; Jansen/Sonnenfeld aaO; Keidel/Kayser FGG 15. Aufl. § 65a Rn. 9; Knittel BtG § 65a FGG Rn. 5; a. A. OLG Brandenburg FER 2000, 322; HK-BUR/Bauer § 65a FGG Rn. 51, jeweils unter dem Gesichtspunkt der "Abgabereife" bei nicht ordnungsgemäßer Begutachtung des Betroffenen oder unterbliebener Bestellung eines Verfahrenspflegers).
Im Übrigen hätte bei erneuter Verweigerung der Übernahme nach einer Abgabe gemäß § 65a Abs. 1 FGG dann in entsprechender Anwendung des § 46 Abs. 2 Satz 1 FGG dasjenige Oberlandesgericht zu entscheiden, zu dessen Bezirk das Gericht gehört, an welches die Betreuung abgegeben werden soll. Das ist hier das Oberlandesgericht Stuttgart.
Ende der Entscheidung
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