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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 30.01.2008
Aktenzeichen: 33 Wx 10/08
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 191
FGG § 70h Abs. 2 Satz 2
1. Wird eine vorläufige Unterbringung durch Entweichen des Betroffenen unterbrochen, ist nach dessen Wiedereinlieferung der bereits abgelaufene Vollzugszeitraum bei Verlängerungsentscheidungen in die Höchstfrist der Maßnahme einzubeziehen. Für die Fristbemessung ist in diesem Fall der Monat zu 30 Tagen zu rechnen.

2. Wird die vorläufige Unterbringung verlängert, schließt das nach Ablauf der hierbei vorgesehenen Frist einen weiteren Verlängerungsbeschluss nicht aus, sofern insgesamt die Höchstfrist von drei Monaten eingehalten wird.


Gründe:

I.

Für den Betroffenen, der sich bereits vierzigmal in stationärer psychiatrischer Behandlung befand, wurde am 11.9.2007 ein vorläufiger Betreuer mit den Aufgabenkreisen "Alle Angelegenheiten, incl. Entgegennahme, Anhalten und Öffnen der Post, sowie Entscheidung über den Fernmeldeverkehr" bestellt. Auf dessen Antrag hat das Amtsgericht am 11.9.2007 die vorläufige Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bis längstens 22.10.2007 genehmigt.

Am 16.10.2007 ist der Betroffene entwichen. Das Amtsgericht hat am 19.10.2007 die vorläufige Unterbringung auf sechs Wochen ab Wiedereinlieferung angeordnet. Am 5.11.2007 wurde der Betroffene in ein anderes psychiatrisches Krankenhaus eingeliefert. Mit Beschluss vom 8.11.2007 hat das Amtsgericht klargestellt, dass die Genehmigung der vorläufigen Unterbringung am 16.12.2007 endet. Am 11.12.2007 hat es die Genehmigung der vorläufigen Unterbringung bis 26.1.2008 verlängert.

Die hiergegen eingelegte Beschwerde hat das Landgericht am 20.12.2007 zurückgewiesen.

Mit seiner sofortigen weiteren Beschwerde verfolgt der Betroffene nunmehr das Ziel, die Rechtswidrigkeit der Verlängerung der Unterbringung festzustellen, nachdem am 11.1.2008 das Amtsgericht die Genehmigung der Unterbringung aufgehoben hat und er an diesem Tag aus der Einrichtung entlassen worden war. Er rügt vor allem, dass das Landgericht seine persönliche Anhörung unterlassen habe und dass die Genehmigung der Unterbringung einen Zeitraum von mehr als drei Monaten umfasst habe.

II.

1. Die sofortige weitere Beschwerde mit dem Ziel, die Rechtswidrigkeit der Genehmigung der Unterbringung festzustellen, ist zulässig. Zwar hat sich nach Einlegung der sofortigen weiteren Beschwerde die Hauptsache dadurch erledigt, dass der Betroffene aus der Unterbringung entlassen worden ist. Dennoch fehlt der sofortigen Beschwerde nicht das Rechtsschutzbedürfnis (vgl. BayObLGZ 2002, 304/306). Die in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgte Effektivität des Rechtsschutzes gebietet es, in den Fällen, in denen der durch die geschlossene Unterbringung bewirkte tief greifende Eingriff in das Grundrecht der Freiheit beendet ist, die Schutzwürdigkeit des Interesses des Betroffenen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Grundrechtseingriffs zu bejahen (vgl. BVerfGE 104, 220/232 f. = NJW 2002, 2456; BayObLGZ 2002, 304/306; BayObLG Beschluss vom 14.10.2002 - 3Z BR 149/02 m.w.N.; Demharter FGPrax 2002, 137/138).

2. In der Sache hat das Rechtsmittel nur teilweise Erfolg.

a) Das Landgericht hat seine Entscheidung folgendermaßen begründet:

Die Voraussetzungen für den Erlass der einstweiligen Anordnung lägen vor, da dringende Gründe für die Annahme bestünden, dass bei dem Betroffenen die Voraussetzungen einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB gegeben seien. Der Betroffene leide an einer Polytoxikomanie und befinde sich zur Entgiftung von Benzodiazepinen im Krankenhaus. Die dringend notwendige Therapie sei noch nicht abgeschlossen. Wegen der geringen Motivation des Untergebrachten und der Zusatzdiagnose Schizophrenie bestehe die Gefahr, dass sich der Betroffene ohne Unterbringung der weiteren Therapie entziehe und damit seiner Gesundheit Schaden zufüge. Eine umfassende Aufklärung sei im Verfahren über die vorläufige Unterbringung grundsätzlich nicht geboten. Ein Verfahrenspfleger habe nicht bestellt werden müssen, da der Betroffene in der Lage sei, seine Interessen im Beschwerdeverfahren selbst wahrzunehmen. Die Anhörung des Betroffenen durch die Mitglieder der Beschwerdekammer sei nicht erforderlich gewesen, weil er zeitnah vom Amtsgericht angehört worden sei. Zusätzliche Erkenntnisse seien nicht zu erwarten gewesen.

b) Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nur teilweise stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO).

aa) Nach § 70h Abs. 1 i.V.m. § 69f Abs. 1 FGG kann durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Unterbringungsmaßnahme getroffen werden, wenn dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass die Voraussetzungen für die Unterbringung gegeben sind und mit dem Aufschub Gefahr verbunden wäre, ein ärztliches Zeugnis über den Zustand des Betroffenen vorliegt, ein Pfleger für das Verfahren bestellt worden und der Betroffene persönlich angehört worden ist.

Danach kommt eine vorläufige Unterbringung in Betracht, wenn konkrete Umstände mit erheblicher Wahrscheinlichkeit (vgl. BayObLGZ 2000, 220/222; 1997, 142/145 m.w.N.; Bienwald Betreuungsrecht 4. Aufl. § 69f FGG Rn. 16) darauf hindeuten, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB vorliegen. Diese Voraussetzungen müssen auch zum Zeitpunkt der landgerichtlichen Entscheidung im Verfahren über die Verlängerung noch vorliegen.

Das Beschwerdegericht hat im Ergebnis die Voraussetzungen für eine vorläufige Unterbringung und deren Verlängerung ohne Rechtsfehler festgestellt. Von der grundsätzlich nach § 70h Abs. 1 S. 2 iVm. § 69f Abs. 1 S. 1 Nr. 3 FGG erforderlichen Bestellung eines Verfahrenspflegers (§ 70b FGG) konnten die Instanzgerichte Abstand nehmen, da der Betroffene nach dem Ergebnis der Anhörungen durchaus in der Lage ist, seine Rechte selbst wahrzunehmen (§ 70b Abs. 1 Satz 1 FGG).

Das Landgericht war im vorliegenden Falle auch nicht verpflichtet, den Betroffenen selbst anzuhören. Grundsätzlich hat auch das Beschwerdegericht den Betroffenen persönlich anzuhören (§ 70m Abs. 3, § 69g Abs. 5 Satz 1, § 68 Abs. 1 Satz 1 FGG). Hiervon darf es, abgesehen von den hier nicht gegebenen Fällen des § 68 Abs. 2 FGG, nur absehen, wenn das Amtsgericht den Betroffenen persönlich angehört hat und von der erneuten persönlichen Anhörung keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind (§ 69g Abs. 5 Satz 3 FGG). In Unterbringungssachen ist nach h.M. wegen der Schwere des freiheitsentziehenden Eingriffs die Wiederholung der persönlichen Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren in der Regel geboten (BayObLG FamRZ 2001, 1646; FamRZ 2003, 1854 [Ls.] = Beschluss vom 29.1.2003 Az. 3Z BR 15/03; Beschluss vom 25.1.2005 Az. 3Z BR 264/04; OLG Hamm BtPrax 2001, 212; OLG Dresden Beschluss vom 25.10.1999 Az. 15 W 1620/99; Keidel/Kayser FGG 15. Aufl. § 70m Rn. 17; Damrau/Zimmermann Betreuungsrecht 3. Aufl. § 70m FGG Rn. 28; Dodegge/Roth Betreuungsrecht Unterbringung G Rn. 236). Dies gilt vor allem dann, wenn die erstinstanzliche Anhörung erhebliche Verfahrensfehler aufweist, da dann nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Anhörung bei Beachtung der Verfahrensvorschriften zu einem anderen Ergebnis geführt hätte (vgl. BayObLGZ 1999, 12/13 und FamRZ 2001, 1646). Die Anhörung dient nicht nur der Gewährung des rechtlichen Gehörs, sondern soll das Gericht vor allem in die Lage versetzen, seine Kontrollfunktion gegenüber Gutachter und Zeugen wahrzunehmen (Dodegge/Roth aaO), besonders dann, wenn die Entscheidung vom persönlichen Eindruck des Betroffenen abhängt. Der Verschaffung eines persönlichen Eindruckes bedarf es nur dann nicht, wenn das Beschwerdegericht diesen aufgrund des erstinstanzlich niedergelegten Eindrucks nachvollziehen kann und keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind (Dodegge/Roth aaO m.w.N.).

Hier hatte das Amtsgericht die Anhörung verfahrensfehlerfrei durchgeführt. Insbesondere durfte das zuständige Amtsgericht die Anhörung durch das Amtsgericht des Unterbringungsortes vornehmen lassen, da nach § 70h Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 69 Abs. 1 Satz 2 FGG die Anhörung durch einen ersuchten Richter erfolgen kann. Da die amtsgerichtliche Anhörung des Betroffenen erst am 8.11.2007 stattfand und auch ausreichend protokolliert ist, begegnet die Auffassung des Landgerichts, von einer erneuten Anhörung seien keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten, keinen rechtlichen Bedenken. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass wegen der großen Entfernung des Unterbringungsortes auch eine Anhörung in zweiter Instanz wohl nur im Wege der Rechtshilfe möglich gewesen wäre und auch so der Kammer keinen unmittelbaren Eindruck verschafft hätte.

bb) Die Dauer der von den Instanzgerichten genehmigten geschlossenen Unterbringung kann jedoch aus Rechtsgründen keinen Bestand haben.

Die einstweilige Anordnung darf die Dauer von sechs Wochen nicht überschreiten. Reicht dieser Zeitraum nicht aus, so kann sie nach Anhörung eines Sachverständigen durch eine weitere einstweilige Anordnung bis zu einer Gesamtdauer von drei Monaten verlängert werden (§ 70h Abs. 2 FGG).

Hier war der Betroffene zunächst vom 11.4.2007 bis zu seinem Entweichen am 16.10.2007 bereits 36 Tage untergebracht und wurde bereits am 5.11.2007 wieder in eine psychiatrische Klinik auf Grund der zweiten einstweiligen Anordnung vom 19.10.2007 eingewiesen. Zwar hat die erste vorläufige Unterbringungsmaßnahme durch das Entweichen des Betroffenen geendet, doch ist die Zeit dieser Unterbringung gleichwohl bei der Bemessung der Höchstfrist der Unterbringung von drei Monaten zu berücksichtigen. Eine vorläufige Unterbringung durch einstweilige Anordnung darf in derselben Angelegenheit diese Höchstfrist nicht übersteigen (vgl. für die öffentlich-rechtliche Unterbringung BayObLGZ 1990, 350/353 f.). Ob es sich um dieselbe Angelegenheit handelt kann nicht danach beurteilt werden, ob es sich die neue gerichtliche Unterbringungsmaßnahme oder die Verlängerung unmittelbar an die vorherige Unterbringung anschließt oder ob die vorherige Unterbringungsmaßnahme durch das Entweichen des Betroffenen bereits abgeschlossen war. Maßgebend ist vielmehr, ob nach Beendigung der ersten Maßnahme eine neue Sachlage eingetreten ist. Dies könnte etwa der Fall sein, wenn ein neues Krankheitsbild entstanden ist (BayObLG aaO S. 354). Hier hatte sich an dem Krankheitsbild des Betroffenen nichts geändert und auch der Umstand, dass sogleich nach dem Entweichen des Betroffenen das Amtsgericht bei unveränderter Sachlage die erneute Unterbringung vorläufig genehmigt hat, unterstreicht, dass es sich um dieselbe Angelegenheit handelt.

Bei der Berechnung der Höchstfrist von drei Monaten ist der Monat mit 30 Tagen zu rechnen, da hier die Frist durch das Entweichen des Betroffenen unterbrochen war, § 17 Abs. 1 FGG i.V.m. § 191 BGB. Bei Berücksichtigung der 36 Tage der ersten Unterbringung durfte daher die weitere Unterbringung nur mehr für die verbleibenden 54 Tage ab der erneuten Einlieferung des Betroffenen in die geschlossene Abteilung am 5.11.2007 genehmigt werden. Diese Frist lief mit dem 28.12.2007 ab. Die darüber hinausgehende Genehmigung der Unterbringung des Betroffenen war wegen Verstoßes gegen § 70h Abs. 2 Satz 2 FGG rechtswidrig.

Soweit der Betroffene meint, der Beschluss des Amtsgerichts vom 11.12.2007 sei insgesamt rechtswidrig, weil es sich um die zweite Verlängerung gehandelt habe und das Gesetz nur eine Verlängerung erlaube, kann dem nicht gefolgt werden. Zwar spricht § 70h Abs. 2 Satz 2 FGG davon, die Unterbringung könne "durch eine weitere einstweilige Anordnung" verlängert werden. Dies ist jedoch nach Auffassung des Senats nicht so eng auszulegen, dass nur eine einzige weitere Anordnung möglich wäre. Eine solche Auslegung könnte auch dem Wohle und dem Freiheitsinteresse des Betroffenen zuwiderlaufen, würde es doch den Richter eher hindern, bei der Verlängerung der Unterbringung einen kürzeren Zeitraum in Betracht zu ziehen, weil er den Dreimonatszeitraum auch dann nicht mehr ausschöpfen könnte, wenn doch noch eine längere vorläufige Unterbringung erforderlich werden würde.

III.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 13a Abs. 2 Satz 1 FGG. Da das Rechtsmittel teilweise Erfolg hatte und lediglich die Dauer der Unterbringungsgenehmigung zu beanstanden war, erscheint es sachgerecht, die Erstattung der Hälfte der Auslagen anzuordnen.

Die Festsetzung des Geschäftswertes beruht auf § 131 Abs. 2, § 30 Abs. 1 und Abs. 2 KostO.

Ende der Entscheidung

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