Judicialis Rechtsprechung
Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:
Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 28.07.2005
Aktenzeichen: 33 Wx 108/05
Rechtsgebiete: FGG
Vorschriften:
FGG § 34 |
Tatbestand:
Für die Betroffene, welche Eigentümerin eines Wohnanwesens und landwirtschaftlicher Flächen in der Umgebung ist, wurde am 22.1.1998 ihr Neffe, der Beteiligte zu 1), zum Betreuer für die Aufgabenkreise Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge und Anhalten, Empfangnahme und Öffnen der Post bestellt. Am 18.1.1999 wurde die Betreuung wieder aufgehoben.
Am 21.8.2002 regte die jetzige Betreuerin, die frühere Nachbarin der Betroffenen, die Bestellung eines Betreuers für den Aufgabenkreis Vertretung beim Verkauf des Grundbesitzes der Betroffenen an, da der beurkundende Notar Zweifel an der Geschäftsfähigkeit der Betroffenen geäußert habe. Das Amtsgericht bestellte für die Aufgabenkreise Gesundheitssorge, Vermögenssorge, Wohnungsangelegenheiten, Geltendmachung von Ansprüchen auf Altersversorgung und Postangelegenheiten einen Betreuer. Dieser bat am 3.5.2003 altersbedingt um seine Entlassung; die jetzige Betreuerin erklärte sich mit der Übernahme der Betreuung einverstanden, wies aber auf die Notwendigkeit einer Ergänzungsbetreuung hin, da sie zum Erwerberkreis des Grundbesitzes gehöre. Am 27.6.2003 wurde der bisherige Betreuer entlassen und die jetzige Betreuerin bestellt. Für den Aufgabenkreis Annahme und Abgabe aller notwendigen Willenserklärungen der Betroffenen im Zusammenhang mit der Veräußerung und Übertragung von Eigentum bezüglich ihres Grundbesitzes bestellte das Amtsgericht am 3.11.2003 einen Rechtsanwalt zum Ergänzungsbetreuer. Der zunächst beabsichtigte Verkauf des Wohnanwesens wurde zurückgestellt, da die Beteiligten, Neffe und Nichte der Betroffenen, sich im Wege eines zinslosen Darlehens zur Übernahme der Heimkosten verpflichtet hatten. Gegen die Rückstellung legte die Betreuerin, gegen die beabsichtigte vormundschaftsgerichtliche Genehmigung des Verkaufs eines anderen Grundstücks legten die Beteiligten Beschwerden ein.
Das Landgericht verwarf durch Beschlüsse vom 24.8.2004 beide Beschwerden als unzulässig. Die weitere Beschwerde der Beteiligten wurde durch Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 27.10.2004 mit der Begründung zurückgewiesen, den Beteiligten stehe ein Beschwerderecht nicht zu.
Nach dem Verkauf von weiterem Grundbesitz teilte der zuständige Rechtspfleger mit Schreiben vom 3.2.2005 der Betreuerin, dem Ergänzungsbetreuer sowie den Beteiligten mit, in Anbetracht der Unterhaltungskosten sowie der anstehenden Reparaturkosten an dem sehr alten, derzeit weder bewohnbaren noch vermietbaren Wohnanwesen scheine ein Verkauf nunmehr wirtschaftlich sinnvoll. Es sei daher beabsichtigt, einen geplanten Verkauf vormundschaftsgerichtlich zu genehmigen. Zusätzlich wurde den Beteiligten mitgeteilt, da die Verkaufsentscheidung nicht von den Heimkosten abhänge, könne ihr früheres Angebot, die Heimkosten zu übernehmen, keinen Einfluss auf die Verkaufsentscheidung nehmen.
Mit Schriftsatz vom 15.2.2005 beantragte der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten, ihm Akteneinsicht zu gewähren. Der zuständige Rechtspfleger lehnte die Akteneinsicht im Hinblick auf die Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 27.10.2004 ab. Am 22.2.2005 legten die Beteiligten Beschwerden gegen die angekündigte vormundschaftsgerichtliche Genehmigung für den Verkauf des Wohnanwesens ein und beantragten zur sachgerechten Wahrnehmung des Mandats erneut Akteneinsicht. Das Amtsgericht lehnte auch das erneute Gesuch um Akteneinsicht ab und half der Beschwerde gegen die angekündigte Genehmigung nicht ab. In der Beschwerdebegründung baten die Beteiligten erneut um baldige Akteneinsicht.
Das Landgericht hat am 15.4.2005 den Antrag der Beteiligten auf Gewährung von Akteneinsicht zurückgewiesen.
Hiergegen wenden sich die Beteiligten mit ihrer Beschwerde. Sie tragen vor, als nächste Verwandte der Betroffenen hätten sie ein erhebliches Interesse daran, dass das Anwesen der Betroffenen im Familienbesitz verbleibe. Dies sei auch der ausdrückliche Wunsch der Betroffenen. Sie hätten ein wirtschaftliches und rechtliches Interesse zu erfahren, warum trotz ihres Angebotes, darlehensweise Geld für die Heimkosten zur Verfügung zu stellen, nun doch wieder der Verkauf des Anwesens in die Wege geleitet werde. Durch die Einlegung der Beschwerde gegen die angekündigte Genehmigung des Verkaufs des Wohnanwesens hätten sie auch als Verfahrensbeteiligte einen grundgesetzlich geschützten Anspruch auf Akteneinsicht. Einem Beteiligten müsse Gelegenheit gegeben werden, sich vor Einlegung bzw. zur Begründung eines Rechtsmittels über den gesamten Akteninhalt zu unterrichten.
Die Beschwerde erwies sich als zulässig, § 19 Abs. 1 FGG, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Es handelt sich um eine Erstbeschwerde, weil das Landgericht den bei ihm gestellten Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht zurückgewiesen hat (vgl. BayObLG vom 15.2.2000 = FamRZ 2001, 1246).
Gründe:
1. Das Landgericht hat seine Entscheidung folgendermaßen begründet:
Den Beteiligten stehe ein Anspruch auf Akteneinsicht gemäß § 34 Abs. 1 FGG nicht zu. Nach Aktenlage ergebe sich kein berechtigtes Interesse; ein solches sei von den Beteiligten auch nicht glaubhaft gemacht. Sie hätten ihr rechtliches Interesse an einer Akteneinsicht lediglich damit begründet, dass sie wissen wollten, wer mit welcher Begründung welche Reparatur- und Unterhaltungsmaßnahmen an dem Grundstück für erforderlich halte, da sie aus pragmatischen und ideellen Gründen daran interessiert seien, die anfallenden notwendigen Reparatur- und laufenden Unterhaltungskosten zu übernehmen, möglicherweise gegen Einräumung eines unbefristeten Nutzungsrechtes. Dies stelle kein berechtigtes Interesse dar, da in keiner Weise ersichtlich sei, warum die von den Antragstellern erstrebte Kenntnis am Inhalt der Akten zur Verfolgung von Rechten oder für die Abwehr von gegen sie gerichteten Ansprüchen erforderlich sein solle. Sie seien auch weder formell noch materiell am vorliegenden Betreuungsverfahren beteiligt. Eine formelle Beteiligtenstellung könne auch nicht dadurch erreicht werden, dass sie Beschwerde eingelegt hätten, da ihnen die Beschwerdebefugnis fehle. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus Art. 103 Abs. 1 GG, der § 34 FGG dann modifiziere, wenn einer an einem gerichtlichen Verfahren beteiligten Person ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht grundsätzlich zustehe und dieses berechtigte Interesse höher einzustufen sei als das Recht der Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung. Eine entsprechende Interessenabwägung sei nicht geboten, weil die Beteiligten ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht nicht dargelegt hätten.
2. Die Versagung der Akteneinsicht durch das Landgericht ist rechtlich nicht zu beanstanden.
a) Zu Recht hat das Landgericht die Prüfung des berechtigten Interesses der Beteiligten an der Akteneinsicht nicht lediglich auf § 34 Abs. 1 FGG, sondern auch auf den Anspruch des Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG gestützt (vgl. Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann GG Artr. 103 Rn. 74). Anspruch auf rechtliches Gehör hat, wer an einem gerichtlichen Verfahren als Partei oder in ähnlicher Stellung beteiligt ist oder unmittelbar rechtlich von dem Verfahren betroffen wird (vgl. BGH NJW 1999, 3718/3719), im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit also die formell oder materiell Beteiligten (BGH aaO; BVerfG NJW 1995, 2155; BayObLGZ 1989, 292/294; Keidel/Schmidt FGG 15. Aufl. § 12 Rn. 141). Beteiligter im materiellen Sinn ist jeder, dessen Rechte und Pflichten durch die Regelung der Angelegenheit durch das Gericht unmittelbar betroffen werden oder betroffen werden können, ohne Rücksicht darauf, ob er im Verfahren aufgetreten ist (vgl. Keidel/Zimmermann § 6 Rn. 18). Beteiligter im formellen Sinn ist, wer am Verfahren zur Wahrnehmung sachlicher Interessen teilnimmt oder zu ihm, auch eventuell zu Unrecht, zugezogen worden ist. Formell beteiligt ist insbesondere, wer einen Antrag stellt oder ein Rechtsmittel einlegt. Wer dagegen ein ihn selbst nicht betreffendes Amtsverfahren in Gang bringt, ist nicht formell beteiligt (BGH aaO; Keidel/ Zimmermann aaO; Jansen FGG 2. Aufl. § 6 Rn. 5; Bassenge/Herbst/Roth FGG/ RPflG 10. Aufl. Einl. FGG Rn. 24).
b) Die Beteiligten sind im zugrunde liegenden Verfahren, bei dem es letztlich um die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung eines Grundstücksverkaufs geht, materiell nicht beteiligt. Die verwandtschaftliche Beziehung zwischen der Betroffenen und den Beteiligten als Neffe bzw. Nichte verleiht diesen keine Rechtsposition, die ihnen eine Mitbestimmung bei dem geplanten Grundstücksverkauf einräumen könnte. Auch wenn der Beteiligte zu 1) in der letztwilligen Verfügung der Betroffenen als Alleinerbe eingesetzt sein sollte, begründet dies keine Beteiligtenstellung. Als Alleinerbe fällt ihm nach dem Tode der Betroffenen das noch vorhandene Vermögen an; ein Anspruch auf Mitsprache bei Vermögensverfügungen zu Lebzeiten der Betroffenen hat er nicht, da die Betroffene - vertreten durch die Betreuerin - frei über ihr Vermögen verfügen kann. Das rein ideelle Interesse an der Erhaltung des Wohnanwesens im Familienbesitz ist gleichfalls keine Grundlage für eine Beteiligtenstellung (vgl. Keidel/Zimmermann § 6 Rn. 19). Ferner geben die ausschließlich familiären Beziehungen den Beteiligten kein Beschwerderecht. Neffen und Nichten zählen zwar zu den gemäß § 69g Abs. 1 Satz 1 FGG beschwerdeberechtigten Angehörigen. Die Beschwerdeberechtigung ergibt sich aber nur für die in § 69g Abs. 1 Satz 1 FGG aufgezählten Entscheidungen, zu denen die Erteilung einer Genehmigung für einen Grundstücksverkauf nicht gehört. § 69g Abs. 1 FGG stellt eine abschließende Regelung dar, die auf weitere Sachverhalte nicht anzuwenden ist (BayObLG vom 27.10.2004 - 3Z BR 205/04 und 206/04).
c) Die Beteiligten sind auch nicht formell Beteiligte. Sie haben zwar Beschwerde gegen die angekündigte vormundschaftsgerichtliche Genehmigung eingelegt, doch steht ihnen, wie sie selbst auch wissen, eine Beschwerdebefugnis nicht zu. Es kann offen bleiben, ob die Ankündigung einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung überhaupt eine beschwerdefähige Entscheidung darstellt. Selbst wenn dies unterstellt wird, ergibt sich aus dem Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 27.10.2004 im vorliegenden Verfahren, dass die Beteiligten kein Beschwerderecht gegen die Genehmigung eines Grundstücksverkaufes haben. Die Beschwerde ist deshalb als unzulässig zu verwerfen; für die Beteiligten besteht keine Möglichkeit, eine abändernde gerichtliche Entscheidung zu erreichen. Deshalb kann die begehrte Akteneinsicht nicht dem Ziel dienen, eine Beschwerdebegründung vorzubereiten. Vielmehr soll wohl eher durch die Einlegung der Beschwerde die Akteneinsicht erreicht werden.
Das Verfahren, welches eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung zum Ziel hat, ist ein Amtsverfahren (Keidel/Schmidt § 12 Rn. 7). In Amtsverfahren können materiell nicht Beteiligte nicht durch das Anbringen von Anträgen oder Anregungen eine formelle Beteiligtenstellung erlangen. Sie haben außerhalb des Verfahrens zu stehen, da sie nicht ein Verfahren beeinflussen dürfen, welches sie letztlich nicht betrifft. Dieser Grundsatz würde verletzt, wenn durch die jederzeit mögliche Einlegung einer Beschwerde die Einsicht in die Akten erreicht werden könnte.
d) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 34 Abs. 1 FGG. Nach dieser Vorschrift kann die Einsicht in die Gerichtsakten jedem insoweit gestattet werden, als er ein berechtigtes Interesse glaubhaft macht. Berechtigt ist jedes nach vernünftiger Erwägung durch die Sachlage gerechtfertigte Interesse; es kann auch am Verfahren nicht beteiligten Personen zustehen und nicht nur rechtlicher, sondern auch wirtschaftlicher oder wissenschaftlicher Art sein. Deshalb darf es nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass demjenigen, der die Akteneinsicht beantragt, keine Beschwerdebefugnis zusteht (Keidel/Kahl § 34 Rn. 13).
Das Landgericht hat ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht mit der Begründung verneint, es sei nicht ersichtlich, warum die Aktenkenntnis zur Verfolgung von Rechten oder für die Abwehr von Ansprüchen erforderlich sein solle. Dies ist nicht zu beanstanden. Die Gewährung von Akteneinsicht hat nach pflichtgemäßem Ermessen zu erfolgen. Es ist zu prüfen, ob der begehrten Akteneinsicht schutzwürdige Interessen Beteiligter aus der Persönlichkeits- oder Vermögenssphäre entgegenstehen (Bassenge/Herbst/Roth § 34 FGG Rn. 8). Eine Abwägung der widerstreitenden Interessen ist aber erst dann möglich werden, wenn das Interesse an der Akteneinsicht plausibel begründet wird. Allein die Suche nach derjenigen Person, welche Reparatur- und Unterhaltungskosten am Wohnanwesen der Betroffenen in einem gewissen Umfang für erforderlich hält, stellt aber ebenso wenig eine derartige Begründung dar wie die Suche nach der genauen Begründung, warum nun im Gegensatz zu früher das Anwesen verkauft werden soll.
Ende der Entscheidung
Bestellung eines bestimmten Dokumentenformates:
Sofern Sie eine Entscheidung in einem bestimmten Format benötigen, können Sie sich auch per E-Mail an info@protecting.net unter Nennung des Gerichtes, des Aktenzeichens, des Entscheidungsdatums und Ihrer Rechnungsanschrift wenden. Wir erstellen Ihnen eine Rechnung über den Bruttobetrag von € 4,- mit ausgewiesener Mehrwertsteuer und übersenden diese zusammen mit der gewünschten Entscheidung im PDF- oder einem anderen Format an Ihre E-Mail Adresse. Die Bearbeitungsdauer beträgt während der üblichen Geschäftszeiten in der Regel nur wenige Stunden.