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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 30.03.2005
Aktenzeichen: 33 Wx 38/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1906
Kann bei einer zum Wohl des einwilligungsunfähigen Betroffenen genehmigten Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB eine notwendige Behandlung nur unter Einsatz von Zwangsmaßnahmen, z.B. einer jeweils kurzfristigen Fixierung, vorgenommen werden, sind diese genehmigungsbedürftig und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auch genehmigungsfähig nach § 1906 Abs. 4 BGB. Der Entscheidung des BGH (FamRZ 2001, 149), wonach diese Vorschrift keine Rechtsgrundlage für eine ambulante Zwangsbehandlung biete, ist insoweit keine abweichende Beurteilung zu entnehmen.
Gründe:

I.

Der Betroffene leidet an einer chronisch-paranoiden Schizophrenie mit stabilem Wahnsystem. Seit 17.12.2001 besteht für ihn eine Betreuung mit den Aufgabenkreisen Aufenthaltsbestimmung und Gesundheitsfürsorge. Mit Beschluss vom 12.10.2004 genehmigte das Amtsgericht die vorläufige Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bis längstens 8.11.2004; am 4.11.2004 verlängerte es die einstweilige Genehmigung bis längstens 19.12.2004. Gegen die Verlängerung legte der Betroffene am 15.11.2004 sofortige Beschwerde ein.

Nach persönlicher Anhörung des Betroffenen im Beisein seines Betreuers und seiner Verfahrenspflegerin sowie eines sachverständigen Arztes hat das Landgericht die sofortige Beschwerde am 8.12.2004 zurückgewiesen. Am 16.12.2004 genehmigte das Amtsgericht nach Erholung eines weiteren psychiatrischen Sachverständigengutachtens und der persönlichen Anhörung des Betroffenen die Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bzw. der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung sowie die zeitweise oder regelmäßige Freiheitsentziehung des Betroffenen durch Fixierung der Extremitäten bei der gleichzeitig genehmigten Zwangsmedikation bis zum 15.12.2005.

Hiergegen wandte sich der Betroffene mit seiner sofortigen Beschwerde. Das Landgericht hat das Rechtsmittel nach schriftlicher Anhörung der von ihm bestellten Verfahrenspflegerin zum neuesten Sachverständigengutachten am 24.1.2005 zurückgewiesen.

Mit seiner sofortigen weiteren Beschwerde will der Betroffene die Aufhebung der Beschlüsse des Landgerichts und des Amtsgerichts erreichen.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig (§ 29 Abs. 2, § 27 Abs. 1, § 70m Abs. 1 FGG), hat aber in der Sache keinen Erfolg. Der angegriffene Beschluss des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) insoweit stand, als er die Genehmigung der geschlossenen Unterbringung betrifft. Soweit sich das Rechtsmittel gegen die Genehmigung der Fixierung der Extremitäten bei der gleichzeitig genehmigten Zwangsmedikation richtet, hat der Senat in der Sache entschieden.

1. Das Landgericht hat seine Entscheidung folgendermaßen begründet:

Die Voraussetzungen für eine geschlossene Unterbringung des Betroffenen lägen vor. Es seien sowohl die Voraussetzungen des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 als auch des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB gegeben. Der Betroffene leide an einer chronisch-paranoiden Schizophrenie mit stabilem Wahnsystem, welche den Ausschluss der freien Willensbildung zur Folge habe. Dies ergebe sich aus wiederholt erstellten psychiatrischen Sachverständigengutachten, zuletzt einem Gutachten vom 14.12.2004. Die Gutachten seien in sich logisch, schlüssig und für die Kammer in vollem Umfang nachvollziehbar. Die Wahnvorstellungen des Betroffenen seien auch bei der Anhörung durch die beauftragte Richterin am 3.12.2004 deutlich zu Tage getreten. Der Betroffene sei gänzlich krankheitsuneinsichtig und lehne eine regelmäßige und notwendige Medikation ab. Außerhalb einer geschlossenen Unterbringung würde er die notwendigen Medikamente nicht einnehmen. Jeder Versuch, die Medikation zu reduzieren, habe eine Zunahme der Wahnvorstellungen bewirkt. Der dann bestehende Zwang zu rituellen Handlungen habe bereits in der Vergangenheit zu gefährlichen Handlungen des Betroffenen geführt, mit welchen nach Ansicht des Sachverständigen auch in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit zu rechnen sei. So habe der Betroffene den Parkettboden seiner Wohnung mit glühenden Zigarettenkippen belegt und seine Jacke in einem Backofen verbrannt. Es bestehe daher die konkrete Gefahr, dass sich der Betroffene durch derartige Zwangshandlungen erheblich selbst gefährde, etwa durch Auslösen eines Wohnungsbrandes.

Doch sei die geschlossene Unterbringung auch unter dem Gesichtspunkt einer notwendigen Heilbehandlung erforderlich. Die chronisch-paranoide Schizophrenie würde sich ohne neuroleptische Behandlung verschlimmern und häufigere Schübe auslösen. Mit jedem erlittenen Schub werde die Krankheit aber schwieriger behandelbar und es entwickele sich ein immer stärkeres Residuum mit der Gefahr einer weiteren Zunahme der Chronifizierung der Krankheit. Die durch Nichtbehandlung eintretende Verschlimmerung der Krankheit sei eine gewichtige gesundheitliche Schädigung des Betroffenen. Da der Betroffene krankheitsbedingt zu einer freien Willensbestimmung und zu einer Einwilligung in die notwendige Behandlung nicht in der Lage sei, könne auch von einem selbstbestimmten Recht auf Krankheit nicht mehr gesprochen werden. Die Verlegung in eine offene Einrichtung komme wegen der Gefahr des jederzeitigen Behandlungsabbruchs durch den Betroffenen nicht in Betracht.

Die Kammer habe von einer neuerlichen Anhörung des Betroffenen abgesehen, da dieser am 3.12.2004 von der beauftragten Richterin im vorläufigen Genehmigungsverfahren und am 16.12.2004 vom zuständigen Amtsrichter persönlich angehört worden sei. Es sei nicht zu erwarten gewesen, dass eine weitere Anhörung der Kammer zu neuen Erkenntnissen verholfen hätte. Die Verfahrenspflegerin habe schriftlich Stellung genommen und mitgeteilt, der Betroffene halte eine weitere Anhörung ebenfalls nicht für erforderlich.

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung stand, (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO), soweit die geschlossene Unterbringung genehmigt worden ist.

a) Das Landgericht hat den Sachverhalt verfahrensfehlerfrei festgestellt. Es durfte ausnahmsweise von der erneuten Anhörung des Betroffenen absehen.

Grundsätzlich hat auch das Beschwerdegericht den Betroffenen persönlich anzuhören, § 70m Abs. 3, § 69g Abs. 5 Satz 1, § 68 Abs. 1 Satz 1 FGG. Hiervon darf es, abgesehen von den hier nicht gegebenen Fällen des § 68 Abs. 2 FGG, nur absehen, wenn das Amtsgericht den Betroffenen persönlich angehört hat und von der erneuten persönlichen Anhörung keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind, § 69g Abs. 5 Satz 3 FGG. In Unterbringungssachen ist nach h.M. wegen der Schwere des freiheitsentziehenden Eingriffs die Wiederholung der persönlichen Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren in der Regel geboten (BayObLG FamRZ 2001, 1646; FamRZ 2003, 1854 [Ls.] = Beschluss vom 29.1.2003 Az. 3Z BR 15/03; Beschluss vom 25.1.2005 Az. 3Z BR 264/04; OLG Hamm BtPrax 2001, 212; OLG Dresden Beschluss vom 25.10.1999 Az. 15 W 1620/99; Keidel/ Kayser FGG 15. Aufl. § 70m Rn. 17; Damrau/Zimmermann Betreuungsrecht 3. Aufl. § 70m FGG Rn. 28; Dodegge/Roth Betreuungsrecht Unterbringung G Rn. 236). Dies gilt vor allem dann, wenn die erstinstanzliche Anhörung erhebliche Verfahrensfehler aufweist, da dann nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Anhörung bei Beachtung der Verfahrensvorschriften zu einem anderen Ergebnis geführt hätte (vgl. BayObLGZ 1999, 12/13 und FamRZ 2001, 1646). Die Anhörung dient nicht nur der Gewährung des rechtlichen Gehörs, sondern soll das Gericht vor allem in die Lage versetzen, seine Kontrollfunktion gegenüber Gutachter und Zeugen wahrzunehmen (Dodegge/Roth aaO), besonders dann, wenn die Entscheidung vom persönlichen Eindruck des Betroffenen abhängt. Der Verschaffung eines persönlichen Eindruckes bedarf es nur dann nicht, wenn das Beschwerdegericht diesen aufgrund des erstinstanzlich niedergelegten Eindrucks nachvollziehen kann und keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind (Dodegge/Roth aaO mit weiteren Nachweisen).

Hier hatte das Amtsgericht die Anhörung nicht verfahrensfehlerfrei durchgeführt. Denn der Anspruch des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs bedeutet, dass ihm ein schriftliches Gutachten, das verwertet werden soll, in der Regel rechtzeitig vor der Anhörung in vollem Umfang zur Verfügung gestellt wird (BayObLGZ 2001, 219/220). Der Amtsrichter hatte demgegenüber dem Betroffenen bei der Anhörung lediglich das Ergebnis des Gutachtens mitgeteilt; das vollständige Gutachten hat erst das Landgericht der für die Beschwerdeinstanz bestellten Verfahrenspflegerin zugeleitet, die sich nach Rücksprache mit dem Betroffenen zu diesem Gutachten geäußert hat. Dem Betroffenen ist damit erst nachträglich die Möglichkeit einer Stellungnahme zu dem Gutachten eingeräumt und der Verfahrensmangel des fehlenden rechtlichen Gehörs geheilt worden. Aus der Stellungnahme der Verfahrenspflegerin ergibt sich zudem, dass der Betroffene auch nach Kenntnis des Gutachtens keine anderen Angaben zu seiner Behandlungsbereitschaft gemacht hat. Da außerdem das Landgericht erst anderthalb Monate zuvor den Betroffenen in dem vorläufigen Unterbringungsverfahren persönlich angehört und sich einen Eindruck von dem Betroffenen verschafft hatte, ist die Annahme des Landgerichts, von einer erneuten Anhörung seien keine neuen Erkenntnisse zu erwarten, ausnahmsweise nicht zu beanstanden.

b) Zu Recht hat das Landgericht auch die Voraussetzungen einer geschlossenen Unterbringung für den Betroffenen bejaht.

aa) Der Betreuer darf den Betroffenen freiheitsentziehend nur dann unterbringen, wenn ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht zusteht und das Vormundschaftsgericht die Unterbringung genehmigt (§ 1906 Abs. 2 Satz 1 BGB). Dieses erteilt die Genehmigung, solange sie zum Wohle des Betroffenen u.a. deshalb erforderlich ist, weil aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt (§ 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB) oder weil eine Untersuchung des Gesundheitszustandes, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig ist, der ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann, und der Betroffene auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann (§ 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Auch eine Unterbringung zur Verhinderung einer Selbstschädigung setzt voraus, dass der Betroffenen aufgrund seiner Krankheit seinen Willen nicht frei bestimmen kann. Dies sagt das Gesetz nicht ausdrücklich, ergibt sich aber aus einer verfassungskonformen Auslegung, denn der Staat hat von Verfassungs wegen nicht das Recht, seine erwachsenen und zur freien Willensbestimmung fähigen Bürger zu erziehen, zu bessern oder zu hindern, sich selbst gesundheitlich zu schädigen (BVerfGE 22, 180/219 f. = NJW 1967, 1795; BayObLGZ 1993, 18/19; BayObLG NJWE-FER 2001, 150; OLG München Beschluss vom 16.2.2005 Az. 33 Wx 6/05).

bb) Das Landgericht ist rechtsfehlerfrei zu der Annahme gelangt, der Betroffene leide an einer psychischen Krankheit, die zugleich seine Willensbildungsfreiheit aufhebe. Diese Feststellung ist gestützt auf die wiederholte und im konkreten Verfahren zeitnah durchgeführte Begutachtung des Betroffenen durch den behandelnden Arzt des Bezirkskrankenhauses, mit dessen Gutachten sich der ebenfalls dort tätige Oberarzt und Facharzt für Psychiatrie, an dessen Sachkunde keine Zweifel bestehen, einverstanden erklärt hat.

Die Würdigung von Sachverständigengutachten ist Sache der freien tatrichterlichen Beweiswürdigung und vom Rechtsbeschwerdegericht nur dahin nachprüfbar, ob der Tatrichter den Sachverhalt ausreichend ermittelt (§ 12 FGG) und bei der Erörterung des Beweisstoffes alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat (§ 25 FGG), ob seine Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt, ferner, ob die Beweisanforderungen vernachlässigt oder überspannt worden sind (BayObLG FamRZ 1994, 1617/1618). Insoweit sind Rechtsfehler des Beschwerdegerichts nicht zu erkennen. Das Beschwerdegericht hat sich mit der Krankheitsproblematik auseinandergesetzt und sich aufgrund der richterlichen Anhörung im vorläufigen Unterbringungsverfahren selbst einen Eindruck von der Diagnose verschafft.

cc) Das Landgericht hat auch ohne Rechtsverstoß eine konkrete, auf der psychischen Erkrankung beruhende erhebliche Gesundheits- bzw. Lebensgefahr für den Betroffenen bejaht. Eine solche Annahme setzt eine Prognose anhand von tatsächlichen Feststellungen voraus. Ob sich aus ihnen eine ernstliche und konkrete Gefahr ergibt, ist eine Frage der tatsächlichen Würdigung. Diese kann vom Rechtsbeschwerdegericht nur daraufhin überprüft werden, ob sie von irrigen Grundlagen ausgeht oder gegen Denkgesetze verstößt oder ob objektive Schlüsse gezogen werden, die mit einer feststehenden Auslegungsregel oder mit der allgemeinen Lebenserfahrung unvereinbar sind. Für eine einwandfreie Würdigung der Sachlage durch das Tatsachengericht genügt es, wenn der vom Tatsachengericht gezogene Schluss möglich, wenn auch nicht gerade zwingend ist, mag selbst eine andere Schlussfolgerung ebenso nahe oder noch näher gelegen haben. Mit der weiteren Beschwerde kann also nicht geltend gemacht werden, die tatsächlichen Folgerungen des Tatrichters seien nicht die einzig möglichen, nicht schlechthin zwingend (vgl. BayObLG FamRZ 1994, 1617/1618).

Rechtsfehler bei der tatsächlichen Würdigung sind bei den Ausführungen des Landgerichts nicht erkennbar. Das Landgericht hat nachvollziehbar und in sich logisch aus der gänzlich fehlenden Krankheitseinsicht und der daraus folgenden Ablehnung der notwendigen Medikation durch den Betroffenen den Schluss gezogen, dass der Betroffene krankheitsbedingt nicht in der Lage ist, eine kontinuierliche medikamentöse Behandlung mit zu tragen. Diese benötigt er aber nach wie vor; eine versuchsweise zeitnah vorgenommene Reduzierung der Medikation hat bei dem Betroffenen wieder eine Zunahme der Wahnsymptomatik bewirkt. Die Wahnsymptomatik aber löst bei dem Betroffenen einen Druck zur Begehung ritueller Handlungen aus, die in der Vergangenheit zu konkreten Brandgefahren und damit zu einer konkreten Gefährdung des Betroffenen selbst geführt haben. Unter diesen Umständen ist die Schlussfolgerung des Landgerichts nicht zu beanstanden, bei einer Entlassung des Betroffenen aus der geschlossenen Unterbringung werde dieser krankheitsbedingt die Medikation nicht weiter fortführen, so dass sich die Wahnsymptomatik wieder verschlimmere und die konkrete Gefahr erheblicher selbstgefährdender Handlungen bestehe. Soweit die Verfahrenspflegerin die Selbstgefährdung des Betroffenen wegen dessen Angabe verneinen will, er sei seit der Verbrennung seiner Jacke im Backofen kein Werkzeug der Geister mehr und frei, steht dies im Widerspruch zu der nachfolgenden Äußerung des Betroffenen bei seiner richterlichen Anhörung, er wolle sich zum spirituellen Weltmeister steigern. Das Landgericht hat sich in seinem Beschluss mit dieser Äußerung auseinander gesetzt und einen nachvollziehbaren Schluss gezogen.

dd) Die Unterbringung ist zudem auch zur Durchführung der Heilbehandlung geboten. Auch insoweit ist die Würdigung des Landgerichts, ohne Behandlung sei eine gewichtige und erhebliche Verschlimmerung des Krankheitsbildes und eine schwerwiegende gesundheitliche Schädigung zu erwarten, nicht zu beanstanden. Dass eine Chronifizierung des Krankheitsbildes bereits eingetreten ist, schließt die Notwendigkeit einer Behandlung nicht aus, da auch bei chronischen Krankheiten eine weitere Verschlimmerung eintreten kann, die zu irreversiblen Schäden führen kann. Diese Gefahr besteht konkret für den Betroffenen, da bei einer Nichtbehandlung die Entwicklung eines immer stärkeren Residuums mit erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen droht. Da er unter dem Einfluss seiner psychischen Erkrankung nicht mehr zu einer freien Willensbestimmung in der Lage ist, sondern von der Krankheit gesteuert wird, greift seine weitere Unterbringung zu Zwecken der Heilbehandlung auch nicht in sein "Recht auf Krankheit" ein, da dieses eine unbeeinflusste freie Selbstbestimmung und überlegte Wahl zwischen Krankheit und Behandlung voraussetzt.

dd) Die Unterbringung ist auch erforderlich. Eine weniger einschneidende Maßnahme ist nicht ersichtlich. Die Annahme des Landgerichts, wegen der strikten Ablehnung der Medikation durch den Betroffenen sei eine ambulante Behandlung nicht Erfolg versprechend, ist nicht zu beanstanden.

3a) Soweit sich die sofortige weitere Beschwerde gegen die Genehmigung der Fixierung zum Zweck der Zwangsmedikation richtet, fehlt im Beschluss des Landgerichts eine Stellungnahme und Begründung hierzu. Auch wenn sich die Beschwerdebegründung der Verfahrenspflegerin nicht ausdrücklich mit der Fixierung befasst, ergibt sich doch aus dem Antrag, die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts vollständig aufzuheben, dass der Betroffene sich auch gegen die Genehmigung dieser Zwangsmaßnahme wendet.

Trotz der fehlenden Begründung des Landgerichts ist die Sache nicht zu erneuter Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, weil der Senat wegen der vollständigen Sachverhaltsermittlung selbst in der Sache entscheiden kann.

b) Das Amtsgericht hat ausdrücklich die Fixierung der Extremitäten des Betroffenen zum Zweck der Zwangsmedikation genehmigt. Eine solche auf § 1906 Abs. 4 BGB gestützte Genehmigung der unterbringungsähnlichen Maßnahme zum Zweck der Heilbehandlung des Betroffenen ist erforderlich und geboten.

aa) Denn über die Unterbringung hinaus wird dem Betroffenen durch die Fixierung der Extremitäten zur Zwangsmedikation regelmäßig die Freiheit zur körperlichen Bewegungsfreiheit genommen, welche grundgesetzlich geschützt ist (vgl. BayObLGZ 1993, 209 = FamRZ 1994, 721; OLG Düsseldorf FamRZ 1995, 118; Damrau/Zimmermann Betreuungsrecht 3. Aufl. § 1906 Rn. 73; Marschner/Volckart Freiheitsentziehung und Unterbringung 4. Aufl. C § 1906 Rn. 49).

bb) Die Vorschrift des § 1906 Abs. 4 BGB stellt hierfür auch eine hinreichende Rechtsgrundlage dar. Wenn § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB unter den dort genannten weiteren Voraussetzungen zum Wohl des Betroffenen eine freiheitsentziehende Unterbringung zum Zweck medizinischer Untersuchungen oder Behandlungen zulässt, ist es folgerichtig, die im Rahmen der Untersuchung oder Behandlung notwendigen Eingriffe, soweit geboten, gegen den Widerstand des einwilligungsunfähigen Patienten durch eine der in § 1906 Abs. 4 BGB genannten Maßnahmen durchzusetzen, z.B. durch Fixierung zum Zweck der Verabreichung einer Infusion oder Spritze (Damrau/Zimmermann Rn 70; Knittel BtG Rn. 22c, jeweils zu § 1906 BGB; vgl. auch MünchKomm/Schwab BGB 4. Aufl. Rn. 48 und Erman/Roth BGB 11. Aufl. Rn. 39, jeweils zu § 1906 BGB).

Dem steht auch nicht die Entscheidung des BGH (Z 145, 297 = FamRZ 2001,149) zur Unzulässigkeit einer ambulanten Zwangsmedikation entgegen (so aber OLG Jena RuP 2003, 29 m. zust. Anm. Marschner). Denn dieser Beschluss befasst sich gerade nicht mit der Behandlung eines bereits untergebrachten Patienten. Der BGH hatte darin betont, dass im entschiedenen Sachverhalt mangels Unterbringung des Betroffenen kein Fall des § 1906 Abs. 4 BGB vorliege und auch die jeweilige Behandlung - nach zwangsweiser Zuführung - ohne körperlichen Zwang stattfinde. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, dass Zwangsmaßnahmen zu einer notwendigen medizinischen Untersuchung oder Behandlung im Rahmen einer bestehenden Unterbringung nicht auf § 1906 Abs. 4 BGB gestützt werden könnten.

Der Senat sieht keinen Anlass, die Sache dem BGH nach § 28 Abs. 2 FGG vorzulegen. Das OLG Jena hat zu der hier entscheidungserheblichen Frage lediglich ausgeführt, der Einsatz von physischer Gewalt zur Durchführung einer Zwangsbehandlung sei im Betreuungsrecht nicht ausdrücklich geregelt und ein Rückgriff auf § 1906 Abs. 1, 4 BGB sei im Hinblick auf die zitierte BGH-Entscheidung, ausgeschlossen.

Dies widersprich jedoch den Ausführungen des BGH, der in seiner Entscheidung zum Ausdruck gebracht hat, dass er den Einsatz von Zwangsmitteln zu einer vom Unterbringungszweck umfassten Behandlung nicht für generell ausgeschlossen hält (vgl. hierzu auch OLG Schleswig BtPrax 2002, 126 und BtPrax 2003, 223und Dodegge, Betreuungsrecht G Rn. 29 in Fn. 97).

cc) Die Genehmigung ist hier zu Recht erteilt worden. Ohne die Fixierung ist die für den Betroffenen gebotene Behandlung nicht möglich, weil er die Medikation krankheitsbedingt ablehnt. Wie dargelegt, drohen ihm ohne die Behandlung schwere gesundheitliche Schäden. Die Fixierung zum Zwecke der notwendigen Behandlung ist auch verhältnismäßig, da sie auf die Zeit der Zwangsmedikation, die der Abwehr schwerwiegender gesundheitlicher Schäden dient, beschränkt ist.

Ende der Entscheidung

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