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Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 13.04.2006
Aktenzeichen: 33 Wx 41/06
Rechtsgebiete: BGB
Vorschriften:
BGB § 1906 Abs. 1 Nr. 1 |
Gründe:
I.
Für die Betroffene, die nach mehreren Hirninfarkten an einem fortgeschrittenen dementiellen Syndrom leidet, wurde im Januar 2001 zunächst ihre Tochter zur Betreuerin bestellt. Nach deren Entlassung auf eigenen Wunsch übertrug das Vormundschaftsgericht am 4.7.2002 die Betreuung ihrem Sohn. Der Aufgabenkreis umfasst u. a. die Aufenthaltsbestimmung einschließlich der Entscheidung über die geschlossene Unterbringung und die Sorge für die ambulante und stationäre Heilbehandlung sowie ferner "Abschluss, Änderung, Kontrolle der Einhaltung des Heimvertrages". Die Betroffene hält sich seit März 2001 im "Seniorenpark A. P.V." in G. auf; sie war von Anfang an mit richterlicher Genehmigung geschlossen untergebracht.
Mit Beschluss vom 25.11.2003 verlängerte das Vormundschaftsgericht die Betreuung und legte als spätesten Überprüfungstermin den 24.11.2008 fest. Zugleich verlängerte es die erteilte Genehmigung der Unterbringung der Betreuten in der geschlossenen Abteilung eines Altersheimes bis längstens 17.11.2004. Ein entsprechender weiterer Genehmigungsbeschluss erging am 19.11.2004, befristet bis 18.11.2005.
Am 6.12.2005 lehnte das Vormundschaftsgericht die weitere Genehmigung der geschlossenen Unterbringung der Betroffenen ab, weil die Voraussetzungen des § 1906 Abs. 1 BGB nicht vorlägen. Eine solche Maßnahme sei im Lichte der verfassungsrechtlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung nicht verhältnismäßig, weil es an der Erforderlichkeit fehle. Die richterliche Anhörung habe ergeben, dass die Betroffene ihren gewohnten Bereich nicht verlassen wolle. Das entgegenstehende Gutachten des Sachverständigen Dr. N. vom 24.11.2005 sei nicht hinreichend aussagekräftig. Das Heim müsse die Betroffene gegebenenfalls "halboffen" unterbringen. Das Gericht ordnete die sofortige Wirksamkeit seiner Entscheidung an.
Am 7.12.2005 legte der Betreuer Beschwerde hiergegen ein. Die Betroffene sei verwirrt, desorientiert und sehr unruhig. Sie bedürfe ständiger Beaufsichtigung. Könnte sie sich von der Station unbemerkt entfernen, würde sie sich hierdurch gesundheitlich erheblich gefährden. Deshalb stelle er einen "Eilantrag zur weiteren beschützenden Unterbringung" der Betroffenen. Mit Beschluss vom 16.12.2005 genehmigte das Landgericht die vorläufige Unterbringung der Betroffenen in der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung bis längstens 25.1.2006. Eine sofortige weitere Beschwerde hiergegen wies der Senat mit Beschluss vom 20.1.2006 zurück.
Nach Anhörung der Betroffenen hob das Landgericht mit Beschluss vom 24.1.2006 den amtsgerichtlichen Beschluss vom 6.12.2005 auf und genehmigte die Unterbringung der Betroffenen in der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung bis längstens 19.1.2008. Hiergegen legte die Verfahrenspflegerin am 8.2.2006 sofortige weitere Beschwerde ein mit dem Ziel der Aufhebung der Unterbringungsgenehmigung.
II.
Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Das Landgericht hat in seiner Entscheidung ausgeführt:
Die Voraussetzungen für die Genehmigung einer Unterbringung in der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung seien erfüllt. Nach dem Gutachten des Sachverständigen vom 24.11.2005 leide die Betroffene an einem fortgeschrittenen dementiellen Syndrom bei schwerer vaskulärer Demenz. Aufgrund dieser Erkrankung sei ihre freie Willensbestimmung ausgeschlossen.
Die geschlossene Unterbringung sei erforderlich, weil die Betroffene auf einer offenen Station mit hoher Wahrscheinlichkeit das Pflegeheim verlassen und sich dann erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügen würde. Es lägen ausreichende Anhaltspunkte für eine ernstliche und konkrete Gefahr für die Betroffene vor. Die Betroffene leide an erheblichen kognitiven Defiziten und sei nicht in der Lage, sich zu orientieren. Bei der sehr mobilen Betroffenen lägen erhebliche Weglauftendenzen vor. Dies ergebe sich aus verschiedenen in der richterlichen Anhörung dargelegten Vorfällen. Die Unterbringung sei auch verhältnismäßig. Ein Weglaufen der Betroffenen könne auch nicht durch eine Beaufsichtigung seitens des Heimpersonals verhindert werden. Es sei kein Personal vorhanden, um die Betroffene, wenn sie die Station verlassen würde, zu begleiten und zu beaufsichtigen.
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) stand.
a) Der Betreuer darf den Betroffenen freiheitsentziehend nur dann unterbringen, wenn ihm die Aufenthaltsbestimmung zusteht und das Vormundschaftsgericht die Unterbringung genehmigt (§ 1906 Abs. 2 Satz 1 BGB). Dieses muss die Genehmigung erteilen, solange sie zum Wohl des Betroffenen u.a. deshalb erforderlich ist, weil aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt (§ 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB) oder weil eine Untersuchung des Gesundheitszustandes, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig ist, der ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann und der Betroffene auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann (§ 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Auch eine Unterbringung zur Verhinderung einer Selbstschädigung infolge psychischer Erkrankung setzt voraus, dass der Betroffene aufgrund der Krankheit seinen Willen nicht frei bestimmen kann. Dies sagt das Gesetz nicht ausdrücklich, ergibt sich aber aus einer verfassungskonformen Auslegung, denn der Staat hat von Verfassungs wegen nicht das Recht, seine erwachsenen und zur freien Willensbestimmung fähigen Bürger zu erziehen, zu bessern oder zu hindern, sich selbst gesundheitlich zu schädigen (BVerfGE 22, 180/ 219 f. = NJW 1967, 1795; BayObLGZ 1993, 18/19; BayObLG NJWE-FER 2001, 150). Die Erforderlichkeit der Unterbringung ist einer strengen Prüfung am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu unterziehen, weil die Freiheit der Person ein so hohes Rechtsgut darstellt, dass sie nur aus besonders gewichtigen Gründen angetastet werden darf (BVerfG NJW 1998, 1774/1795; BayObLGZ 1999, 24 = FamRZ 1999, 794).
b) Dass die Betroffene aufgrund ihrer fortgeschrittenen Demenz an einer schweren psychischen Krankheit leidet, die auch ihre freie Willensbestimmung hinsichtlich ihres Aufenthalts ausschließt, steht fest aufgrund der überzeugenden Ausführungen des als Arzt für Psychiatrie ausgewiesenen Sachverständigen im Gutachten vom 24.11.2005 und wird auch von der Verfahrenspflegerin nicht in Zweifel gezogen.
c) Das Landgericht hat ohne Rechtsverstoß eine konkrete, auf ihrer psychischen Erkrankung beruhende Gesundheits- bzw. Lebensgefahr für die Betroffene bejaht. Eine solche Annahme setzt eine Prognose anhand von tatsächlichen Feststellungen voraus. Ob sich aus ihnen eine ernstliche und konkrete Gefahr ergibt, ist eine Frage der tatsächlichen Würdigung. Diese kann vom Rechtsbeschwerdegericht nur daraufhin überprüft werden, ob sie von irrigen rechtlichen Grundlagen ausgeht oder gegen Denkgesetze verstößt oder ob objektive Schlüsse gezogen werden, die mit einer feststehenden Auslegungsregel oder mit der allgemeinen Lebenserfahrung unvereinbar sind, etwa wenn das Gericht die Beweisanforderungen überspannt oder vernachlässigt. Für eine einwandfreie Würdigung der Sachlage durch das Tatsachengericht bedarf es nicht immer eines ausdrücklichen Eingehens auf jedes einzelne Vorbringen der Beteiligten; es muss sich nur ergeben, dass eine sachentsprechende Beurteilung überhaupt stattgefunden hat. In diesem Rahmen genügt es, wenn der vom Tatsachengericht gezogene Schluss möglich, wenn auch nicht gerade zwingend ist, mag selbst eine andere Schlussfolgerung ebenso nahe oder noch näher gelegen haben. Mit der weiteren Beschwerde kann also nicht geltend gemacht werden, die tatsächlichen Folgerungen des Tatrichters seien nicht die einzig möglichen, nicht schlechthin zwingend (vgl. BayObLG FamRZ 1994, 1617/1618 m.w.N.).
Diese Einschränkungen bei der Überprüfung von Tatsachenfeststellungen des Beschwerdegerichts ergeben sich aus dem Charakter des Verfahrens der sofortigen weiteren Beschwerde als einer reinen Rechtsüberprüfungsinstanz (§ 27 Abs. 1 Satz 1 FGG). Auch unter Berücksichtigung des Verfassungsrechts ist diese grundsätzliche Einschränkung in der Überprüfung - die in vergleichbarer Form auch für die strafprozessuale Revision besteht (vgl. § 337 Abs. 1 StPO) - nicht zu beanstanden. Art. 19 Abs. 4 GG gibt keinen Anspruch auf eine weitere Instanz (vgl. BVerfG NJW 1997, 2163/2164; st.Rspr.). Also ist auch eine erneute Prüfung der tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen durch das Revisionsgericht bzw. das Gericht der sofortigen weiteren Beschwerde von Verfassungs wegen nicht geboten (vgl. für das Strafprozessrecht BVerfG NJW 2000, 3557/3558).
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin gilt die Einschränkung in der Überprüfung von Tatsachenfeststellungen im Unterbringungsverfahren im Übrigen aber nicht für das Gericht der Erstbeschwerde. Das Landgericht als weitere Tatsacheninstanz hat gemäß § 70m Abs. 3, § 69g Abs. 5, § 12 FGG den Sachverhalt vielmehr - soweit noch nicht erfolgt - selbst umfassend aufzuklären.
Im vorliegenden Fall steht außer Zweifel, dass die Betroffene - würde sie unbeaufsichtigt die Einrichtung verlassen - sich durch ihre völlige Verwirrtheit erheblichen und lebensbedrohenden Gefährdungen aussetzen würde, sowohl im Straßenverkehr wie auch angesichts der Witterungsverhältnisse insbesondere bei unangemessener Kleidung.
Das Beschwerdevorbringen stellt in Frage, ob bei der Betroffenen überhaupt hinreichender Antrieb besteht, die Einrichtung zu verlassen, weshalb eine geschlossene Unterbringung nicht erforderlich sei.
Das Landgericht hat sich in seinem Beschluss ausführlich mit den im Rahmen der Anhörung vom 17.1.2006 erörterten Vorfällen und auch mit den Einwänden der Verfahrenspflegerin auseinandergesetzt und ist beanstandungsfrei zu dem Schluss gelangt, es bestehe eine ernsthafte und konkrete Gefahr, dass die Betroffene - wenn sie nicht daran gehindert würde - die Einrichtung verlassen würde.
Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, es müsse nachgewiesen werden, dass die Betroffene nicht nur den geschlossenen Wohnbereich, sondern auch das Heim verlassen hat, verlangt sie letztlich, dass die Gefahr bereits eingetreten sein muss, bevor Maßnahmen ergriffen werden können. Damit werden die Anforderungen überspannt. Bei einer lebensnahen Würdigung des erkennbaren Sachverhalts durfte das Landgericht aus dem geschilderten Verhalten der Betroffenen den Schluss ziehen, dass die Betroffene mit erheblicher Wahrscheinlichkeit die Einrichtung verlassen würde, wenn ihr hierzu eine Gelegenheit gegeben würde. Im Hinblick auf die krankheitsbedingt fehlende Orientierung der Betroffenen sind ihre Reaktionen - wenn sie erst einmal den geschlossenen Bereich verlassen hat - offensichtlich nicht kalkulierbar. Es ist daher dem bloßen Zufall überlassen, ob sie dann nach draußen geht oder nicht. Das Beschwerdevorbringen kann vor diesem Hintergrund auch nicht damit argumentieren, bei der vorherigen Anhörung am 2.12.2005 hätten sich keine hinreichenden Anhaltspunkte für einen solchen Impuls ergeben. Derartigen punktuellen Wahrnehmungen - noch dazu unter besonderen Bedingungen - kommt keine hinreichende Aussagekraft zu. Das Landgericht durfte im Übrigen auch den Vorfall vom 14.12.2005 in seine Beurteilung einbeziehen, auch wenn zu dieser Zeit eine Unterbringungsgenehmigung nicht vorlag. Die rechtliche Situation war der Betroffenen krankheitsbedingt nicht bewusst, so dass sie ihr Verhalten (auch wenn es - wie die Beschwerdeführerin formuliert - ihr "gutes Recht" war) nicht darauf einstellen konnte. Der Vorfall kann daher für die vom Landgericht zu treffende Prognoseentscheidung als Anknüpfungspunkt für Reaktionen und Verhaltensweisen der Betroffenen sehr wohl herangezogen werden.
d) Die Unterbringungsgenehmigung ist auch verhältnismäßig. Das Landgericht hat auf der Grundlage des Ergebnisses der Anhörung überzeugend ausgeführt, dass eine "offene" Unterbringung der Betroffenen in Form einer ständigen Begleitung und Beaufsichtigung bei Verlassen der Einrichtung schon aufgrund der Personalsituation im Heim nicht möglich ist. Auch in anderen Einrichtungen dürfte das nicht in Betracht kommen. Im Übrigen wird auf die Ausführungen des Senats im Beschluss vom 20.1.2006 im Hinblick auf die Unterbringung anderer Personen im geschlossenen Wohnbereich des "Seniorenparks" Bezug genommen.
e) Die vom Landgericht bestätigte Höchstdauer der geschlossenen Unterbringung auf zwei Jahre ist vom Gesetz gedeckt.
Wird über die regelmäßige Höchstfrist der geschlossenen Unterbringung von einem Jahr (§ 70f Abs. 1 Nr. 3 FGG) hinaus eine Unterbringung von zwei Jahren genehmigt, ist diese Abweichung vom Regelfall im Hinblick auf den hohen Rang des Rechts auf Freiheit der Person ausreichend zu begründen (vgl. OLG München BtPrax 2005, 113/115; BayObLG FamRZ 2002, 629; NJW-RR 2005, 1314).
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin hat das Landgericht die Dauer der Unterbringung sehr wohl begründet. Es hat sich beanstandungsfrei auf die Aussage des Sachverständigen gestützt, dass bei der Krankheit der Betroffenen keine Aussicht auf Besserung oder Heilung bestehe.
Dass die geschlossene Unterbringung jederzeit zu beenden ist, wenn sie sich durch die weitere Entwicklung (z.B. eine vom Sachverständigen erwähnte evt. eintretende starke Beeinträchtigung der Mobilität) als nicht mehr notwendig erweisen sollte, bedarf keiner besonderen Hervorhebung.
Ende der Entscheidung
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