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Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 04.07.2006
Aktenzeichen: 33 Wx 60/06
Rechtsgebiete: VBVG
Vorschriften:
VBVG § 5 |
Gründe:
I.
Für den mittellosen Betreuten ist seit 15.6.2004 der Beschwerdeführer als Berufsbetreuer mit den Aufgabenkreisen Sorge für die Gesundheit; Sorge für das Vermögen; Regelung von Aufenthaltsangelegenheiten; Vertretung gegenüber Dritten, insbesondere Behörden, Krankenkassen, Heimen und ähnlichen Einrichtungen; Unterbringung einschließlich unterbringungsähnlicher Maßnahmen. Von 9.11.2004 bis 27.1.2006 befand sich der Betroffene in Strafhaft, anschließend vorübergehend im Bezirkskrankenhaus und nunmehr in einer sozialtherapeutischen Einrichtung der AWO. Für die Zeit vom 1.7.2005 bis 30.9.2005 machte der Betreuer einen Aufwand von 3,5 Stunden pro Monat zu je 44 EUR, insgesamt 462 EUR geltend, den er ergänzend begründete. Das Amtsgericht hat dem Beschwerdeführer eine Vergütung für 6 Stunden zu je 44 EUR, insgesamt 264 EUR zugebilligt und den Antrag im Übrigen zurückgewiesen, da der Betroffene im fraglichen Zeitraum in einem Heim im Sinne des § 5 VBVG untergebracht gewesen sei. Gegen diesen Beschluss legte der Betreuer fristgerecht sofortige Beschwerde ein mit der Begründung, dass die Justizvollzugsanstalt kein Heim im Sinne des § 5 VBVG darstelle und der Betroffene dort auch keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet habe. Mit Beschluss vom 13.2.2006 wies das Landgericht die sofortige Beschwerde zurück. Mit der zugelassenen, form- und fristgerecht eingelegten sofortigen weiteren Beschwerde verfolgt der Betreuer sein Ziel weiter, der Vergütungsberechnung einen Stundenansatz von 3,5 statt lediglich von 2 Stunden pro Monat zugrunde zu legen.
II.
Das statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Rechtsmittel ist nicht begründet.
1. Das Landgericht hat in seiner Entscheidung ausgeführt:
Der dem Betreuer zu vergütende Stundenansatz betrage bei dem mittellosen Betreuten gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VBVG nur 2 Stunden pro Monat. Zwar handele es sich bei einer Justizvollzugsanstalt nicht um ein Heim im engeren Sinne, da dem Betreuten keine tatsächliche Betreuung im Sinne des § 5 Abs. 3 VBVG zuteil werde. Die Justizvollzugsanstalt sei jedoch hinsichtlich des dem Betreuer entstehenden Aufwandes einem Heim gleichzustellen. Der Grund für den geringeren Stundenansatz für einen Heimaufenthalt treffe auch für den Aufenthalt in einer Justizvollzugsanstalt zu. Während dieser Zeit entstehe dem Betreuer im Aufgabenkreis Regelung von Aufenthaltsangelegenheiten kein höherer Aufwand als bei einem Heimaufenthalt, da der Betreuer sich nicht um eine Unterkunft des Betroffenen kümmern müsse. Das gelte auch für den Aufgabenkreis der Gesundheitsfürsorge, da der Gefangene nach §§ 58 ff. StVollzG Anspruch auf Krankenbehandlung habe. Wie bei einem Heimaufenthalt verbleibe im Wesentlichen der Aufwand für den Aufgabenkreis Vermögenssorge. Der Betroffene habe auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 2 VBVG in der Justizvollzugsanstalt. Nach § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I, der hier herangezogen werden könne, habe jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort und in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Bei einer Haftdauer von rund 14 Monaten sei - anders als bei einer kurzzeitigen Freiheitsstrafe - von einem gewöhnlichen Aufenthalt auszugehen.
2. Dies hält rechtlicher Überprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) im Ergebnis stand.
a) Die Vergütung des Betreuers richtet sich in dem hier zu beurteilenden Zeitraum nach §§ 4, 5 VBVG. Die Höhe des dem Betreuer zu bewilligenden Stundensatzes steht mit 44 EUR pro Stunde außer Streit.
§ 5 VBVG ersetzt den bisherigen Einzelnachweis der aufgewendeten Betreuungszeit durch ein System der Pauschalierung, das nach der Intention des Gesetzgebers einfach, streitvermeidend, an der Realität orientiert und für Berufsbetreuer auskömmlich ist (BT-Drucks. 15/2494 S. 31). Dabei kommt es nicht auf die Auskömmlichkeit im jeweiligen Einzelfall an, sondern auf die Angemessenheit der Vergütung bei einer Mischkalkulation aus aufwendigen und weniger aufwendigen Fällen (aaO S. 33). Hinsichtlich des Zeitaufwandes unterscheidet das Gesetz zwischen mittellosen (§ 5 Abs. 2 VBVG) und nicht mittellosen Betreuten (§ 5 Abs. 1 VBVG), wobei es bei vermögenden Betreuten einen höheren Betreuungsaufwand in Ansatz bringt. Innerhalb der jeweiligen Fallgruppe geht der Gesetzgeber aufgrund der Auswertungen von 1.808 Betreuungsakten durch das Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (ISG) davon aus, dass die Betreuung eines nicht in einem Heim wohnenden Betroffenen mehr Zeit erfordert als die eines Heimbewohners (BT-Drucks. 15/2494 S. 32, wobei dort von einer "Einrichtung" die Rede ist).
b) Für einen mittellosen Betreuten, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Heim hat, beträgt der Stundenansatz, sofern die Betreuung seit mehr als 12 Monaten besteht, 2 Stunden im Monat; hat der mittellose Betreute seinen gewöhnlichen Aufenthalt bei sonst gleich bleibenden Voraussetzungen nicht in einem Heim, liegt der Stundenansatz für die Vergütung des Betreuers gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 VBVG bei 3,5 Stunden im Monat. Die entscheidende, vom Landgericht und von dem Betreuer unterschiedlich beantwortete Frage lautet daher, ob der Betreute durch seine rund 14-monatige Strafhaft einen gewöhnlichen Aufenthalt in der Justizvollzugsanstalt begründet hat und ob diese als Heim im Sinne des Vergütungsrechts anzusehen ist.
aa) Heime im Sinne des Vergütungsrechts sind nach § 5 Abs. 3 Satz 1 VBVG Einrichtungen, die dem Zweck dienen, Volljährige aufzunehmen, ihnen Wohnraum zu überlassen sowie tatsächliche Betreuung und Verpflegung zur Verfügung zu stellen oder vorzuhalten, und die in ihrem Bestand von Wechsel und Zahl der Bewohner unabhängig sind und entgeltlich betrieben werden. Vom Wortlaut der Bestimmung werden auch Einrichtungen des Strafvollzuges erfasst (so auch BtKomm/Dodegge BtG 2. Aufl. F Rn. 126; Fröschle Betreuungsrecht 2005 Rn. 294; Deinert/Lütgens Die Vergütung des Betreuers Rn. 962), wobei allenfalls das Merkmal der Entgeltlichkeit fraglich sein kann, im Hinblick auf § 50 StVollzG jedoch zu bejahen ist (Fröschle aaO). Dem Gefangenen wird umfangreiche soziale, gesundheitliche, weltanschauliche und tatsächliche Fürsorge zuteil (§§ 17 ff, §§ 56 ff, § 71 StVollzG). Der Senat hat daher, anders als das Landgericht, keine Zweifel, dass auch in einer Justizvollzugsanstalt tatsächliche Betreuung stattfindet, wenn auch mit einer angesichts der Orientierung am Vollzugsziel andersartigen Ausrichtung als in klassischen Heimen.
bb) Der reduzierte Stundenansatz des § 5 Abs. 2 Satz 1 VBVG greift nur ein, wenn der Betreute in dem Heim seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Anders als den Heimbegriff definiert das Vergütungsrecht das Merkmal des gewöhnlichen Aufenthalts nicht.
Nach der für das Sozialrecht allgemein geltenden Definition des § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Zur Begründung eines "gewöhnlichen Aufenthalts" ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein dauerhafter oder längerer Aufenthalt nicht erforderlich; es genügt vielmehr, dass der Betreffende sich an dem Ort oder in dem Gebiet "bis auf Weiteres" im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhält und dort den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat (BVerwG JAmt 2006, 35; vgl auch Urteile vom 26. September 2002 - 5 C 46.01 = Buchholz 436.511 § 86 KJHG/SGB VIII Nr. 1 und vom 18. März 1999 - 5 C 11.98 = Buchholz 436.0 § 107 BSHG Nr. 1).
Teilweise übereinstimmend ist der Begriff in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs insbesondere im Zusammenhang des Internationalen Privatrechts wie folgt umschrieben worden (vgl. z.B. BGH FamRZ 1993, 798 zu Art 14 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB; BGHZ 78, 293 = FamRZ 1981, 135 zum Haager Minderjährigenschutzabkommen; Palandt/Heldrich BGB 65. Aufl. Art. 5 EGBGB Rn. 10 m.w.N.):
Unter dem gewöhnlichen Aufenthalt ist der Ort oder das Land zu verstehen, "in dem der Schwerpunkt der Bindungen der betreffenden Person, ihr Daseinsmittelpunkt liegt. Zu fordern ist nicht nur ein Aufenthalt von einer Dauer, die zum Unterschied von dem einfachen oder schlichten Aufenthalt nicht nur gering sein darf, sondern auch das Vorhandensein weiterer Beziehungen, insbesondere in familiärer oder beruflicher Hinsicht, in denen - im Vergleich zu einem sonst in Betracht kommenden Aufenthaltsort - der Schwerpunkt der Bindungen der betreffenden Person zu sehen ist (BGH FamRZ 1993, 798). Vom Wohnsitz unterscheidet sich der gewöhnliche Aufenthalt dadurch, dass der Wille, den Aufenthaltsort zum Mittelpunkt oder Schwerpunkt der Lebensverhältnisse zu machen, nicht erforderlich ist. Es handelt sich um einen "faktischen" Wohnsitz, der ebenso wie der gewillkürte Wohnsitz Daseinsmittelpunkt sein muss (BGH aaO und FamRZ 1975, 272 = NJW 1975, 1068 m.w.N.).
Das Merkmal der - vom BGH anders als vom BVerwG vorausgesetzten - nicht nur geringen Dauer des Aufenthalts bedeutet dabei nicht, dass im Falle eines Wechsels des Aufenthaltsorts ein neuer gewöhnlicher Aufenthalt immer erst nach Ablauf einer entsprechenden Zeitspanne begründet werden könnte und bis dahin der frühere gewöhnliche Aufenthalt fortbestehen würde. Der gewöhnliche Aufenthalt an einem Ort wird vielmehr grundsätzlich schon dann begründet, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass der Aufenthalt an diesem Ort auf eine längere Zeitdauer angelegt ist und der neue Aufenthaltsort künftig anstelle des bisherigen Daseinsmittelpunkt sein soll (BGH FamRZ 1981, 135 m.w.N.)
Eine solchermaßen nicht auf einen (rechtsgeschäftlichen) Willen, sondern auf objektive Kriterien abstellende Definition erscheint auch im hier maßgeblichen Zusammenhang geeignet, da der Betreute - auch außerhalb strafvollzuglicher Maßnahmen - nicht selbständig über seinen Aufenthalt bestimmt, sondern hierfür der Betreuer zuständig ist, soweit seine Aufgabenkreise das Aufenthaltsbestimmungsrecht umfassen.
Ein Strafgefangener kann danach grundsätzlich seinen Daseinsmittelpunkt und damit seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einer JVA haben. Zwar begründet nach wohl überwiegender Auffassung im Zivilrecht das zwangsweise Verbringen oder Verbleiben (z.B. durch Strafhaft oder Kriegsgefangenschaft) grundsätzlich keinen gewöhnlichen Aufenthalt an dem jeweiligen Ort (BayObLG Beschluss vom 9. Januar 2003 - 3Z AR 47/02 zit. nach Juris; OLG Köln FamRZ 1996, 946; Palandt/Heldrich a.a.O. m.w.N.; anders für die Strafhaft wohl OLG Düsseldorf MDR 1969, 143). Jedoch kann dies nicht gelten, wenn der Betroffene keinen anderen Daseinsmittelpunkt als den Ort der Haft oder der sonstigen zwangsweisen Unterbringung hat (BayObLG aaO). Das wird jedenfalls dann anzunehmen sein, wenn er über keinen weiteren Schwerpunkt seiner Lebensbeziehungen verfügt, weil etwa seine bisherige Wohnung aufgelöst wurde und er daher auch nach seiner Entlassung nicht an einen Ort zurückkehren kann, an dem er sich früher gewöhnlich aufhielt. Trifft diese Voraussetzung zu, ist der Ort der JVA von Anfang an als gewöhnlicher Aufenthalt des Gefangenen anzusehen. Der Senat teilt deshalb im Ergebnis die Auffassung des Landgerichts, dass der Betreute seinen gewöhnlichen Aufenthalt während der 14-monatigen Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt hatte.
Der Betroffene hatte seine frühere Wohnung aufgegeben; eine Rückkehr dorthin nach der Haft war weder beabsichtigt noch möglich. Allein das Einstellen seiner Möbel im Haus der Eltern konnte dort keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründen. Der Betroffene hatte sich nach Angaben des Betreuers dort zuletzt nicht dauerhaft und mit späterer Rückkehrabsicht aufgehalten, sondern nur an einigen Tagen, in denen er vor Haftantritt nicht mehr in die zuletzt genutzte Wohnung hinein konnte. Damit hatte er während seiner Haftzeit keinen anderen Daseinsmittelpunkt als die JVA, weshalb diese als Ort des gewöhnlichen Aufenthalts anzusehen war.
Ende der Entscheidung
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