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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 04.08.2005
Aktenzeichen: 33 Wx 81/05
Rechtsgebiete: FGG


Vorschriften:

FGG § 34 Abs. 1
Ohne konkrete Anhaltspunkte geäußerte Verdächtigungen, ein Betreuer missbrauche seine Stellung zur Verschiebung von Vermögenswerten des Betreuten in sein eigenes Vermögen und schmälere dadurch Erbansprüche, können ein Recht auf Akteneinsicht in die Betreuungsakten nicht begründen.
Tatbestand:

Für die Betroffene bestellte das Amtsgericht durch einstweilige Anordnung am 21.10.2002 die jetzige Betreuerin für den Aufgabenkreis Grundstücksverkauf sowie Anlage eines Kontos für den Erlös aus dem Verkauf. Die Betreuerin verkaufte das Wohnanwesen der Betroffenen und legte das Geld auf einem Konto an. Am 28.3.2003 bestellte das Amtsgericht die jetzige Betreuerin und die weitere Beteiligte, beide Töchter der Betroffenen, zu endgültigen Betreuerinnen für die Aufgabenkreise Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge, Vermögenssorge sowie Abschluss, Änderung und Kontrolle der Einhaltung des Heim-, Pflegevertrages.

Mit Schreiben vom 28.4.2003 legte die jetzige Betreuerin Beschwerde mit dem Ziel ein, zur alleinigen Betreuerin bestellt zu werden, da eine gemeinsame Betreuung zusammen mit der Beteiligten wegen bestehender Differenzen unmöglich sei. Das Amtsgericht entließ die Beteiligte durch Beschluss vom 1.7.2003 gegen ihren Willen. Der sofortigen Beschwerde der Beteiligten gegen diesen Beschluss gab das Landgericht nicht statt. Die hiergegen eingelegte sofortige weitere Beschwerde hat das Bayerische Oberste Landesgericht am 22.10.2003 zurückgewiesen. Zwei weitere Anträge auf Abberufung der Betreuerin und Bestellung eines neutralen Berufsbetreuers sowie die Bestellung eines Gegenbetreuers lehnte das Amtsgericht am 16.12.2003 ab.

Mit Schreiben vom 21.1.2005 wandte sich die Beteiligte an das Amtsgericht mit der Bitte, ihr Auskunft über das Schicksal ihrer Mutter zu geben, da sich alle Angehörigen in Schweigen hüllen würden. Sie habe nur durch Zufall erfahren, dass die Betroffene Ende 2004 im Krankenhaus gewesen sei. Auch habe die Betreuerin ihr keine Auskunft erteilt, wie viel von dem Verkaufserlös noch vorhanden sei. Mit Schriftsatz vom 10.2.2005 beantragte die Beteiligte Einsicht in die Betreuungsakten mit der Begründung, sie habe als Tochter der Betroffenen ein berechtigtes Interesse zu erfahren, wie es ihrer Mutter gesundheitlich und finanziell gehe. Da sie jahrelang vor Einrichtung der Betreuung alle Angelegenheiten für ihre Mutter erledigt habe, wolle sie sich vergewissern, ob dies auch jetzt noch gewährleistet sei. Sie habe ein tatsächliches persönliches und wirtschaftliches Interesse, die vollständigen Akten zur Kenntnis zu nehmen. Die Betreuerin widersprach der Gewährung von Akteneinsicht. Die Beteiligte könne jederzeit die Betroffene besuchen und sich ein Bild von deren Gesundheitszustand machen; die Vermögensverwaltung werde durch das Vormundschaftsgericht kontrolliert.

Mit Beschluss vom 24.2.2005 lehnte das Amtsgericht den Antrag auf Akteneinsicht ab. Die hiergegen von der Beteiligten eingelegte Beschwerde hat das Landgericht am 1.4.2005 zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beteiligte mit ihrer weiteren Beschwerde. Sie habe ein Eigeninteresse an der Kenntnis der finanziellen Verhältnisse der Betroffenen, da sie beurteilen wolle, ob für sie eine Haftung wegen Elternunterhalt in Frage komme. Die Betroffene befinde sich in völliger Abhängigkeit von der Betreuerin, so dass alle Maßnahmen, die geeignet seien, eine Schmälerung künftiger Erbansprüche zu verhindern, angebracht seien. Eine dieser Maßnahmen sei die begehrte Akteneinsicht. Zu beachten sei auch die Einhaltung von § 1804 BGB und § 1834 BGB.

Das Rechtsmittel erwies sich als zulässig, hatte in der Sache aber keinen Erfolg.

Gründe:

1. Das Landgericht hat seine Entscheidung folgendermaßen begründet:

Dem Begehren der Beteiligten, durch Akteneinsicht zu erfahren, wie es der Betroffenen gesundheitlich gehe, könne schon deshalb nicht entsprochen werden, weil mittels Akteneinsicht ein Gesundheitszustand nicht festgestellt werden könne. Soweit die Beteiligte erfahren wolle, wie es ihrer Mutter finanziell gehe, mache sie ein fremdes Interesse geltend. Ein eigenes persönliches oder wirtschaftliches Interesse habe sie nicht vorgetragen. Tatsächlich gehe es ihr darum, dass ihre Erbansprüche nicht geschmälert würden. Das Interesse sei deshalb lediglich auf die Ermittlung einzelner möglicherweise in den Akten enthaltener Fakten gerichtet, nicht aber auf Erlangung konkreter Kenntnis von dem dem Verfahren zugrunde liegenden Sachverhalt. Aber selbst bei Unterstellung, dass ein berechtigtes Interesse glaubhaft gemacht worden wäre, hätte das aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG herzuleitende informationelle Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen mitberücksichtigt werden müssen. Deren Zustimmung liege ausweislich der Akten nicht vor. Diesem Recht komme hier besonderes Gewicht zu, weil es der Beteiligten um die Ausspähung fremder Vermögensverhältnisse gehe.

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung stand, § 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO. Das Landgericht hat die Versagung der Akteneinsicht zu Recht gebilligt.

a) Nach § 34 Abs. 1 FGG kann die Einsicht in die Gerichtsakten jedem insoweit gestattet werden, als er ein berechtigtes Interesse glaubhaft macht. Berechtigt ist jedes nach vernünftiger Erwägung durch die Sachlage gerechtfertigte Interesse; es kann auch am Verfahren nicht beteiligten Personen zustehen und nicht nur rechtlicher, sondern auch wirtschaftlicher oder wissenschaftlicher Art sein. Es ist insbesondere dann gegeben, wenn ein künftiges Verhalten des Antragstellers durch die Kenntnis vom Akteninhalt beeinflusst sein kann. Befindet sich der Antragsteller bereits im Besitz erbetener Informationen und ist nicht ersichtlich, dass die erstrebte Akteneinsicht zu weiteren Erkenntnissen führt, fehlt insoweit das berechtigte Interesse. Nicht berechtigt ist ein Interesse auch dann, wenn es lediglich auf die Ermittlung einzelner, in der Akte möglicherweise enthaltener Fakten gerichtet ist (Keidel/Kahl FGG 15. Aufl. § 34 Rn. 13). Hat das Gericht ein berechtigtes Interesse bejaht, entscheidet es über die Gewährung von Akteneinsicht nach pflichtgemäßem Ermessen (Keidel/Kahl § 34 Rn. 15). Bei der Ermessensausübung ist vor allem das Recht des Betroffenen an seiner informationellen Selbstbestimmung zu beachten (Keidel/Kahl § 34 Rn. 15c) und gegen das berechtigte Interesse an der Akteneinsicht abzuwägen.

b) Die Ansicht des Landgerichts, ein berechtigtes Interesse habe die Beteiligte bisher nicht glaubhaft gemacht, ist nicht zu beanstanden. Soweit sich die Beteiligte über den Gesundheitszustand der Betroffenen informieren möchte, bietet sich ein persönlicher Besuch bei der Mutter an, der jederzeit möglich ist. Dies umso mehr, als nicht ersichtlich ist, welche entsprechenden Informationen in der Akte sein sollten. Soweit sich die Beteiligte über die finanziellen Verhältnisse der Betroffenen informieren möchte, macht sie, worauf das Landgericht zutreffend hingewiesen hat, keine eigenen Rechte bzw. Interessen geltend. Eventuell ihr zustehende Erbansprüche können zu Lebzeiten der Mutter und potentiellen Erblasserin grundsätzlich kein Akteneinsichtsrecht begründen (Keidel/Kahl § 34 Rn. 17a), da die spätere Erblasserin, solange sie lebt, frei bzw. im Rahmen der bestehenden und vom Vormundschaftsgericht überwachten Betreuung über ihr Vermögen verfügen kann. Inwiefern etwas anderes gelten könnte, wenn ein Erbvertrag abgeschlossen worden ist (vgl. hierzu OLG Köln vom 21.7.2003 = FamRZ 2004, 1124), kann hier dahinstehen, da eine solche Fallgestaltung nicht vorliegt. Dritte, und zwar auch Abkömmlinge, sind grundsätzlich nicht befugt, Einblick in Vermögensverhältnisse anderer Personen zu nehmen. Soweit die Beteiligte den durch nichts begründeten Verdacht äußert, die Betreuerin könnte Vermögenswerte der Betroffenen für sich vereinnahmt oder unzulässige Schenkungen an sich selbst vorgenommen haben, geht es ebenfalls nur um mögliche Schadenersatzansprüche der Betroffenen gegen die Betreuerin. Anhaltspunkte dafür, dass solche Handlungen vorgekommen sind oder dass das Vormundschaftsgericht seiner Kontrollpflicht nicht nachgekommen ist, liegen, wie bereits erwähnt, nicht vor.

c) Da die Beteiligte ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht nicht glaubhaft gemacht hat, hat eine Abwägung zwischen dem Interesse an der Akteneinsicht auf der einen Seite und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen auf der anderen Seite nicht zu erfolgen. Deshalb ist auch unerheblich, dass das Amtsgericht nicht die Betroffene, sondern die Betreuerin danach gefragt hat, ob sie mit der Akteneinsicht einverstanden sei. Eine Äußerung von Seiten der Betroffenen liegt nicht vor; die Betreuerin konnte die Betroffene insoweit auch nicht vertreten, weil dies nicht zu den ihr übertragenen Aufgabenkreisen zählt. Doch selbst bei Einverständnis der Betroffenen hätte die Akteneinsicht wegen des fehlenden berechtigten Interesses nicht gewährt werden dürfen. Es ist gleichfalls unerheblich, dass die Beteiligte zu einem früheren Zeitpunkt Akteneinsicht erhalten hat, welche den damals vorgenommenen Grundstücksverkauf betraf. Aus einer einmal gewährten Akteneinsicht kann kein Recht auf ständige Akteneinsicht abgeleitet werden.

Ende der Entscheidung

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