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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 04.07.2007
Aktenzeichen: 33 Wx 89/07
Rechtsgebiete: FGG, VBVG


Vorschriften:

FGG § 13a Abs. 1
VBVG § 5 Abs. 1
VBVG § 5 Abs. 2
1. Untersuchungshaft ist grundsätzlich auch dann nicht als "gewöhnlicher Aufenthalt in einem Heim" im Sinne der Vergütungsvorschriften für berufsmäßige Betreuer einzustufen, wenn der Betroffene in diesem Zeitraum keinen anderen Lebensmittelpunkt hat. Eine anschließende Verurteilung zu einer Strafhaft führt insoweit nicht rückwirkend zu einer anderen Bewertung dieses Zeitraums (Abgrenzung zur Senatsentscheidung vom 4.7.2006 - 33 Wx 60/06 Beck RS 2006, 08108 = [Datenbank Deutsche Rechtsprechung DRsp Nr. 2006/20292]).

2. Obsiegt der Betreuer mit seinem auf eine höhere Vergütung gerichteten Rechtsmittel, entspricht es der Billigkeit, seine zur Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Staatskasse als Schuldnerin der Vergütung aufzuerlegen.


Gründe:

I.

Der mittellosen Betroffenen wurde mit Beschluss vom 26.4.2005, wirksam seit 27.5.2005, eine berufsmäßige Betreuerin bestellt. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie ihre Mietwohnung bereits einige Zeit geräumt gehabt und wohnte beim Vater ihres Kindes. Diese Wohnung verließ sie wieder und wohnte dann bei ihrem Stiefvater. Ab 10.6.2005 befand sie sich in Untersuchungshaft, zunächst in der JVA Nürnberg, dann in der JVA Aichach. Am 18.1.2006 wurde sie rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

Mit Anträgen vom 6.10.2005 und vom 13.2.2006 machte der Betreuer die Vergütung für den Zeitraum vom 1.7.2005 bis 31.12.2005 geltend, wobei er von dem Stundenansatz für eine mittellose Betroffene, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Heim hat, ausging und die Festsetzung einer Vergütung aus der Staatskasse für 33,3 Stunden zu je 44 EUR, also insgesamt 1.465,20 EUR beantragte.

Mit Beschluss vom 30.3.2006, zugestellt am 26.4.2006, setzte das Amtsgericht die Vergütung auf 919,60 EUR fest und wies im Übrigen den Antrag zurück. Dabei ging das Amtsgericht von den Stundenansätzen für Heimbewohner aus. Die vom Betreuer am 9.5.2006 eingelegte sofortige Beschwerde, die auf die Anwendung der höheren Stundenansätze des § 5 Abs. 2 Satz 2 VBVG beschränkt wurde, hat das Landgericht am 5.3.2007 zurückgewiesen und die sofortige weitere Beschwerde zugelassen.

II.

Die zulässige sofortige weitere Beschwerde ist auch in der Sache begründet.

1. Das Landgericht stützt seine Anwendung der Stundenansätze des § 5 Abs.2 Satz 1 VBVG auf folgende Erwägungen:

Wie bei Einrichtungen des Strafvollzugs sei auch bei einem Aufenthalt in Untersuchungshaft von einem Heimaufenthalt im Sinne von § 5 Abs. 3 Satz 1 VBVG auszugehen. Die Betroffene habe sich seit 10.6.2005 in Untersuchungshaft befunden und sei am 18.1.2006 rechtskräftig zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden, wobei das früheste Strafende der 9.6.2007 und das voraussichtliche Strafende der 9.6.2008 sei. Die Haftbedingungen seien zwar bei Untersuchungshaft anders als bei Strafhaft, doch finde auch in der Untersuchungshaft der Betroffene gesundheitlich und soziale Hilfe. Auch die Entgeltlichkeit könne bejaht werden, da bei rechtskräftig Verurteilten grundsätzlich auch die Kosten der Untersuchungshaft von diesen erhoben werden können.

Die Betroffene habe im Vergütungszeitraum auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Vollzugsanstalt gehabt. Die Untersuchungshaft sei zeitlich zunächst auf unbestimmte Dauer angelegt. Hier habe die Untersuchungshaft ca. sechs Monate gedauert und die Strafhaft habe sich unmittelbar angeschlossen.

Da die Betroffene außerhalb der Haft keinen Daseinsmittelpunkt gehabt habe, sei ihr gewöhnlicher Aufenthalt in der Untersuchungshaftanstalt gewesen. Die Betroffenen habe bis zum Beginn der Betreuung eine Wohnung in der N.-Straße gehabt, sei dann in die K.-Straße verzogen und dann, kurz vor ihrer Verhaftung, zu ihrem Stiefvater. Da sie ihre Wohnungen kurzfristig gewechselt habe und dabei mietfrei habe wohnen können, habe sie sich bei ihrem Stiefvater nicht dauerhaft mit Rückkehrabsicht aufgehalten. Dafür spreche insbesondere, dass der Betreuer angegeben habe, eine neue Wohnung nach Haftentlassung sei regelungsbedürftig.

2. Diese Erwägungen halten der rechtlichen Überprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) nicht stand.

a) Der reduzierte Stundenansatz des § 5 Abs. 2 Satz 1 VBVG greift nur ein, wenn der Betreute seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Heim (§ 5 Abs. 3 VBVG) hat. Hat der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Heim, sind die höheren Stundenansätze des § 5 Abs. 2 Satz 2 VBVG anzuwenden. Anders als den Heimbegriff definiert das Vergütungsrecht das Merkmal des gewöhnlichen Aufenthalts nicht.

b) Die Betroffene hatte im Abrechnungszeitraum lediglich ihren tatsächlichen, nicht aber ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Untersuchungshaftanstalt. Es kann deshalb dahinstehen, ob der Aufenthalt der Betroffenen in der Untersuchungshaft ebenso wie bei einer Strafhaft (Senatsbeschluss vom 4.7.2006 33 Wx 60/06 BeckRS 2006, 08108) als Heimaufenthalt im Sinne von § 5 VBVG anzusehen ist. Dies könnte im Hinblick auf die Entgeltlichkeit (§ 5 Abs. 3 Satz 1 VBVG) zweifelhaft sein, da der Untersuchungsgefangene für die Haftkosten nur einzustehen hat, wenn er später rechtskräftig verurteilt wird (§ 50 StVG, § 465 Abs. 1 Satz 1 StPO, 464a Abs. 1 Satz 2 StPO).

Während jedenfalls bei einer nicht nur kurzen Freiheitsstrafe von einem gewöhnlichen Aufenthalt in der Haftanstalt dann auszugehen ist, wenn daneben kein gewöhnlicher Aufenthaltsort außerhalb der Haftanstalt besteht, zu dem der Betroffene zurückkehren kann (Senatsbeschluss vom 4.7.2006 33 Wx 60/06 BeckRS 2006, 08108), ist die Untersuchungshaft nur in Ausnahmefällen geeignet, einen gewöhnlichen Aufenthalt am Haftort zu begründen, selbst wenn keine Rückkehrmöglichkeit zum letzten Aufenthaltsort besteht. Daher ist eine weitere Sachaufklärung (§12 FGG) nicht erforderlich, ob die Betroffene vor ihrer Inhaftierung ihren gewöhnlichen Aufenthalt bei ihrem Stiefvater hatte und ob die Möglichkeit bestand, dorthin zurückzukehren.

Nach der für das Sozialrecht allgemein geltenden Definition des § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Zur Begründung eines "gewöhnlichen Aufenthalts" ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein dauerhafter oder längerer Aufenthalt nicht erforderlich; es genügt vielmehr, dass der Betreffende sich an dem Ort oder in dem Gebiet "bis auf Weiteres" im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhält und dort den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat (BVerwG JAmt 2006, 35; vgl auch Urteile vom 26. September 2002 - 5 C 46.01 = Buchholz 436.511 § 86 KJHG/SGB VIII Nr. 1 und vom 18. März 1999 - 5 C 11.98 = Buchholz 436.0 § 107 BSHG Nr. 1).

Teilweise übereinstimmend ist der Begriff in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs insbesondere im Zusammenhang des Internationalen Privatrechts wie folgt umschrieben worden (vgl. z.B. BGH FamRZ 1993, 798 zu Art 14 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB; BGHZ 78, 293 = FamRZ 1981, 135 zum Haager Minderjährigenschutzabkommen; Palandt/Heldrich BGB 65. Aufl. Art. 5 EGBGB Rn. 10 m.w.N.):

Unter dem gewöhnlichen Aufenthalt ist der Ort oder das Land zu verstehen, "in dem der Schwerpunkt der Bindungen der betreffenden Person, ihr Daseinsmittelpunkt liegt. Zu fordern ist nicht nur ein Aufenthalt von einer Dauer, die zum Unterschied von dem einfachen oder schlichten Aufenthalt nicht nur gering sein darf, sondern auch das Vorhandensein weiterer Beziehungen, insbesondere in familiärer oder beruflicher Hinsicht, in denen - im Vergleich zu einem sonst in Betracht kommenden Aufenthaltsort - der Schwerpunkt der Bindungen der betreffenden Person zu sehen ist (BGH FamRZ 1993, 798). Vom Wohnsitz unterscheidet sich der gewöhnliche Aufenthalt dadurch, dass der Wille, den Aufenthaltsort zum Mittelpunkt oder Schwerpunkt der Lebensverhältnisse zu machen, nicht erforderlich ist. Es handelt sich um einen "faktischen" Wohnsitz, der ebenso wie der gewillkürte Wohnsitz Daseinsmittelpunkt sein muss (BGH aaO und FamRZ 1975, 272 = NJW 1975, 1068 m.w.N.).

Das Merkmal der - vom BGH anders als vom BVerwG vorausgesetzten - nicht nur geringen Dauer des Aufenthalts bedeutet dabei nicht, dass im Falle eines Wechsels des Aufenthaltsorts ein neuer gewöhnlicher Aufenthalt immer erst nach Ablauf einer entsprechenden Zeitspanne begründet werden könnte und bis dahin der frühere gewöhnliche Aufenthalt fortbestehen würde. Der gewöhnliche Aufenthalt an einem Ort wird vielmehr grundsätzlich schon dann begründet, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass der Aufenthalt an diesem Ort auf eine längere Zeitdauer angelegt ist und der neue Aufenthaltsort künftig anstelle des bisherigen Daseinsmittelpunkt sein soll (BGH FamRZ 1981, 135 m.w.N.)

c) Der Aufenthalt in der Untersuchungshaft genügt diesen Anforderungen nicht. Während bei einer Strafhaft die Mindestdauer des Verbleibs in der Haftanstalt auf Grund des rechtskräftigen Strafurteils feststeht, ist dies bei der Untersuchungshaft nicht der Fall. Der Aufenthalt in der Untersuchungshaft ist nach Zweck und gesetzlicher Ausgestaltung lediglich vorübergehender Natur (BVerwG NVwZ-RR 1997, 751; VG Augsburg Au 3 K 03.1212 Urteil vom 29.4.2005 zitiert nach juris Rn. 21). Die Untersuchungshaft ist eine vorläufige Maßnahme, die stündlich enden kann, weil jederzeit eine Aufhebung des Haftbefehls (§ 120 StPO) oder eine Außervollzugsetzung (§ 116 StPO) möglich ist. Auch eine Verlegung in eine andere Haftanstalt ist jederzeit möglich.

d) Nur ausnahmsweise nach längerer Dauer wird man den Ort der Untersuchungshaft als gewöhnlichen Aufenthalt ansehen können (so BGHZPO § 606 Abs. 2 Satz 2 - Untersuchungshaft 1 nach einer mehrjährigen Untersuchungshaft). Dies ist hier nicht der Fall. Zum Beginn des Abrechnungszeitraumes befand sich die Betroffene erst wenige Tage in Untersuchungshaft und zum Ende des Abrechnungszeitraums waren auch erst etwa sechs Monate Haftzeit verstrichen.

Dabei kommt es nicht darauf an, dass die Betroffene später zu einer längeren Strafhaft verurteilt wurde und sich somit nachträglich ein längerer Haftaufenthalt ergeben hat. Grund für die niedrigeren Stundenansätze bei einem gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen in einem Heim ist die Wertung des VBVG, dass bei einem Heimaufenthalt der Aufwand des Betreuers im Durchschnitt geringer ist. Deshalb ist die Frage des gewöhnlichen Aufenthalts nicht aus der Rückschau sondern von dem Zeitpunkt aus zu betrachten, für den dies entscheidungserheblich ist.

3. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, da die für die Entscheidung maßgebenden Tatsachen feststehen (vgl. BGH NJW 1997, 2815/2817; OLG Zweibrücken, NJWE-FER 1999, 240).

Das erste Quartal der Betreuung, die am 27.4.2005 wirksam wurde, und für die hier Vergütung ab 1.7.2005 beantragt ist, dauerte bis 27.7.2005. Gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 VBVG beträgt der Stundenansatz in diesem Zeitraum sieben Stunden im Monat. Für die 27 von 31 Tagen des Monats Juli ergibt sich damit ein Ansatz von 6,1 Stunden. Für die nächsten drei Betreuungsmonate bis 27.10.2005 beträgt der Ansatz nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VBVG fünfeinhalb Stunden monatlich, insgesamt also 15,5 Stunden. In der Folgezeit (bis zum Ablauf des ersten Betreuungsjahres) sind fünf Stunden je Monat anzusetzen (§ 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 VBVG). Für die zwei Monate bis 27.12.2005 errechnen sich 10 Stunden und für die restlichen 4 Tage von den 31 Tagen des Monats Dezember 0,65 Stunden, die wegen § 5 Abs. 4 Satz 3 VBVG auf 0,7 Stunden aufzurunden sind. Insgesamt kann der Betreuer daher für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum 33,3 Stunden abrechnen und bei dem außer Streit stehenden Stundensatz nach § 4 Abs 1 Satz 2 Nr. 2 VBVG von 44 EUR die Festsetzung einer Vergütung von 1.465,20 EUR verlangen.

III.

Die Entscheidung über die Kostenerstattung beruht auf § 13a Abs. 1 Satz 1 FGG. Da der Betreuer mit seiner Beschwerde voll obsiegt hat, wäre es unbillig, ihn mit seinen notwendigen Auslagen zu belasten. Es entspricht der Billigkeit, diese Kosten der Staatskasse aufzuerlegen, die auch Schuldnerin der streitigen Vergütung und Verfahrensbeteiligte ist. Soweit in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten wird, § 13a FGG sehe - außer im Fall des Abs. 2 - eine Kostenerstattung durch die Staatskasse nicht vor und könne auch nicht mit dieser Rechtsfolge entsprechend angewandt werden (z.B. BayObLG Rpfleger 1988, 385 und BayObLGZ 1990, 37/41 = FamRZ 1990, 774/776; vgl. auch Jansen/von König FGG 3. Aufl. § 13a Rn. 5 a. E.), kann dies nicht für den Fall gelten, dass die Staatskasse in Vergütungssachen von berufsmäßigen Betreuern auch formell am Verfahren beteiligt ist.

Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde entspricht dem vom Betreuer noch geltend gemachten Differenzbetrag, mithin 545,60 EUR (§ 30 Abs. 1, § 131 Abs. 2 KostO).

Ende der Entscheidung

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