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Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 20.01.2005
Aktenzeichen: 33 Wx 9/06
Rechtsgebiete: BGB, FGG
Vorschriften:
BGB § 1906 Abs. 1 | |
FGG § 27 | |
FGG § 70h |
Gründe:
I.
Für die Betroffene, die nach mehreren Hirninfarkten an einem fortgeschrittenen dementiellen Syndrom leidet, wurde im Januar 2001 zunächst ihre Tochter zur Betreuerin bestellt. Nach deren Entlassung auf eigenen Wunsch übertrug das Vormundschaftsgericht am 4.7.2002 die Betreuung ihrem Sohn. Der Aufgabenkreis umfasst u. a. die Aufenthaltsbestimmung einschließlich der Entscheidung über die geschlossene Unterbringung und die Sorge für die ambulante und stationäre Heilbehandlung sowie ferner "Abschluss, Änderung, Kontrolle der Einhaltung des Heimvertrages". Die Betroffene hält sich seit März 2001 im "Seniorenpark A. P.V." in G. auf; sie war von Anfang an mit richterlicher Genehmigung geschlossen untergebracht.
Mit Beschluss vom 25.11.2003 verlängerte das Vormundschaftsgericht die Betreuung und legte als spätesten Überprüfungstermin den 24.11.2008 fest. Zugleich verlängerte es die erteilte Genehmigung der Unterbringung der Betreuten in der geschlossenen Abteilung eines Altersheimes bis längstens 17.11.2004. Ein entsprechender weiterer Genehmigungsbeschluss erging am 19.11.2004, befristet bis 18.11.2005.
Am 6.12.2005 lehnte das Vormundschaftsgericht die weitere Genehmigung der geschlossenen Unterbringung der Betroffenen ab, weil die Voraussetzungen des § 1906 Abs. 1 BGB nicht vorlägen. Eine solche Maßnahme sei im Lichte der verfassungsrechtlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung nicht verhältnismäßig, weil es an der Erforderlichkeit fehle. Die richterliche Anhörung habe ergeben, dass die Betroffene ihren gewohnten Bereich nicht verlassen wolle. Das entgegenstehende Gutachten des Sachverständigen Dr. N. vom 24.11.2005 sei nicht hinreichend aussagekräftig. Das Heim müsse die Betroffene gegebenenfalls "halboffen" unterbringen. Der Beschluss zitiert schließlich ausführlich aus einer Stellungnahme der Verfahrenspflegerin, mit der diese ihre Ablehnung der geschlossenen Unterbringung im vorliegenden Fall begründet.
Das Gericht ordnete die sofortige Wirksamkeit seiner Entscheidung an.
Am 7.12.2005 legte der Betreuer Beschwerde hiergegen ein. Die Betroffene sei verwirrt, desorientiert und sehr unruhig. Sie bedürfe ständiger Beaufsichtigung. Könnte sie sich von der Station unbemerkt entfernen, würde sie sich hierdurch gesundheitlich erheblich gefährden. Deshalb stelle er einen "Eilantrag zur weiteren beschützenden Unterbringung" der Betroffenen.
Mit Beschluss vom 16.12.2005 genehmigte das Landgericht die vorläufige Unterbringung der Betroffenen in der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung bis längstens 25.1.2006.
Hiergegen legte die Verfahrenspflegerin am 16.12.2005 "Beschwerde" ein. Sie verfolgt damit das Ziel der Aufhebung der Genehmigung der vorläufigen Unterbringung.
II.
1. Das Rechtsmittel ist als sofortige weitere Beschwerde statthaft
Im vorliegenden Fall hat das Landgericht als Beschwerdegericht eine auf § 70h Abs. 1, § 69f Abs. 1 Satz 1 und 3 FGG gestützte vorläufige Genehmigung der Unterbringung erteilt. Gegen eine solche Entscheidung ist gem. § 27 Abs. 1 Satz 1, § 29 Abs. 2, § 70m Abs. 1, § 70g Abs. 3 Satz 1 FGG die sofortige weitere Beschwerde eröffnet (vgl. BayObLG FamRZ 1999, 1594 für den Fall der Aufhebung einer endgültigen Unterbringungsgenehmigung des Vormundschaftsgerichts durch das Landgericht, wobei dieses anlässlich der Zurückverweisung die Genehmigung als einstweilige Anordnung aufrechterhielt.).
Das Rechtsmittel kann nicht etwa als Erstbeschwerde nach § 19 FGG behandelt werden. Denn diese ist - soweit das Gesetz nichts anderes vorsieht - nur gegen Verfügungen erster Instanz statthaft, während hier das Landgericht als Gericht zweiter Instanz entschieden hat (vgl. OLG Düsseldorf MDR 1993, 271).
Würde es sich im vorliegenden Fall um eine Zwischenverfügung des Landgerichts im Sinne von § 24 Abs. 3 FGG handeln, wäre ein Rechtsmittel hiergegen als weitere Beschwerde nach § 27 FGG eröffnet, allerdings nur ausnahmsweise unter der zusätzlichen Voraussetzung, dass die Entscheidung des Beschwerdegerichts inhaltlich einer Endentscheidung gleichkäme (OLG Düsseldorf MDR 1993,1233/1234; Keidel/Meyer-Holz FGG 15. Aufl. § 27 Rn. 5). In Unterbringungssachen geht die Vorschrift des § 70h FGG vor als spezielle Rechtsgrundlage für vorläufige Regelungen, die grundsätzlich auch das Beschwerdegericht treffen kann. Dass diese rechtsmittelfähig sein müssen, kann schon im Hinblick auf die Schwere des Grundrechtseingriffs durch eine vollzogene Unterbringungsmaßnahme nicht zweifelhaft sein. Für die Art des Rechtsmittels muss aber dasselbe gelten wie für sonstige vorläufige Verfügungen des Beschwerdegerichts. Der Rechtsschutz gegen vorläufige Regelungen des Beschwerdegerichts kann nicht weiter reichen als derjenige gegen seine Hauptsacheentscheidungen.
Die sofortige weitere Beschwerde ist auch form- und fristgerecht eingelegt.
2. Das Rechtsmittel ist aber nicht begründet.
a) Das Landgericht hat in seiner Entscheidung ausgeführt:
Es bestünden dringende Gründe für die Annahme, dass die Voraussetzungen für die Anordnung einer Unterbringung in einer beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung gemäß § 70h, § 69f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGG, § 1906 Abs. 1 BGB vorliegen.
Nach dem Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. N. vom 24.11.2005 leide die Betroffene an einem fortgeschrittenen demenziellen Syndrom bei schwerer vaskulärer Demenz. Aufgrund dieser Erkrankung sei ihre freie Willensbestimmung - gerade auch im Hinblick auf den Bereich der Aufenthaltsbestimmung - ausgeschlossen.
Es bestünden auch dringende Gründe dafür, dass die Betroffene sich ohne geschlossene Unterbringung infolge ihrer Erkrankung erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügen würde. Nach überzeugender telefonischer Schilderung der Wohnbereichsleiterin vom 15.12.2005 sei die Betroffene am Vortag zur Feier ihres Geburtstages von ihren Kindern mitgenommen und abends wieder zurückgebracht worden. Seither habe die Betroffene mehrfach versucht, das Heim wieder zu verlassen, indem sie an der Ausgangstür der Station gerüttelt habe. Sie habe auch versucht, über eine - verschlossene - Balkontür nach draußen zu gelangen. Aufgrund der von Seiten der Wohnbereichsleitung geschilderten völligen Desorientiertheit der Betroffenen sehe die Kammer dringende Gründe für die Annahme, dass die Betroffene - wäre sie auf einer offenen Station untergebracht - diese verlassen würde. Es bestehe die Gefahr des Verirrens mit den entsprechenden Gefährdungen im Straßenverkehr bzw. durch die derzeitigen winterlichen Witterungsbedingungen im Freien.
Die unterbliebene Anhörung der Betroffenen und der Verfahrenspflegerin zu der vorläufigen Regelung sei durch die Eilbedürftigkeit im Hinblick auf § 70h, § 69f Abs. 1 Satz 3 FGG gerechtfertigt. Im Übrigen sei die Betroffene zu der grundsätzlichen Frage der Unterbringung am 2.12.2005 richterlich angehört worden, die Verfahrenspflegerin habe hierzu am 5.12. 2005 Stellung genommen.
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) stand.
a) Bestehen dringende Gründe für die Annahme, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB gegeben sind, kann das Vormundschaftsgericht unter den in § 69f Abs. 1 FGG weiter aufgeführten Voraussetzungen die vorläufige Unterbringung des Betroffenen durch einstweilige Anordnung genehmigen (§ 70h Abs. 1 Satz 1 FGG).
Nach diesen Vorschriften kommt eine vorläufige Unterbringung in Betracht, wenn konkrete Umstände mit erheblicher Wahrscheinlichkeit (vgl. BayObLGZ 1997, 142/145 m. w. N; BayObLG FamRZ 2001, 380) darauf hindeuten, dass die sachlichen Voraussetzungen für eine Unterbringung gemäß § 1906 Abs. 1 BGB vorliegen. Das ist nach Nr. 1 der Vorschrift der Fall, wenn entweder aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Gefahr besteht, dass der Betroffene sich selbst tötet oder sich erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt und insoweit seinen Willen nicht frei bestimmen kann (vgl. BayObLGZ 1993, 18). Die Erforderlichkeit der Unterbringung ist einer strengen Prüfung am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu unterziehen, weil die Freiheit der Person ein so hohes Rechtsgut darstellt, dass sie nur aus besonders gewichtigen Gründen angetastet werden darf (BVerfG NJW 1998, 1774/1795; BayObLGZ 1999, 24 = FamRZ 1999, 794). Ferner müssen konkrete Tatsachen nahelegen, dass bei Aufschub der Unterbringung Gefahr für den Betroffenen bestünde (vgl. BayObLGZ 1997,142/145 m. w. N; BayObLGZ 1999, 269 = FamRZ 2000, 566; BayObLG FamRZ 2001, 380).
b) Dass die Betroffene aufgrund ihrer fortgeschrittenen Demenz an einer schweren psychischen Krankheit leidet, die auch ihre freie Willensbestimmung hinsichtlich ihres Aufenthalts ausschließt, steht fest aufgrund der überzeugenden Ausführungen des als Arzt für Psychiatrie ausgewiesenen Sachverständigen Dr. N. im Gutachten vom 24.11.2005 und wird auch von der Verfahrenspflegerin nicht in Zweifel gezogen.
Ebenfalls außer Zweifel steht, dass die Betroffene - würde sie unbeaufsichtigt die Einrichtung verlassen - sich durch ihre völlige Verwirrtheit erheblichen und lebensbedrohenden Gefährdungen aussetzen würde, sowohl im Straßenverkehr wie auch angesichts der Witterungsverhältnisse insbesondere bei unangemessener Kleidung.
c) Das Beschwerdevorbringen stellt zum einen in Frage, ob bei der Betroffenen überhaupt hinreichender Antrieb besteht, die Einrichtung zu verlassen, weshalb eine geschlossene Unterbringung nicht erforderlich sei. Zum anderen wird darin behauptet, es gebe eine Alternative zur geschlossenen Unterbringung der Betroffenen in Form einer halboffenen Unterbringung; darum sei die Maßnahme nicht verhältnismäßig.
aa) Die vom Landgericht getroffenen Tatsachenfeststellungen können im Verfahren der weiteren Beschwerde nur daraufhin überprüft werden, ob sie verfahrensfehlerhaft zustande gekommen sind. Die Tatsachenwürdigung des Beschwerdegerichts ist nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter den maßgebenden Sachverhalt ausreichend ermittelt, sich bei der Beurteilung des Beweisstoffes mit allen wesentlichen Umständen auseinandergesetzt und hierbei nicht gegen gesetzliche Beweisregeln und Verfahrensvorschriften sowie gegen Denkgesetze und zwingende Erfahrungssätze oder den allgemeinen Sprachgebrauch verstoßen hat (vgl. Keidel/Meyer-Holz § 27 Rn. 42 mit umfangreichen Rechtsprechungsnachweisen in Fn. 222). Hierbei können bei einer vom Gesetzgeber ausdrücklich zugelassenen Eilentscheidung im Wege der vorläufigen Anordnung bei Gefahr im Verzug naturgemäß keine überzogenen Anforderungen an den Umfang der Sachverhaltsermittlung gestellt werden.
bb) Das Landgericht, das aufgrund der Beschwerde des Betreuers erstmals mit der vorliegenden Sache befasst war, erhielt am Tag vor seiner Entscheidung die Mitteilung der Heimleitung, die Betroffene sei nach dem Besuch bei ihren Kindern von starker Unruhe erfüllt gewesen. Sie sei mehrfach zur Ausgangstür gelaufen und habe an dieser gerüttelt und außerdem versucht, über die versperrte Balkontür das Haus zu verlassen. Eine solche Information ist - jedenfalls vor dem Hintergrund eines bereits vorliegenden ärztlichen Gutachtens über den Gesundheitszustand der Betroffenen und ihre daraus folgende Verwirrtheit - eine hinreichende Tatsachengrundlage für den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Es ist im Hinblick auf die konkreten Gefahren, die der Betroffenen bei einem Weglaufen drohen würden, nicht zu beanstanden, dass das Landgericht dringende Gründe für die Annahme bejaht hat, dass die Voraussetzungen einer Unterbringungsmaßnahme nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB vorliegen. Jedenfalls ist das von der Heimleitung geschilderte Verhalten der Betroffenen ein ausreichendes Indiz dafür, dass sie ohne die geschlossene Unterbringung die Einrichtung verlassen könnte. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass ein vorübergehender Umgebungswechsel, insbesondere ein Besuch bei nahen Angehörigen, - wie ihn die Betroffene am Tag ihres Geburtstags erlebte - für betagte und demente Heimbewohner ein emotional aufwühlendes Erlebnis sein kann, wie hier das anschließende wiederholte Rufen des Namens ihrer Tochter durch die Betroffene belegt, und den Antrieb zu einem eigenmächtigen Verlassen des Heimes wecken oder stärken kann. Deshalb kann das Beschwerdevorbringen nicht überzeugend damit argumentieren, bei der vorherigen - sowohl durch das richterliche Protokoll als auch durch eine ausführliche Aufzeichnung der Verfahrenspflegerin dokumentierten - Anhörung am 2. Dezember 2005 hätten sich keine hinreichenden Anhaltspunkte für einen solchen Impuls ergeben und die Betroffene hätte andere Gelegenheiten nicht genutzt, offene Türen zu passieren (wobei dahingestellt sein kann, welche Aussagekraft überhaupt derartige punktuelle Wahrnehmungen haben mögen, in denen ein Betroffener für ihn spürbar unter Beobachtung steht). Bei einer lebensnahen Würdigung des erkennbaren Sachverhalts durfte das Landgericht aus dem geschilderten Verhalten der Betroffenen am 14.12.2005 den Schluss ziehen, dass die Betroffene mit erheblicher Wahrscheinlichkeit die Einrichtung verlassen würde, wenn ihr hierzu eine Gelegenheit gegeben würde. Deshalb ist nicht zu beanstanden, dass die Kammer sowohl die allgemeinen Voraussetzungen einer vorläufigen Regelung als auch die für eine sofortige Maßnahme ohne vorherige Anhörung der Betroffenen und der Verfahrenspflegerin erforderliche Gefahr im Verzug bejaht hat.
cc) Das Vorbringen der Verfahrenspflegerin im Beschwerdeschriftsatz, auf der Station der Betroffenen würden zwei konkret benannte Heimbewohnerinnen halb offen untergebracht, d. h. ihnen würde die Tür auf Verlangen geöffnet, stellt zum einen neuen Tatsachenvortrag dar, den der Senat im Rahmen der weiteren Beschwerde nicht würdigen kann. Zum anderen erscheint aber auch nach den im Parallelverfahren 33 Wx 4/06 anlässlich der Anhörung der dortigen Betroffenen durch den beauftragten Richter des Landgerichts am 16.1.2006 getroffenen Feststellungen zweifelhaft, ob dieses Vorbringen überhaupt entscheidungserheblich wäre. Denn die Lebenssituation der - nach Angaben der Heimleitung - fünf Personen, die freiwillig in der Station leben und diese jederzeit verlassen können, es aber tatsächlich nicht wollen, dürfte mit der der Betroffenen kaum vergleichbar sein.
Ende der Entscheidung
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