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Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 01.06.2005
Aktenzeichen: 34 Sch 5/05
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 317 Abs. 1
ZPO § 1029
ZPO § 1031 Abs. 5
ZPO § Abs. 6
Erstellt die Rechtsanwaltskammer im Einvernehmen mit den Parteien "zur Vermeidung eines Rechtsstreits" ein so genanntes Schiedsgutachten über eine noch geschuldete anwaltliche Honorarforderung, stellt dieses im Allgemeinen keinen Schiedsspruch dar, der nach §§ 1060 ff. ZPO für vollstreckbar erklärt werden könnte.
Tatbestand:

Der Antragsteller ist Rechtsanwalt, der Antragsgegner ein früherer Mandant. Zwischen den Parteien kam es nach Beendigung des Mandats in einer Familiensache wegen der Abrechnung zum Streit. Der Antragsgegner wandte sich deshalb unter Vorlage des Schriftwechsels am 24.1.2003 an die zuständige Rechtsanwaltskammer mit der Bitte, die anwaltliche Gebührenrechnung zu überprüfen. Die Rechtsanwaltskammer teilte ihm daraufhin am 5.2.2003 u.a. folgendes mit:

Ihrer Bitte vom 24.01.2003 kann der Kammervorstand nicht ohne weiteres entsprechen, weil er nach den gesetzlichen Bestimmungen im Falle eines Honorarprozesses als Gutachter tätig werden müsste und einseitige vorprozessuale Stellungnahmen die hierzu erforderliche Unbefangenheit gefährden könnten. Der Vorstand der Rechtsanwaltskammer kann jedoch ein Gebührenschiedsgutachten nur unter der Voraussetzung erstellen, dass der Sachverhalt unstreitig ist und sich die Beteiligten zur Vermeidung eines Rechtsstreites dem Ergebnis dieses Gutachtens unwiderruflich unterwerfen.

Bitte teilen Sie mit, ob Sie unter Anerkennung dieser Bedingungen die Erstattung eines Gebührenschiedsgutachtens wünschen. ...

Mit diesen Bedingungen erklärten sich der Antragsgegner wie der Antragsteller in getrennten Schreiben an die Rechtsanwaltskammer vom 16.2./3.4.2003 ausdrücklich einverstanden.

In dem unter dem 30.11.2004 erstellten, als Schiedsgutachten bezeichneten Schriftstück kommt die Vorsitzende der zuständigen Abteilung der Rechtsanwaltskammer zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner noch eine offene Honorarforderung in Höhe von 2.452,79 EUR hat.

Der Antragsteller hat unter Vorlage des "Schiedsgutachtens" in Urschrift den Antrag gestellt, es als Schiedsspruch für vollstreckbar zu erklären.

Der Antragsgegner ist dem Antrag entgegengetreten. Er hat im Wesentlichen vorgebracht, er habe sich mit seinem Einverständnis nicht "ohne wenn und aber" dazu verpflichten wollen, das Gutachten der Rechtsanwaltskammer anzuerkennen; er habe nie eine wirkliche Bindung eingehen wollen und sei sich der möglichen Grenzen auch nicht bewusst gewesen. Überdies sei das Schiedsgutachten insgesamt grob fehlerhaft. Der Antrag ist nicht begründet.

Gründe:

Die Vollstreckbarkeit der in Urschrift vorgelegten Urkunde (vgl. § 1064 Abs. 1 Satz 1 ZPO) kann nicht ausgesprochen werden, weil es an einem auf Grund einer Schiedsvereinbarung ergangenen Schiedsspruch mangelt.

1. Die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts München für die Entscheidung über den gestellten Antrag ergibt sich aus § 1025 Abs. 1, § 1062 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 5 ZPO i.V.m. § 8 GZVJu i.d.F. vom 16.11.2004 (GVBl S. 471).

2. Eine wirksame Schiedsvereinbarung der Parteien gemäß § 1029 ZPO ist nicht zustande gekommen.

Die Schiedsvereinbarung legt fest, dass ein Schiedsgericht unter Ausschluss der staatlichen Gerichte eine Rechtsstreitigkeit der Parteien entscheidet (OLG Koblenz NJW-RR 2000, 1365; Reichold in Thomas/Putzo ZPO 26. Aufl. § 1029 Rn. 3). Hingegen handelt es sich um die Vereinbarung eines Schiedsgutachtens, wenn ein Dritter nur Tatumstände festzustellen und Teilfragen zu entscheiden hat, ohne befugt zu sein, auch letztverbindlich darüber zu befinden, welche Verpflichtungen sich daraus für die Parteien ergeben (Zöller/Geimer ZPO 25. Aufl. § 1029 Rn. 4 m.w.N.). Wenig zuverlässig und damit nicht ausschlaggebend sind die von den Parteien selbst gebrauchten Bezeichnungen (Palandt/Heinrichs BGB 64. Aufl. § 317 Rn. 8). Entscheidend ist vielmehr, welche Wirkung der Feststellung des Dritten nach dem Parteiwillen zukommen soll. Sofern eine Überprüfung auf offenbare Unrichtigkeit durch staatliche Gerichte möglich bleiben soll, handelt es sich um ein Schiedsgutachten, soll dies ausgeschlossen sein, liegt ein Schiedsvertrag im Sinn von §§ 1029 ff. ZPO vor (BGHZ 48, 25/30 f.; BGH NJW 1975, 1556; Palandt/Heinrichs § 317 Rn. 8).

Es kann dahinstehen, ob die Einverständniserklärungen des Antragsgegners vom 16.2.2003 und des Antragstellers vom 3.4.2003 auf die Mitteilung der Rechtsanwaltskammer sie werde ein Gebührenschiedsgutachten nur unter der Voraussetzung erstellen, dass sich die Beteiligten zur Vermeidung eines Rechtsstreits dem Ergebnis dieses Gutachtens unwiderruflich unterwerfen, nicht nur als je einseitiger Auftrag an die Kammer zur entsprechenden Geschäftsbesorgung (§ 675 BGB), sondern darüber hinaus auch, vermittelt durch die Rechtsanwaltskammer als Stellvertreter oder Empfangsbote, als Abschluss einer Vereinbarung unter den Parteien selbst auszulegen ist. Denn die beiderseitigen, nach §§ 133, 157 BGB auszulegenden Erklärungen richten sich zwar auf die Unterwerfung unter das Gutachten zur Vermeidung eines Rechtsstreits, nicht aber auf den Ausschluss des Rechtswegs selbst in Folge der Unterwerfung. Werden aber nur, wenn auch entscheidende, tatsächliche wie rechtliche Elemente eines Streits von einem Dritten verbindlich beantwortet, bleibt das Recht der Parteien, das staatliche Gericht zur abschließenden und voll umfänglichen Streitbeilegung anzurufen, unberührt. Gebunden ist das staatliche Gericht insoweit nur an die der Entscheidung des Gutachtens unterworfenen Elemente des Rechtsstreits, soweit dessen Bestimmung nicht unbillig ist (vgl. § 317 Abs. 1 BGB).

Diese Auslegung der von der Rechtsanwaltskammer formulierten und von den Parteien unverändert übernommenen Erklärung trägt auch dem Aufgabenbereich dieser Einrichtung im Rahmen von § 14 Abs. 2 Satz 1 RVG (bis 30.6.2004 §12 Abs. 2 Satz 1 BRAGO) Rechnung. Danach hat im Rechtsstreit zwischen Anwalt und Mandant über die vom Rechtsanwalt bestimmte Gebühr das Gericht ein Gutachten des Vorstands der Rechtsanwaltskammer einzuholen. Eines Gutachtens bedarf es nicht, soweit die Höhe der Gebühr unstreitig ist. Dies ist in § 14 Abs. 2 Satz 1 RVG nun ausdrücklich niedergelegt, galt jedoch nach herrschender Meinung auch im Rahmen des § 12 Abs. 2 Satz 1 BRAGO, also nach dem Rechtszustand vor dem 1.7.2004 (vgl. Madert in Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert BRAGO 15. Aufl. § 12 Rn. 20 m.w.N.). Unterwerfen sich die Parteien dem Gebührengutachten, ist die Höhe der Gebühr nicht mehr streitig und die Voraussetzungen einer Beteiligung der Rechtsanwaltskammer in einem etwaigen gerichtlichen Verfahren unter den Parteien nicht mehr gegeben. Insoweit entsteht für die Rechtsanwaltskammer auch keine Konfliktlage mit ihrer gutachterähnlichen Stellung, die es gebietet, im Vorfeld eines möglichen Gebührenprozesses jeglichen Anschein der Befangenheit gegenüber einer der Parteien zu vermeiden hat.

Es ist nicht erkennbar, dass die Parteien übereinstimmend und darüber hinausgehend in ihrem Verhältnis untereinander auch den Rechtsweg hätten ausschließen wollen.

3. Überdies wäre auch die nach § 1031 Abs. 5 ZPO notwendige Form der Schiedsabrede nicht gewahrt.

Der Antragsgegner ist Verbraucher nach § 13 BGB. In diesem Fall muss die Schiedsvereinbarung in einer von den Parteien eigenhändig unterzeichneten Urkunde enthalten sein. Notwendig ist die Einhaltung der Schriftform gemäß § 126 Abs. 2 Satz 1 BGB, d.h. die Unterzeichnung der Parteien hat auf derselben Urkunde zu erfolgen, die die vollständige Schiedsabrede enthalten muss (BGHZ 38, 155; Reichold in Thomas/Putzo § 1031 Rn. 10). Wechselseitige, in eigenständigen Schriftstücken niedergelegte Erklärungen genügen dieser Anforderung nicht.

Eine Heilung des Formmangels nach § 1031 Abs. 6 ZPO hat nicht stattgefunden.

§ 1031 Abs. 6 ZPO setzt eine rügelose Einlassung auf die schiedsrichterliche Verhandlung zur Hauptsache voraus. Dabei kommt es nicht auf die Kenntnis der Partei von dem Formmangel oder von den Folgen der Einlassung an (BGHZ 48, 35/45 f.; Musielak/Voit ZPO 4. Aufl. § 1031 Rn. 13). Es reicht auch eine schriftliche Einlassung aus, weil eine mündliche Verhandlung vor dem Schiedsgericht nicht obligatorisch ist (§ 1047 Abs. 1 ZPO; siehe OLG Hamburg NJW-RR 1999, 1738; Musielak/Voit § 1031 Rn. 13). Notwendig ist aber eine nach außen in Erscheinung getretene verfahrensbezogene Aktivität. Bloßes Schweigen ist keine Einlassung.

Die Einverständniserklärungen vom 16.2./3.4.2003 können nicht als Einlassung auf das Verfahren angesehen werden. Durch die bloße Tatsache der Einlassung geheilt wird nämlich nur der Formmangel einer bereits abgeschlossenen Schiedsvereinbarung (BGHZ 48, 35/45; OLG Hamburg NJW-RR 1999, 1738/1739). Demgegenüber ist § 1031 Abs. 6 ZPO nicht anwendbar, wenn die Schiedsabrede überhaupt fehlt (Reichold in Thomas/Putzo § 1031 Rn. 15).

Die Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 10.7.2003 (4Z Sch 12/03; dazu Geimer EWiR § 1029 ZPO 1/03, 999) steht der Auffassung des Senats nicht entgegen. Denn anders als hier konnte das Gericht dort von einer wirksam abgeschlossenen Schiedsvereinbarung nach §§ 1029 ff. ZPO ausgehen. Daran fehlt es hier gerade.

Ende der Entscheidung

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