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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 08.01.2008
Aktenzeichen: 34 Wx 1/08
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 62 Abs. 2
Die Abschiebung eines nicht eindeutig identifizierten Ausländers ist nicht schon deshalb undurchführbar und die Sicherungshaft aufzuheben, weil dessen mutmaßliche Heimatvertretung einen Heimreiseschein nur nach Zusage der deutschen Behörden ausgestellt hat, den Ausländer bei nicht eindeutiger Identifizierung im mutmaßlichen Heimatstaat wieder zurück zu übernehmen.
Gründe:

I.

Die Ausländerbehörde betreibt die Abschiebung des Betroffenen, der nach derzeitigem Erkenntnisstand vermutlich nigerianischer Staatsangehöriger ist. Der Asylantrag des Betroffenen wurde mit Bescheid vom 31.1.2005 als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Der Bescheid ist bestandskräftig.

Der Betroffene gibt sich seit seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2004 durchgängig als sudanesischer Staatsangehöriger aus. Dies wurde jedoch bei einer Vorführung des Betroffenen bei der Botschaft der Republik Sudan ausgeschlossen. Vorsprachen bei der Botschaft der Bundesrepublik Nigeria ergaben demgegenüber, dass es sich bei dem Betroffenen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit um einen nigerianischen Staatsangehörigen handelt. Zur sicheren Feststellung der tatsächlichen Staatsangehörigkeit sollte eine Vor-Ort-Identifizierung in Nigeria durchgeführt werden. Hierzu wurde von der nigerianischen Botschaft die Ausstellung eines Heimreisescheines zugesichert. Demgegenüber wurde von der Bundesrepublik Deutschland die Rücknahme des Betroffenen zugesagt, wenn dessen Identifizierung vor Ort scheitern sollte.

Auf Antrag der Ausländerbehörde hat das Amtsgericht nach Anhörung des Betroffenen durch Beschluss vom 18.10.2007 Abschiebungshaft bis zum Vollzug der Abschiebung, längstens jedoch für die Dauer von 2 Wochen angeordnet.

Die für den 29.10.2007 geplante Abschiebung scheiterte am Widerstand des Betroffenen. Dieser verweigerte unmittelbar vor dem Flugzeug den Einstieg, warf sich zu Boden, zog seine Jacke aus, schrie lauthals und versuchte, sich aus den Festhaltegriffen der ihn begleitenden Beamten zu befreien. Die Abschiebung musste deshalb abgebrochen werden.

Auf Antrag der Ausländerbehörde hat das Amtsgericht nach Anhörung des Betroffenen durch Beschluss vom 31.10.2007 weitere Abschiebungshaft bis zur möglichen Abschiebung, längstens jedoch auf die Dauer von drei Monaten im Anschluss an die bestehende Haft, sowie die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet. Hiergegen hat der Betroffene sofortige Beschwerde eingelegt. Mit Beschluss vom 30.11.2007 hat das Landgericht die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen.

Die für den 12.12.2007 geplante Abschiebung des Betroffenen nach Nigeria musste storniert werden, da die zur Ausreise erforderlichen Papiere von der Botschaft Nigerias nicht rechtzeitig ausgestellt werden konnten. Ein neuer Termin ist für den 15.1.2008 vorgesehen.

II.

Dem zulässigen Rechtsmittel ist ein - vorläufiger - Erfolg nicht zu versagen.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Die Beschwerde sei unbegründet, da das Amtsgericht die Abschiebungshaft zu Recht angeordnet habe. Der Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig. Die Frage, ob die Ausweisung und Abschiebung des Betroffenen zu Recht betrieben werde, sei im Verfahren über die Anordnung der Abschiebungshaft nicht zu prüfen. Insoweit seien zur Gewährung von Rechtsschutz allein die Verwaltungsgerichte berufen.

Es liege der Haftgrund des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG vor, da der begründete Verdacht bestehe, dass sich der Betroffene der Abschiebung entziehen werde.

Der Verdacht ergebe sich konkret daraus, dass der Betroffene die Abschiebung vom 29.10.2007 durch den von ihm geleisteten Widerstand vereitelt habe. Entgegen der Ansicht des Verfahrensbevollmächtigten habe dem Betroffenen ein "Notwehrrecht" gegen die Abschiebung nicht zugestanden.

Darüber hinaus habe der Betroffene die Behörden seit Jahren über seine Staatsangehörigkeit belogen. Seine Behauptung, sudanesischer Staatsangehöriger zu sein, sei durch die Feststellungen der Botschaft der Republik Sudan widerlegt. Weiterhin habe der Betroffene während der Dauer des Asylverfahrens mehrmals gegen die räumliche Beschränkung der Aufenthaltsgestattung verstoßen. Auch dieses Verhalten zeige, dass die Ausländerbehörde nicht darauf vertrauen könne, der Betroffene werde sich ihr gegenüber kooperativ verhalten und sich freiwillig abschieben lassen.

Aus den vorgenannten Gründen sei die Kammer zu der Überzeugung gekommen, dass sich der Betroffene im Falle seiner Haftentlassung einer Abschiebung entziehen und untertauchen werde.

Unzulässigkeitsgründe seien nicht ersichtlich, insbesondere sei nicht ausgeschlossen, dass die Abschiebung des Betroffenen innerhalb der nächsten drei Monate möglich sei.

Die Anordnung der Abschiebungshaft sei darüber hinaus auch verhältnismäßig. Insbesondere sei ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot nicht zu erkennen. Die Haft werde auch nicht deshalb unverhältnismäßig, weil bisher nur feststehe, dass der Betroffene mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit Nigerianer sei, seine Identität aber noch nicht mit letzter Sicherheit geklärt werden konnte. Der Betroffene werde wieder nach Deutschland zurückgeflogen werden, wenn sich seine Identität in Nigeria nicht bestätigen sollte. Die durch die Abschiebungshaft sowie die Flüge entstehenden Belastungen habe der Betroffene hinzunehmen, da sie letztlich auf sein Verhalten zurückzuführen seien. Die Ausländerbehörde sei verpflichtet, alle Möglichkeiten zur Identitätsklärung auszuschöpfen, wozu auch eine Abklärung durch die nigerianischen Behörden vor Ort gehöre.

§ 12 FGG habe es weder geboten, zu ermitteln, welche konkreten Maßnahmen die Behörden in Nigeria vornehmen könnten, die der Botschaft von Nigeria hier nicht zur Verfügung stehen, noch durch eine persönliche Anhörung des Betroffenen eine Klärung der Staatsangehörigkeit herbeizuführen. Die Kammer besitze keine besseren Erkenntnismöglichkeiten als die Behörden. Es seien auch keine Tatsachen ersichtlich, aus denen sich ergebe, dass die Flugreise als solche einen nicht hinnehmbaren Grundrechtseingriff darstelle. Der Betroffene sei flugreisefähig und haftfähig.

Von einer persönlichen Anhörung habe die Kammer abgesehen, da diese zu den Haftvoraussetzungen keine neuen Gesichtspunkte erbringen könne, zumal der Betroffene zeitnah vom Amtsgericht angehört worden sei. Der Betroffene stütze seine Beschwerde im Wesentlichen auf die widerlegte Behauptung, sudanesischer Staatsangehöriger zu sein. Der Betroffene werde anwaltlich vertreten und habe seine Argumente im Verfahren vortragen lassen.

2. Das landgerichtliche Verfahren leidet an einem Verfahrensmangel, der die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung unumgänglich macht, § 27 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FGG, § 546 ZPO, und zur Zurückverweisung führt, §§ 562, 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO analog. Das Landgericht hätte nämlich nicht von der auch im Beschwerdeverfahren grundsätzlich gebotenen Anhörung des Betroffenen absehen dürfen (vgl. dazu BVerfGE 65, 317/322 ff. und jüngst BVerfG vom 14.6.2007, 1 BvR 338/07 Rn. 40).

Auch in der Beschwerdeinstanz ist der Ausländer grundsätzlich mündlich anzuhören (§ 5 Abs. 1 Satz 1, § 7 Abs. 5 FreihEntzG; vgl. Senat vom 22.11.2007, 34 Wx 086/07; BayObLGZ 1999, 12/13; OLG Düsseldorf FGPrax 1998, 200; OLG Naumburg FGPrax 2000, 211/212). Das Landgericht darf von der mündlichen Anhörung des betroffenen Ausländers in der Beschwerdeinstanz nur in eng begrenzten Ausnahmefällen absehen (vgl. zuletzt Senat vom 22.11.2007, 34 Wx 086/07; vom 25.10.2007, 34 Wx 125/07, sowie OLG Frankfurt vom 7.4.2003, 20 W 117/03 mit ausführlichen Nachweisen; OLG Köln vom 23.5.2005, 16 Wx 89/05 = AuAS 2005, 147). Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier jedoch nicht vor. Einem betroffenen Ausländer ist insbesondere dann Gelegenheit zu geben, sich mündlich vor dem Beschwerdegericht zu äußern, wenn sich die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts auf neuen Tatsachenstoff stützt, zu dem der Betroffene noch nicht gehört wurde (vgl. Senat vom 22.11.2007, 34 Wx 086/07). Falls nach dem Akteninhalt irgendeine Veranlassung besteht, insbesondere wenn nach dem weiteren Vorbringen des Beschwerdeführers sich Anhaltspunkte ergeben, die seine Anhörung als sachdienlich erscheinen lassen, ist ihm Gelegenheit zu geben, erneut persönlich zu Wort zu kommen (vgl. BVerfGE 65, 317/322 f.).

Vorliegend ging das Amtsgericht bei seiner Entscheidung, gestützt auf das Vorbringen der Ausländerbehörde, davon aus, dass es sich bei dem Betroffenen sicher um einen nigerianischen Staatsangehörigen handelt. Erstmals in der Beschwerdeinstanz, auf Einwand des Betroffenen, wurde von der Ausländerbehörde vorgetragen, dass es sich bei dem Betroffenen nur mit hoher Wahrscheinlichkeit um einen nigerianischen Staatsangehörigen handeln würde und der Erfolg der betriebenen Abschiebung nicht sicher feststehe. Weiterhin stützt das Landgericht seine Entscheidung über das Vorliegen eines begründeten Verdachts, der Betroffene werde sich der Abschiebung entziehen, auch auf den im Beschwerdeverfahren erstmals von der Ausländerbehörde vorgetragenen Umstand, dass der Betroffene gegen die räumliche Beschränkung der Aufenthaltsgestattung verstoßen habe. Schon allein aus diesen Gründen war eine Bezugnahme auf die amtsgerichtliche Anhörung nicht ausreichend. Hinzu kommt, dass das Landgericht erstmals auf den Haftgrund des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG abstellt. Der amtsgerichtliche Beschluss legt sich in dieser Hinsicht nicht fest.

Überdies kann dem Anhörungsprotokoll des Amtsgerichts vom 31.10.2007 der wesentliche Inhalt der Anhörung nicht entnommen werden. Das Protokoll erschöpft sich vielmehr in vorformulierten Sätzen, aus denen sich weder entnehmen lässt, ob der Betroffene noch weitere Angaben gemacht hat, noch ob er zu den entscheidungserheblichen Tatsachen überhaupt befragt worden ist (vgl. dazu ausführlich OLG Köln AuAS 2005, 147).

III.

Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin:

1. Das Amtsgericht ist in seinem Beschluss vom 31.10.2007 über den Antrag der Ausländerbehörde hinausgegangen, da es die Abschiebungshaft auf die Dauer von drei Monaten im Anschluss an die bestehende Haft angeordnet hat. Der Antrag der Ausländerbehörde lautet jedoch nur auf Anordnung von Haft für drei Monate. Das Haftende wird daher ggfs. neu zu bestimmen sein.

2. Die Personalien des Betroffenen sind nicht zweifelsfrei. So hat er bei der amtsgerichtlichen Anhörung am 18.10.2007 (Bl. 6) ausdrücklich erklärt, dass sein Vorname "R.", sein Nachname "D." sei. Vom Sprachgebrauch her liegt dies nicht fern.

3. Das Landgericht geht im Ergebnis zu Recht davon aus, dass der Rechtmäßigkeit einer Haftanordnung grundsätzlich nicht entgegensteht, dass den nigerianischen Behörden zugesagt wurde, den Betroffenen wieder zurück zu übernehmen, wenn vor Ort festgestellt werden sollte, dass es sich bei dem Betroffenen nicht um einen nigerianischen Staatsangehörigen handelt.

Bei der Maßnahme, den Betroffenen nach Nigeria auszufliegen, handelt es sich um eine Abschiebung im Sinne des § 58 Abs. 1 AufenthG, da der Betroffene zwangsweise, und zwar auf Dauer, aus dem Bundesgebiet entfernt werden soll (vgl. Renner, Ausländerrecht 8. Aufl. § 58 AufenthG Rn. 18). Die Ausländerbehörde ist verpflichtet, bei Vorliegen der Abschiebungsvoraussetzungen diese auch durchzuführen. Ein Ermessen der Behörde, ob sie eine Abschiebung durchsetzt oder nicht, besteht nicht (vgl. Renner § 58 Rn. 2; Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Dezember 2004, § 58 AufenthG Rn. 62).

Die zugesicherte Rücknahme ändert daran nichts. Sie führt auch nicht dazu, dass die Abschiebung undurchführbar ist. Eine Unmöglichkeit der Abschiebung läge nur vor, wenn feststehen würde, dass eine Abschiebung mangels tatsächlicher Aufnahmebereitschaft im Zielstaat mit Sicherheit zum Scheitern verurteilt wäre (vgl. Funke-Kaiser § 58 Rn. 104 m.w.N.). Dies dürfte vorliegend zu verneinen sein.

Der weiteren Inhaftierung des Betroffenen steht auch § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG nicht entgegen. So steht zum einen schon nicht fest, dass die Abschiebung nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten vollzogen werden kann. Darüber hinaus hat es der Betroffene auch zu vertreten, dass die Abschiebung nicht bereits am 29.10.2007 durchgeführt werden konnte. Zutreffend geht das Landgericht dabei davon aus, dass dem Betroffenen kein Recht zustand, die Abschiebung durch den geleisteten Widerstand zu vereiteln.

Ende der Entscheidung

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